1) Daß Hellas einst von Barbaren bewohnt gewesen sei! (S. 15) (womit zugegeben wird, daß das spätere Volk zugewandert sei), s. Strabo VII, 7, 1, p. 321: Hekatäos sagt zunächst vom Peloponnes, daß ihn vor den Hellenen einst Barbaren bewohnt hätten. Aber, wenn man schließt aus dem, was erzählt wird, so war einst fast ganz Hellas ein von Barbaren bewohntes Land (κατοικία βαρβάρων), indem Pelops sein Volk aus Phrygien mit sich brachte, Danaos das seine aus Ägypten (somit wären schon die Altzugewanderten Barbaren gewesen), Dryoper, Kaukonen, Pelasger und andere solche (Völker) das Land südlich vom Isthmos (τὰ ἐντὸς Ἰσϑμοῦ) bewohnten, und auch das Land nördlich davon (καὶ τὰ ἐκτὸς δὲ); denn Attika hatten die mit Eumolpos gekommenen Thraker inne, das phokische Daulis Tereus, die Kadmeia aber die Phönizier des Kadmos, Böotien selbst die Aonen, Temmiker und Hyanten. Auch aus einigen Eigennamen: Kekrops, Kodros, Aïklos, Kothoss, Drymas und Krinakos, spricht die barbarische Nationalität (τὸ βάρβαρον ἐμφαίνεται). Und noch heute wohnen an den Seiten (ἐν πλευραῖς) Thraker, Illyrier und Epiroten usw. Ja im heutigen unstreitigen (ἀναντιλέκτως) Hellas haben Barbaren den größten Teil inne: in Makedonien und einem Teil Thessaliens Thraker, im obern Akarnanien und Aetolien epirotische Völker, nämlich Thesproter, Kassopäer, Amphilochier, Molotter und Athamanen. (Allein unter diesen Barbaren mögen sich Verwandte und selbst Ahnen der späteren Hellenen reichlich befunden haben). – Nicht einmal die Arkader gelten überall als das Urvolk ihres Landes: Aristoteles, bei Anlaß der Politeia der Tegeaten, meint: vor ihnen hätten Barbaren das Land bewohnt, welche von den Arkadern vertrieben wurden; Proselenoi hießen die Arkader nur, weil sie jene Barbaren vor Mondaufgang angegriffen hätten.
2) Über die kleinasiatischen Barbaren (S.15) vgl. Milchhöfer: »Die Anfänge der Kunst in Griechenland«. Bei Strabo siehe den langen Excurs über sie: XIV, 5, 22 ff., p. 677. Über die kleinasiatischen Pelasger ist die Hauptstelle XIII, 3, 2, p. 62o f., wo auch die Identität von Lydern und Mäonern behauptet wird. Über die Verwandtschaft der Päonen und Phrygier, s. VII, fragm. 38. Die ersteren sind nach den einen Kolonisten (ἄποικοι), nach andern vielmehr das Stammvolk (ἀρχηγέται) der letztern. Über die Kaukonen s. VIII, 3, 17, p. 345. An wie vielen Stellen in Griechenland sich[311] Reste und Spuren der Leleger finden s. VII, 7, 2, p. 321, vgl. auch XIV, 2, 27 f.p. 661 f. Nach XIV, 1, 3, p. 632 waren Leleger und Karer notorisch im Besitze der kleinasiatischen Westküste, bis die Ionier kamen. In der Frühzeit kommen sie bis gegen Troja hinauf vor. Die Hauptstelle über sie XIII, 1, 58 f., p. 611 berichtet: »Man sagt, Leleger und Karer seien dasselbe gewesen; Homer aber zählt sie gesondert auf. Einst (dies wohl doch erst zur Zeit ihres Niedergangs?) hatten sie im Binnenland von Halikarnaß acht große Städte und großen Menschenreichtum (εὐανδρεῖν), so daß sie Karien und noch ein Stück von Pisidien besaßen. Dann aber zogen sie in Gemeinschaft mit den Karern zu Kriege aus und verteilten sich in das ganze Hellas, und das Volk verschwand, und von ihren acht Städten führte Mausolos sechs (d.h. das noch übrige Volk) in Halikarnaß zusammen und ließ nur Syangela und Myndos weiter bestehen ... In ganz Karien und in Milet zeigt man Gräber, Festungen und Ortsreste der Leleger«. – Der Gipfel ethnographisch-genealogischer Konfusion in betreff der Leleger findet sich Pausan. I, 44, 5, wo es heißt, Lelex, der Sohn des Poseidon und der Libye, sei aus Ägypten gekommen und König von Megara geworden.
3) Zu den ausländischen Erfindungen (S. 20). In Athen bildete man sich nach Lysias (λόγ. ἐπιτάφ. § 4) ein, die Amazonen, die »Töchter des Ares«, die in grauer Vorzeit von Thermodon herkamen, seien die ersten (Menschen überhaupt) gewesen, welche Pferde bestiegen (μόναι μὲν ὡπλισμέναι σιδήρῳ τῶν περὶ αὐτὰς, πρῶται δὲ τῶν πάντων ἐφ᾽ ἵππους ἀναβᾶσαι); also auch das Reiten läßt man als Erfindung dem Ausland, weil man einen Sieg der Athener daran knüpfen kann. (Mit diesen Amazonen, deren Vordringen nach Pausan. III, 25, 3 erst in Lakonien das Meer eine Grenze setzte, und die dann überwunden wurden – man zeigte ihre Gräber –, wechseln übrigens in der Anschauung Mänaden ab, welche von den Inseln des Archipels gekommen sein sollten; diese verschwinden wieder, ohne daß von ihnen als einem eingewanderten Volksbestandteil die Rede wäre. Es ist vielleicht derselbe Urvorgang, nur in zweierlei Spiegelungen).
4) Zum Kultus der klassischen Stellen (S. 37-40) tragen wir hier noch folgende Belege nach. Für Strabo ist es, trotzdem er die Mythen nicht liebt (ἥκιστα φιλομυϑεῖ), an jeder Stelle eine Pflicht, die Tradition des Mythus aufrecht zu erhalten. Er sagt darüber VIII, 3, 23, p. 348 bei Anlaß der Nennung von Koryphasion, Pylos, Prote usw.: »Wir würden wohl das Vergangene nicht untersuchen, sondern uns jedesmal mit dem Bericht über den jetzigen Zustand begnügen, wenn uns nicht von Kindheit auf eine Kunde (φήμη) darüber überliefert wäre. Nun muß man, da Verschiedene verschiedenes sagen, sich zu einer Auswahl entscheiden. Am meisten Glauben finden die Berühmtesten, Ältesten, an Erfahrung Ersten, und da nun[312] Homer hierin alle übertrifft, so muß man, was er sagt, in Betracht ziehen und mit dem jetzigen Zustand vergleichen«. So gibt er zwar bei Anlaß der Örtlichkeiten auch historische Erinnerungen, indem er z.B. bei Aegos Potamoi einen dort gefallenen Aerolithen und bei Abydos den Zug des Xerxes erwähnt (VII, fragm. 56, 52) usw., aber das Erste was ihm einfällt, ist doch der Mythus. An die Erwähnung von Abdera knüpft er sofort die über Abderos berichteten Mythen an; nämlich dieser war von den Rossen des Diomedes gefressen worden. Auch der dortige See ist, wie es heißt, durch einen Kanal entstanden, durch den Herakles das Meer hereinließ, als er den Rossen des Diomedes nachging, und in der Nähe ist das Dorf Kartera, wo man noch den Königssitz des Diomedes zeigt. (VII, fragm. 44. Der vollständige Text dürfte freilich auch der großen Männer von Abdera Erwähnung getan haben). – Der Fluß Neda entspringt in Arkadien aus einer Quelle, die Rhea, nachdem sie Zeus geboren hatte, dem Berge entsprudeln ließ, um das Kind zu baden (VIII, 3, 22, p. 348). – An der Peirene zu Korinth fing Bellerophontes den trinkenden Pegasos, und unterhalb derselben sah man das Sisypheion, bedeutende Reste eines Tempels oder eines Königssitzes aus weißem Marmor (VIII, 6, 21, p. 379). – In Krommyon, einem jetzt korinthischen, früher megarischen Dorf, erzählte man vom krommyonischen Schwein; in Tenea erzog Polybos den Oedipus (VIII, 6, 22, p. 380). – Die meisten, wenn nicht alle attischen Demen haben ihre zahlreichen mythischen Überlieferungen (μυϑοποιίας συχνὰς καὶ ἱστορίας); Strabo zählt gelegentlich derselben durcheinander mythische und historische Erinnerungen auf, bis er findet, es sei gar zu viel (IX, 1, 17, p. 396). – Beim böotischen Hyria fabelte man von Hyriens und der Geburt des Orion, wovon Pindar in den Dithyramben erzählte, und in Anthedon erzählte man von Glaukos (IX, 2, 12 f., p. 404 f.) – Bei dem am Fuße des Kithäron unwirtlich und rauh gelegenen Dorfe Skolos sollte der (vom Berg) herabgeführte Pentheus von den Mänaden und bei dem nahen Potniai Glaukos durch die potniadischen Rosse zerrissen worden sein (IX, 2, 23 f., p. 408 f.). – Im thespischen Örtchen Eutresis wohnten Amphion und Zethos, ehe sie Könige von ThebenA1 wurden (ebenda 28, p. 411). Im phokischen Daulis lebte die Sage von Tereus, Philomele und Prokne, und Panopeus, das die Heimat des Epeios war, hatte überdies die Sage von Tityos; man zeigte die nach seiner Mutter Elara benannte Höhle Elarion und sein Heroon, wo er einen Kult genoß (IX, 3, 13, p. 423). – Im lokrischen Kynos wohnte Deukalion; hier ist Pyrrhas Grabmal, während er das seine in Athen hat; aus Opus dagegen war Patroklos, der von dort wegen Mordes flüchtete. Der Gemordete hieß Ainianes und man zeigte noch den ihm[313] geweihten Bezirk (τέμενος Αἰνιάνεοιν) und eine Quelle Ainianis (IX, 4, 2, p. 425). – Bei Chalkis unweit Kalydon war der Hügel Taphiassos, allwo sich das Grabmal des Nessos und der übrigen Kentauren befand; am Fuße des Hügels quillt daher ein von der Verwesung stinkendes und mit Blut vermischtes Wasser, wonach die ozolischen Lokrer benannt sein sollen (ebenda 8, p. 427. Vgl. Antigonos c. 117). Der Fluß Dyras am Öta hatte es wagen wollen, den Scheiterhaufen des Herakles zu löschen (ebenda 14, p. 428). – Auf der Agora des thessalischen Melitaia wurde das Grab des Hellenen gezeigt (IV, 5, 6, p. 432). – An der thessalischen Küste bei Antron gab es zwei Inseln, welche Deukalion und Pyrrha hießen (ebenda 14, p. 434). – Von den vielen Inseln in denen sich die Halbinsel Magnesia fortsetzt, ist die bekannteste (μάλιστά ἐστιν ἐν ὀνόματι) Skyros, wegen des Aufenthaltes Achills bei Lykomedes und der Auferziehung des Neoptolemos; während aber dieses durch die Archäologie am besten empfohlen sei, sei doch auch die Vorzüglichkeit der dortigen Ziegen Ursache der Erwähnung (ebenda 16 f., p. 436 f.). – Bei Anlaß des thessalischen Peneiostales wird berichtet, man suche dort sowie in Euböa und Arkadien nach Oichalia, der Burg des Eurytos und frage besonders, welches die von Herakles eingenommene Stadt gewesen sei, von der der Dichter der Einnahme Oichalias (Οἰχαλίας ἅλωσις) handelte. Vorhanden war nur vom euböischen Oichalia ein Rest als Dorf (X, 1, 10, p. 448); da also keine oder nur wenige Einwohner da waren, welche die Ambition gehabt hätten, daß ihre Vorfahren von Herakles erobert worden, so handelt es sich hier nur noch um das Rechthaben von Archäologen, die durch WüsteneienA2 reisen (IX, 5, 17, p. 438). – Beim euböischen (oder wohl eher thessalischen) Eretria war ein von Admetos gegründeter Apollotempel; bei Admetos selbst sollte der Gott in Dienst gewesen sein (X, 1, 10, p. 447). – Im Flusse Euenos spielte die Geschichte von Herakles, Deianira und Nessos (X, 2, 5, p. 451). – Unter der Insel Mykonos lagen die letzten von Herakles gebändigten Giganten (war der Boden wohl vulkanisch und glaubte man daraus ihr Brüllen (μυχᾶσϑαι) zu vernehmen?), und auf Seriphos erzählte man von Diktys, der mit seinen Netzen (δίκτυα) den Kasten mit Danae und Perseus herauszog; auch soll hier Perseus aufgewachsen sein. Später versteinerte er mit dem Haupt der Gorgo alle Seriphier, weil sie seine Mutter hatten zwingen wollen, den König Polydektes zu heiraten. Die Insel ist so felsig, daß die Scherzfreunde sagen, sie sei selbst vom Gorgonenhaupte versteinert (X, 5, 9 f., p. 487). – Nisyros ist ein abgesprengtes Stück von Kos. Poseidon, der einen Giganten verfolgte, spaltete es mit dem Dreizack ab und warf es jenem nach, und nun liegt er darunter (ebenda 16, p. 489). – Im Gebirg[314] zwischen den Gauen von Kyzikos und Priapos ist der Ort Harpagia, wo, wie der Mythus ging, Ganymed geraubt worden war; nach anderer Sage war es auf dem Berge DardanionA3 nahe bei Dardanos geschehen (XIII, 1, 11, p. 587), bei Antandros aber war der Berg Alexandreia, wo Paris über die Göttinnen richtete (ebenda 51, p. 606). – In der Umgebung von Troja hat Strabo bei dessen schon damals sehr streitiger Lage im dreizehnten Buch seine große Not mit Fixierung der einzelnen homerischen Ortsbestimmungen. Man hatte dieselben längst sehr unkritisch fixiert und nun wollte nichts mehr recht passen. Er meint schonA4, durch das Geschiebe der Flüsse (die προχώματα) habe sich die Gegend stark verändert (XIII, I, 35 ff., p. 598 f.).-
Aus Pausanias tragen wir noch nach, daß bei der Ruine von Kyphanta in Lakonien ein Quell war, den Atalanta hatte entspringen machen, als sie auf der Jagd durstig, mit der Lanze den Fels traf (III, 24, 2). In Pylos befand sich das Haus Nestors, (IV, 36, 2. Solche noch zahlreich vorgewiesene Häuser mythischer Personen hatten gewiß eine besondere Kraft des Beweises und der Vergegenwärtigung an sich), und in der Stadt zeigte man eine Höhle, wohin die Rinder des Neleus und Nestors des Abends getrieben wurden, woran Pausanias Vermutungen über deren Rasse sowie über Herden als Hauptbesitz in der Urzeit knüpft (ebd. 3). – In Theben bestand, als zur Zeit des Autors bloß noch die Kadmeia bewohnt wurde, die ganze Unterstadt nur noch aus klassischen Stellen, resp. Denkmälern (IX, 9). – Im Zeustempel zu Ankyra sah man noch damals den von Midas gefundenen Anker und die Quellen des Midas, die er mit Wein mischte, als er dem Seilenos nachstellte (1, 4, 5). – An der Decke des Heiligtums der Leukippiden zu Sparta schwebte, in Binden verhüllt, das Ei der Leda (III, 16, 2; die Varianten über dieses Ei bei Apollodor III, 2, 6, ein merkwürdiger Beleg für die Gläubigkeit der Griechen).
Antigonos (Paradoxographi ed. Keller) erzählt, in Rhegion sängen die Zikaden nicht, weil Herakles, als er einst in der Gegend schlief, von ihnen belästigt worden sei und gebetet hätte, daß sie stimmlos werden möchten (c. 2). – Auf Seriphos schweigen die Frösche, und diesmal spricht man von Perseus, wie dort von Herakles (c. 4). – In Antissa, wo man das Grab vom Haupte des Orpheus zeigt, singen die Nachtigallen schöner als sonstwo (c. 5). – Weil Zeus auf Kreta geboren wurde, wächst dort kein tödliches Giftkraut, und weder Wolf noch Eule wird dort gefunden (c. 10 b.). – In Athen fliegt keine Krähe auf die Akropolis, weil einst ein Krähe der Athene eine widrige Botschaft brachte (nämlich Erichthonios sei durch die Kekropiden aufgedeckt worden). Athene,[315] welche gerade einen Berg, den jetzigen Lykabettos herbeibrachte, warf ihn hin, wie er jetzt liegt (c. 12). – Die Weiber von Lemnos, hieß es noch immer, seien zu gewissen Zeiten übelriechend, so daß ihnen Niemand nahe, und zwar an denjenigen Tagen (des Jahres), an welchen einst Medea mit Iason angelangt war und Zaubermittel (φάρμακα) auf die Insel geworfen hatte (c. 118). – Nach Theophrast träufelt der Styx bei Pheneos in Arkadien aus einem kleinen Fels hervor; die, welche sein Wasser fassen wollen, tun es mit Schwämmen, die sie an Stangen gebunden; es sprengt alle Gefäße, ausgenommen die hörnernen (alias den Pferdehuf); wer davon kostet, stirbt (c. 158). – Auf Kreta ist eine kleine Quelle (ὑδάτιον), bei der die, welche sich bei Regen darüber setzen, unbenetzt bleiben. Bei den Kretern ist überliefert, Europa habe sich nach ihrer Beiwohnung mit Zeus aus ihrem Wasser gewaschen (c. 163). – Die Reiher auf der Insel Diomedeia sind laut Aussage der Eingeborenen die verwandelten Gefährten des Diomedes (c. 172).
Wir notieren außerdem noch folgende Aussagen: Phlegon in den Olympiades (ebd.) verlegt die Vorgeschichte von Olympia in den Mythus, wie der – freilich doch noch viel fabelhaftere – Pausanias: Nach Peises, Pelops und Herakles, welche Zeusfest und Agon in Olympia eingeführt hatten, hätten die Peloponnesier den Gottesdienst eine Zeitlang aufgegeben, für welche Zeit von Iphitos aufwärts 28 Olympiaden gerechnet werden bis zu Koroibos dem Elier. Nachdem darauf der Peloponnes von Unruhen heimgesucht worden sei, hätten Lykurgos der Lakedämonier, der Heraklide Iphitos, der Elier, und Kleosthenes, der Peisate, um Eintracht und Frieden herzustellen, beschlossen, das olympische Fest in seine alte Form (εἰς τὰ ἀρχαῖα νόμιμα) zurückzuführen und einen gymnischen Agon abzuhalten und darüber das Orakel in Delphi angefragt. – Nach Herodot IX, 73 verschonten die Spartaner bei ihren Einfällen in Attika während des peloponnesischen Krieges Dekeleia, weil einst dessen Bewohner den Dioskuren den Aufenthalt Helenas in Aphidnä verraten hatten; ferner verschonten sie auch die Akademie, weil nach einer jüngern Sage Akademos ihnen den Aufenthalt ihrer Schwester angegeben. – Nach Theophrast h. pl. IX, 10, 2 und Livius XXXVI, 30 hieß der Ort, wo Herakles auf dem Öta geendet, seitdem schlechtweg Pyra, auch Phrygia und Preston, was dasselbe sagt. (Callim. Dian. 159. Schol.; s. Preller Mythol. II, 177). – Nach Ptolemäos Hephästion IV hieß in Lakedämonien eine Quelle Sandalion, weil hier der Helena, als sie vor Paris flüchten wollte, eine Sandale entfiel. Aristedes Rhetor erzählt im Ῥοδιακός, d.h. in der Rede, die er an die Rhodier nach dem Erdbeben zu halten fingiert (ed. Dindorf I, p. 797), Rhodos sei bis zu diesem Augenblicke von Erdbeben verschont gewesen, während »die andern« längst Ruinen waren, wo man nicht sowohl etwas zu sehen, als nur durch die Kustoden[316] zu hören bekam1. – Was der Halsschmuck der Eriphyle (im Tempel der Athene Pronoia zu Delphi) noch zur Zeit des heiligen Krieges für Gier und Jammer anrichtete, siehe Parthenios narrat. 25. – Dem großen Alexander wurde in Ilion durch einen Mann des Ortes die Lyra des Paris vorgewiesen; er aber sagte, er hätte lieber die Achills gesehen (Aelian V.H. IX, 38). – Die »mystagogi«, die nach Cicero (Verr. IV, 59, 132) den Fremden in Syrakus und andern Orten die Sehenswürdigkeiten zeigten, dürften ihren Namen am ehesten daher haben, daß sie auch die örtlichen Sagen und Mythen erzählten.
5) Lokalisierung des Mythus an verschiedenen Stellen (S. 38). Nachdem Pausanias schon früher Athene hat in Arkadien geboren werden lassen, berichtet er VIII, 26, 4, daß zu Aliphera ein Tempel der Athene als Hauptgöttin des Ortes sei, die hier, wie man sagte, geboren und auferzogen war, und ein Altar des Zeus Lecheates, welcher hier die Athene geboren habe, und eine Quelle nennen sie Tritonis, indem sie die Sage vom Fluß (nicht See) Triton hieher beziehen. Das Erzbild von Hypatodoros ist sehenswert durch Größe und Kunst. (Aus welcher Periode und Geltungsstufe des Zeus stammt dieser so absonderliche Mythus? Ohne Zweifel ist er elementarisch-meteorischer Art. Sofern man ihn aber im fernen libyschen Fabellande lokalisiert, d.h. zu einem Weltphänomen macht, sind die Deutungen freier, als wenn er an bestimmte Stellen von Griechenland gebunden wird. Lokalisierungen können aber auch einen relativ späten Ursprung haben, etwa aus dem heiligen Drama, welches beim Jahresfest einer Gottheit aufgeführt wurde; es konnte sich allmählich dieA5 dunkle Meinung festsetzen, was man hier vor sich sehe, müsse einst auch hier geschehen sein; das Volk konnte beides vielleicht nicht mehr auseinander lesen. Ohnehin waren die alljährlichen Trauerfeste der früh verstorbenen jungen Götter (Linos, Adonis u.a.) geeignet, die Leute an periodisch wiederholte Vorgänge zu gewöhnen.) – Außer auf Kreta war Zeus auch beim arkadischen Gortys geboren und im dortigen Fluß, welcher Lusios und auch Gortynion hieß, gewaschen worden. Es war der kältesteA6 aller griechischen Flüsse. (Paus. VIII, 28, 2.) – Auch beim arkadischen Methydrion war er geboren; die schwangere Rhea war hingekommen; auf den Fall, daß Kronos sie angriffe, rüsteten sich zur Hilfe Hoplodamas und die ihn begleitenden Giganten; die eigentliche Geburt erfolgte, wie die Leute zugeben, in einer Gegend des Lykaios, der Betrug[317] mit dem Stein aber hier (bei Methydrion). Es findet sich hier auch die Grotte der Rhea, welche nur die der Göttin geweihten Frauen betreten dürfen (ebd. 36, 2). – Der Berg Lykaios heißt auch Olymp und heilige Höhe (ἱερὰ κορυφή). Hier sei Zeus erzogen worden (τραφῆναι, wobei wieder die Geburt mitverstanden ist). Eine bestimmte Örtlichkeit daselbst heißt Kretea, und laut den Arkadern wäre dies die Stelle der Geburt und nicht die Insel (ebd. 38, 2). – Daß Hermes beim arkadischen Akakesion durch Akakos erzogen worden, ist arkadische Sage. Aber Abweichendes hievon sagen die Thebaner und wieder von diesen Abweichendes die Tanagräer (ebd. 36, 6. Über die tanagräischen Ansprüche vgl. IX, 20, 3 und 22, 2). – Die Spaltung der Erde für Amphiaraos wird (außer bei Oropos) auch unmittelbar vor Theben lokalisiert, wo noch ein kleiner Peribolos mit Pfeilern daran erinnert (ebd. IX, 8, 2). – Unweit von den Trümmern des arakdischen Trapezus war eine intermittierende Quelle und ein vulkanisches Feuer. Hieher verlegen nun die Arkader (und nicht nach der thrakischen Pallene) den Kampf der Götter und Giganten, und opfern den Blitzen und den Stürmen und den Donnern (ebd. 29, 1 f.).
Von Komana in Kappadokien sagt Dio Cass. XXXV, 11: Es habe die Meinung bestanden, daß das taurische Artemisbild und die Nachkommenschaft Agamemnons sich immer hier befänden. Wie aber das alles dorthin kam und dort verblieb, davon wisse er das Nähere nicht zu melden, da vielerlei gesagt werde; was er aber gewiß wisse, das wolle er sagen: es gebe in Kappadokien zwei nicht weit von einander entlegene Orte, welche so hießen, und beide behaupteten die gleichen Dinge, denn sie erzählten die nämlichen Mythen und wiesen neben allem andern beide auch das Schwert Iphigenias vor. – Darüber endlich, daß Aeschylos mit dem Leidensort des Prometheus nicht den Kaukasos gemeint habe, vgl. die Variante zum βίος I bei Westermann Biogr. 122: Man muß wissen, daß (der Dichter) ihn nicht gemäß der allgemeinen Rede am Kaukasos gefesselt sein läßt, sondern an einer der europäischen Küsten des Okeanos, wie man aus seinen Reden an Io entnehmen kann.
6) Zur Epiphanie (S. 47). – Sehr merkwürdig ist, was bei Anlaß des zweiten thebanischen Überfalles von Sparta 362 v. Chr. erzählt wird: der in jugendlicher Schönheit, bloß mit Lanze und Schwert, nackt daherstürmende Isadas wird nicht verwundet, sei es durch göttliche Obhut über den Tapfern, oder weil er den Feinden als etwas Größeres und Gewaltigeres erschien, denn als ein Mensch (εἴτε μεῖζόν τι καὶ κρεῖττον ἀνϑρώπου φανεὶς τοῖς ἐναντίοις. Plut. Agesil. 34.) – Daß M. Antonius, der Triumvir, bei den Ephesiern, die ihn mit großem bacchischen Karneval empfingen, Dionysos Charidotes und Dionysos Meilichios hieß, war nicht mehr, als was schon einzelne Diadochen zu hören bekommen hatten und bald darauf Imperatoren zu hören verlangten. Auch das Auftreten[318] der Kleopatra in Alexandrien im Aufzug der Isis wollte dort nichts Neues sagen (Plut. Ant. 54.) Schon etwas mehr wollen (ebd. 26) die Worte beim Empfang der Kleopatra in Tarsos bedeuten: Und es ging durch alle ein Gerede, daß Aphrodite zu Asiens Heil schwärmend zu Dionysos komme. Dies erinnert schon an die Vergötterung des Paulus und Barnabas in Lystra. – Das argivische Weib, dessen Steinwurf den Pyrrhos tötete, sollte Demeter gewesen sein. So der argivische Epiker Lykeas. Und auf ein Orakel hin entstand da, wo Pyrrhos gefallen, ein Heiligtum der Demeter und in demselben ist Pyrrhos bestattet. (Pausan. I, 13, 7). – Lucian (Demonax c. 1) hat noch persönlich den Böotier Sostratos gekannt, den die Hellenen Herakles nannten und auch dafür hielten (καὶ ᾤοντο εἶναι). Er (Lucian) habe in einer andern Schrift (die wir nicht kennen) von diesem gehandelt und von seiner Größe und dem Übermaß seiner Kraft und seinem Leben unter freiem Himmel auf dem Parnaß und seinem mühseligen Lager und der Nahrung, die ihm das Gebirge bot, und seinen Taten, die zu seinem Namen (nämlich »Herakles«) nicht im Widerspruch standen, und was er durch Besiegung von Räubern und Bahnung von Wegen und Überbrückung von Klüften alles leistete. Also eine Art von heidnischem Einsiedler St. Christophorus, der wirklich den Leuten als Herakles galt. – Ein Beispiel sofortiger göttlicher Verehrung eines Menschen, durch welchen man plötzlich reich geworden: Plut. Quaest. Graec. 34. Ein Schiffer, Pyrrhias von Ithaka, hat einen Greis mit Töpfen voll Harz aus einem Piratenschiff herausgeholt; hernach findet sich, daß in das Harz viel Gold und Silber gemischt ist; der plötzlich reich gewordene Pyrrhias erwies sich dem Alten sowohl sonst dankbar als auch brachte er ihm ein Rind zum Opfer dar; er opfert ihm also schon wie einer großen Gottheit. Daher sagt man sprichwörtlich: Niemand hat einem Wohltäter einen Stier geopfert als Pyrrhias.
7) Zur Erscheinung untergeordneter mythischer Wesen (S. 48). Saepe Faunorum voces exauditae, sagt Cicero. – Über die Satyrn ist die Hauptstelle bei Plutarch Sulla 27, 2, wo erzählt wird, wie ein bei Apollonia schlafend gefangener Satyr vor Sulla gebracht und umsonst in allen Sprachen befragt wurde, worauf Sulla ihn entsetzt fortschaffen ließ. Über denjenigen, dessen Leiche nach Antiochien zu Kaiser Constantius gebracht wurde, vgl. Hieronym. Vita S. Pauli Thebaei c. 7 f. Was die sonstigen Fabelwesen betrifft, so war die Kentauren schon Homer aus Griechenland los geworden. Nach Ilias II, 743, worauf sich Strabo (IX, p. 439) beruft, hatte sie Peirithoos vom Pelion verjagt und zu den epirotischen Aethikern getrieben: ἐκ Πηλίου ὦσε καί Αἰϑίκεσσι πέλασσε. Dagegen nach Apollodor II, 5, 4 flüchten sie in verschiedene Gegenden; die übrigen nimmt Poseidon, offenbar als Pferdegott, auf und verbirgt sie, indem er sie bei Eleusis mit einem Berge zudeckt.[319]
8) Zur Asklepiosepiphanie (S. 49). Die Erscheinung des Asklepios in seinem Tempel im Plutos des Aristophanes V. 659 ff. wird im Berichte des Karion zu einer Art von Posse, und man kann sogar an einen habituellen Betrug denken. Zuerst löscht der Tempeldiener (πρόπολος) die Lampen und empfiehlt zu schweigen, wenn man ein Geräusch höre. Dann (zwar im Dunkel, doch von Karion gesehen) kommt der Priester (ἱερεύς) und holt die Kuchen und Feigen vom heiligen Tische weg (ἀφαρπάζει) und »weiht« dies alles in einen Sack. Dann offenbar eine längere Pause. Endlich kommt der Gott, begleitet von Iaso und Panakeia und geht im Kreise herum und untersucht die Krankheiten; ein Diener (παῖς) stellt Geräte neben ihn hin. Karion ist zwar (wie wohl alle? wachend? schlafend?) eingehüllt, sieht aber durch Löcher (ὀπαί), was vorgeht. Das Verhalten des Gottes gegen Neokleides ist dann reine Farce; er höhnt ihn auch in Worten. Hierauf nimmt er mit Hilfe der Panakeia den Plutos in Kur; dann auf sein Schnalzen hin eilen aus dem νεώς (dem Innern des Tempels?) zwei große Schlangen herbei und lecken dem Plutos die Augen aus; nach der Heilung verschwinden Asklepios und Schlangen schnell dahin, woher sie gekommen. Den Rest der Nacht bleiben alle um Plutos wach. – Für den wahren Grad der Gläubigkeit damaliger athenischer Kranker ist die ganze Erzählung nur eine sehr bedingte Quelle. Immerhin scheint so viel sicher, daß Aristophanes persönlich nur eine sehr geringe Achtung vor Heilinstituten dieser Art hegte. Sein Karion darf sich in Gegenwart des Asklepios schmählich aufführen, und der Gott macht sich nichts daraus. – Nach Livius (Epit. lib. XI) holen bei einer Pest c. 290 v. Chr. römische Gesandte ein signum des Aeskulap von Epidauros. Eine Schlange schlüpft mit auf das Schiff, in quo (angue) ipsum numen esse constabat, und verläßt es auf der Tiberinsel wieder, wo dann der Tempel erbaut wird. (Tempelschlangen wurden bis in sehr späte Zeit gehalten; die Burgschlange der Akropolis von Athen war noch zu Philostratos d.Ä. Zeit erhalten; vgl. Imag. II, 17). – Im VI. Jahrhundert ist die Frau, welche nach Herodot VI, 61 im Tempel der Helena zu Therapne erscheint und das mißgestaltete Töchterchen schön macht, offenbar Helena selbst, obwohl dies nicht deutlich gesagt wird.
9) Zu S. 54. Mit Fustels de Coulanges geistvollem Buche »La cité antique« wurde Jacob Burckhardt erst verhältnismäßig spät bekannt, nachdem der Abschnitt über die Polis längst geschrieben war. Er excerpierte das Werk dann aber sehr eifrig und setzte sich mit ihm auf Blättern, die er dem Texte beilegte, auseinander. Den zustimmenden wie den ablehnenden Inhalt dieser Auseinandersetzung hat der Unterzeichnete in die zwei ersten Seiten des Abschnittes von der Polis hineinverarbeitet. Die Ansicht Fustels, wonach die Phratrien dadurch entstanden wären, daß mehrere Geschlechter (γένη) in einen Verein zusammentraten und dabei[320] eine über ihren Hausgöttern stehende Gottheit mit gemeinsamem Kultus und Mahl anerkannten, daß nach demselben Modus ferner bei dem »natürlichen« Wachsen der »association« mehrere Phratrien sich zur Phyle mit demselben Schutzgott und eponymen Heros gruppiert hätten, und daß endlich durch mehr oder minder freiwillige Vereinigung der Phylen, welche ursprünglich unabhängige Gesellschaften gebildet hätten, die Polis entstanden wäre, wurde von Burckhardt stark bezweifelt. Zumal schien ihm die konstante Zahl der Phylen bei dieser Entstehung der Polis unerklärlich. Aber auch zugegeben, daß es Organismen wie die Geschlechter wirklich und erweislich gab, und daß sie hie und daA7 zu Phratrien zusammenrannen, fand er, daß doch dagegen in Rechnung gezogen werden müßte, wie sich bei Wanderungen alles verschiebt und gewaltsam wird, und wie ferner auf griechischem Boden durch besitzlose jüngere Zweige, durch permanente Wanderlust ganzer Stämme und durch Piraterie das Familienleben von jeher muß bedroht gewesen sein. Wie lange konnte ein Geschlecht beisammen bleiben, d.h. die jüngern Söhne als Dienende am Herde behalten oder als besitzlose Nebenfamilien in der Nähe des Hauptsitzes? Von Sklaven und Klienten nicht zu reden. Sobald sich solche Elemente zusammentun und auf gewaltsame Besitznahme ausziehen, zerstören sie doch schon in der Nähe die ganze schöne Ordnung bei andern, welche nicht nur Arier, sondern nahe Stammesgenossen sein können. Wenn man sich also das Geschlecht nach Fustels Weise als zusammenwohnenden Geschlechtsverband konkret denkt, kann man ihm keinen sekulären, sondern nur einen vorübergehenden Bestand zutrauen. Die eigentliche Entstehungsursache der Polis aber kennt Fustel ebensowenig als wir. Im allgemeinen scheint ihm die Religion diese causa gewesen zu sein, während sie eher nur die stärkste Hilfe war. So bleibt bei ihm ein Sprung von der Vielheit der Geschlechter zum Volk mit einem allgemeinen Königtum des heroischen Typus. Richtig ist, daß dieses Königtum zugleich allgemeines Priestertum war und später oft nur als solches weiterlebte, daß aber gar die Anführung im Kriege und die Rechtsprechung nur Konsequenz des Priestertums gewesen sei, wie Fustel S. 206 annimmt, gab ihm Burckhardt nicht zu; er fand, Fustel sehe zu sehr davon ab, daß man es a priori mit Wandervölkern und Eroberern zu tun habe und glaubte daher nicht, daß das Königtum in allen Städten seit ihrer Entstehung (ebd. S. 208) ohne Zwang von oben und Widerstand von unten, ohne Konflikte und Revolutionen eingetreten sei.
(Der Herausgeber [Oeri]).
10)Zu den Synoikismen S. 64. Im Grunde ist es eine der jämmerlichsten Szenen der griechischen Geschichte, daß altertümliche, nicht an Seeund[321] Ausfahrten, sondern gewiß im höchsten Grade an das Alteinheimische gewöhnte Bevölkerungen, die, wie man aus der Aufzählung bei Pausanias (VIII, 27) sieht, mit Ausnahme des aus neun Demen bestehenden Tegea bisher zu drei bis zehn eine Art Kantone gebildet hatten, für die das örtliche Heiligtum2, die Gräber und die örtlichen Sagen (sogar von der Teilnahme am Zuge gegen Ilion) das Teuerste waren, und deren ganzes Gedeihen nur der Anbau ihrer Feldmark gewesen sein kann, in den Verlust von diesem allem einwilligen müssen, nur wegen des schrecklichen Sparta. Freilich folgen sie dabei dem Beispiele der Argeier, die sich auch auf diesem Wege gegen Sparta gesichert und gegen ihre eigenen Periöken stärker gemacht hatten. Während des heiligen Krieges werden dann die Megalopoliten durch die Spartaner überwältigt und halten darauf hin aus Haß gegen Sparta im Kriege von Chäronea und im lamischen Kriege nicht mit gegen Makedonien. Ein späterer spartanischer Einfall unter dem Königssohn Akrotatos endigt mit dessen Niederlage und Untergang, die Stadt tritt in den achäischen Bund und wird bei einem neuen größeren spartanischen Heereszug unter Agis, dem Sohne des Eudamidas, durch den Boreas gerettet, endlich aber doch durch Kleomenes eingenommen, und hier kommt nun die Schlußrechnung, und man sieht, was das ungeheure Städteopfer geholfen hat: Κλεομένης τούς τε ἐγκαταλειφϑέντας ἐφονευε καὶ κατέσκαπτέ τε καὶ ἒκαιε τῆν πόλιν. (Kleomenes ließ die Zurückgebliebenen ausmorden und die Stadt zerstören und verbrennen). Und dies so kurz, bevor mit Sellasia Sparta selber ins Nichts fiel. Dazu noch die ExküseA8 des Pausanias, der Demos von Lakedämonien trage hieran keine Schuld, indem Kleomenes bereits das Königtum in eine Tyrannis verwandelt habe. (Pausan. VIII, 27). – Bei Aegion, Paträ und Dyme fällt es auf, daß sie nach Strabo VIII, 3, 2, p. 337 erst spät Poleis wurden, nachdem vorher hier nur Gaue (χῶραι) mit mehreren Verbänden von Demen (συστήματα δήμων) bestanden hatten, während nach demselben Autor (VIII, 7, 4, p. 386) die Achäer an die Stelle der ionischen Dörfer Poleis gesetzt haben sollen. Hatte man etwa den Synoikismos nur beschlossen, aber nicht durchzuführen gewagt? – In Messenien gründeten die erobernden Dorer unter Kresphontes (laut Ephoros bei Strabo VIII, 4, 7, p. 361) ihren Staat so, daß sie ihn bald wieder ändern mußten: Kresphontes hatte das Land in fünf Poleis geteilt und das in der Mitte gelegene Stenyklaros zu seinem Königssitze erklärt, in die andern Poleis aber, Pylos, Rhion, Mesola und Hyameitis, sandte er oberste Beamte (βασιλεῖς); alle Messenier machte er den Dorern[322] gleichberechtigt. Als aber die Dorer zürnten, änderte er den Sinn, erklärte Stenyklaros zur alleinigen Polis und sammelte hieher nun alle Dorer.
11) Zum spartanischen Wissen (S. 110). Wie man in der Musik die Fremden benützte, so nahm man auch, was man aus dem Gebiet des Wissens, zumal der Himmelskunde notwendig brauchte von Nicht-Lakedämoniern gelegentlich an. Anaximander von Milet mußte die kunstreiche Sonnenuhr in Sparta einrichten, welche auch die Tag- und Nachtgleichen anzeigte. Diog. Laert. II, 1, 3, welcher noch hinzufügt καὶ ὡροσκόπια κατεσκεύασε (und er erstellte Horoskope). Es ist nicht notwendig, dies ebenfalls auf jenen Bau in Sparta zu beziehen; überdies kann es sowohl auf gewöhnliche Stundenanzeiger als auf Nativitäten gehen.
12) Zur Sklavenfolter (S. 156). Auch in den meisten Reden des Antiphon wird die Sklaventortur nach ihrem psychologischen Wert und Unwert besprochen, den Gegnern angeboten oder von ihnen verlangt. Vgl. I, 8, 10; II, B, 7; II, Γ, 4; II, Δ, 8; VI (de choreuta) 23, 25; V (de caede Herodis) 31-34. Hier lernen wir u.a., daß der Gefolterte, wenn er merkte, man wolle ihn zum Tode bringen, die Wahrheit zu sagen pflegte. Vgl. ebd. 40 f. (über den τροχός), 46-50. Aus VI, 25 mag man die Äußerung merken, Freie möge man mit Eiden ὅρκοις καὶ πίστεσι bezwingen, welche für Freie das Größte seien (bei den vielen Meineiden der damaligen Zeit!). Sklaven aber mit anderm Zwang; selbst wenn sie wüßten, das Geständnis müsse ihnen den Tod bringen, würden sie doch gezwungen, die Wahrheit zu sagen: ἡ γὰρ παροῦσα ἀνάγκη ἐκαστῳ ἱσχυροτέρα ἐστὶ τῆς μελλούσης ἔσεσϑα. (Denn die Not des Augenblicks wirkt bei Jedem stärker, als der Gedanke an die künftige). (Haben sich die Römer jemals theoretisch so ausgelassen? Gibt es z.B. bei Cicero eine Äußerung über Rechtmäßigkeit der Sklavenfolter?) – Über die Tortur von Sklavinnen gibt umständlich und skandalös der ganze Schluß von Demosthenes in Neaeram (1386 ff.) Auskunft. Der Sprecher, Apollodoros, verlangt die vier Sklavinnen der Neära, Thratta, Kokkaline, Xenis und Drosis zur Folterung, damit sie aussagen sollen, Neäras Kinder seien nur von ihr, nicht von Stephanos. Stephanos setzte sich dann in den Nachteil, indem er die Sklavinnen nicht hergab. Apollodoros hatte angeboten: wenn die Sklavinnen auf der Folter dabei blieben, daß die Kinder von Stephanos in einer Ehe mit einer Bürgerin erzeugt seien, dann stände er vom Prozeß gegen Neära ab, und wenn die Personen (αἱ ἄνϑρωποι) durch die Folter beschädigt würden, werde er den Schaden ersetzen. Man liest ein solches Plaidoyer und wird vom Redner völlig für den Klienten eingenommen, bis auf einmal das Lob der Sklaventortur ertönt; da können wir nicht mehr mitkommen. – Höchst skandalös ist ferner, was bei Lysias (orat. IV περὶ τραύματος) berichtet wird. Zwei Athener haben zusammen eine[323] Sklavin gekauft, hierauf aber hat sie der eine dem andern vorenthalten und will ihn auch nicht mit Geld ausweisen. Als dieser ihn darauf übel schlägt, wird er von ihm vor Gericht belangt und aus seiner Verteidigung ergibt sich, daß beide die Person zum Liebesgebrauch gehabt haben, und daß sie, um von Beiden geliebt zu werden, abwechselnd bald den einen, bald den andern vorgezogen habe. Nichtsdestoweniger ist unaufhörlich von ihrer Folterung die Rede; der Redende, der eventuell nur sein Geld heraushaben will, wirft dem Kläger vor, derselbe könne ja durch dieses Mittel den ihm vorteilhaften Tatbestand erhärten lassen, wenn es sich in Wahrheit so verhalte. Dieser sucht sie zu schützen, indem er sie für eine Freie ausgibt.
Besser war es doch in Rom zur Zeit der Republik bestellt. Die Sklavenfolter war hier nur zulässig (ein Sklavenzeugnis ohne Folter gab es im Altertum überhaupt nicht). Ferner durften die Sklaven nur im Interesse des Herrn, nur für ihn, nicht gegen ihn gefoltert werden; Sklaven, welche gegen ihren Herrn aussagen wollten, wurden gar nicht gehört. Solche andere Personen als des Angeklagten, wurden ursprünglich nicht gefragt, also auch nicht gefoltert; somit fällt vom hellenischen Verfahren schon die Hälfte weg, nämlich das Anbieten oder Verlangen der Sklaven des Klägers. Erst gegen Ende der Republik geschah dies in wichtigen Fällen, und bei Ermordung des Herrn kam die Folterung verdächtiger Sklaven auch schon früher vor. In der Kaiserzeit freilich wurden bei besonders schweren Anklagen Sklaven auch gegen ihren Herrn gefoltert, und das Foltern fremder Sklaven wurde gewöhnlicher; doch mußte deren Herr um Erlaubnis gefragt werden und erhielt Ersatz für etwaigen Schaden. Aber mehr und mehr wurden damals auch alle Freien folterfähig. (Von allem diesem ist doch noch ein weiter Schritt bis zu der athenischen Manier, einander bei jedem Anlaß die Sklavenfolter über den Hals zu werfen, und zwar gegenseitig). Vgl. hierüber Rein in Paulys Realenzyklopädie s.v. tormenta.
13) Zu den erblichen Priestertümern (S. 159). Daß auch außerhalb Attikas, wo das Kultwesen erweislich von früh an wichtiger und reicher war als anderswo, erbliche Priestertümer bestanden, ist gewiß, und unzweifelhaft erhöhten sie das Ansehen der Familien, die, wie die attischen Eumolpiden, Butaden usw. durch sie die Verwaltung der wichtigsten öffentlichen Gottesdienste in Händen hatten. Fustel übertreibt dies aber stark, wenn er S. 296 als Haupt- und Gewalttitel der griechischen Aristokratie überhaupt nennt: la religion héréditaire. Und wie weit hing das Privilegium des Rechtsprechens an dem religiösen Vorrecht? Hiezu genügen die wenigen bekannten priesterlichen Familien nicht; denn das Privilegium des Rechtsprechens gehört der ganzen Kaste. (NB. An dem Mangel der Mitkenntnis der Gesetze kann das Untenhalten der übrigen Bevölkerung[324] nicht gehangenA9 haben; die Gesetze waren, wenn auch nicht geschrieben, im Laufe von Jahrhunderten nicht als Geheimnis zu behaupten).
14) Zur Herrschaft der Aristokratie (S. 165). Einige weitere Bilder des aristokratischen Staatswesen gibt Plutarch in den Quaestiones Graecae: Zu Epidauros bestand nach c. 1 die herrschende Bürgerschaft (das πολίτευμα) aus 180 Männern; aus diesen wurden die Ratsmänner gewählt, welche man Artynen nannte. Der größte Teil des Demos aber wohnte auf dem Lande; man nannte sie Staubfüßler (κονίποδες), vermutlich von ihren staubigen Füßen, wenn sie in die Stadt kamen. – Nach c. 2 gab es in Kyme ein Amt des Phylaktes, welcher zu gewöhnlicher Zeit das Gefängnis bewohnte. In den Rat aber kam er bei nächtlicher Versammlung und führte die Beamten (d.h. die δωροφάγοι βασιλεῖς des Hesiod) an der Hand hinaus und hielt sie in Haft, bis der Rat über sie in geheimer Abstimmung entschied, ob sie Unrecht geübt oder nicht. Es war dies offenbar ein Damoklesschwert der Kaste über sich selbst. – Eine gleichfalls nur in der Aristokratie denkbare Behörde sind die Amnemones von Knidos (c. 4), sechzig aus dem Adel auserwählte Männer, welche auf Lebenszeit zu Aufsehern (ἐπίσκοποι) und Vorberatern der wichtigern Angelegenheiten gewählt waren. – Als in Milet die Partei der Tyrannen Thoas und Damasenor gestürzt war, beherrschten zwei Hetärien die Stadt; die eine hieß Plantis, die andere Cheiromacha. »Nachdem nun der Adel siegreich geworden war und die Macht an die Hetärien gebracht hatte3, pflogen sie über die wichtigsten Staatsangelegenheiten Rat, indem sie in die Schiffe stiegen und weit vom Lande ins Meer hinausfuhren, und wenn sie dann schlüssig geworden waren, fuhren sie zurück und wurden daher ἀειναῦται (die Immerausfahrenden) genannt«. Der Zweck war offenbar ungestörte Beratung und Bewahrung des Geheimnisses. Ob beide Parteien zugleich auf das offene Meer fuhren, erfährt man nicht; doch ist es wahrscheinlich und könnte das Hauptmotiv gewesen sein; man war nur so vor gegenseitiger Auskundschaftung sicher. – Nach Diog Laert. I, 4, 1 stellten die Athener zum Kriege gegen Mitylene (noch im VII. Jahrhundert?) einen Pankratiasten, der zu Olympia gesiegt hatte, an ihre Spitze, vielleicht den stattlichsten der damaligen Eupatriden?
15) Zu Peisistratos (S. 173). Die ganze Verrechnung zwischen Solon (der leicht nach der Tyrannis hätte greifen können) und Peisistratos ist leider bei Plutarch völlig künstlich arrangiert. Einen späten und erdichteten Brief des Tyrannen an Solon, welcher aber offenbar noch einige wichtige alte Kunde enthält, überliefert Diogenes Laert. I, 2, 6: »Ich bin nicht der einzige Hellene, welcher Tyrannis erstrebt hat, und als einem[325] Abkömmling des Kodros kommt mir die Herrschaft zu... Im übrigen verfehle ich mich in nichts, weder gegen Götter noch gegen Menschen, sondern halte Aufsicht darüber, daß die Athener im Staate leben gemäß den Einrichtungen, die du ihnen gegeben hast. Und sie leben jetzt richtiger als unter der Demokratie, denn ich gestatte KeinemA10 Mutwillen und Gewalttat (ἐᾶ γὰρ οὐδένα ὑβρίζειν). Für mich begehre ich kein Übermaß von Geltung und Würde, sondern genieße nur die festen Vorteile (ῥητὰ γέρα), wie sie die alten Könige hatten. Jeder Athener zahlt von seinem Landbesitz den Zehnten und zwar nicht an mich, sondern (direkt) dahin, wo aufgewendet werden muß, an die öffentlichen Opfer, an andere gemeinsame Angelegenheiten und an den Krieg, wenn uns ein solcher in Anspruch nimmt«. – Schon in der solonischen Gesetzgebung waren, wie aus Plutarchs Solon zu schließen ist, die Eingriffe in die Privatfreiheit kaum geringer als bei Peisistratos.
16) Über Pittakos (S. 175, Anm. 360). Wie Strabo erzählt, mit dem Diog. Laert. I, 4, 1, f. zu vergleichen ist, erstanden durch Parteiungen auf Lesbos mehrere Tyrannen zugleich, und dies war das Thema der στασιωτικά des Alkäos. Unter den Tyrannen befand sich auch Pittakos selbst. Alkäos aber schmähte gleichmäßig diesen und die übrigen: Myrsilos, Melanchros, die Kleanaktiden und einige andere, war aber selbst nicht sauber (οὐδ᾽ αὐτὸς καϑαρεύων τῶν τοιούτων νεωτερισμῶν). Pittakos aber bediente sich zum Sturze dieser Herrschaften der Monarchie; nachher gab er dann der Stadt die Autonomie. Daß er sich als Aesymnet (s.S. 166) noch gegen die Flüchtlinge habe wehren müssen, sagen die andern Quellen. Laut Suidas (bei Westermann Biogr. S. 111) tötete er Ol. 42 in Person den Melanchros. – In Ephesos waren die Tyrannen Athenagoras und Komas, welche (Suid. bei Westermann S. 107) Hipponax vertrieben. Er wohnte dann in Klazomenä. Ob er den Tyrannen mit seinen Jamben zusetzte, wird nicht gesagt.
17) Zur Gruppe der Tyrannenmörder in Athen (S. 196). Höchst lächerlich behandelt Aristophanes Lysistr. 630 ff. das Pathos des Tyrannenmordes. Der Chorführer der Greise meint, die Weiber hätten eine Tyrannis vor:»mich aber sollen sie nicht tyrannisieren; denn ich werde auf der Hut sein und fortan das Schwert im Myrtenzweig tragen und auf der Agora in Waffen weilen, hart beim Aristogeiton und so! (indem er die Stellung einer der beiden Figuren nachmacht) werde ich neben ihm stehen«. – Noch ganz spät dekretierten übrigens die Athener dem Brutus und Cassius eherne Standbilder neben der Gruppe des Harmodios und Aristogeiton (Dio Cass. XLVII, 20). Ob sie noch Zeit hatten, sie wirklich zu errichten? Blinde Verherrlichung, schon weil sie Mörder eines Großen waren, bei den Athenern und den Griechen überhaupt (ebd. 20, f.).[326]
18) Zum Ostrakismos (S. 207). Die bündigste Bekämpfung des Ostrakismos freilich aus einer Zeit, da er kaum mehr vorkam, findet sich bei Andokides adv. Alcibiad. § 3-6: Derselbe sei eine zehnjährige Verbannung ohne Urteil und Recht, ohne Anklage und Verteidigung, durch bloße geheime Abstimmung; dabei seien im Vorteil solche, welche Klubsgenossen und Mitverschworene hätten; die Strafe an sich sei für Privatvergehen zu hart, für wirkliche Staatsvergehen aber zu gering, indem hier Geldstrafen, Kerker und Tod zu Gebote ständen; endlich werde ein böser Bürger auch vom Exil aus seiner Heimat zu schaden wissen, während sich über Vertreibung der Trefflichsten, deren Leistungen die Stadt entbehre, vor allem die Feinde freuten. – Ähnliches kam bekanntlich übrigens auch in andern griechischen Staaten vor (Argos, Megara, Milet, Syrakus). Und wo dies nicht der Fall war, befanden sich Leute von ausgezeichneten Leistungen kaum besser. »Timesias stand seiner Vaterstadt Klazomenä trefflich vor; der Neid gegen solche Männer traf auch ihn; er kümmerte sich zunächst nicht darum. Als er aber an einer Schule vorbeiging, vor welcher die Knaben spielten, und beim Zank über eine Linie ein Knabe schwur; so möchte ich das HirnA11 dem Timesias herausreißen! – da ahnte er, daß ihn die Bürger grenzenlos beneiden und schrecklich hassen müßten, da ihn schon die Kinder haßten, und verließ freiwillig seine Vaterstadt« (Aelian V.H. XII, 9).
19) Zur Förderung der attischen Macht durch das Seewesen (S. 207). Pseudo – Xenophon de re p. Ath. betont gleich Anfangs (I, 2), daß der Demos es sei, der ausfahre und dadurch der Stadt ihre Macht verschaffe; dieses Verdienst komme den Steuerleuten, Schiffsoffizieren verschiedenen Ranges und Schiffsbaumeistern viel mehr zu als den Edeln und Trefflichen. I, 19 führt er aus, wie die Athener durch Besitz und Kommando in der Ferne höchst rudergeübt wurden. Wer oft ausfährt, muß das Ruder ergreifen, sowohl er als sein Sklave, und die nautischen Ausdrücke lernen. Diese Übung, die ihnen auf den Trieren zu gute kommt, erwerben sie sich auf bloßen Kauffahrteischiffen (πλοῖα) und Lastschiffen. Sobald eingestiegen wird, verstehen alle zu fahren, weil sie es ihr ganzes Leben getrieben haben. – II, 11 ff. sind die Handelsvorteile besprochen, die Athen durch seine Seeherrschaft als einzig möglicher Abnehmer für alle möglichen Produkte der Untertanen, z.B. Schiffsbauholz, Eisen, Erz, Linnen, Wachs usw., hat. Nur eines fehlt: daß es auf einer Insel läge; denn dann könnte es andere schädigen nach Belieben; so lange es die See beherrschte, wäre es außer Gefahr. Die jetzige (archidamische) Verwüstung von Attika trifft freilich nur die Landbauer und die Reichen; der Demos dagegen, dem ja nichts verbrannt noch umgehauen wird, lebt in Sicherheit (vor[327] materiellen Verlusten). Läge die Stadt aber auf einer Insel, so könnte er auch nicht von den Wenigen verraten werden; es wäre keine Möglichkeit, daß diese den äußern Feinden die Tore öffneten oder in Hoffnung auf Beistand von außen einen Aufstand (στάσις) erregten. Der Stärke Athens zu See gegenüber wird dann (II, 1) allerdings zugegeben, daß das Hoplitenheer eine schwache Seite des Staates sei; doch ist es immerhin stärker als die Landmacht der Bundesgenossen, die den Tribut entrichten.
20) Zur Behandlung der Bundesgenossen nach Pseudo-Xenophon de re publica Atheniensium (S. 211). Wenn gleich erst um 424 verfaßt und mit einer deutlichen Beziehung auf die Zeit des peloponnesischen Krieges (II, 14-16), spiegelt diese Schrift doch auch den Zustand der Zeit des Perikles, der erst fünf JahreA12 tot war, und lehrt, unter was für Bedingungen er Athen »regiert« hat, und was man vom sublimen Bilde bei Thukydides abzustreichen hat. Vieles hat er nicht ändern können, einiges hat er direkt verschuldet. Von der Kaste, der er angehörte, ist er abgefallen und hat sie und die übrigen Leidenden, besonders die Bundesgenossen weder schützen können noch wollen; er wollte mit seiner Begabung und seiner Unbedenklichkeit den Demos wenigstens leiten und ihm imponieren, brachte aber die Dinge auf die Bahn, da die Macht an die Verführer kommen mußte, oder konnte, diese Entwicklung wenigstens nicht hindern. Was die Behandlung der Hegemoniestaaten betrifft, so hat er gewiß alles schon so hoch anschwellen lassen, als es in der Schrift von der Verfassung geschildert wird, und in seiner zweiten Rede bei Thukydides sagt er ohnehin deutlich, daß die Herrschaft Athens eine Tyrannis sei. Dem Demos aber hat er ganz gewiß nie sagen dürfen, wie gefährlich dieses ganze Treiben sei, das doch erst unter ihm völlig in Schwung gekommen sein kann, und worüber uns die Schrift folgende Züge mitteilt (I, 14-18):
Die (von Athen als Feldherrn und Beamte) Ausfahrenden machen (in den Hegemoniestädten) die Angeber und hassen die Leute guten Standes (χρηστοί)4 im Bewußtsein, daß der Herrscher vom Beherrschten gehaßt werde; denn wenn einmal in diesen Städten die »Starken« (ἰσχυροί) zur Herrschaft kommen, so wird die Herrschaft des Demos von Athen nur noch eine sehr kurze sein. Daher belegen sie in diesen Städten die[328] Edeln mit Atimie, nehmen ihnen ihre Habe und verjagen und töten sie (da hätten diese es auch unter Persien besser gehabt), das gemeine Volk aber heben sie. Nun möchte jemand sagen, es wäre eine Kraft für Athen, wenn die Bundesgenossen fähig wären, regelmäßig Geldsummen an Athen abzuliefern (χρήματα εἰσφέρειν); den Leuten vom Demos aber scheint es ein größerer Vorteil, daß die Habe der Bundesgenossen in den Besitz jedes einzelnen Atheners übergehe, während sie gerade genug zum Leben und Mühen, aber keine Kraft mehr zum Abfall haben (d.h. es wurde direkt und persönlich erpreßt). – Was den Zwang für die Bundesgenossen betrifft, für ihre Prozesse nach Athen zu fahren, so heißt es, der Demos habe davon den ganzen Profit; er beziehe aus den von ihnen deponierten Gerichtsgeldern Jahr für Jahr seinen Richtersold (ἀπὸ τῶν πρυτανείων τὸν μισϑὸν δἰ ἐνιαυτοῦ λαμβάνειν), verwalte, zu Hause sitzend, ohne Ausfahrt die Bundesgenossenstädte und spreche Parteiurteile (σώζειν) für den (jedesmaligen) Demos und entscheide gerichtlich (in der Heliäa) das Verderben von dessen Gegnern. Hätten die Bundesgenossen ihre Prozesse bei sich zu Hause, so würden sie, bei ihrem Haß gegen Athen, diejenigen von ihren Leuten ins Verderben bringen, welche die größten Freunde des athenischen Demos sind. (Also Athen hält seine Herrschaft einfach mit Parteisprüchen, d.h. durch gerichtlichen Terrorismus aufrecht). Sonstiger Gewinn des athenischen Demos ist hiebei, daß der Staat damit im Piräus einen stärkern Hafenzoll (ἑκατοστή) bezieht. Ferner, wenn einer ein Miethaus, ein zu vermietendes Gespann oder einen mietebringenden Sklaven hat, nimmt er durch die Anwesenheit der Bundesgenossen mehr ein und ebenso die Herolde. (Auch die jedenfalls häufige Ausbeutung der Fremden, womit man die Schalen des Zornes bei manchem überfüllte, wird schon Perikles gekannt und geduldet haben). Endlich würden ohne diesen Transport der Prozesse nach Athen die Bundesgenossen nur den (jedesmal) bei ihnen anlandenden Athenern Ehre erweisen, also den Strategen, Trierarchen und Gesandten; nun aber muß jedes einzelne Individuum jener Staaten dem Demos von Athen schön tun (κολακεύειν), da es weiß, daß es als Beklagter oder Kläger (zum δίκην δοῦναι καὶ λαβεῖν und zwar vor dem Demos selbst) nach Athen muß. Es muß flehen, und wenn einer eintritt, dessen Hand ergreifen. Deshalb sind die Bundesgenossen eherA13 Sklaven (δοῦλοι) des Demos der Athener5.
21) Zur Vielgeschäftigkeit der Athener (S. 214). Von der Vielgeschäftigkeit der Athener handelt Pseudo-Xenophon de rep. Ath. III, 1-8. Wir erfahren hier, daß jemand ein Jahr auf Abfertigung durch Rat oder Volk[329] warten kann, weil die Athener mehr (nachher heißt es: doppelt so viele) Feste feiern müssen, als irgend eine sonstige Griechenstadt und mehr mit Prozessen jeder Art zu tun haben, als alle andern Menschen zusammen; ihr Rat aber hat sich mit Krieg, Geldbeschaffung, den laufenden täglichen Geschäften in der Stadt und bei den Bundesgenossen, dem Bezug des Hellenentributs, dem Unterhalt der Arsenale und Tempel zu beschäftigen. Man sagt freilich, wer mit Geld versehen vor Rat oder Volk komme, erhalte raschere Abfertigung. Denen, die dies sagen, würde der Verfasser zugeben, daß in Athen mit Geld vieles durchgesetzt wird und noch mehr würde, wenn noch mehrere Geld aufwendeten; das aber weiß er, daß allen Begehrenden durch Erledigung ihrer Anliegen zu entsprechen, die Stadt nicht im Stande ist, was ihr auch einer an Gold und Silber geben möchte. Ferner muß man entscheiden (διαδικάζειν), ob einer sein Schiff unausgerüstet läßt oder auf Staatsboden baut, muß jährlich Choregen für Dionysien, Thargelien, Panathenäen, Prometheen, Hephaisteen und 400 Trierarchen bestellen und in Streitfällen über die Verpflichtung zu diesen Leiturgien entscheiden, muß Beamte prüfen, Waisensachen entscheiden, Wächter für die Gefangenen setzen und das alles alljährlich. Man hat über Entziehung vom Kriegsdienst, über plötzliche Missetaten, über Frevel und Asebiefälle zu richten und alle fünf Jahre den Hellenentribut neu festzustellen. Wären aber die zahlreichen Gerichtshöfe nur jeder mit wenigen Richtern besetzt, so wäre die Bestechung leichter. Überhaupt wäre an diesem ganzen Zustand nicht vieles zu ändern, wenn man nicht die Demokratie schwächen wollte.
22) Zur Vermeidung des Auswanderns (S. 217). Andokides in seinem berühmten Prozeß (de myst. § 4 f.) rühmt sich, daß er diesem Handel nicht ausgewichen, sondern in Athen geblieben sei. Seine Feinde hatten das Gegenteil geweissagt, er werde um so eher gehen, da er in der Fremde allen Lebensunterhalt und auf Zypern sogar vielen und guten Landbesitz vorfinden würde; weshalb also bleiben, zumal beim jetzigen Zustand des attischen Staates (399 v. Chr.)? »Ich aber bin ganz anderer Ansicht; ich möchte nicht auswärts es gut haben und dabei meiner Heimat beraubt sein; mag es auch der Stadt jetzt gehen, wie meine Gegner selber sagen, ich möchte doch viel lieber Bürger von Athen sein, als von andern Städten, welche sich vielleicht gegenwärtig (wie er mit Hohn hinzufügt) ebenso trefflich zu befinden scheinen«. Und weiter (144) nennt er sich einen, der da wisse, was es heiße, Bürger einer solchen Stadt oder Fremder oder Metöke in einer benachbarten zu sein. Er bittet (148) flehentlich, in Athen bleiben zu dürfen (wozu er freilich noch ganz besondere Gründe hatte)6.[330]
23) Zu den Asebiestrafen (S. 232 f.). Aristophanes spottet in den Vögeln 1071: Gerade heute wird öffentlich verkündet: Wenn einer Diagoras den Melier tötet, so soll er ein Talent bekommen, und ein Talent soll auch bekommen, wer einen von den toten Tyrannen tötet, was dann der Chor der Vögel auch auf den Vogelhändler Philokrates angewandt wissen will. Hier wird offenbar auf wirkliche athenische Volksbeschlüsse angespielt, durch welche der (sehr hohe) Preis eines Talents auf den Kopf eines Flüchtigen gesetzt wurde. Diagoras, der die Götter geleugnet und die Mysterien verspottet hatte, wird auf eine Linie mit dem Ärgsten, was man von politischen Verbrechern kannte, den Tyrannen gestellt (nach einem Scholion war er wirklich auf derselben Stele mit politischen Sündern vogelfrei erklärt worden). Weil man aber keine lebendigen Tyrannen hat und doch in der Wut auf Tyrannen losschlagen möchte, müssen einstweilen die toten Peisistratiden dem Bedürfnisse dienen. Auch Lysias orat. VI adversus Andocidem § 18 sagt, nachdem er eine Parallele zwischen Diagoras und Andokides gezogen hat, daß bei einer Asebieverfolgung der Preis für denjenigen, der den Flüchtigen festnehme oder töte, ein Talent sei.
24) Zur Verfolgung der Besitzenden (S. 249). Fast komisch wirkt es, wie Ephoros (bei Strabo X, 4, 16, p. 480) deklamiert: nur die Freiheit bewirke, daß der Besitz wirklich den Erwerbenden gehöre, während er in der Knechtschaft den Herrschenden und nicht den Beherrschten anheimfalle – nur daß zu Ephoros Zeit gerade in den sogannten freien Poleis die Habe derA14 Besitzenden jeden Augenblick von dem wirklich Herrschenden, nämlich der Demokratie, geraubt werden konnte. Daß er heimlich auf diese Sachlage hätte hindeuten wollen, ist nicht anzunehmen: vielmehr scheint man überhaupt, sobald man sich äußerte, selbstverständlich im Sinne der Demokratie gesprochen zu haben. Aus irgend einer Quelle, vielleicht des IV. Jahrhunderts v. Chr., hat Aelian7 folgendes: »In Korinth zeichneten sich Theokles und Thrasonides, in Mitylene Praxis aus, indem sie, selber reich, im Hinblick auf die Armut ihrer Mitbürger ihre Habe verachteten und Hochherzigkeit an den Tag legten und auch andern anrieten, die Armut der Dürftigen zu erleichtern. Sie konnten zwar die andern nicht bereden, ließen aber ihre Darlehen (χρέα) nach und retteten damit zwar nicht ihr Geld, aber ihr Leben. Denn die, welchen die Schulden nicht nachgelassen wurden, fielen über ihre Gläubiger her, gerüstet mit den Waffen des Zorns und mit dem einleuchtenden Anspruch (εὐλογωτάτη χρεία), welcher besteht in der unüberwindlichen[331] Notwendigkeit der Bedürfnisse; sie töteten ihre Gläubiger«. – Wie oft mag ein solcher unfreiwilliger Edelmut sich fürA15 freiwillig gegeben haben! Und der betreffende Autor hat gar kein Arg dabei. – Mit voller Erkenntnis des wahren Sachverhaltes hatte dagegen Demokrit8 einst geschrieben: »In der Demokratie ist die Armut dem, was bei den Bevorzugten (δυνατοί) Wohlhabenheit (εὐδαιμονίη) heißt, so weit vorzuziehen, als die Freiheit der Knechtschaft«.
25) Zu den Verlegenheitsmaßregeln der Städte (S. 252). Zu welchen Mitteln eine Polis in der Geldverlegenheit greifen konnte, lehrt eine von Strabo XIII, 3, 6, p. 622 von Kyme in Aeolis erzählte Geschichte, welche wahr sein könnte, obwohl die Bewohner dieser Stadt wegen ihrer gutmütigen Dummheit verspottet zu werden pflegten: Die Kymäer versetzten einst in der Not gegen ein Anleihen ihre Stoen auf der Agora und in den Hauptstraßen und wurden dann beim Regen nur aus Gnaden hineingelassen. (Das Letztere ist wahrscheinlich hinzugedichtet, denn das Wandeln in den Hallen hätte man ihnen ohne großen Aufwand von Polizei schwerlich wehren können; wohl aber mußten sie die daran liegenden dem Staat gehörenden Kramläden etwa an Beständer überlassen, welche von den Gläubigern hineingesetzt wurden).
26) Zu Platos sizilischen Reisen (S. 263). Vom ersten Besuche heißt es in der hauptsächlichsten Quelle, nämlich Plutarchs Dion c. 4: Plato sei durch eine göttliche Fügung, nicht nach irgendwelchem menschlichen Plane nach Sizilien gelangt; eine Gottheit, scheine es, habe den Syrakusiern einen Anfang von Freiheit und Aufhebung der Tyrannei geschaffen, indem sie ihn aus Italien herführte. Also noch unter den Römern konnte man so deraisonnieren! Und im folgenden Kapitel erzählt derselbe Plutarch seelenruhig, wie jammervoll Plato damals aus Sizilien wegkam. Dion, der ihn vielleicht (nach Zellers Annahme) nach Syrakus zog, brachte es mit Mühe dazu, daß Dionysios ihn sah, und von irgendwelchen speziellen politischen Vorschlägen, die er gemacht hätte, ist – wie übrigens auch bei den spätern Reisen – keine Rede. Dagegen spricht er (dem Dionysios ins Gesicht) den Tyrannen die Tapferkeit (ἀνδρεία) und das Glück ab, was Dionys um so mehr erzürnt, als die ganze (nach athenischem Chic lechzende) Umgebung von Plato bezaubert ist (d.h. Plato hat der bekannten Philosophenlust anA16 Tyrannenverkehr nicht widerstehen können und fordert nun als echter Fanatiker des Tugendgeredes das Martyrium heraus). Die Freunde Dions spedierten ihn nun eilends auf der Triere fort, welche den Spartaner Pollis nach Griechenland[332] zurückbringt; aber Dionys hat Gelegenheit gefunden, den Pollis heimlich zu instruieren, er möge ihn unterwegs töten oder verkaufen, als Gerechter werde er ja nicht leiden, sondern auch als Sklave glücklich sein, und so kommt er denn auf Aegina, das gerade mit Athen im Kriege liegt und ein Gesetz erlassen hat, wonach jeder auf Aegina betroffene Athener verkauft werden soll, in die Sklaverei. (Dionysios wollte damit den griechischen Philosophen das Kommen gründlich verleiden; nur Aristipp scheint er geduldet zu haben).
Den jüngern Dionys hat dann Dion im höchsten Grade auf Plato begierig gemacht, und dieser wird durch Briefe beider sowie der italischen Pythagoriker bestürmt. Er mußte von seinem ersten Besuche her wissen, wie es mit Sizilien wirklich stand, sagte aber später, er hätte sich geschämt, wenn es den Anschein behalten hätte, daß er sich nur mit Worten befasse (λόγος εἶναι μόνον), selbst aber keinen Tatbestand (ἒργον) in die Hände nehme, und habe gehofft, durch Reinigung eines einzigen Menschen das kranke Sizilien zu heilen. So kommt er denn wieder9; die Gegner aber lassen beizeiten den alten Praktiker Philistos aus dem Exil heimkommen, der auch wissenschaftlich gebildet (πεπαιδευμένος ἐν λόγοις) war, zugleich aber in den Manieren der Tyrannen durchaus erfahren. Plato wird bei seiner Ankunft an der Triere durch eine königliche Kutsche abgeholt; der Tyrann bringt ein Freudenopfer, das Leben am Hofe wird ein höchst geziemendes, alle sind voll Begeisterung für Wissenschaft und Philosophie, überall in der Tyrannenburg sieht man Sand gestreut wegen der Menge der Geometrie Treibenden. Man sagte damals, Heer und Flotte der Athener seien einst vor Syrakus untergegangen, aber nun möchten diese durch einen einzigen Sophisten die Tyrannis des Dionysios zernichten, indem derselbe beredet würde, seine ganze Macht im Stiche zu lassen und in der Akademie das schweigsame Glück (τὸ σιωπώμενον ἀγαϑόν) zu suchen, d.h. durch Geometrie glücklich zu werden. Auch nachdem Dions plötzliche Wegweisung erfolgt ist, wird Plato noch unter ehrenden Formen festgehalten. Erst jetzt soll Dionys recht um dessen Billigung und Bewunderung gebuhlt haben. (Hier zeigt sich Dionys bald als Komödiant und verlogen, bald wirklich um Plato als Reklame bemüht; dieser freilich nahm es wohl für bare Münze). Endlich bricht ein Krieg aus, und Dionys verabschiedet Plato, nachdem er ihm versprochen hat, Dion in Jahresfrist wieder kommen zu lassen.[333]
Da dies nicht gehalten wurde, hätte Plato, der inzwischen in der Akademie mit Dion vielen Umgang gepflogen hatte, das heftige Treiben des Tyrannen, ihn wieder nach Syrakus zu bekommen, durchaus verdächtig sein sollen, und ohne eine enorme Verblendung wäre er nicht zum dritten Male nach Sizilien gegangen. Dionys brauchte sogar die Verwendung der pythagoreischen Schüler des Archytas; er versprach, nur wenn Plato komme, solle Dion alles gewährt werden, und Frau und Schwester schrieben dringend an diesen. (Wollte Dionys etwa einfach ein Pfand für Dions weiteres Verhalten?) Plato wird wieder herrlich empfangen, es heißt, ganz Sizilien habe sich gesehnt, daß er über Philistos siege, die Philosophie über die Tyrannis. Aber, sowie er für Dion spricht, gibt es heimlichen Hader, und der anwesende Aristippos sieht den kommenden Bruch richtig voraus. Bald wird Dions Habe verkauft und Plato zu den Söldnern gesteckt, die ihn hassen, weil sie meinen, er rate dem Tyrannen, ohne GardenA17 zu leben. Nur die derbe Verwendung des Archytas und der seinigen rettet Plato, der mit einer Insolenz von Dionys Abschied nimmt. Bei Dions Rüstung beteiligte er sich dann nicht mehr, weil er doch Gastfreund des Dionys und sehr alt ist.
27) Zum Schicksal ausgetriebener Bevölkerungen (S. 276). Sehr charakteristisch, ob sie nun fingiert oder in der athenischen Volksversammlung wirklich vorgebracht wurde, ist die Klage, welche Isokrates im Πλαταϊκὸς λόγος 46 ff. den Platäern in den Mund legt, nachdem diese durch das frei gewordene Theben, das sofort mit dem übrigen Böotien Händel hat, im Jahre 374 aus ihrer Stadt vertrieben sind. Indem dieselben den mildern Fall einer bloßen allgemeinen Austreibung schildern, sagen sie: »Wer will unglücklichere Menschen finden, als wir sind, die wir an einem Tage der Polis, des Gebietes und aller Habe beraubt worden, alles Notwendigen los und ledig, Landstreicher und Bettler, nicht wissend, wohin uns wenden, seien es andere, denen es auch schlecht geht, oder solche in guter Lage? Keinen Tag bringen wir ohne Tränen zu; in TrauerA18 um die Heimat und in Klagen über die Wandelung der Dinge geht unsere ganze Zeit dahin. Was denkt Ihr, daß solche empfinden müssen, welche sehen, wie ihre Eltern unwürdig gepflegt sind, ihre Kinder so weit unter dem Erhofften erzogen werden, manche davon in Sklaverei leben (δουλεύντες) wegen geringer Darleihen, andere sich zur Lohnarbeit bequemen oder sonst, wie jeder kann, sich den täglichen Unterhalt verschaffen müssen, unziemlich in Bezug auf die Taten der Vorfahren, auf ihr Alter und auf unsere (einstigen) Lebensplane (φρονήματα)? Das Schmerzlichste von allem ist, von einander getrennt zu sehen nicht bloß Bürger und Bürger, sondern die Gattinnen von den Männern, die Töchter von den Müttern,[334] die ganze Verwandtschaft aufgelöst, wie es so vielen von den Unsern wegen Mangels begegnet ist; der Untergang des gemeinsamen Lebens hat eben jeden von uns auf besondere Aussichten hingewiesen. Ihr kennt aber wohl auch, denke ich, die übrigen Entehrungen (αἰσχῦναι), welche sich an Armut und Flucht knüpfen, in unserm Innern leiden wir noch mehr davon als von dem Übrigen, in Worten aber übergehen wir dies, indem wir uns schämen unser Elend allzugenau durchzumustern«.
28) Zur Bestattungspflicht im Kriege (S. 281). Begraben sollte man auch die Feindesleichen. Pausan. I, 32, 4: »Man sagt, die Athener hätten die bei Marathon gefallenen Meder begraben, weil es unter allen Umständen sich gehöre, eine menschliche Leiche mit Erde zu bedecken«. (Ohne Zweifel, weil die Götter am Anblick von LeichenA19 Abscheu hatten). Man müßte aber wissen, ob es bei allen Feindesleichen geschah. Der Zernichtungshaß gegen eine unterlegene Polis mochte meist auch das Liegenlassen der Leichen mit sich bringen; und irgend eine Art von Persergrab hat auch Pausanias trotz aller Mühe nicht auffinden können. – Die mythische Zeit mochte man als generöser gelten lassen; Pausan. II, 20, 3 sagt, in Argos erzähle man von einer gemeinsamen Bestattung der Mänaden von den Inseln des Archipels, welche das Land überfallen hatten und von Perseus besiegt worden waren; ihre Anführerin Choria hatte noch ein besonderes Denkmal.
Die Leichenpietät war eine schwere Fessel am Fuße der Kriegsführung. Es lautet sehr erhebend, wenn man bei Pausanias (I, 29, 3-9) die Kriegergräber (Polyandrien) aus den verschiedensten Kriegen genau aufgezählt findet; auch unterlegene Scharen waren gemeinsam bestattet, z.B. die, welche sich dem Tyrannen Lachares entgegengestellt hatten, und die, welche gegen die makedonische Besatzung im Piräus komplottierten, aber zu frühe von Mitwissern verraten und getötet worden waren; für die Toten, deren Leichen man nicht bekam, z.B. auf dem Zuge nach Sizilien, waren Stelen mit Inschriften errichtet. Von den wirklich Bestatteten aber müßte man jedesmal wissen, ob Athen nicht hatte eine Niederlage zugeben müssen, um die Leichen herauszubekommen. An das Schicksal der Feldherrn, welche die Pietät, wenn auch aus zwingenden militärischen Gründen, zu üben versäumt hatten, braucht nicht näher erinnert zu werden; was nach der Schlacht bei den Arginusen geschah, ist allbekannt. Es war aber auch in Sachen der Leichenpietät dafür gesorgt, daß wenigstens die Athener gar nie zu vernünftiger Besinnung und Erwägung kamen. Wenige Jahre vor dieser Schlacht (417 v. Chr.) hatte Euripides in seinen Hiketiden Athen zur generösesten Rettung der Leichen der Sieben vor Theben verpflichtet, welche Athen gar nichts angingen, aus purem Mitleid.[335]
1 Παρὰ μὲν τοῖς ἄλλους λόγους ἔστιν ἀκοῦσαι καὶ τροπαίου τι λοιπὸν ἰδεῖν καὶ μνῆμα καὶ κρήνην καὶ δείκνυσι ὁ περιάγων ἐν ἀμυδροῖς γνωρίσμασιν˙ οὑτοσὶ μὲν Σεμέλης ϑάλαμος, οὑτοσὶ δὲ Ἁρμονίας ἢ Λήδας ἤ τι τῶν τοιούτων.
2 Gortys ließ seinen Asklepiostempel von pentelischem Marmor mit Statuen von Skopas im Stich. Pausan. VIII, 28, 1.
3 Περιστήσαντες τὰ πράγματα εἰς τὰς ἑταιρείας für εἰς ἑταιρείαν?
4 Die Kontraste sind: οἱ χρηστοί, γενναῖοι, πλούσιοι, εὐδαίμονες, ἰσχυροί, οἱ ὀλίγοι, τὸ βέλτιστον, und οἱ πονηροί, πένητες, δῆμος, δημοτικοί, χείρους. Einmal heißt es geradezu: ἐν δὲ τῷ δήμῳ ἀμαϑία τε πλείστη καὶ ἀταξία καὶ πονηρία ἔνι. Der Volksherrschaft gemäß ist auch [gemäß ist nur] das Schlimmste. Was anderswo κακονομία heißt, davon lebt und erstarkt der Demos. Bei εὐνομία dagegen würden die χρηστοί über dem Staate [den Staat] walten (καὶ οὐκ ἐάσουσι μαινομένους ἀνϑρώπους βουλεύειν οὐδὲ λέγειν οὐδὲ ἑκκλησιάζειν).
5 Über die handelspolitische Abhängigkeit der kleinern Bundesgenossenstädte in bezug auf Ein- und Ausfuhr s. II, 3.
6 Vergl. auch in seiner früher (410 v. Chr.) gehaltenen Rede de reditu § 10 und 16.
7 V.H. XIV, 24. Die Nachricht mag sich auf die Ereignisse um 392 beziehen.
8 Bei Mullach fragm. 211.
9 Damals mag die von Aelian V.H. XIV, 33 berichtete Begegnung mit Diogenes gespielt haben. Dieser war bei einer Rede Platos unachtsam zugegen gewesen. Als ihm nun Plato zurief: »Höre auf meine Worte, Hund!« antwortete er ruhig: »Ich bin wenigstens nicht dahin zurückgekehrt, von wannen ich verkauft worden bin, wie die Hunde tun!«
Anmerkungen: A1 Statt: thebanische Bürger. A2 Statt: Wüsten. A3 Statt: Dardania. A4 Statt: Schon er meint. A5 Statt: ein. A6 Statt: älteste. A7 Statt: daß diese zu. A8 Statt: Exkurse. A9 Statt: gelegen. A10 Statt: keinen. A11 Statt: Horn. A12 Statt: der erst etwa fünf Jahre. A13 Fehlt bei Oeri. A14 Statt: den. A15 Fehlt bei Oeri. A16 Statt: im. A17 Statt: Garde. A18 Statt: Tränen. A19 Statt: diesen.
Ausgewählte Ausgaben von
Griechische Kulturgeschichte
|
Buchempfehlung
Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.
46 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro