I

[350] Die Verstimmung gegen mich, welche die höheren militärischen Kreise aus dem österreichischen Kriege mitgebracht hatten, dauerte während des französischen fort, gepflegt nicht von Moltke und Roon, aber von den »Halbgöttern«, wie man damals die höheren Generalstabsoffiziere nannte. Sie machte sich im Feldzuge für mich und meine Beamten bis in das Gebiet der Naturalverpflegung und Einquartierung fühlbar. Sie würde noch weiter gegangen sein, wenn sie nicht in der sich immer gleichbleibenden weltmännischen Höflichkeit des Grafen Moltke ein Correctiv gefunden hätte. Graf Roon war im Felde nicht in der Lage, mir als Freund und College Beistand zu leisten; er bedurfte im Gegentheil schließlich in Versailles meines Beistandes, um im Kreise des Königs seine militärischen Ueberzeugungen geltend zu machen.

Schon bei der Abreise nach Köln erfuhr ich durch einen Zufall, daß beim Ausbruch des Krieges der Plan festgestellt war, mich von den militärischen Berathungen auszuschließen. Ich konnte das aus einem Gespräch des Generals von Podbielski mit dem Grafen Roon entnehmen, dessen unfreiwilliger Ohrenzeuge ich dadurch wurde, daß es in einem Nebencoupé stattfand, dessen Scheibenwand von einer breiten Oeffnung über mir durchbrochen war. Der Erstere äußerte laut seine Befriedigung, etwa in dem Sinne: »Diesmal ist also dafür gesorgt, daß uns dergleichen nicht wieder passirt.« Bevor der Zug sich in Bewegung setzte, hörte ich genug, um zu verstehen, welches »damals« im Gegensatz gegen diesmal der General im Sinne hatte, nämlich meine Betheiligung an militärischen Berathungen in dem böhmischen Feldzuge und besonders die Aenderung der Marschrichtung auf Preßburg anstatt auf Wien.

Die durch diese Reden gekennzeichnete Verabredung wurde mir practisch wahrnehmbar; ich wurde nicht nur zu den militärischen[350] Berathungen nicht zugezogen, wie 1866 geschehen war, sondern es galt mir gegenüber strenge Geheimhaltung aller militärischen Maßregeln und Absichten als Regel. Dieses Ergebniß der unsern amtlichen Kreisen innewohnenden Rivalität der Ressorts war ein so augenfälliger Schaden für die Geschäftsführung, daß der in Angelegenheiten des Rothen Kreuzes im Hauptquartier anwesende Graf Eberhard Stolberg bei der freundschaftlichen Intimität, in der ich mit diesem, leider zu früh verstorbenen Patrioten stand, den König auf die Unzuträglichkeiten der Ausschließung seines verantwortlichen politischen Rathgebers aufmerksam machte. Nach dem Zeugnisse des Grafen hatte Se. Majestät darauf erwidert, »Ich sei in dem böhmischen Kriege in der Regel zu dem Kriegsrathe zugezogen worden, und es sei dabei vorgekommen, daß ich im Widerspruche mit der Majorität den Nagel auf den Kopf getroffen hätte; daß das den anderen Generalen ärgerlich sei und sie ihr Ressort allein berathen wollten, sei nicht zu verwundern« – ipsissima verba regis, nach dem Zeugnisse des Grafen Stolberg nicht nur mir, sondern auch Andern gegenüber. Das Maß von Einfluß, welches der König mir 1866 verstattet hatte, stand allerdings im Widerspruche mit militärischen Traditionen, sobald der Ministerpräsident allein nach dem Abzeichen der Uniform classifizirt wurde, welche er im Felde trug, als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870 mir gegenüber bei dem militärischen Boycott, wie man heute sagen würde.

Wenn man die Theorie, welche der Generalstab mir gegenüber zur Anwendung brachte und die auch kriegswissenschaftlich gelehrt werden soll, so ausdrücken kann: Der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten kommt erst wieder zum Wort, wenn die Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu schließen, so liegt schon in dem doppelten Gesicht des Janus die Mahnung, daß die Regierung eines kriegführenden Staates auch nach andern Richtungen zu sehen hat als nach dem Kriegsschauplatze. Aufgabe der Heeresleitung ist die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte; Zweck des Kriegs die Erkämpfung des Friedens unter Bedingungen, welche der von dem Staate verfolgten Politik entsprechen. Die Feststellung und Begrenzung der Ziele, welche durch den Krieg erreicht werden sollen, die Berathung des Monarchen in Betreff derselben ist und bleibt während des Krieges wie vor demselben eine politische Aufgabe, und die Art ihrer Lösung kann nicht ohne Einfluß auf die Art der Kriegführung sein. Die Wege und Mittel der letzteren werden immer davon abhängig sein, ob[351] man das schließlich gewonnene Resultat oder mehr oder weniger hat erreichen wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf solche verzichten, ob man Pfandbesitz und auf wie lange gewinnen will.

Noch schwerer wirkt in gleicher Richtung die Frage, ob und aus welchen Motiven andre Mächte geneigt sein könnten, dem Gegner zunächst diplomatisch, eventuell militärisch beizustehen, welche Aussicht die Vertreter einer solchen Einmischung haben, an fremden Höfen ihren Zweck zu erreichen, wie die Parteien sich gruppiren würden, wenn es zu Conferenzen oder zu einem Congresse käme, ob Gefahr vor handen, daß aus der Einmischung der Neutralen sich weitere Kriege entwickeln. Namentlich aber zu beurtheilen, wann der richtige Moment eingetreten sei, den Uebergang vom Kriege zum Frieden einzuleiten, dazu sind Kenntnisse der europäischen Lage erforderlich, welche dem Militär nicht geläufig zu sein brauchen, Informationen, die ihm nicht zugänglich sein können. Die Verhandlungen in Nikolsburg 1866 beweisen, daß die Frage von Krieg und Frieden auch im Kriege stets zur Competenz des verantwortlichen politischen Ministers gehört und nicht von der technischen Armeeleitung entschieden werden kann; der competente Minister aber kann dem Könige nur dann sachkundigen Rath ertheilen, wenn er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der Kriegführung hat.

Im fünften Kapitel des ersten Buches ist der Plan zur Zerstückelung Rußlands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunsen in einer dem Minister von Manteuffel eingereichten Denkschrift in aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte. Den damals unmöglichen Fall angenommen, daß der König für diese Utopie gewonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußischen Heere und ihre etwaigen Verbündeten in siegreichem Vorschreiten waren, so würde sich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben: ob uns der weitere Erwerb polnischer Landstriche und Bevölkerungen wünschenswerth sei, ob es nothwendig, die vorspringende Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt russischer Heere weiter nach Osten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Bedürfnisse, im Westen den Druck zu beseitigen, den Straßburg und die Weißenburger Linien auf Süddeutschland ausübten, ob Warschau in polnischen Händen für uns unbequemer werden könnte als in russischen. Das alles sind rein politische Fragen, und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entscheidung auf die Richtung, die Art, den Umfang der Kriegführung einen vollberechtigten Einfluß hätte[352] fordern, daß zwischen Diplomatie und Strategie eine Wechselwirkung in Berathung des Monarchen hätte bestehen müssen?

Wenn ich mich auch in Versailles beschied, in militärischen Dingen zu einem Votum nicht berufen zu sein, so lag mir doch als dem leitenden Minister die Verantwortlichkeit für die richtige politische Ausnutzung der militärischen wie der auswärtigen Situation ob, und ich war verfassungsmäßig der verantwortliche Rathgeber des Königs in der Frage, ob die militärische Situation irgend welche politische Schritte oder die Ablehnung irgend welcher Zumuthung andrer Mächte rathsam machte. Ich habe damals die Nachrichten über die militärische Lage, deren ich für die Beurtheilung der politischen bedurfte, so weit als möglich mir dadurch zu verschaffen gesucht, daß ich mich mit einigen der unbeschäftigten hohen Herren, welche die »zweite Staffel« des Hauptquartiers bildeten und im Hôtel des Réservoirs zusammenkamen, in vertraulichen Beziehungen hielt, denn diese fürstlichen Herren erfuhren über die militärischen Vorgänge und Absichten erheblich mehr als der verantwortliche Minister des Auswärtigen und machten mir manche für mich sehr werthvolle Mittheilung, von der sie annahmen, daß dieselbe für mich natürlich kein Geheimniß sei. Auch der englische Correspondent im Hauptquartier, Russel, war in der Regel über die Absichten und Vorgänge in demselben besser wie ich unterrichtet und eine nützliche Quelle für meine Informationen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 350-353.
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