IV

[420] Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladstone zu ersetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, seit dem 31. März 1878 Minister des Innern, welchem seine Verwandtschaft den traditionellen Hofeinfluß seiner und der Dönhoff'schen Familie sicherte. Er ist gescheidt, elegant, eine vornehmere Natur als Harry von Arnim, glatter polirt als Robert Goltz; aber ich habe auch mit ihm das Erlebniß gehabt, daß begabte Mitarbeiter und eventuelle Nachfolger,[420] die ich heranzuziehen suchte, mir ihr Wohlwollen nicht dauernd bewahrten.

Meine Beziehungen zu ihm wurden zuerst geschädigt durch einen Ausbruch der Empfindlichkeit, die bei ihm äußerlich durch die volle Höflichkeit guter Erziehung verdeckt wurde, aber doch von einer für den geläufigen und vertraulichen Geschäftsverkehr störenden Schärfe war. Mein damaliger Beistand für vertrauliche Geschäfte, der Geheimerath Tidemann, veranlaßte durch die Form, in der er einen Auftrag während meiner Abwesenheit bei dem Grafen ausrichtete, diesen zu einer mir unerwarteten brieflichen Explosion. Da mein Auftrag an Tidemann ein sachliches und noch lebendiges Interesse hat, so lasse ich die Correspondenz folgen.


»Kissingen, den 15. August 1878


Eure Hochwohlgeboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheim Rath Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial-Correspondenz amtlich publicirt worden ist, bevor er im Bundesrath vorgelegt war. Die Veröffentlichung präjudicirt jeder Amendirung durch uns und ist für Bayern und andre Dissertirende verletzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Bayern muß ich annehmen, daß letzteres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt festhält. Württemberg und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Princip, wohl aber angebrachter Maßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhorresciren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Functionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen Collegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Socialismus lahm gelegt werden. Die Functionen des Reichsamts können nach meiner Auffassung nur durch den Bundesrath entweder direct oder durch Delegation(en) an einen jährlich zu wählenden Ausschuß geübt werden. Der Bundesrath repräsentirt die Regierungsgewalt der Gesammt-Souveränetät von Deutschland, dabei etwa dem Staatsrathe unter andern Verhältnissen entsprechend.

Bisher muß ich indessen annehmen, daß Bayern auf diesen für Württemberg, Sachsen und für mich persönlich annehmbaren Ausweg nicht eingehen wird. Auch die Klausel in Nro. 3 Artikel 23,[421] daß nur arbeitslose Individuen ausgewiesen werden dürfen, ist für den Zweck ungenügend.

Ferner bedarf das Gesetz meines Erachtens eines Zusatzes in Betreff der Beamten dahingehend, daß Betheiligung an socialistischer Politik die Entlassung ohne Pension nach sich zieht. Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subalternbeamten in Berlin, und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher Kategorien sind Socialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen und Truppentransporten einleuchtet.

Ich halte ferner, wenn das Gesetz wirken soll, für die Dauer nicht möglich, den gesetzlich als Socialisten erweislichen Staatsbürgern das Wahlrecht und die Wählbarkeit und den Genuß der Privilegien der Reichstagsmitglieder zu lassen.

Alle diese Verschärfungen werden, nachdem einmal die mildere Form in allen Zeitungen gleichzeitig bekannt gegeben, denselben also wohl amtlich mitgetheilt ist, im Reichstage sehr viel weniger Aussicht haben, als der Fall sein könnte, wenn eine mildere Version nicht amtlich bekannt geworden wäre.

Die Vorlage, so wie sie jetzt ist, wird practisch dem Socialismus nicht Schaden thun, zu seiner Unschädlichmachung keinesfalls ausreichen, namentlich da ganz zweifellos ist, daß der Reichstag von jeder Vorlage etwas abhandelt. Ich bedauere, daß meine Gesundheit mir absolut verbietet, mich jetzt sofort an den Verhandlungen des Bundesrathes zu betheiligen, und muß mir vorbehalten, meine weiteren Anträge im Bundesrathe im Hinblick auf die ordentliche Reichstagssession im Winter zu stellen.

von Bismarck.«


»Berlin, den 18. August 1878


Euer Durchlaucht

haben den Geheimen Regierungsrath Tidemann beauftragt, mir und dem Geheimen Rath Hahn Ihr Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial-Correspondenz amtlich publicirt worden ist, ehe er im Bundesrath vorgelegt war. Den Geheimen Rath Hahn trifft hierbei keine Verantwortlichkeit, da er nicht ohne meine Zustimmung gehandelt hat. Letztere habe ich erst ertheilt, nachdem Abends zuvor die den Entwurf enthaltende Drucksache des Bundesraths ohne besondere Anempfehlung discreter Behandlung ausgegeben und mir Seitens des Herrn Präsidenten des Reichskanzleramts mitgetheilt worden[422] war, daß unter diesen Umständen die Veröffentlichung des Entwurfs durch die Zeitungen am folgenden, also an demselben Tage, an welchem die Provinzial-Correspondenz erschien, mit Sicherheit zu erwarten sei, eine Annahme, welche sich demnächst als völlig zutreffend erwiesen hat. Die Sitzung des Bundesraths fand am 14. d.M. Nachmittags 2 Uhr statt, die Provinzial-Correspondenz wurde an demselben Tage Nachmittags ausgegeben; die Mittheilung des Inhalts des Gesetzentwurfs in derselben hat also nicht früher stattgefunden als die Vorlegung des Entwurfs im Bundesrathe.

Ob es dennoch besser gewesen wäre, jene Mittheilung in der Provinzial-Correspondenz zu unterlassen, habe ich nicht die Absicht weiter zu erörtern. Ew. Durchlaucht erleuchtetes Urtheil zu vernehmen, wird mir stets von hohem Werthe sein, auch wenn dasselbe von dem meinigen abweicht. Dagegen kann ich es nicht stillschweigend hinnehmen, daß Ew. Durchlaucht Ihr Mißfallen mir durch Einen Ihrer Untergebenen haben eröffnen und die darin liegende Mißachtung meiner Stellung um so schärfer haben hervortreten lassen, als Sie mich hierbei mit Einem meiner Untergebenen auf Eine Linie stellten. Das Verletzende dieses Verfahrens springt so sehr in die Augen, daß die Annahme der Absichtlichkeit und die hieran nothwendiger Weise sich knüpfende Gedankenreihe nahe liegen. Der letzteren Folge zu geben, werde ich nicht zögern, sobald ich mich überzeuge, daß diese Annahme zutrifft. Indem ich einstweilen davon ausgehe, daß dies nicht der Fall ist, beschränke ich mich darauf, Ew. Durchlaucht dringend zu bitten, ein ähnliches Verfahren nicht wiederkehren zu lassen.


Mit etc.

Graf Eulenburg.«


»Gastein, den 20. August 1878


Ew. Excellenz haben, wie ich aus dem geehrten Schreiben vom 18. entnehme, die, wie es scheint, wenig vorsichtige, mir jedenfalls unerwartete Folge, die der Geheim Rath Tidemann meiner vertraulichen und formlosen Aeußerung gegeben hat, mir mit vollem Gewichte zur Last geschrieben, ohne mir auch nur das Beneficium der Unvollkommenheit des Geschäftsganges bei eingreifender Badecur zu gewähren. Nach Inhalt Ihres Schreibens bin ich unter dem Eindruck, daß Ihnen gegenüber eine Tactlosigkeit in der Form begangen ist, für die ich Sie um Verzeihung bitte, obschon ich sie nicht verschuldet, höchstens ermöglicht habe. Daß[423] Ew. Excellenz dabei der Gedanke an eine Absichtlichkeit meinerseits hat nahe treten können, ist mir unerwartet und betrübend, indem ich die freundschaftliche Natur unsrer persönlichen Beziehungen zu einander zu gesichert glaubte, um ein derartiges Mißverständniß aufkommen zu lassen.


Mit etc.

von Bismarck.«


Es ist bekannt, unter welchen Umständen der Graf Eulenburg im Februar 1881 seinen Abschied nahm, und daß er im August desselben Jahres zum Oberpräsidenten in Kassel ernannt wurde.

An seinen Namen knüpft sich folgender Briefwechsel zwischen Sr. Majestät und mir. Den Gegenstand meines darin erwähnten Vortrags vom 17. December 1881 habe ich nicht zu ermitteln vermocht.


»Berlin, den 18. December 1881


Einen eigenthümlichen Traum muß ich Ihnen erzählen, den ich diese Nacht träumte, so klar, wie ich ihn hier mittheile.

Der Reichstag trat nach den jetzigen Ferien zum ersten Mal zusammen. Während der Discussion trat der Graf Eulenburg ein; sogleich schwieg die Discussion; nach einer langen Pause ertheilte der Präsident dem letzten Redner von Neuem das Worth. Schweigen! Der Präsident hebt die Sitzung auf. Nun entsteht ein Tumult und Geschrei. Keinem Mitgliede darf ein Orden während der Session des Reichstags ertheilt werden; der Monarch darf nicht in der Session genannt werden. Andern Tages Sitzung. Eulenburg erscheint und wird mit solchem Zischen und Lärm empfangen – darüber erwache ich in einer nervösen Agitation, daß ich lange mich nicht erholen und konnte zwei Stunden von 1/25 bis 1/27 Uhr nicht schlafen konnte.

Das alles geschah in meiner Gegenwart im Hause so klar, wie ich es hier niederschreibe.

Ich will nicht hoffen, daß der Traum sich realisire, aber eigenthümlich bleibt die Sache. Da dieser Traum erst nach dem sechsstündigen ruhigen Schlaf eintrat, so könnte er doch keine unmittelbare Folge unserer Unterredung sein.

Enfin, ich mußte Ihnen diese Curiosität doch erzählen.

Ihr

Wilhelm.«
[424]

»Berlin, den 18. December 1881


E.M. danke ich ehrfurchtsvoll für das huldreiche Handschreiben. Ich glaube doch, daß der Traum das Ergebniß nicht gerade meines vorhergehenden Vortrages, aber doch der Gesammtheit der Eindrücke der letzten Tage, auf Grund der mündlichen Berichte von Puttkamer, der Zeitungsartikel und meines Vortrags war. Die Bilder des Wachens tauchen im Spiegel des Traumes nicht sofort, sondern erst dann wieder auf, wenn der Geist durch Schlaf und Ruhe still geworden ist. E.M. Mittheilung ermuthigt mich zur Erzählung eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den schwersten Conflictstagen hatte, aus denen ein menschliches Auge keinen gangbaren Ausweg sah. Mir träumte, und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und andern Zeugen, daß ich auf einem schmalen Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde schmaler, so daß das Pferd sich weigerte, und Umkehr und Absitzen wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an: die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Coulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, Preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das schleunig E.M. melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm.

Der böse Traum, aus dem E.M. nervös und agitirt erwachten, kann doch nur so weit in Erfüllung gehen, daß wir noch manche stürmische und lärmende Parlamentssitzung haben werden, durch welche die Parlamente ihr Ansehen leider untergraben und die Staatsgeschäfte hemmen; aber E.M. Gegenwart dabei ist nicht möglich, und ich halte dergleichen Erscheinungen wie die letzten Reichstagssitzungen zwar für bedauerlich als Maßstab unsrer Sitten und unsrer politischen Bildung, vielleicht unsrer politischen Befähigung; aber für kein Unglück an sich: l'excès du mal en devient le remède.

Verzeihen E.M. mit gewohnter Huld diese durch Allerhöchstdero Schreiben angeregte Ferienbetrachtung; denn seit gestern bis zum 9. Januar haben wir Ferien und Ruhe.«


Die Beschwerde des Grafen [Eulenburg] über Tidemann und die darin sofort gestellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um so mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer schweren Erkrankung litt, welche durch die Einwirkung der auf den Kaiser[425] gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in dem Präsidium des Berliner Congresses hervorgerufen, zwar aus amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gasteiner Kur mehr verschärft als geheilt war. Diese Kur, der mein Mitarbeiter, der Staatsminister Bernhard von Bülow, am 20. October 1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn sie durch Arbeit der Gemüthsbewegung gestört wird.

Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die Vorlage des Socialistengesetzes im Reichstage zu vertreten und fand dabei die Erfahrung bestätigt, daß die oratorische Leistung auf der Tribüne eine geringere Nervenanstrengung erfordert als die Correctur einer langen schnell gesprochenen Rede, deren Wortlaut an leitender Stelle vertreten werden soll. Während einer solchen Correctur kam bei mir eine seit Monaten vorbereitete Nervenkrisis körperlich zum Ausbruche, glücklicherweise in der leichteren Form der Nesselsucht.

Die Aufgaben eines leitenden Ministers einer europäischen Großmacht mit parlamentarischer Verfassung sind an sich hinreichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes zu absorbiren; sie werden es in höherem Maße, wenn der Minister, wie in Deutschland und Italien, einer Nation über das Stadium ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem starken Isolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn man Alles, was der Mensch an Kräften und Gesundheit besitzt, an die Lösung solcher Aufgaben setzt, so ist man gegen alle Erschwerungen derselben, welche nicht sachlich nothwendig sind, doppelt empfindlich. Ich glaubte schon zu Anfang der 70er Jahre mit meiner Gesundheit zu Ende zu sein und überließ deshalb das Präsidium des Cabinetes dem einzigen mir persönlich Nahestehenden unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals nicht durch sachliche Schwierigkeiten entmuthigt. Um letzteres herbeizuführen, mußte die feindliche Intrigue der Kreise hinzutreten, auf deren Unterstützung ich vorzugsweise glaubte rechnen zu können, und die sich zur Zeit der »Reichsglocke« in den Beziehungen der durch dieses Blatt vertretenen Elemente in erster Linie zum Hofe und den Conservativen und zu vielen meiner amtlichen Mitarbeiter kennzeichnete. Die Thatsache, daß ich bei dem mir sonst so gnädigen Monarchen keinen genügenden Beistand gegen die Hof- und Hauseinflüsse des Reichsglockenringes fand, hatte mich am meisten entmuthigt und das Gewicht der Erwägungen vervollständigt, welche mich zu meinem Abschiedsgesuche vom 27.[426] März 1877 bewogen hatten. Die Gürtelrose, an welcher ich krank war, als Graf Schuwalow 1878 von mir die Berufung des Congresses verlangte, kennzeichnete den Fehlbetrag in dem damaligen Zustande meiner Gesundheit, war eine Quittung über Erschöpfung der Nerven. Mehr als die »Reichsglocke« und deren Zubehör am Hofe hatte daran der Mangel an Aufrichtigkeit in der Mitwirkung einiger meiner amtlichen Mitarbeiter Antheil. Meine Vertretung durch das Vicepräsidium des Grafen Stolberg nahm durch den Einfluß, welchen die Minister Friedenthal und dann Graf Botho Eulenburg auf meinen Vertreter ausübten, eine Gestalt an, welche mir schließlich den Eindruck machte, daß ich mich einem Systeme allmäligen Abdrängens von den Geschäften der politischen Leitung gegenüber befand. Das Symbol dieses Systems machte sich in der Thatsache kenntlich, daß die amtlichen Kundgebungen des Staatsministeriums aus der damaligen Zeit meiner Mitunterschrift entbehren. Es geschah das nicht auf meinen Wunsch oder mit meiner Zustimmung, sondern unter Benutzung meiner Gleichgültigkeit gegen Aeußerlichkeiten, und ich habe diese Vorgänge ungerügt gelassen, bis ich über die systematische Absichtlichkeit derselben keinen Zweifel mehr haben konnte.

Die auf spätere Ereignisse Licht werfenden Einzelheiten gehören nicht alle in die Situation zur Zeit der Conseilsitzung im Juni 1878, aber sie beleuchten zum Theil retrospectiv die damalige Lage und ihre Triebfedern. Graf Botho Eulenburg als Minister des Innern gab damals auf der Tribüne des Landtags ohne Zwang sein Wohlwollen für den Abgeordneten Rickert gegenüber einem Artikel der »Nordd. Allg. Ztg.« mit absichtlicher Klarheit zu erkennen, für mich um so einleuchtender, als ich keinen Zweifel hatte, daß er jenen von ihm gemißbilligten Artikel mit mir in Verbindung brachte. Wie in der Nacht beim Gewitter jeder Blitz die Gegend deutlich zeigt, so gestatteten auch mir einzelne Schachzüge meiner Gegner die Gesammtheit der Situation zu überblicken, welche durch äußerlich achtungsvolle Kundgebungen von persönlichem Wohlwollen bei thatsächlicher Boycottirung erzeugt wurde. Ob ein Cabinet Gladstone, dessen Mission durch die Namen Stosch, Eulenburg, Friedenthal, Camphausen, Rickert und beliebige Abschwächungen des Gattungsbegriffs »Windthorst« mit katholischen Hofeinflüssen bezeichnet werden kann, wenn es gelang, dasselbe zu Stande zu bringen, in sich haltbar gewesen wäre, ist eine Frage, welche sich die Interessenten wohl nicht vorgelegt hatten; der Hauptzweck war der negative, mich zu beseitigen, und über den[427] waren einstweilen die Inhaber der Antheilscheine auf die Zukunft einig. Jeder konnte nachher wieder hoffen, den Andern hinauszudrängen, wie das bei uns im System aller der heterogenen Coalitionen liegt, die nur in der Abneigung gegen das Bestehende einig sind. Die ganze Combination hatte damals keinen Erfolg, weil weder der König noch der Kronprinz für dieselbe zu gewinnen waren. Ueber die Beziehungen des Letzteren zu mir waren die strebenden Gegner damals wie später 1888 stets falsch unterrichtet. Er hatte bis an sein Lebensende dasselbe Vertrauen zu mir wie sein Vater, und die Neigung, dasselbe zu erschüttern, erreichte bei seiner Gemahlin niemals dieselbe kampfbereite Entschiedenheit wie bei der Kaiserin Augusta, die sich auch in der Wahl der Mittel freier bewegte.

Neben den aufreibenden Kämpfen persönlicher Natur waren mir sachliche Schwierigkeiten und anstrengende Arbeiten erwachsen aus dem Bruche mit Delbrück, den mein Brief an den Freiherrn von Thüngen über Schutzzoll symptomatisch kennzeichnet. Dann aus der Secession und dem Uebergange der Secessionisten zu dem Centrum. Ich verfiel in einen Gesundheitsbankerott, der mich lähmte, bis der Dr. Schweninger meine Krankheit richtig erkannte, richtig behandelte und mir ein relatives Gesundheitsgefühl verschaffte, das ich seit vielen Jahren nicht mehr gekannt hatte.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 420-428.
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