Erfindung des Pulvers und des Schießens.

[26] Erst an dieser Stelle schiebe ich ein Kapitel über die Feuerwaffen ein, denn obgleich jetzt schon hundertfünfzig Jahre in Gebrauch und oft von mir erwähnt, haben sie doch nicht eher als in der Epoche, mit deren Behandlung wir jetzt beschäftigt sind, eine wirkliche und wesentliche Bedeutung gewonnen17.[26]

Die Ansichten über die Erfindung des Pulvers haben noch in jüngster Zeit stark geschwankt, und die Untersuchung ist auch jetzt noch nicht, weder in bezug auf das Land noch die Zeit abgeschlossen. Vor wenigen Jahren galt als sicher, daß das griechische Feuer, von dem uns zuerst im 7. Jahrhundert berichtet wird (bei der Belagerung von Kyzikos 678 n.Chr.), mit dem Pulver, dem aus Salpeter, Kohle und Schwefel zusammengesetzten Explosivstoff, nichts zu tun habe, sondern als ein wesentlich aus ungelöschtem Kalk oder sonstwie zusammengesetzter Brandsatz aufzufassen sei. Jetzt aber ist wieder in byzantinischen Handschriften eine Zeichnung gefunden worden, die bis ins 10. Jahrhundert zurückgeht und kaum anders zu erklären ist, als durch Pulver-Explosion, und die daraufhin wiederholten Untersuchungen der Beschreibung des griechischen Feuers, sind auch wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Pulververwendung doch wohl die beste und natürlichste Interpretation sei18. Ist das richtig, so haben wir hier das älteste historisch bezeugte Vorkommen des Pulvers. Trotzdem spricht Einiges dafür, daß die Erfindung nicht hier, sondern in China gemacht worden ist. Man erhält den Explosivstoff Pulver, indem man etwa sechs Teile Salpeter, einen Teil Kohle und einen Teil Schwefel pulverisiert mit einander mischt. Das ergibt eine mehlförmige Masse, die sehr schnell verbrennt und deren Verbrennungsprodukte, zum größten Teil gasförmig, etwa den tausendfachen Raum des ursprünglichen Pulvers beanspruchen. Der Hauptbestandteil des Pulvers ist also Salpeter. Dieser aber wird in natürlichem Zustand in unserer alten Kulturwelt nur selten gefunden, in der Mongolei und in China dagegen ist er sehr häufig. Hier muß man schon früh darauf aufmerksam geworden sein, wie sehr er die Lebhaftigkeit jeder Verbrennung steigert, und konnte leicht zu der Erfindung des Pulvers kommen, indem man älteren Brandsätzen Salpeter beimischte. Ferner wird bei den[27] Arabern der Salpeter »Schnee von China« genannt und auch das führt darauf, daß die richtige Mischung der drei Bestandteile zuerst in China gefunden und von da zu den Arabern und Oströmern gekommen ist.

Man ist auch in China schon zu einer Verwendung des Pulvers für Kriegszwecke gelangt, aber nicht vor dem 13. Jahrhundert, also lange nachdem die Griechen bereits auf diese Verwendung gekommen und erst kurz bevor wir Pulverrezepte und Feuerwaffen im Okzident genannt finden.

Bei der Verteidigung einer belagerten Stadt Pien-Ring im Jahre 1232 schoß man Raketen, schleuderte eiserne Handgranaten und legte Erdminen an. Im Jahre 1259 wurde das Pulver benutzt, aus Bambusröhren brennende Zündflocken zu schleudern. Die Chinesen nannten dieses Instrument die »Lanze des ungestümen Feuers«; in der heutigen Feuerwerkerei ist es bekannt unter den Namen der »römischen Kerze«. Die Prozedur kann bereits als Schießen bezeichnet werden, denn wir haben ein Rohr, aus dem durch Explosivkraft Geschosse geschleudert werden auf eine Entfernung von etwa 100 Fuß. Da sich der Zweck aber beschränkt auf das Anzünden brennbarer Gegenstände, so kann »die Lanze des ungestümen Feuers« als eine Schußwaffe noch nicht bezeichnet werden, und weiter haben die Chinesen ihre Erfindung nicht getrieben.

Das erste erhaltene richtige Pulverrezept, die drei Bestandteile in dem Verhältnis 6 : 1 : 1, findet sich in einer lateinischen, einem Marcus Gräcus zugeschriebenen Schrift, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts anzusetzen ist. Unzweifelhaft handelt es sich um eine lateinische Übersetzung aus einer griechischen Schrift, die von aller Art Feuerwerkerei handelt. Direkt oder indirekt aus dieser Quelle sind auch die Pulverrezepte geschöpft, die sich in Schriften des Albertus Magnus († 1280) und Roger Baco († 1294) finden. Was sich aber über die Anwendung des Pulvers in allen diesen Schriften angegeben findet, zeigt, daß man es zum Schießen damals noch nicht verwandte; schon der Titel des Buches des Marcus Gräcus »liber ignium ad comburendos hostes« zeigt das. Nicht anders steht es mit gleichzeitigen und etwas späteren arabischen Schriften[28] aus Spanien, von Hassan Alrammah (etwa 1290), Jussuf und Schemaeddin-Mohammed, die Pulverrezepte und Gebrauchsanweisungen enthalten, wonach die Kraft des Pulvers als Feuer zum Verbrennen der Feinde, aber nicht, um sie zu erschießen verwendet werden soll. Im Besonderen gilt das von einem »Madfaa« genannten Instrument, das, wie das auch schon die Chinesen getan haben, mit der Kraft des Pulvers einen Brandsatz (kein Geschoß, keine Kugel) gegen den Feind schleudert19.

Aus dem oströmischen Reich, durch Übersetzung aus einer griechischen Schrift, ist also das Geheimnis des Pulver-Rezepts ins Abendland gekommen. Der Name »Römerkerze« für das Instrument, das die Chinesen die »Lanze des ungestümen Feuers« nannten, läßt vermuten, daß mit dem Rezept auch diese Anwendung der neuen Komposition aus Ostrom zu uns gebracht worden ist.

Die gewaltige Wirkung des Pulvers erklärten sich die Alchimisten aus der Hitze des Schwefels und der Kälte des Salpeters, die einander nicht vertragen könnten.

Bemerkenswert dürfte sein, daß sich bei Hassan Alrammah ein Instrument beschrieben findet, das man als einen primitiven, aber in seinem Wesen völlig ausgebildeten automobilen Torpedo ansprechen kann20. Der Torpedo ist also virtuell früher erfunden als das Geschütz oder das Gewehr und das mag uns als Illustration dienen, daß es nicht so einfach war, auch wenn man das Pulver schon hatte, zur Erfindung der Feuerwaffe zu gelangen.21

Die erste historisch sicher beglaubigte Anwendung von Feuerwaffen im Kriege in Europa hat stattgefunden im Jahre 13331 zur Zeit Ludwigs des Bayern, auf dem italienisch-deutschen Grenzgebiet, in Friaul, als die beiden Ritter de Cruspergo und de Spilimbergo, die Stadt Cividale angriffen. Die Ausdrücke der Chronik lauten »ponentes vasa«, das ist auf deutsch »Büchsen« »versus civitatem« und »extrinseci balistabant cum sclopo versus Terram, et nihil nocuit«. Sclopus oder sclopetum,[29] italienisch »schioppo« (Knaller, Donnerer) bedeutet später eine Handfeuerwaffe im Gegensatz zu Geschützen.

Drei Jahre nach jenem Kampf von Cividale, im Jahre 1334, berichtet die Chronik von Este, daß er Markgraf eine große Menge von Geschützen verschiedener Art habe anfertigen lassen (praeparari fecit maximam quantitatem balistarum, sclopetorum, spingardarum). Die Springarden bedeuten um jene Zeit nicht sicher Feuerwaffen, wohl aber die vasa und die sclopeta.

Das drittälteste sichere Zeugnis von Feuerwaffen ist in den päpstlichen Rechnungen erst jüngst entdeckt worden22. Danach wurden im Jahre 1340 bei der Belagerung von Terni von dem päpstlichen Heer probeweise Donnerbüchsen (»edificium de ferro, quod vocatur tromba marina«, »tubarum marinarum seu bombardarum de ferro«) verwandt, die Bolzen schossen, und 1350 bei der Belagerung der Burg Saluerolo Bombarden, die eiserne Kugeln von etwa 300 Gramm Gewicht schossen.

Gleich bei den ersten Erwähnungen der neuen Waffen in den Chroniken finden wir alle verschiedene Bezeichnungen, und das dürfte dafür sprechen, daß schon damals verschiedene Arten in Gebrauch waren, daß also die Erfindung selbst etwas weiter zurück liegt. Da Albertus Magnus, Roger Baco, Hassan Alrammah sie noch nicht kannten, so wird sie ums Jahr 1300 oder bald danach gemacht worden sein.

Beschreibungen der Abbildungen dieser ältesten Feuerwaffe haben wir nicht. Freilich befindet sich in einer englischen Prachthandschrift23 etwas aus den Jahren 1325 bis 1327 eine Illustration,[30] die unzweifelhaft ein Pulvergeschütz darstellen soll, also noch etwas älter als das Ereignis von Cividale. Ein Gefäß von der Gestalt einer großen, bauchigen Flasche liegt auf einer Holzbank; in dem Hals der Flasche steckt ein Klotz und ein daran befestigter, schwerer Pfeil; ein Mann, der sich in einer gewissen vorsichtigen Entfernung hält, bringt eine Lunte an ein in der Flasche erkennbare Zündloch; das Instrument ist gegen ein geschlossenes Burgtor gerichtet. So interessant dieses Bild ist, so ist es doch ausgeschlossen, daß wir darin die Wiedergabe einer jemals wirklich angewandten Feuerwaffe haben. Wäre diese Flasche entsprechend der Schwere des schließenden Klotzes und des Pfeiles darauf, oder gar entsprechend der Stärke des zu beschießenden Burgtores mit Pulver gefüllt gewesen und dementsprechend die Flasche von genügend starkem Metall, so hätte der Rückschlag nicht nur die leichte Holzbank, auf der sie ganz lose liegt, zerschmettert, sondern auch der Schütze, wäre, wenn er sich auch vorsichtig etwas entfernt hält, schwerlich mit dem Leben davongekommen. Es ist daher nicht wohl anders denkbar, als daß der Zeichner selber niemals ein Geschütz gesehen, sondern nur von der wunderbaren neuen Erfindung gehört und nach unklaren Beschreibungen sein Bild konstruiert hat. Immerhin bleibt das Bild als ein Zeugnis, wie und daß man damals in den Kreisen der Gelehrten über die Verwendung der jetzt im Abendland bekannt gewordenen Kraft des Pulvers gesprochen hat, interessant. Die wirkliche Kraft der ältesten Geschütze müssen wir uns aber nicht nach diesem Bilde, sondern nach den später erscheinenden, realistischen Bildern24 und erhaltenen Reliquien rekonstruieren. Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die ältesten Feuerwaffen ziemlich klein und recht kurz waren. Sehr früh erscheinen zwei verschiedene Grundformen: die eine, wo das Rohr mit einem ziemlich langen Stiel versehen ist, den der Schütze unter den Arm nimmt oder gegen den Boden stemmt; die andere etwas größeres Kaliber, das Rohr[31] befestigt auf einem Balken, den man auf die Erde legt oder mit dem hinteren Teil in die Erde eingräbt. Welche von diesen beiden ältesten erkennbaren Formen die eigentliche Urform ist, ist nicht zu entscheiden. Es scheint aber nicht unmöglich, von hier zu den vorhergehenden Verwendungen des Pulvers als Feuer für den Kampfzweck eine Verbindungslinie zu ziehen. Der Stiel, mit dem das Rohr geschäftet ist, ist ähnlich dem Stiel, den wir auch bei der Madfaa finden; für das größere Kaliber aber könnten wir als Vorläufer jenes schon erwähnte byzantinische Kriegsinstrument vermuten, dessen Abbildung sich bis ins 10. Jahrhundert verfolgen läßt. Dieses Instrument hat etwa die Größe und Gestalt einer großen Bierkanne, mit einem Henkel unten und einem Zündloch oben; aus diesem Instrument wollte man den Feind in dem Augenblick, wo man ihm zu Leibe ging, den Feuerstrahl ins Gesicht schießen. Auch hier freilich darf man zweifeln, ob man es mit einer jemals praktisch angewandten Waffe und nicht vielmehr wieder mit einer Phantasie-Konstruktion zu tun hat. Denn da der Feuerstrahl noch nicht ein Meter weit reicht, so setzt sich der Träger des Instruments doch gar zu sehr der Gefahr aus, daß der Gegner ihn mit seiner blanken Waffe, Schwert oder Spieß, schneller erreicht, als er ihm sein Feuer entgegenbläßt, das überdies höchstens Schrecken erregen, aber wenig Schaden tun konnte25.

Eine besondere Erschwerung für die Verwendung des Pulvers bildet es, daß der Salpeter oft mit anderen Salzen versetzt oder durch Staub verunreinigt ist. Diese Verunreinigung zieht Feuchtigkeit an, so daß das Pulver schon einige Zeit nach seiner Herstellung unbrauchbar wird. Zur Fabrikation eines brauchbaren Pulvers gehört daher eine wirksame Methode der Reinigung oder Kristallisierung des Salpeters, was schon im 13. Jahrhundert erstrebt, aber erst allmählich ganz erreicht wird.

Die Erfindung des Pulvers ist, wie das Vorausgehende gezeigt, noch nicht gleichbedeutend mit der Erfindung der Feuerwaffe, d.h. begrifflich ausgedrückt: Umsetzung der Explosivkraft des Pulvers in Durchschlagskraft. Viele Jahrhunderte hat man das Pulver gekannt, hat es auch schon für Kriegszwecke verwandt, ehe die Feuerwaffe entstand. Wie ist sie endlich gefunden worden?[32] Man hatte in Byzanz die Feuerkanne mit dem Zündloch und bei den Arabern in Spanien die Madfaa; um von diesen Instrumenten zur Feuerwaffe zu gelangen, genügte es nicht etwa, daß man auf die Pulverladung eine metallene oder steinerne Kugel setzte. Das älteste, mehlförmige Pulver entzündete sich nicht gleich im ganzen, sondern es bedarf einiger Augenblicke, bis der Brand die ganze Masse ergriffen hat. Die Kugel einfach auf eine Ladung Pulver gelegt, würde also nicht mit der vollen Gewalt der Explosion herausgeschleudert werden, sondern sie würde langsam herausrollen und die Hauptkraft der Explosion erst hinter ihr her aus dem Rohr herauspuffen. Die eigentliche Erfindung, die vom Schießpulver zum Schießen führt, ist daher die Erfindung des Ladens. Die Kugel muß so fest in das Rohr gepreßt sein, oder besser zwischen das Pulver und die Kugel mußte ein Propfen gelegt werden, der das Rohr so fest verschloß, daß er und mit ihm die Kugel erst herausgetrieben wurden, wenn die gesamte Ladung in Brand geraten war und ihre volle Explosivkraft entwickelt hatte. Am allerbesten geschah das, wenn zwischen der Pulverladung und dem Pfropfen noch ein leerer Raum blieb. Vermöge der durch die Verpfropfung bewirkten Ansammlung der Kraft entsteht auch der starke Knall. Da wir nun schon bei den Byzantinern von dem Donner hören, den sie mit dem griechischen Feuer hervorbringen, so ist anzunehmen, daß sie die Methode, einen Pfropfen auf das Pulver zu setzen, schon früh gefunden haben26. Auch von da zu einer Schußwaffe mit Durchschlagkraft ist aber immer noch eine erhebliche Strecke. Die Explosivkraft wirkte nicht bloß nach vorn auf das Geschoß, sondern nach allen Seiten. Das Rohr mußte also sehr fest und schwer sein, konnte demgemäß nicht mit der freien Hand gehalten werden, sondern mußte entweder, wie wir gesehen haben, auf einem Stiel, der dem Schützen erlaubte, den Rückstoß mit seiner ganzen Körperkraft aufzunehmen, oder, wenn das Kaliber und demgemäß die Ladung auch dafür zu stark war,[33] irgendwie auf der Erde befestigt sein. Weder die byzantinische Feuerkanne, noch die arabische Madfaa werden daher die unmittelbaren Vorläufer der Feuerwaffe gewesen sein – wenn anders überhaupt eine Verbindung besteht. Bei dem Mangel an Quellen hat die Phantasie hier noch freien Spielraum. Denkbar wäre z.B., daß die byzantinische Feuerkanne zur Feuerwaffe geworden ist, indem man sie, statt sie in die Hand zu nehmen, die Ladung mit einem Pfropfen verkeilend, auf die Erde festlegte, und daß man dann wieder eine Handfeuerwaffe daraus gemacht hat, indem man die äußere Form der Madfaa mit dem Stiel zum Muster nahm. Daß wir den ersten Feuerwaffen in Italien begegnen, wo man sowohl zu Byzanz wie zu Spanien in Beziehung stand, könnte für eine derartige Hypothese in Betracht kommen.

Wo und von wem die erste Schußwaffe konstruiert worden ist, bleibt im Dunkeln; nur die Zeit, um 1300, ist ungefähr zu bestimmen; als das Land der Entdeckung wird Oberitalien anzusehen sein und des Weiteren ist festzustellen, daß zur Erfindung der Feuerwaffe nicht bloß das Pulver gehörte, sondern auch die Reinigung des Salpeters, das starke Rohr mit dem Zündloch, das Laden mit dem Pfropfen und die Schäftung.

Einige Jahre später als in Italien erscheinen die ersten Nachrichten von Donnerbüchsen in Frankreich 1339, in England 133827 und in Spanien 1342, wieder einige Jahre später auch in Deutschland; zuerst 1346 in den Stadtrechnungen von Aachen, dann in Deventer 1348, in Arnheim 1354, in Holland 1355, in Nürnberg 1356, in Wesel 1361, in Erfurt 1362, in Köln 1370, in Meißen28 etwa 1370, Trier 1373. Die älteste Notiz über das Vorhandensein einer Büchse in der Schweiz ist aus Basel im Jahre 1371; das Geschützwesen sei »von jenseits des Rheins« gekommen.29[34]

Die ersten Kriegsherren, von denen die Überlieferung erhalten ist, daß die Feuerwaffen im Kriege angewandt haben, waren, wie wir sahen, die Ritter von Kreuzberg und Spangenberg (1331); obgleich beide Deutsche waren, so spricht doch das relativ spätere Auftreten der neuen Waffen in Deutschland gegen die Legende, daß die Erfindung unserm Vaterlande entstamme. Auch irgend eine wesentliche Verbesserung, die etwa in Deutschland gemacht worden wäre und Anlaß der Legendenbildung gegeben, hat sich nicht nachweisen lassen30.

Wie gering die Reichweite der ältesten Büchsen war, ersieht man aus einer Instruktion über ihren Gebrauch. Die Burg Bioule des Ritters Hugues de Candilhac war 1347 mit 22 Büchsen armiert. Je zwei Büchsen hatten einen Mann zur Bedienung; es wurde also nicht darauf gerechnet, daß sie während des Kampfes von neuem geladen werden könnten. Der Schütze hatte sie nur hintereinander abzufeuern. Erst aber sollten die großen Armbrüste schießen, dann die Schleudern, zuletzt die Büchsen, die also wenigst weite Wirkung hatten31.

Die angebliche erste Verwendung von Geschützen in der Schlacht bei Crech, 1346, ist eine Fabel. Nach Froissart sollen die Genter in einer Schlacht gegen die Brügger 200 Ribaudequins gebraucht haben, die in wenig klarer Weise als Karren beschrieben werden, die kleine Kanonen trugen und aus denen vorn ein Spieß herausragt32. Wie groß die Wirkung war, muß dahingestellt bleiben.

Um ein brauchbares Pulver zu haben, mußte man, wie wir gesehen haben, von Anfang an darauf Bedacht nehmen, den Salpeter zu reinigen. Mit dieser Reinigung machte man allmählich weitere Fortschritte und lernte guten Salpeter von schlechtem zu unterscheiden. Von entscheidender Bedeutung aber ist, daß man lernte, das Pulver zu körnen. Man feuchtete das Pulver an und machte kleine Knollen daraus, die man wieder trocknen ließ. Das gewährte den Vorteil, daß vermöge der kleinen Zwischenräume zwischen den Knollen die Verbrennung sich viel schneller vollziehen[35] konnte. Überdies geschah es beim Mehlpulver leicht, daß während eines Transportes sich die verschiedenen Bestandteile vermöge der Rüttelung teilweise wieder von einander trennen, während sie in den Knollen zusammengehalten wurden. Von den Knollen gelangte man zur Körnung, indem man den angefeuchteten Brei durch ein Sieb drückte. Auf die Verbesserung des Pulvers durch die Körnung ist es wohl zurückzuführen, daß der leere Raum zwischen den Pfropfen und der Kugel verschwindet und von Mitte des 15. Jahrhunderts an die Kugel mit oder ohne Pfropfen direkt auf das Pulver gesetzt wird33.

Eben hierher gehört das Suchen nach dem besten Verhältnis der Mischung. In Deutschland hat man im 19. Jahrhundert die Mischung 74 Teile Salpeter, 10 Teile Schwefel, 16 Teile Kohle (aber auch 74: 12: 13) für die beste gehalten. Im 15. Jahrhundert finden wir ähnliche Vorschriften. Daneben aber auch andere mit einem viel geringeren Satz für Salpeter, was wiederum so ausgelegt wird, daß man wegen der schwachen Geschütze, die bei etwaigem Springen die Bedienungsmannschaften schwer gefährdeten, kein gar zu starkes Pulver wünschte.

Bei der ungenügenden Reinigung des Salpeters war aber das Urteil über die Wirkung der verschiedenen Kompositionen unsicher und die Wirkung des Pulvers ungleich.

Die erste literarische Erwähnung der neuen Waffe findet sich in einer Schrift Petrarcas, betitelt »de remediis utriusque fortunae«, das er seinem Freunde Azzo da Coreggio widmete, aber erst nach dessen Tode vollendet hat. Azzo hatte, nachdem er 1344 seine Stadt Parma an die Este verkauft, viel Trauriges erlebt, Krankheit, Verbannung, Tod der Angehörigen, treulosen Abfall der Freunde – die Schrift sucht nach den Trostgründen in dem[36] Elend dieser Welt. In dem Dialog wird Jemand, der sich seines Besitzes an Maschinen und Ballisten rühmt, spöttisch zugerufen, ob er nicht auch jene Instrumente besitze, die mit Donnern und Flammen eherne Eicheln schleudern; noch jüngst sei diese Pest so selten gewesen, daß man sie mit der höchsten Verwunderung angestaunt habe; jetzt aber sei sie so verbreitet, wie alle anderen Waffen.

Köhler, Jähns, Feldhaus und andere setzen die Schrift Petrarcas in oder um das Jahr 1340 oder 1347. Wäre das richtig, so müßte man annehmen, daß Italien den anderen Ländern in der Verwendung der neuen Waffe noch viel mehr voraus gewesen ist, als auch sonst anzunehmen. Tatsächlich ist die Schrift jedoch erst im Jahre 1366 abgeschlossen worden34, als die Feuerwaffen bereits in ganz Europa verbreitet genug waren. Als Zeugnis für den Vorsprung der Waffe fällt die Betrachtung Petrarcas also fort, immerhin sind einige Wendungen darin bemerkenswert und es lohn sich der Mühe, die Stelle vollständig kennen zu lernen. Sie lautet:35

»Mirum nisi et glandes aeneas, quae flammis injectis horrisono tonitru iaciuntur. Non erat satis de coelo tonantis ira Dei immortalis, nisi homuncio (O crudelitas iuncta superbiae) de terra etiam tonuisset: non imitabile fulmen (ut Maro ait) humana rabies imitata est, quod e nbibus mitti solet, ligneo quidem, sed tartareo mittitur instrumento, quod ab Archimede inventum quidam putant ... Erat haec pestis nuper rara, ut cum ingenti miraculo cerneretur; nunc ut rerum pessimarum dociles sunt animi; ita communis est, ut unum quodlibet genus armorum.«[37]

Die Erfindung der Feuerwaffen muß etwa zur Zeit der Geburt Petrarcas (1304) oder als er heranwuchs gemacht worden sein; dennoch wußte er nichts von dem Erfinder, sondern spricht Archimedes dafür an. Schon damals also, dürfen wir schließen, war der Erfinder nicht bekannt. Weiter nannte Petrarca die Waffe ein »zwar hölzernes, aber höllisches Instrument«. Es ist schwer zu sagen, wie das gemeint ist. Hölzern ist nur die Schäftung, die mit ihrem langen sehr massiven Stiehl wohl viel umfangreicher war als der ganze kurze eiserne Lauf, aber doch unmöglich als das Wesentliche angesehen werden konnte. Man hat die Wahl anzunehmen, daß Petrarca die Waffe selber kaum gesehen, von ihrem Wesen keine wirkliche Vorstellung gehabt oder nur durch die Antithese von »hölzern« und »höllisch«, sich zu der ungenügenden Charakterisierung hat verführen lassen36.

Das dritte Bemerkenswerte nun in der Betrachtung Petrarcas liegt in den Worten »höllisch«. Damit ist ein Ton angeschlagen, der durch alle die Jahrhunderte gegangen ist, den Ariost und Luther in Verdammungen der grausamen Kriegswerkzeuge aufgenommen und der noch heute nachklingt, wenn die Friedensfreunde die Erfindung immer neuer Mordmaschinen beklagen.

Heute erblickt man in der Erfindung des Schießpulvers einen der wichtigsten technischen Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, und wer die Vorstellung, daß die Feuerwaffe Rittertum und Feudalität überwunden und dadurch das moderne Staatsbürgertum mit der sozialen Gleichheit geschaffen, als unrichtig erkannt und abgelehnt hat, wird nicht anstehen, namentlich der späteren Entwicklung der Technik der Feuerwaffe einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Menschheit zuzuschreiben: wir haben an der Kraft des Schießpulvers und der sich in der neusten Zeit weiter daran anschließenden Sprengstoffe eine Macht über Natur und Barbarei gewonnen, die eine Wiederholung der Niederlage, wie sie die antike Kultur in der Völkerwanderung erlitt, ausschließt. Die Zeitgenossen aber dachten darüber anders.

Im Jahre 1467 fochten die florentinischen Verbannten unter Colleoni gegen Florenz unter Federigo von Urbino, unweit Imola.[38] Weil Colleoni die Feldgeschütze in ungewohntem Maße anwandte, hatte Urbino verboten, Quartier zu geben.

Paolo Vitelli, der selber großes Geschütz gebrauchte, ließ 1498 gefangenen Hakenschützen die Hände abhauen und die Augen ausstechen, weil es nach Jovius unwürdig schien, daß edle Ritter von gemeinen Fußknechten ungerächt hingestreckt werden könnten37.

Ähnlich schreibt Frönsberger: »So wird schier kein Mann oder Tapferkeit in Kriegssachen mehr gebraucht, dieweil alle List, Betrug, Verräterei samt dem gräulichen Geschütze so gar überhand genommen, also daß weder Fechten, Balgen, helfen oder etwas gelten will, denn es geschieht oft und viel, daß etwa ein männlicher tapferer Held von einem losen verjagten Buben durch das Geschütz erlegt wird, welcher sonst einen nicht freventlich dürfte besehen oder ansprechen.«

Auch Luther erklärte Büchsen und Geschütz für das eigene Werk des Teufels und der Hölle. Ähnlich Sebastian Münster. Fugger hingegen erklärte, es sei wie mit Wasser und Feuer, das sowohl nützlich wie schädlich sein könne.

Nicht selten wird berichtet, daß man gefangene Büchsenmeister in ihre eigenen großen Büchsen steckte und abfeuerte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 26-39.
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