Vormittagssitzung.

[408] DR. STAHMER: Herr Präsident, ich habe eine einzige Frage bewußt zurückgestellt und noch nicht behandelt, nämlich Görings Bemühungen um Erhaltung des Friedens in den Monaten Juli und August 1939 vor Ausbruch des Krieges. Ich habe die Frage aus folgenden Gründen zurückgestellt: Ich hatte zunächst die Absicht, Göring erst nach der Vernehmung des Zeugen auf den Zeugenstand zu rufen; nur weil der Zeuge Dahlerus noch nicht erschienen war und ich eine Unterbrechung des Beweisverfahrens vermeiden wollte, habe ich dann Göring zuerst vorgeführt.

Ich bitte nunmehr um Entscheidung, ob ich Göring nach Vernehmung des Zeugen Dahlerus, der inzwischen eingetroffen ist, nochmals auf den Zeugenstand rufen darf. Ich halte es aus Gründen der Beschleunigung des Verfahrens für zweckmäßig, weil sich dadurch meines Erachtens eine ganze Reihe von Fragen erübrigen würde; oder ob ich ihn sonst nach Durchführung des Kreuzverhörs über diese Frage nochmals hören darf. Falls diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, würde ich diese Frage jetzt noch anschließend behandeln. Es erscheint mir aber zweckmäßig, nach Vernehmung von Dahlerus, der inzwischen erschienen ist, diese Frage zu stellen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Vielleicht kann ich in diesem Punkte helfen. Ich würde keinen Einspruch erheben, wenn der Gerichtshof diesen Antrag erwägen würde, ohne einen Präzedenzfall für andere Fälle zu schaffen. Denn wir haben im Falle Dahlerus in allen Einzelheiten festzustellen, was sich in den letzten 14 Tagen ereignete. Wir könnten sicherlich Zeit sparen, wenn diese Einzelheiten nur einmal behandelt werden würden, und es dürfte für Dr. Stahmer ziemlich schwierig sein, den Zeugen Dahlerus zu befragen, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Obwohl ich mit dem Gerichtshof der Ansicht bin, daß ein Zeuge nur in ganz außerordentlichen Fällen noch einmal verhört werden sollte, glaube ich, daß es in diesem Falle einen beträchtlichen Zeitgewinn bedeuten würde.


VORSITZENDER: Glauben Sie, daß durch die Vorladung des Zeugen Dahlerus die Befragung des Angeklagten Göring in Zusammenhang mit diesen Ereignissen sich erübrigen würde?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie könnte unnötig sein, und meiner Ansicht nach hätte der Angeklagte Göring auf jeden Fall nur sehr wenige Fragen zu beantworten. Wenn man ihn jedoch [408] jetzt fragen würde, wäre eine Aussage der beiden Zeugen über die gleichen Dinge schwer zu vermeiden.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist lediglich daran interessiert, Zeit zu sparen. Da der Verteidiger des Angeklagten, Dr. Stahmer, dem Gerichtshof versichert hat, daß man Zeit sparen könnte, ist der Gerichtshof bereit, diesen Antrag zu unterstützen und zu gestatten, daß der Zeuge Dahlerus gerufen wird, bevor diese Fragen an den Angeklagten Göring gerichtet werden; aber das darf nicht als Präzedenzfall für die Wiederaufrufung anderer Zeugen betrachtet werden.


DR. STAHMER: Ich danke Ihnen, meine Herren. Ich habe sonst keine weiteren Fragen zur Zeit an den Angeklagten.


DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat in ihrem Vortrag sehr häufig den Angeklagten Keitel erwähnt im Zusammenhang mit Befehlen, Anordnungen und dergleichen. Diese wurden immer zitiert als Keitel-Befehle, Keitel-Erlasse, und darauf hat die Anklagebehörde unter anderem die Einzelanklage gegen Feldmarschall Keitel gestützt. Es liegt mir daran, durch Ihre Befragung klarzustellen, welches die Stellung des Feldmarschalls Keitel war, welche Befugnisse und welche Verantwortung er als Chef OKW oder in anderen amtlichen Funktionen hatte. Kennen Sie den Erlaß vom 4. Februar 1938, durch den das Oberkommando der Wehrmacht, OKW, geschaffen und Feldmarschall Keitel zum Chef OKW ernannt wurde?


GÖRING: Selbstverständlich kenne ich diesen Erlaß, denn ich habe an diesem Erlaß insofern mitgewirkt, als der Führer das ganze Revirement und die daraus sich ergebenden Folgen und Neuorganisationen seines Gesamtstabes am 8. Februar mit mir besprochen hat.


DR. NELTE: Ist Ihnen das Diagramm, das von der Anklagebehörde hier vorgezeigt wurde über die Organisation der Deutschen Wehrmacht, gegenwärtig?


GÖRING: Ja, ich erinnere mich, daß es hier an der Tafel war.


DR. NELTE: Ich lasse es Ihnen überbringen. Halten Sie die zeichnerische Einordnung des OKW auf dieser Zeichnung für richtig?


GÖRING: Nein. Sie ist nicht korrekt. An der Spitze oben steht gezeichnet »Oberster Befehlshaber der Wehrmacht«. Dann kommt ein Strich; unter ihm: »Chef des Oberkommandos der Wehrmacht«. Von dort aus gehen die direkten Unterstellungsstriche zu den drei Oberbefehlshabern Heer, Marine und Luftwaffe. Das ist falsch gezeichnet. Das Oberkommando der Wehrmacht und damit auch der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht gehören nicht so eingezeichnet, sondern seitlich herausgestellt; das heißt, die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtteile waren unmittelbar und ohne [409] Zwischenstellen direkt dem Führer als Oberstem Befehlshaber der Wehrmacht unterstellt und in keinerlei, auch nicht im geringsten Unterstellungsverhältnis zum Oberkommando der Wehrmacht oder zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

Der Führer organisierte damals im Februar seine Gesamt-Stabsleitung, wenn ich sie so bezeichnen soll, um, denn es bestand, in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt, die Staatskanzlei. Er machte den damaligen Staatssekretär Meißner an diesem Tage zum Staatsminister und stellte die Staatskanzlei als seine bearbeitende Kanzlei in der Eigenschaft des Staatsoberhauptes fest. Er hatte also die Dinge zu bearbeiten, die rein das Staatsoberhaupt betreffen, in Übereinstimmung mit der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes.

Als Reichskanzler und Regierungschef hatte er festgelegt, daß sein hierfür arbeitender Apparat die Reichskanzlei ist; und der Staatssekretär der Reichskanzlei wurde am gleichen Tage Reichsminister und Chef der Reichskanzlei. Seine Aufgabe war die Verbindung zu den Ministerien und zum gesamten Regierungsapparat des Reiches in seiner Eigenschaft als Organ des Führers, nicht befehlsgebender Art, sondern durchführender Art der Befehle und Erlasse des Führers.

Zum dritten hatte der Führer als Führer der Partei als Apparatur die Partei-Kanzlei, welcher damals der Stellvertreter des Parteiführers, Rudolf Heß, vorstand, der für seine Person eine erhöhte Stellung in dieser Apparatur einnahm. Nach seinem Abgang wurde Bormann nicht mehr Stellvertreter des Parteiführers, sondern Chef, auch wieder Chef der Parteikanzlei.

Es kam als vierte Apparatur die Privatkanzlei des Führers, mit einem Reichsleiter besetzt als Chef dieser Privatkanzlei.

Militärisch nun, als sein Mitarbeiterkabinett oder militärischer Stab oder wie man es in früheren Jahrzehnten allgemein nannte, das Maison Militaire, wurde das Oberkommando der Wehrmacht gebildet. Diese Neubildung war notwendig, weil nach Rücktritt Blombergs als Kriegsminister kein neuer Kriegsminister ernannt wurde, und der Führer unmittelbar, nachdem er stets als Staatsoberhaupt Oberster Befehlshaber der Wehrmacht schon vorher gewesen war, nun entschlossen war, nicht nur formell diesen Oberbefehl inne zu haben, sondern ihn tatsächlich und de facto aktiv auszuführen. In diesem Augenblick bedurfte er eines Stabsinstrumentes. Das sollte das Oberkommando der Wehrmacht sein. Keitel wurde Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

In Deutschland bedeutet in militärischer Richtung der Ausdruck »Chef« etwas anderes wie Befehlshaber Verantwortlich und tatsächlich befehlsgebend ist der Befehlshaber beziehungsweise Oberbefehlshaber. Die Hilfe in der Stabsführung, Ausarbeitung, Weiterleitung, Verbindungshaltung ist der jeweilige Chef des betreffenden Stabes. So [410] war auch hier der damalige Generaloberst Keitel oder General Keitel Chef des Stabes, des militärischen Stabes des Obersten Befehlshabers, genannt Oberkommando der Wehrmacht. Diesem oblag einerseits die gesamte Stabsapparatur des Obersten Befehlshabers einmal nach der militärorganisatorischen, militärverwaltungstechnischen Seite und nach der militärführungsmäßigen, sprich strategischen Seite, soweit hier der Führer seine strategischen Befehle zentral bearbeitet wissen wollte. Hierfür war nun speziell noch im Oberkommando als rein generalstabsmäßige, strategische Abteilung der Wehrmachtführungsstab eingesetzt worden.


DR. NELTE: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist OKW übersetzt Oberkommando der Wehrmacht. Diese Worte werden aber offenbar verschiedenartig gebraucht. Einmal als der Stab des Oberkommandos der Wehrmacht, wie ja auch Keitel Chef OKW benannt wurde, und das andere Mal als OKW-Dienststelle der Wehrmacht, also Hitler. Ist das richtig?


GÖRING: Das ist an sich richtig, aber nicht klar. Das Oberkommando der Wehrmacht ist die Stabsabteilung des Obersten Führers der Wehrmacht, und so wie ich als Oberbefehlshaber der Luftwaffe meinen Generalstab einerseits und meine Chefadjutantur andererseits hatte, diese bildeten meinen Stab, mit dem ich arbeitete so war das Oberkommando gleichermaßen für den Führer als Obersten Befehlshaber diese Arbeitsapparatur. Der Chef meines Generalstabes durfte ebenfalls an die Oberbefehlshaber der Luftflotte, Kommandierende Generale der Luftkorps oder Divisionen, keine direkten Befehle geben. Die Befehle konnten nur lauten: »Im Auftrage des Oberbefehlshabers«, unterzeichnet »I. A.«, das heißt »im Auftrag«. Befehlsbefugnis hatte der Chef eines Stabes, also auch der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, unmittelbar nur an die Mitglieder seiner Stabsapparatur und der wenigen Verwaltungsorganisationen, die zu diesem Stabe gehörten. Ein Befehl oder Weisung oder Auftrag von seiten des Oberkommandos der Wehrmacht, zum Beispiel an mich als den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, konnte überhaupt nur denkbar sein in folgender Form; daß der Brief begann: »Der Führer hat befohlen,« oder: »Im Auftrage des Führers teile ich mit.«

Ich darf es einmal ganz drastisch aussprechen: Ich habe seinerzeit dem Generaloberst Keitel gesagt: »Bindend sind für mich nur Befehle des Führers. Zur Vorlage gelangen an mich persönlich im Original nur Weisungen, unter denen ›Adolf Hitler‹ steht. Weisungen oder Richtlinien oder Befehle, die beginnen: ›Auf Befehl des Führers‹, oder ›Im Auftrage des Führers‹ gehen an meinen Generalstabschef und werden mir mündlich im Gesamtvortrag in den wichtigsten Punkten übermittelt. Ob dann (und das ist, wie ich mich drastisch ausdrücken will) darunter steht: ›Im Auftrage des Führers, [411] Keitel, Generaloberst‹ oder ›Meier, Stabsgefreiter‹ ist mir gleichgültig. Wenn aber darunter steht ein direkter Befehl von Ihnen, den Sie mir geben wollen, dann sparen Sie sich Zeit und Papier, weil beides für mich nicht maßgebend ist, denn ich bin Oberbefehlshaber und unmittelbar und ausschließlich dem Führer unterstellt.«


DR. NELTE: Wissen Sie, ob Hitler einerseits und die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile andererseits auf diese von Ihnen eben geschilderten Dienstverhältnisse achteten oder ob die tatsächliche Handhabung bei den übrigen Wehrmachtteilen vielleicht eine andere war?


GÖRING: Ob sie von meinen beiden Kollegen in so klarer Weise dem Chef des Oberkommandos auseinandergesetzt worden sind, wie ich das eben sagte, weiß ich nicht; aber daß auch die beiden anderen Oberbefehlshaber sich nicht in ihre Befugnisse und Rechte haben hereinreden oder eingreifen lassen, ist selbstverständlich.


DR. NELTE: Gilt dasselbe auch für Himmler als SS-Führer?


GÖRING: Die SS hat dem Oberkommando der Wehrmacht niemals unterstanden. Innerhalb der Wehrmacht befand sich seit Kriegsbeginn die Waffen-SS, gegliedert in Divisionen und Korps. Dies war eine rein kämpfende Truppe. Sie unterstand taktisch und strategisch den jeweiligen Heeresdienststellen, denen sie unterstellt war, in personeller und aufrüstungsmäßiger Hinsicht Himmler, und dieser hatte mit dem OKW nichts zu tun. Auch hier konnte es nun vorkommen, daß der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht bezüglich der Waffen-SS Aufrüstungs-und Organisationsfragen, Befehle oder Weisungen des Führers übermittelte.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen bei der Vernehmung des Zeugen Generalfeldmarschall Kesselring durch den Oberrichter Jackson aufgetretenen Irrtum aufklären. Feldmarschall Kesselring sprach von der Waffen-SS als »Gardetruppe«. Darauf wurde er gefragt: »Wen hatte sie zu betreuen?« Wir fassen den Namen »Garde« nicht in dem Sinne auf, wie er im Englischen übersetzt wird, das heißt Wache oder Posten, sondern hier bedeutet es und meinte der Feldmarschall Kesselring eine »Elite-Truppe«, wie auch im russischen Militärsprachgebrauch es Garde-Korps gibt, es in der alten kaiserlichen Armee ein Garde-Korps gab, und früher auch bei anderen Armeen. Die SS, Waffen-SS in diesem Sinne, war nicht als Bewachungstruppe, sondern als »Elite-Truppe«, Menschenmaterial und so weiter, zunächst in den ersten Kriegsjahren anzusehen.


DR. NELTE: Ich bitte Sie, mir über das dienstliche Verhältnis zwischen Adolf Hitler und Feldmarschall Keitel etwas zu sagen, ich meine, wie Adolf Hitler sich diese dienstlichen Verhältnisse bei der Schaffung des OKW gedacht hat, als er die Dienststelle »OKW« [412] einrichtete. Ich meine, ich möchte wissen, was sollte Keitel sein, und was war er in der Folge seit 1938 in seiner amtlichen Funktion?


GÖRING: Ich glaube, daß ich das eben die ganze Zeit ausgeführt habe.


DR. NELTE: Ich wollte Sie zum Beispiel fragen, war er sein Berater?


GÖRING: Berater ist ein umstrittener Begriff. Ich kann mich von jemand beraten lassen, ob er glaubt, daß es in den nächsten drei Stunden regnen würde oder nicht, wenn ich ausreite. Ich kann mich aber auch beraten lassen in ganz entscheidenden und wichtigsten Fragen. Das hängt nun vom Temperament und der Einstellung desjenigen ab, der sich beraten lassen will, und desjenigen, der zu beraten wünscht. Bei der dynamischen Persönlichkeit des Führers war ungewünschter Rat gar nicht angebracht, und man mußte schon sehr gut mit ihm stehen, beziehungsweise einen sehr großen Einfluß haben, wie ich, ich bitte das richtig zu verstehen, ihn zweifellos für viele, viele Jahre gehabt habe, um auch ungebeten dem Führer in größeren Fragen nicht nur mit Ratschlägen, sondern auch mit Vorschlägen und eindringlichsten Widersprechungen zu kommen. Andernfalls, wenn man nicht dieses Verhältnis zum Führer hatte, tat er dort die Vorschläge und die Beratungen kurz ab, wo er selbst schon seine Entschlüsse erstens gefaßt, oder wo er den Beratenden nicht zu jenem Einfluß oder zu jener einflußreichen Position hatte kommen lassen. Ich möchte hier sagen, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht war in wichtigen und entscheidenden Dingen keineswegs ein Berater. In dem laufenden Alltäglichen war er insofern ein Berater, als er vielleicht dann und wann dem Führer vorschlug, an die Befehlshaber noch zusätzlich dieses oder jenes zu sagen, oder bezüglich des Verkehrsaufmarsches noch auf diesen oder jenen Punkt hinzuweisen; so wie ja auch die Beratung durch den Chef eines Generalstabs doch letzten Endes immer noch eine größere und bedeutendere ist, wie die Beratung durch den Chef einer Organisations-oder Staatsbehörde. Es war also so, daß auf dem Gebiete wichtiger strategischer oder taktischer Entschließungen das Schwergewicht bei dem Generalstabsmäßigen Berater lag, bei den Oberbefehlshabern, dem Generalstabschef, beim Führer, in rein strategischer und taktischer Richtung mehr beim Chef des Führungsstabes, organisatorische Dinge oder laufende Tagesabwicklung beim Chef des Oberkommandos. Vor allem, da der Führer selbst ja gleichzeitig, wie ich vorher ausführte, mehrere höchste Ämter hatte, mußte er sich in seinen Unterschriften außerordentlich beschränken. Es hat oft Wochen gedauert, bis man die notwendigen Unterschriften vom Führer, besonders in der Zeit des Krieges und seiner unerhörten Beschäftigung, erhalten konnte, so daß das Unterschriftengeschäft »Im [413] Auftrag« an die Staatsbehörde der jeweils zuständigen Kanzleien ging. Daraus erklärt sich, daß kaum ein Erlaß oder Befehl, den der Führer gegeben hat, »Im Auftrag« oder »Der Führer befiehlt« nicht von Keitel, der außerordentlich fleißig war, unterschrieben worden ist.


DR. NELTE: War es eine undankbare Aufgabe, die der Feldmarschall Keitel hatte, ich meine, undankbar insofern, als er häufig in die Lage kam, zwischen den Stellen, die unter dem Obersten Befehlshaber, nämlich Hitler, standen, zu vermitteln, Beschwerden an ihn heranzutragen und sich nun richtig zwischen diesen beiden Stellen zu bemühen, sei es helfend oder vermittelnd unter den Oberbefehlshabern?


GÖRING: Das kam auch wieder sehr stark auf die Persönlichkeiten an. Es ist selbstverständlich, daß, wenn es zum Krach zwischen dem Führer und mir kam, oder auch anderen entschlossenen Oberbefehlshabern, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht von beiden Seiten, möchte ich sagen, getreten wurde. Er geriet hierbei zwischen die beiden Mühlsteine stärkerer Persönlichkeiten; der eine beschimpfte ihn, daß er nicht genügend beim Führer vorstellig wurde; der Führer, wenn er vorstellig wurde, wies ihn zurück und sagte, das würde er selber regeln.

Die Aufgabe war sicherlich sehr undankbar und schwer, und ich erinnere mich, wie einmal der Feldmarschall Keitel zu mir kam und mich gebeten hat, ob ich nicht dafür sorgen könnte, daß er ein Frontkommando bekäme, er nehme sogar auch als Feldmarschall nur eine Division, wenn er nur fortkäme, denn er esse dort ja mehr Steine als Brot. Ob dankbare oder undankbare Aufgabe, erwiderte ich ihm, sei gleichgültig, er müsse dort seine Pflicht tun, wo der Führer es befiehlt.


DR. NELTE: Es ist Ihnen bekannt, daß in diesem Zusammenhang dem Feldmarschall Keitel der Vorwurf gemacht wurde, er habe sich, wie man so sagt, nicht durchgesetzt.


GÖRING: Dieser Vorwurf ist ihm von einer Reihe von Oberbefehlshabern der Armee und Heeresgruppen gemacht worden. Diese konnten um so leichter den Vorwurf erheben, als sie selber weit vom Schuß, das heißt, weit von Adolf Hitler saßen und nicht selbst die Dinge vorzutragen hatten. Ich weiß, daß besonders nach dem Zusammenbruch eine ganze Reihe von Generalen sich auf den Standpunkt gestellt haben, Keitel wäre ein typischer »Ja-Sager« gewesen. Hierzu kann ich nur sagen, mich persönlich würde es interessieren, wenn man mir die vorführen wollte, die sich als »Nein-Sager« heute bezeichnen.


DR. NELTE: Bestand für Feldmarschall Keitel gegenüber Hitler die Möglichkeit, die Enthebung von seiner Dienststellung zu erreichen?


[414] VORSITZENDER: Dr. Nelte, der Gerichtshof ist hier anderer Meinung, und wir möchten Sie nun fragen, welche Bedeutung haben bei der Anklage gegen Keitel Klatsch im Generalstab oder Vorwürfe, die von diesem gegen ihn vielleicht erhoben worden sind?

Was hat das mit der Anklage gegen Keitel zu tun?


DR. NELTE: Wenn man dem Angeklagten Keitel gerecht werden will, das heißt, wenn man versuchen will, zu ermitteln, welche Rolle er in diesem furchtbaren Drama gespielt hat, so kann man dies nur, wenn man einmal seine Dienststellung feststellt und damit seine rechtliche Verantwortung, dann aber, wenn man die taktischen Verhältnisse klarstellt...


VORSITZENDER: Ich weiß alles sehr gut. Wir haben drei Viertelstunden darauf verwendet, den Angeklagten Göring über seine Stellung und über die Funktionen Keitels berichten zu hören. Meine Frage lautete, was die Kritik und der Klatsch des Generalstabs über Keitel mit der Anklage zu tun habe.

Wir haben drei Viertelstunden lang uns angehört, was der Angeklagte Göring als seine Funktion und seine Beziehungen zum Führer beschreibt, nichts anderes.


DR. NELTE: Ich habe mit der Organisation des OKW begonnen. Ich habe die Befehlsverhältnisse festzustellen versucht zwischen dem OKW und dem Chef des OKW einerseits und den Wehrmachtteilen andererseits, und ich habe dann versucht, die Verantwortlichkeit klarzustellen, die er als Chef des OKW nach dem Willen Hitlers haben sollte, und wie er sie ausübte.

Dieser Klatsch und Tratsch, von dem Herr Vorsitzender gesprochen haben, ist, glaube ich, nur in den letzten Minuten Gegenstand der Befragung beziehungsweise Äußerung des Herrn Zeugen gewesen.

VORSITZENDER: Ich habe Sie unterbrochen, weil Sie dem Angeklagten eine Frage stellten, ob irgend jemand für irgend etwas von anderen Mitgliedern des Generalstabs getadelt wurde, und das scheint mir völlig unerheblich zu sein.


DR. NELTE: Die letzte Frage, die ich stellte, war, ob eine Möglichkeit für Feldmarschall Keitel bestand, die Enthebung von seiner Dienststelle zu erreichen. Darf ich annehmen, Herr Vorsitzender, daß diese Frage erheblich ist?


VORSITZENDER: Sie können natürlich die Frage stellen, ob er gebeten hat, von seiner Stellung enthoben zu werden.


GÖRING: Wenn Sie bitte...


VORSITZENDER: Dr. Nelte, diese Frage wurde tatsächlich schon gestellt, es war die Frage, bei der ich Sie unterbrach; und ich habe hier die Antwort niedergeschrieben, daß Keitel um ein Kommando nachsuchte, selbst wenn es nur eine Division war.


[415] DR. NELTE: Das war die Frage, die er Herrn Reichsmarschall Göring gestellt hat. Er ist zu ihm gekommen und hat ihn gefragt. Ich frage jetzt, ob Keitel von Hitler die Möglichkeit seiner Dienstenthebung erreichen hätte können?


GÖRING: Die Frage, ob ein General seine Dienstenthebung vom Führer fordern und erreichen konnte, hat in diesem Verfahren generell eine große Rolle gespielt. An sich muß man zwei Phasen unterscheiden, Frieden und Krieg.

Im Frieden konnte ein General um seinen Abschied ansuchen; war er nicht auf einem prominenten und entscheidungswichtigen Platz und dem Führer sehr gut bekannt, so ging ein solches Abschiedsgesuch ohne weiteres. Befand er sich in einer besonders wichtigen Vertrauensstellung und dem Führer gut bekannt, so hat der Führer in solchen Fällen seine Überredungskunst weitgehendst eingeschaltet und mit allen verfügbaren Mitteln appelliert, daß der Betreffende, wenn er es wünschte – der Führer – weiter auf seinem Posten verblieb. Wenn ein General jedoch seinen Abschied vom Führer gefordert hätte, indem er es begründete mit grundsätzlich gegenteiliger Auffassung auf politischem Gebiet, innenpolitischem oder außenpolitischem, dann wäre es zweifellos, wenn auch nicht sofort an diesem Tage, zu einer Verabschiedung gekommen, aber gleichzeitig zu einem außerordentlichen Mißtrauen seitens des Führers dieser Persönlichkeit gegenüber. Im Kriege war die Sache völlig anders. Der General war, wie jeder Soldat, verpflichtet, Krieg zu führen, die Befehle zu befolgen.

Der Führer hat generell dieses nicht nur für Generale sondern für alle wichtigen Persönlichkeiten des Staatslebens erklärt, er wünsche keinerlei Abschiedsgesuche, er entscheide darüber, ob einer zu gehen halbe oder nicht, selbst er könne für seine Person auch nicht, wenn es ihm jetzt unangenehm würde, den Abschied nehmen, und er betrachte das als Fahnenflucht. Wenn ein General trotzdem ein Abschiedsgesuch im Kriege eingereicht hätte, und es würde ihm dies abgeschlagen, so könnte er natürlich nicht darauf bestehen; ginge er trotzdem, so verfehlte er sich gegen das Gesetz und war von diesem Augenblick der Desertion schuldig. So konnte auch der Feldmarschall Keitel wohl dem Führer sagen: »Lassen Sie mich in ein anderes Amt gehen«; aber der Führer wechselte äußerst ungern die Persönlichkeiten seiner nächsten Umgebung und hätte während des Krieges, das weiß ich aus seinem eigenen Munde, in einen Wechsel gerade des Feldmarschalls Keitel, mit dem er sich eingearbeitet hatte, nicht eingewilligt, wenn nicht der Feldmarschall krank und wirklich dadurch unfähig geworden wäre, die Arbeit weiterzuführen.


[416] DR. NELTE: Waren diese Erwägungen, von welchen Sie eben gesprochen haben, bei der Dienstentlassung des Feldmarschalls von Brauchitsch auch maßgebend?


GÖRING: Die Dienstentlassung des Feldmarschalls von Brauchitsch kenne ich deshalb sehr genau, weil der Führer sie ebenfalls vorher länger mit mir durchgesprochen hatte, zumal er nicht von Anfang an wußte, ob er selber den Befehl über das Heer unmittelbar nehmen sollte oder ein anderer. Wir sprachen also auch bezüglich der Nachfolger dann das weitere durch. Der Führer war in dem Augenblick mit der Führung des Heeres durch den Oberbefehlshaber des Heeres an der Ostfront nicht einverstanden. Der Oberbefehlshaber war Brauchitsch, Chef des Generalstabes Halder. Ich habe dem Führer vorgeschlagen, zunächst den Chef zu wechseln, weil ich diesen für weitaus unfähig gehalten habe. Der Führer wollte das auch tun, entschloß sich dann nach einer Nacht und sagte mir, er – der Führer – wolle selbst den Oberbefehl übernehmen, um Ordnung wieder in die Ostfront zu bekommen, und deshalb sei es für ihn wichtiger, den Oberbefehlshaber zu verabschieden, obwohl er meiner Auffassung sei, daß der Chef des Stabes der schwächere Teil wäre. Ich schlug ihm vor, nun beide wegzuschicken.

Der Führer ließ Brauchitsch kommen, sprach zwei Stunden mit ihm und bat ihn in klarer Form, das heißt in nicht mißzuverstehender Form, zurückzutreten.

Es ist also seitens des Führers hier der klare Entschluß gefaßt worden, den Oberbefehlshaber des Heeres zu verabschieden, um selbst den Oberbefehl über das Heer unmittelbar zu übernehmen, so daß von diesem Zeitpunkt ab der Führer nicht nur Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, sondern nunmehr auch de facto und tatsächlicher Oberbefehlshaber des Heeres wurde.


DR. NELTE: Es ist von der Anklage behauptet und unter Beweis gestellt worden, daß Feldmarschall Keitel Mitglied des Reichsverteidigungsrates gewesen sei. Sie haben gestern über diesen Komplex schon gesprochen. Ich kann nun also feststellen, daß Sie ausgesagt haben, daß Feldmarschall Keitel nach dem Reichsverteidigungsgesetz zu den Mitgliedern des Reichsverteidigungsrates gehörte, daß aber dieser Reichsverteidigungsrat niemals konstituiert worden ist; das müßten Sie wissen, weil Sie Vorsitzender dieses Reichsverteidigungsrates nach dem Gesetz waren. Ist das richtig?


GÖRING: Ich habe deutlich gesagt, daß ich niemals einer Sitzung beigewohnt oder eine Sitzung einberufen habe.


VORSITZENDER: Nicht wahr, Sie wissen, daß der Gerichtshof diesen Prozeß möglichst schnell durchführen soll und daß wir darum nicht fortfahren werden, uns kumulatives Beweismaterial anzuhören. Der Angeklagte hat uns schon eine Antwort auf die Frage[417] gegeben, die Sie gerade an ihn gerichtet haben. Der Gerichtshof will nicht dieselbe Antwort noch einmal hören.


DR. NELTE: Ich habe das Protokoll, Herr Vorsitzender, von gestern bis heute vormittag noch nicht erhalten. Es liegt für den Angeklagten Keitel sehr viel daran...


VORSITZENDER: Sie waren im Gerichtssaal. Sie können mir glauben, daß die Antwort gegeben wurde.


DR. NELTE: Die Fragen und Antworten sind nicht immer so klar, wie es, wenn man das Protokoll liest, vielleicht erscheint.

Können Sie mir sagen, ob Feldmarschall Keitel nie Minister war?


GÖRING: Er war nicht Minister, er hatte nur den Rang, die Gleichstellung eines Ministers.


DR. NELTE: Hatte er das Recht, an Kabinettssitzungen teilzunehmen?


GÖRING: Nicht von sich aus. Er konnte bei ihn interessierenden Fragen, die sein Arbeitsgebiet betrafen, vom Führer zu Kabinettssitzungen zugezogen werden.


DR. NELTE: Feldmarschall Keitel war Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung. Wurde er dadurch Minister?


GÖRING: Nein, er blieb dasselbe, er hatte den Rang eines Ministers. An Kabinettssatzungen des Reichskabinetts konnte der Feldmarschall Keitel deshalb nicht teilnehmen, weil er erst hierzu, Chef des Oberkommandos, 1938 berufen wurde und von dieser Zeit ab überhaupt keine Kabinettssitzungen stattfanden.


DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat ferner behauptet, es gab ein Dreierkollegium, bestehend aus dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, aus dem Generalbevollmächtigten für die Verwaltung, aus dem Chef des OKW.

Können Sie mir hierüber etwas sagen?


GÖRING: Darüber weiß ich nichts.


DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat Feldmarschall Keitel vorgeworfen, er sei ein politischer General gewesen. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?


GÖRING: Die Generale im Dritten Reich hatten überhaupt keine Berechtigung, politisch aufzutreten. Die einzige Ausnahme in dieser Richtung durch die Eigenart meiner Position war ich, der gleichzeitig Soldat, General war und auf der anderen Seite ebenso stark in die Politik als Politiker eingeschaltet war. Die anderen Generale hatten, wie deutlich vom Führer immer betont wurde, damit nichts zu tun. Der General, der sich am stärksten für die Politik immer interessierte, war der verstorbene Feldmarschall von Reichenau. Das war der Grund, warum der Führer trotz seiner persönlichen [418] Sympathien und der starken Einstellung Reichenaus zur NSDAP abgelehnt hat, ihn nach Fritschs Weggang zum Oberbefehlshaber des Heeres zu machen, weil er keine politischen Generale wünschte.


DR. NELTE: Es läßt sich aber nicht verleugnen, daß in den sogenannten Weisungen mehrfach die politische Zielsetzung bekanntgegeben wurde und daß solche Weisungen und Befehle auch von Keitel unterschrieben waren?


GÖRING: Weisungen waren prinzipiell Führerweisungen, weil sie große Richtlinien enthielten. Die Präambel eines großen Weisungsbefehls war sehr häufig die politische Voraussetzung, damit sich hieraus erklärte, warum der Führer sich zu diesem oder jenem militärischen Vorgehen entschlossen habe. Das hat aber nichts damit zu tun, daß ein General politisch sei.


DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat nun mehrfach erwähnt, daß der Angeklagte Keitel bei Staatsbesuchen, wie bei Hacha, und bei Ministerempfängen zugegen war, und hat daraus herzuleiten versucht, er sei politischer General.


GÖRING: Wenn der Führer als Staatsoberhaupt fremde Missionen, Staatsoberhäupter oder Regierungschefs empfing, so war es selbstverständlich, daß immer die Chefs seiner wichtigsten Dienststellen zugegen waren, der Chef der Staatskanzlei, oft der Reichskanzlei, je nach dem, wer kam, und der Chef des Oberkommandos, da in den Besprechungen Fragen auftauchen konnten, wo der Führer irgendwelche militärische Unterlagen brauchte. Außerdem war es auch eine gewisse Staffage; wenn bei mir hoher Besuch war, war auch mein Militärstab oder Vertreter des Stabes um mich.


DR. NELTE: Darf ich also sagen, Keitel war anwesend, aber nicht beteiligt an den Besprechungen?


GÖRING: Ob beteiligt oder nicht, jedenfalls nicht von Entscheidung.


DR. NELTE: Beim Besuch des Präsidenten Hacha wurde von der Anklagebehörde erwähnt, daß der Angeklagte Keitel auf den Präsidenten Hacha einen Druck ausgeübt und mit dem Bombardement von Prag gedroht habe?


GÖRING: Ich habe ja gestern gesagt, daß ich das gesagt habe.


DR. NELTE: Das wollte ich nur feststellen.

Nun möchte ich Sie zu dem Komplex der Terror flieger noch befragen. Erinnern Sie sich, daß etwa Mitte Juni 1944, als die Verhandlungen wegen dieser Frage zwischen den verschiedenen Ressorts waren, am Platterhof Sie mit Feldmarschall Keitel auf Hitler warteten und hierbei über diese Frage gesprochen haben?


[419] GÖRING: Ich kann nicht sagen, ob das am Platterhof war. Aber jedenfalls habe ich mit dem Feldmarschall mehrfach darüber gesprochen.


DR. NELTE: Es ist aber hierbei wichtig, festzustellen, ob der Angeklagte Keitel Sie in dieser Frage angesprochen und Ihnen erklärt hat, er sei gegen den Gedanken der von der Partei gewünschten Lynchjustiz.


GÖRING: Das hat er mehrfach geäußert. Wir waren uns darin einig.


DR. NELTE: Hat der Angeklagte Keitel auch damals Ihnen gegenüber geäußert, daß er eine offizielle Warnung oder Note in dem bekannten Falle Dieppe an die alliierten Regierungen für richtiger halte als die kriegsgerichtlichen Einzelverfahren ohne gerichtliche Beweismöglichkeiten?


GÖRING: Über diesen Punkt wurde meines Erachtens auch mehrfach gesprochen. Ich habe den Standpunkt vertreten, bei den reinen Terrorfliegern, das heißt bei denen, die sich gegen die Befehle ihrer eigenen Vorgesetzten vergehen, gerichtliches Verfahren zu machen. Keitel meinte, das ließe sich schwer auseinanderhalten und durchführen. Zweckmäßiger sei, eine Note an die Alliierten zu richten, daß, wenn das nicht aufhöre, man Maßnahmen treffen müsse. Die Auffassung wurde auch von anderer Seite betont, daß zunächst auf dem Verhandlungswege einzuschreiten wäre.


DR. NELTE: Herr Präsident! Ich hatte bei meinen Beweisanträgen unter anderem eine mir von Göring gegebene Charakteristik des Generalfeldmarschalls Keitel in Aussicht gestellt. Gemäß der Vereinbarung mit der Anklagebehörde in der Sitzung vom 25. Februar 1946 sollte diese Charakteristik, die als Affidavit vorliegt, in Anwesenheit des Zeugen, also Göring, vorgelegt werden dürfen. Es ist mir nunmehr gestattet, diese Ihnen nun schon im Original vorliegende Charakteristik zu verlesen, oder darf ich mich auf sie als Beweismittel beziehen, indem ich sie übergebe? Ich frage deshalb, weil ein Teil derjenigen Beschreibungen, die in diesem Affidavit enthalten sind, schon von diesem Zeugen in dieser Vernehmung zum Ausdruck gebracht wurden.


VORSITZENDER: Auf welches Dokument beziehen Sie sich? Was ist sein Ursprung? Ist es ein Dokument, das von dem Angeklagten Göring verfaßt worden ist?


DR. NELTE: Es ist ein von Göring unterzeichnetes Affidavit, überschrieben: »Charakteristik des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel«. Es ist in meinen Beweisanträgen als Affidavit angekündigt. Vieles, was darin enthalten ist, hat Herr Generalfeldmarschall Göring schon gesagt.


[420] VORSITZENDER: Der Angeklagte Göring sagt unter Eid aus. Deshalb sollte kein Affidavit eingebracht werden. Wenn Sie ihn über den Angeklagten Keitel noch irgend etwas fragen wollen, was er bisher noch nicht beantwortet hat, können Sie das jetzt tun. Es ist unzweckmäßig, eine schriftliche eidesstattliche Erklärung vorzulegen, wenn Sie einen Angeklagten haben, der unter Eid aussagt.


DR. NELTE: In der Sitzung vom 25. Februar 1946 ist dieses genehmigt worden mit der Begründung, es sei eine Abkürzung des Verfahrens, wenn man ein solches Affidavit verlese und der Zeuge dann sage: »Das ist richtig«. Ich habe eine Abschrift aus dem Sitzungsprotokoll hier, wenn sich der Gerichtshof nicht mehr entsinnen sollte.


JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Ich erhebe nicht Einspruch, weil es sich um etwas Schriftliches handelt, denn ich finde, daß gelegentlich die schriftlichen Zeugenaussagen rascher erledigt werden können als Vernehmungen.

Mein Einwand beruht darauf, daß diese Zeugenaussage uns überhaupt nicht weiterbringt. Sie beginnt:

»Keitel macht den Eindruck einer Militärperson, eines Offiziers der alten Schule.«

Das fuhrt uns nicht weiter. Ich lasse diese Feststellung gelten, er hat auf mich den gleichen Eindruck gemacht. Seine Philosophie ist in der Tat von militärischen Ideen und Gedankengängen beherrscht.

Keitel soll sich selber schildern, wenn wir durchaus eine Schilderung seiner Person haben müssen. Eine Prüfung des Affidavits wird meines Erachtens zeigen, daß es sich hier um Dinge handelt, die schon besprochen worden sind, oder um Dinge, über die kein anderer Zeuge verhört werden sollte. Ich erhebe Einspruch gegen das Schriftstück, weil es keinerlei Beweiswert hat.

VORSITZENDER: Sie wissen, Dr. Nelte, daß alle Entscheidungen über Dokumente, die das Gericht getroffen hat, ausdrücklich nur provisorischer Natur gewesen sind und unter der Bedingung getroffen wurden, über den Wert eines Dokuments bei seiner Vorlage zu entscheiden. Wäre das Schriftstück dem Gerichtshof vorgelegt worden, hätten wir es ansehen können. Der Gerichtshof hat das Dokument nicht gesehen.

Das Dokument scheint, wie Justice Jackson sagt, kein Schriftstück zu sein, das als Beweismittel von Wert ist und da der Angeklagte jetzt unter Eid aussagt, wird der Gerichtshof dieses Dokument nicht zulassen.


DR. NELTE: Herr Präsident! Da das Gericht diese Urkunde überprüft und dadurch festgestellt hat, daß sie unerheblich ist, bin ich mit der Entscheidung einverstanden. Aber es scheint mir, als ob das Gericht diese Urkunde vor der noch nicht...


[421] VORSITZENDER: Wir hindern Sie nicht, an den Zeugen Fragen zu stellen, die von Erheblichkeit sein können, Dokumente von jemand zu lesen, der gleichzeitig als Zeuge aussagt.


DR. NELTE: Ich verzichte auf die Vorlage dieses Affidavits.


DR. THOMA: Rosenberg war bis zum Jahre 1940 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP. Hatte er in dieser Eigenschaft oder sonst persönlich einen Einfluß auf die außenpolitischen Entschlüsse Hitlers?


GÖRING: Ich glaube, daß das Außenpolitische Amt der Partei nach der Machtergreifung überhaupt vom Führer in außenpolitischen Fragen nicht ein einziges Mal gehört wurde und vorher nur geschaffen war, um gewisse außenpolitische Fragen, die innerhalb der Partei auftauchten, zentral zu bearbeiten im einzelnen bin ich über die Arbeitsmethode des Amtes nicht orientiert. Hinzugezogen zu außenpolitischen Entscheidungen nach der Machtübernahme wurde Rosenberg, soviel ich weiß, bestimmt nicht.


DR. THOMA: Sie wissen deshalb wohl auch keine Einzelheiten, ob Rosenberg in der Norwegenfrage einen bestimmenden Einfluß auf Hitler hatte?


GÖRING: Das weiß ich nicht. Ich habe gestern schon ausgesagt, was ich zur Frage Quisling und auch Rosenberg weiß.


DR. THOMA: Ist Ihnen Rosenberg als Ministerpräsident aufgefallen, weil er eine politische oder polizeiliche Kirchenverfolgung befürwortet hat?


GÖRING: Er konnte eine polizeiliche Kirchenverfolgung nicht befürworten, weil er mit der Polizei nichts zu tun hatte und ich mir von ihm nicht hätte hineinreden lassen.


DR. THOMA: Ist Ihnen bekannt, ob Rosenberg Sie um eine Evakuierung der Juden aus Deutschland, unter anderem auch nach Lublin, ersucht hat?


GÖRING: Rosenberg hat mit mir nichts darüber gesprochen.


DR. THOMA: Hai Hitler Ihnen gegenüber seine Zufriedenheit zum Ausdruck gebracht, daß Rosenberg über den damals abgeschlossenen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion mit keinem Wort protestiert hat?


GÖRING: So kann man das nicht ausdrücken, daß Hitler seine Zufriedenheit geäußert hat, denn, wenn Rosenberg protestiert hätte, so hätte Hitler wahrscheinlich seine Unzufriedenheit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Er hat aber geäußert, daß auch Rosenberg scheinbar diesen politischen Schritt verstanden habe.


[422] DR. THOMA: Hatte Rosenberg als Minister für die besetzten Ostgebiete einen Einfluß auf den Arbeitseinsatz? Konnte er insbesondere den Arbeitseinsatz der Ostvölker verhindern?


GÖRING: Eine gewisse Zusammenarbeit bezüglich des Arbeitseinsatzes muß zwischen dem Amt Sauckel und den Dienststellen Rosenbergs bestanden haben. Aber in dem Sinne, daß Rosenberg hätte die Anwerbung der Ostarbeiter im Gegensatz zum Befehl des Führers verbieten können, davon kann natürlich gar keine Rede sein.


DR. THOMA: Ist Ihnen bekannt, daß Rosenberg beim Führer wiederholt auch für eine kulturelle Förderung der osteuropäischen Völker, besonders der ukrainischen, vorstellig geworden ist?


GÖRING: Ich war einmal dabei, als Rosenberg von der verschiedenartigen Behandlung der besetzten Ostgebiete und der dort wohnenden Völker sprach und ihrer kulturellen Betreuung. Und soweit ich mich erinnere, ging das Gespräch um die Errichtung oder Weiterführung einer Universität in Kiew. Der Führer sagte in seiner Gegenwart, glaube ich, zu. Und als er raus war, sagte er zu mir: »Der Mann hat auch besondere Sorgen. Es gibt jetzt wichtigere Dinge für uns als Universitäten in Kiew.« Daran erinnere ich mich.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr auf zehn Minuten.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Dr. Sauter. Ich möchte Herrn Dr. Nelte erst sprechen.

Dr. Nelte! Der Gerichtshof hat Ihren Antrag betreffend das Dokument »Charakteristik von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel« geprüft und sich auf das Protokoll vom 25. Februar 1946 (Band VIII, Seite 260) bezogen, das Sie anscheinend im Sinne hatten. Sie haben aber scheinbar nicht bemerkt, daß das gleiche Dokument »Charakteristik von Keitel« im Absatz 2 der Verfügung des Gerichtshofs abgelehnt wurde. Dieser Absatz enthält die nach Beratung des Gerichts gefällte Entscheidung, die auf jener Seite des Protokolls, auf die ich mich bezogen habe, niedergelegt ist. Nach Ansicht des Gerichtshofs können Sie daher jenes Dokument, das bereits vom Gerichtshof abgelehnt war, nicht vorlegen.


DR. NELTE: Ich habe das ganze Sitzungsprotokoll nicht vor mir. Ich weiß aber, daß die Ablehnung des Affidavits mit der Begründung erfolgte, daß in den Fällen ein Affidavit nicht vorzulegen sei, wenn der Zeuge gerufen werden könne, und das sei hier der Fall. Daraufhin hat Sir David Maxwell-Fyfe unter Anfügung dieser besonderen Dokumentennummer meines Dokumentenbuches folgendes gesagt: »Das Gericht wird sich vielleicht daran erinnern, daß im Falle des Zeugen Dr. Blaha mein verehrter Kollege, Herr Dodd, so [423] vorging, daß er den Zeugen fragte...« Dieses Affidavit gehört zu diesem Dokument.


VORSITZENDER: Ich weiß das, Dr. Nelte, und habe Sie schon auf die betreffende Seite des Protokolls verwiesen, auf das ich mich bezog. Aber die Verteidiger müssen sich völlig darüber klar sein, daß der Gerichtshof Entscheidungen über solche Anträge für Zeugen und Dokumente nicht in öffentlicher Verhandlung trifft, und der Gerichtshof hat durchaus klar zum Ausdruck gebracht, daß er gestellte Anfragen später prüfen würde; jedesmal ist dem Verteidiger eine klare schriftliche Entscheidung über die zugelassenen oder abgelehnten Zeugen, Fragen oder Dokumente, gegeben worden. Die »Charakteristik von Keitel« fällt unter Absatz 2 dieser Entscheidung. Nach Ansicht des Gerichtshofs hätte dieses Dokument daher niemals angeboten werden dürfen. Das ist alles.


DR. NELTE: Ich versuchte, klar zu machen, warum ich zu der Annahme kommen konnte, daß trotz der Ablehnung des Affidavits das Material desselben bei der Anwesenheit des Zeugen gebraucht werden könnte.


DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Ich bitte folgende Fragen stellen zu dürfen, zunächst für den Angeklagten Funk:


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Der Angeklagte Funk ist im Sommer 1931 der Partei beigetreten. Er war damals, wie Sie wissen, Chefredakteur der »Berliner Börsenzeitung«. Ist Ihnen bekannt, daß er sich in dieser Tätigkeit einer besonderen Wertschätzung sowohl bei der Presse wie auch bei den Kreisen des deutschen Wirtschaftslebens erfreute?


GÖRING: Ich weiß, daß damals Funk und seine Wirtschaftsartikel in der Börsenzeitung sehr beachtet wurden und daß er viele Verbindungen zu den Wirtschaftskreisen gehabt hat.

DR. SAUTER: Wir haben gehört, Herr Zeuge, daß dem Angeklagten Funk vorgeworfen wird, er habe durch die Tätigkeit den Machtantritt der Partei stark gefördert und es würde mich interessieren, von Ihnen zu hören, ob Funk vor dem Machtantritt der Partei überhaupt in der Partei irgendeine Rolle gespielt hat, oder ob es richtig ist, daß er nach seiner Niederlegung der Chefredaktion der Berliner Börsenzeitung einen sogenannten wirtschaftspolitischen Informationsdienst herausgab. Aber nicht etwa für Kreise der Partei, sondern für alle Wirtschaftskreise, einschließlich derjenigen der deutschen Volkspartei?


GÖRING: Ich darf die Bitte aussprechen, mir vielleicht die Frage präziser vorzulegen, das ist ja eine ganze Erzählung. Ich kann mich aber kurz fassen. Vor der Machtergreifung kannte ich nur die [424] Tätigkeit Funks als Redakteur der Börsenzeitung, die ich vorhin erwähnte, und da wurde er mehrfach, wenn ich mit gewissen Wirtschaftskreisen sprach, erwähnt. Ich habe erst nach der Machtergreifung überhaupt gehört, daß Funk vorher schon bei der Partei war und sein Verhältnis dort und seine Tätigkeit muß also nicht von so großer Bedeutung gewesen sein, sonst wäre es mir ja irgendwie aufgefallen. Über seinen Informationsdienst, ob er für die Demokraten oder Volkspartei war, weiß ich nichts.


DR. SAUTER: Funk ist dann nach der Machtergreifung Pressechef der Reichsregierung geworden. Das ist Ihnen bekannt?


GÖRING: Ja.


DR. SAUTER: Und in der Folgezeit wurde er dann Staatssekretär im Reichspropagandaministerium. Das ist Ihnen auch bekannt?


GÖRING: Ja.


DR. SAUTER: Nun würde mich interessieren, was die Tätigkeit als Pressechef der Reichsregierung anlangt, hatte Funk dabei irgendeinen Einfluß auf die Beschlüsse des Reichskabinetts?


GÖRING: Die Ernennung Funks zum Reichspressechef kenne ich genau. Nach der Vereidigung des Reichskabinetts sollte auch der neue Reichspressechef ernannt werden. Wir waren in einem Zimmer des Hotels Kaiserhof, und der Führer wollte nicht jemand aus der Presseorganisation, der unmittelbar aus der Partei war, sondern einen, der an sich vorher mit der Presse zu tun hatte, aber nicht so parteiprominent oder gebunden sei. Ich weiß nicht genau, wer den Namen Funk sagte. Aber ich weiß, daß er dann sagte: »Einverstanden.« Funk wurde geholt, und ich glaube, es war für ihn eine große Überraschung, den Eindruck hatte ich. Der Reichspressechef hatte zur Zeit, als Hindenburg noch Reichspräsident war....


[Hier tritt eine technische Störung ein.]


VORSITZENDER: Sie können fortfahren.

DR. SAUTER: Ich darf vielleicht zuerst die Frage wiederholen, weil sie verschiedentlich nicht verstanden wurde und nicht durchgegangen ist. Meine Frage ist dahin gegangen, ob der Angeklagte Funk in der Zeit, wo er Pressechef der Reichsregierung war, also nach der Machtergreifung, irgendeinen Einfluß auf die Beschlüsse des Reichskabinetts hatte?


GÖRING: Der Reichspressechef hatte keinerlei Einfluß auf die Beschlüsse des Reichskabinetts, denn er hatte eine andere Aufgabe.


DR. SAUTER: Dann wurde Funk Staatssekretär im Propagandaministerium, und da interessiert es mich von Ihnen zu hören, ob er während dieser Funktion irgendwie neben Goebbels hinsichtlich der Propagan dapolitik oder Pressepolitik in Erscheinung getreten[425] ist, beziehungsweise, welche Aufgaben, nach Ihrer Kenntnis der Verhältnisse, Funk damals im Ministerium hatte?


GÖRING: Er wurde Staatssekretär, weil das Propagandaministerium als Hauptbestandteil zunächst ja die Presse übernommen hatte, beziehungsweise die Behandlung der Presseangelegenheiten. Die reine Propagandatätigkeit übte von Anfang an Goebbels als gleichzeitiger Propagandaleiter der Partei mit seinen Organen selbst aus. Funk wurde in erster Linie genommen, um rein organisatorisch das Ministerium als solches aufzubauen und besonders wirtschaftliche Dinge der Presse, also Pressewerbung, Pressekäufe, Presseunterstützung und diese Dinge, glaube ich. Da wurde sein Fachwissen in erster Linie eingesetzt.


DR. SAUTER: Als dann Dr. Schacht im November 1937 aus seinen Ämtern ausschied, wurde Funk sein Nachfolger als Reichswirtschaftsminister. Die Ernennung hierzu erfolgte bereits im November 1937. Das Ministerium bekam er aber erst im Februar 1938 übertragen. Können Sie uns sagen, warum das geschah und wer in der Zwischenzeit das Wirtschaftsministerium geleitet hat?


GÖRING: Bei der Behandlung des Vierjahresplans führte ich aus, daß nach Abgang von Minister Schacht ich selbst, obwohl Funk bereits designiert war, vom November 1937 bis Februar 1938, soweit mir erinnerlich, das Wirtschaftsministerium leitete, um den Um- und Einbau der außerhalb des Ministeriums angewandten Wirtschaftsabteilungen des Vierjahresplans organisch wieder in das Wirtschaftsministerium einzuführen, um mich von diesem Ballast zu befreien und dann mit dem Ministerium als solchem meine Weisungen durchzuführen.


DR. SAUTER: Ähnlich, Herr Zeuge, scheint es gewesen zu sein, mit dem Amte des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft. Dr. Schacht, wie ich das doch bemerken darf, war auch aus diesem Amt gleichzeitig mit dem Wirtschaftsministerium ausgeschieden im November 1937. Zu seinem Nachfolger als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft wurde nun Funk überhaupt erst im Jahre 1938 ernannt; worauf ist das zurückzuführen?


GÖRING: Daß er zum Generalbevollmächtigten erst 1938 ernannt wurde, geht daraus hervor, daß er erst 1938 tatsächlich das Wirtschaftsministerium übernommen hat. Nach der alten Regelung war der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft mit dem Reichswirtschaftsministerium identisch. Dies war aber zu diesem Zeitpunkt, wie ich schon vorher sagte, in der letzten Amtsperiode des Ministers Schacht, rein pa piermäßig gesehen, denn ich führte aus, von dem Augenblick, als ich den Vierjahresplan aktiv übernahm und ausbaute, war ich ja de facto der eigentliche Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft.

[426] Und ich habe auch vorgeschlagen, diesen abzuschaffen und – wie das häufig ist, bleiben oft Dinge aus rein prestigemäßigen Gründen bestehen, die innerlich gar keinen Wert mehr haben. Der Beauftragte des Vierjahresplans war der alleinige Generalbevollmächtigte für die gesamte deutsche Wirtschaft. Da es nicht zwei geben konnte, stand der andere nur auf dem Papier.


DR. SAUTER: Die Konsequenz, Herr Zeuge, wenn ich diese ziehen darf, das bitte ich mir zu beantworten, wird also wohl die gewesen sein, daß Dr. Funk, sowohl in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft wie auch in seiner Eigenschaft als Reichsbankpräsident, durchaus Ihren Weisungen des Vierjahresplans unterstand. Ist das richtig?


GÖRING: Selbstverständlich hat er nach den Generalvollmachten, die mir gegeben waren, meine wirtschaftlichen Weisungen auf dem Gebiet des Wirtschaftsministeriums und der Reichsbank zu befolgen gehabt. Das war ja auch der Grund dafür, daß der Wechsel eintrat, weil ich mit Herrn Schacht das nicht so konnte und Herr Funk mir gegenüber von Anfang an auf diesem Gebiet eine klare Einstellung hatte. Die Anweisungen oder die Wirtschaftspolitik, die der Reichswirtschaftsminister und der Reichsbankpräsident Funk ausführten, treffen voll und ganz verantwortlich ausschließlich mich.


DR. SAUTER: Herr Zeuge, Sie erinnern sich vielleicht an einen Geburtstagsbrief, den der Angeklagte Funk etwa eine Woche vor Beginn des Polenfeldzugs, ich glaube am 25. August, an Hitler geschrieben und in dem er sich für irgend etwas bedankt hat; und in diesem Brief hat Funk zum Ausdruck gebracht, daß er gewisse Maßnahmen vorbereitet und durchgeführt hat, die im Falle eines Krieges auf dem Gebiet der zivilen Wirtschaft und der Finanzierung notwendig sein würden. An den Brief werden Sie sich erinnern, und er ist schon verlesen worden.


GÖRING: Ja.


DR. SAUTER: Erinnern Sie sich nun, wann Sie mit diesen speziellen Aufgaben den Angeklagten Funk beauftragt haben? Der Brief stammt also, wenn ich das nochmals bemerken darf, ich glaube vom 25. August 1939. Und wann haben Sie diesen Auftrag und die Weisungen dem Angeklagten Funk gegeben?


GÖRING: Genau so wie die militärische Mobilmachung, oder noch besser gesagt, die Mobilmachungsvorbereitungen stets laufende Sem müssen und fortgesetzt sich der politischen Lage, ob sie gespannt oder entspannt ist oder geändert wird, anzupassen haben, so ist das auch nach meinen gestrigen Schlußausführungen mit der Wirtschaft der Fall. Ich habe also auch auf diesem Gebiet durchaus Mobilmachungsvorbereitungen befohlen, und es war die Pflicht sowohl des Reichsbankpräsidenten auf dem Devisen- und finanziellen [427] Sektor wie des Reichswirtschaftsministeriums auf seinem wirtschaftlichen Sektor, alle jene Vorbereitungen zu treffen, die mich in die Lage versetzten, bei Ausbruch eines Krieges auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet die für das deutsche Volk höchstmöglichste Sicherheit zu besitzen. Zu welchem Zeitpunkt genau kann ich nicht sagen, weil dies eine generelle Grundanweisung ist, die jederzeit bestand.


DR. SAUTER: Herr Zeuge, welche Befugnisse zur Erteilung von Weisungen und dergleichen hatte Funk für die Führung der Wirtschaft in den besetzten Gebieten?


GÖRING: Im einzelnen kann ich das hier, oder besser gesagt, kann ich mich heute nicht mehr genau erinnern. Die Generalanweisung bekam er von mir; wie weit er auf Grund nun dieser Generalanweisung im besetzten Gebiet auf seinem Teilgebiet aus diesen Ge neralanweisungen ressortmäßig Anweisungen und an wen gegeben hat, kann ich nicht speziell umreißen. Sie fußten jedoch immer auf meiner persönlichen Verantwortung.


DR. SAUTER: Ist es richtig, daß der Vierjahresplan in den besetzten Gebieten seine eigenen Bevollmächtigten und Organe hatte, die Ihre Weisungen durchzuführen hatten unter Ausschluß des Angeklagten Funk?


GÖRING: In einem Teil des besetzten Gebiets ist das so gewesen. In anderen habe ich mich der dort vorhandenen Stellen bedient, und wenn ich es für notwendig hielt, habe ich auch dem Wirtschaftsministerium Weisungen gegeben, bezüglich der besetzten Gebiete dieses oder jenes zu veranlassen.


DR. SAUTER: Es wurde dann während des Krieges das Rüstungsministerium geschaffen, ich glaube im Frühjahr 1940. Ist es nun richtig, daß auf dieses Ministerium im Laufe des Krieges in immer stärkerem Maße die Zuständigkeitsgebiete des Reichswirtschaftsministeriums, zum Schluß auch die gesamte zivile Produktion, übergegangen sind, so daß schließlich das Wirtschaftsministerium überhaupt nur mehr ein reines Handelsministerium blieb?


GÖRING: Auf meinen nachdrücklichen Vorschlag rief der Führer ein Munitionsministerium ins Leben unter dem damaligen Minister Todt. Dieses reine Munitionsministerium wurde im Laufe der weiteren Ereignisse zum Rüstungsministerium unter Minister Speer und allmählich wurden mehr und mehr Aufgabengebiete dorthin übertragen. Da die Rüstung im Vordergrund aller Wirtschaft stand und nie gesamte übrige Wirtschaft ausschließlich in Zusammenhang mit diesen vordringlichen Aufgaben gebracht werden mußte, gingen eine Reihe von Aufgabengebieten des Wirtschaftsministeriums an das Rüstungsministerium über, besonders die gesamte Produktion.

[428] Es ist richtig, daß zum Schluß das Wirtschaftsministerium im großen und ganzen ausgehöhlt war und nur ganz untergeordnete Abteilungen behielt.


DR. SAUTER: Dann hätte ich noch eine letzte Frage hinsichtlich des Angeklagten Funk, und zwar eine Frage im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Zentralen Planung, also im Zusammenhang mit der Frage der ausländischen Arbeiter. Da würde mich interessieren, wissen Sie, Herr Zeuge, daß Funk zu den Sitzungen der Zentralen Planung erstmals Ende November 1943 zugezogen wurde, vorher nie? Ist Ihnen das bekannt?


GÖRING: Ich kenne die Einrichtung der Zentralen Planung. In die Internas habe ich mich nicht eingemischt. Ich kann nicht genau sagen, wenn Funk zugezogen wurde. Mit der Anwerbung ausländischer Arbeiter hatte er jedenfalls nichts zu tun.


DR. SAUTER: Dann hätte ich noch ein paar kurze Fragen, wenn der Herr Präsident es gestattet, für den Angeklagten von Schirach.

Herr Zeuge, wissen Sie etwas darüber, ob die sogenannte Flieger-HJ, also eine Unterabteilung der HJ, jemals im Motorflug ausgebildet wurde?


GÖRING: Die Flieger-HJ betrieb ausschließlich den Segelflugsport. Sobald sie ihn abgeschlossen hatte, wurden die Betreffenden in das Nationalsozialistische Fliegerkorps, früher Reichsluftsportverband, übernommen und dort im Motorenflug weiter ausgebildet.


DR. SAUTER: Dann eine weitere Frage: Haben zwischen Ihnen und dem Angeklagten Schirach, insbesondere solange er Reichsjugendführer war, Besprechungen stattgefunden, die sich mit der Frage einer militärischen Ausbildung oder vormilitärischen Ausbildung der Jugend im Fliegen beschäftigt hätten? Haben solche Besprechungen mit Ihnen stattgefunden oder nicht?


GÖRING: Ob wir mal darüber gesprochen haben, gelegentlich, weiß ich nicht. Offizielle Besprechungen brauchten nicht stattfinden, weil die Lage vollständig klar war. Hitler-Fliegerjugend-Segelflug. Sobald sie Motorflug und die ersten fliegerischen militärischen Vorausbildungen bekommen haben, wurden sie in das Fliegerkorps eingereiht.


DR. SAUTER: Herr Zeuge, erinnern Sie sich, wir haben an der Wand einmal ein Schema gesehen über die Zusammensetzung des Reichskabinetts, und auf diesem Schema war an der unteren Seite unter der Bezeichnung »Sonstige Teilnehmer an Kabinettssitzungen« auch aufgeführt der Angeklagte Schirach, neben Bohle, Popitz, Dietrich und Gerecke. Aus diesem Grunde möchte ich nun an Sie die Frage richten, war Schirach jemals Mitglied des Reichskabinetts, oder welche Funktionen oder Rechte hatte er in dieser Beziehung?


[429] GÖRING: Das Reichskabinett als solches bestand ausschließlich aus den Reichsministern. Wir unterschieden zweierlei Arten von Sitzungen, Kabinettssitzungen und Ministerratssitzungen. Bei den Kabinettssitzungen waren anwesend normalerweise die Minister und deren Staatssekretäre, es konnten im Einzelfall, wenn ein Gegenstand besprochen werden sollte, aus dem betreffenden Ressortministerium noch Ministerialdirektoren oder höhere Beamte zu kurzem Vortrag zugezogen werden.

Es gab dann sogenannte oberste Reichsstellen. Eine solche war auch die Reichsjugendführung. Wenn also eine Frage der Reichsjugendführung gesetzgeberisch im Gesamtkabinett hätte durchberaten werden sollen, so konnte seinerseits Schirach als Reichsjugendführer, wenn er davon unterrichtet war, die Bitte stellen, zu dieser Sitzung hinzugezogen zu werden. Auf Grund dieser Anordnung konnte der Chef der Reichskanzlei ihn zu dieser Sitzung befehlen, auf Grund der gleichen vorhin von Ihnen angezogenen Entscheidung. An den normalen laufenden Kabinettssitzungen nahmen diese Vertreter niemals teil. Soweit ich, und ich glaube fast ausschließlich an sämtlichen Sitzungen teilgenommen zu haben, weiß, hat Schirach niemals teilgenommen. Im Gegensatz hierzu standen die Ministerratssitzungen, in denen ausschließlich und allein nur Reichsminister anwesend sein durften, ohne jeden Anhang.


DR. SAUTER: Ich komme dann auf die Zeit nach dem Sturz Mussolinis, als Badoglio die Regierungsgewalt in Italien übernommen hat. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß damals der Angeklagte von Schirach Ihnen ein Telegramm mit gewissen Vorschlägen geschickt hat?


GÖRING: Ja.


DR. SAUTER: Bitte, was hat er vorgeschlagen, und was wollte er erreichen?


GÖRING: Er schlug vor, daß ich dem Führer sagen sollte, er möge einen Wechsel im Außenamt sofort vornehmen, und zwar an Stelle Herrn von Ribbentrops Herrn von Papen berufen.


DR. SAUTER: Und dann eine letzte Frage für den Angeklagten Schirach. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, an einen anderen Brief, den der Angeklagte Schirach, und zwar meines Wissens im Frühjahr 1943, geschrieben hat? Es war das ein Brief, der veranlaßt war durch ein Schreiben Bormanns, und damit Sie wissen, welchen Brief ich meine, darf ich Ihnen vielleicht kurz den Zusammenhang erklären:

Bormann hat damals, und zwar pro forma, an sämtliche Gauleiter ein Schreiben hinausgehen lassen, wonach die Gauleiter berichten sollten, ob sie irgendwelche Bindungen zum Ausland hätten. Schirach war sich damals darüber klar, daß dieser Brief nur [430] für ihn bestimmt war, denn die anderen Gauleiter hatten keine verwandtschaftlichen Bindungen zum Ausland. Und Schirach hat nun einen Brief geschrieben, den Sie, soviel ich weiß, auch gelesen und auf den hin Sie auch zugunsten Schirachs eingegriffen haben sollen. Sagen Sie uns bitte, was das für ein Brief war, welche Gefahr dem Schirach drohte, und was Sie oder andere Leute getan haben, um diese Gefahr abzuwenden?


GÖRING: Ich muß richtigstellen, ich kenne den Vorgang sehr genau. Dieser Brief Bormanns war nicht an die Gauleiter gerichtet, ob sie selber Auslandsbeziehungen hätten, sondern Bormann richtete auf Befehl des Führers einen Brief an alle Gauleiter, und das war kein Scheinbrief, um nur auf den Gauleiter Schirach Bezug zu nehmen, sondern galt tatsächlich für alle. Sie sollten in ihrem Befehlsbereich ihre Politischen Leiter überprüfen, ob irgendeiner ihrer Mitarbeiter oder Politischen Leiter, die ihnen unterstellt waren, verwandtschaftliche Bindungen und Beziehungen zum Ausland, besonders zum feindlichen Ausland, haben, so daß hieraus die Betreffenden unter Umständen in Gewissenskonflikte kommen könnten oder ihre Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen werden müßte. Das war eine allgemeine Anordnung des Führers, die auch für das Offizierskorps galt, also nicht speziell für den Fall Schirach. Ich war im Hauptquartier als dieser Brief Schirachs eintraf und Bormann den Brief dem Führer übergab. Schirach antwortete, bevor er bezüglich seiner Untergebenen oder Mitarbeiter in dieser Richtung irgend etwas unternehmen könne, müsse er eine Klarstellung des Führers bezüglich seiner eigenen Persönlichkeit hervorrufen, und schilderte nun in dem Brief kurz seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika durch seine Mutter, und schrieb auch in diesem Brief, daß er zu seinen Verwandten dort ein sehr gutes Verhältnis habe, und ob er unter diesen Bedingungen und unter dieser Einstellung noch für den Führer als Gauleiter tragbar sei. Der Führer war zu dieser Zeit schon seit Monaten nicht gut auf von Schirach zu sprechen und hatte wiederholt seine Abberufung als Gauleiter von Wien in Erwägung gezogen. Er sagte bei dieser Gelegenheit, und dadurch kam ich in den Besitz des Briefes, er reichte mir den Brief herüber und sagte: »Schirach scheint sich hier für die Zukunft salvieren zu wollen. Ich habe ein unbestimmtes Mißtrauen.« Daraufhin habe ich sehr klar und eindeutig in Gegenwart Bormanns dem Führer gesagt, daß dies völlig unberechtigt sei und ich seine Einstellung Schirach gegenüber nicht verstünde und Schirach hier doch das einzig Mögliche und Anständige getan habe, bevor er irgendeinen seiner Mitarbeiter oder Untergebenen aus derartigen Gründen entlassen würde, daß er für sich selbst, wo seine Beziehungen ja bekannt waren, eine absolute Klarstellung forderte, etwas anderes bezweckte in meinen Augen dieser Brief nicht.


[431] DR. SAUTER: Es soll dann aber, Herr Zeuge, im Anschluß an diesen Brief von einer anderen Seite noch ein recht eigenartiger Vorschlag über das weitere Vorgehen gegen Schirach gemacht worden sein.


GÖRING: Mir ist bekannt, daß Bormann und Himmler gegen Schirach waren. Ob sie diesem Brief eine ganz andere Auslegung geben wollten, um den Führer zu veranlassen, Schirach abzuberufen und auszuschalten, wie weit der Antrag Himmlers hier ging, ob auch eine Sicherungsverwahrung in Frage kam, weiß ich nicht mehr genau, aber das hörte ich später von anderer Seite.


DR. SAUTER: Ich habe sonst keine weiteren Fragen mehr, danke sehr.


FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Herr Reichsmarschall, wann haben Sie Admiral Dönitz kennengelernt?


GÖRING: Ich habe zum ersten Male Großadmiral Dönitz in seiner Eigenschaft als Admiral und Befehlshaber der U-Boote im Laufe des Krieges, soweit ich mich erinnere war es 1940, kennengelernt bei einer Besprechung in meinem Sonderzug, ich glaube es war in Frankreich.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Handelte es sich um militärische oder politische Fragen?


GÖRING: Es handelte sich um rein militärische Fragen, und zwar wie weit die Luftwaffe jetzt und für die Zukunft Aufklärungsergebnisse an die U-Boote im Atlantik geben könnte. Der damalige Admiral beklagte sich darüber, daß die Aufklärung nicht lückenlos und zu schwach wäre und bat mich dringend, dieselbe zu verstärken und, soweit ich mich noch genau erinnere, bis mindestens zum 30. Grad vorzutreiben.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie vor der Ernennung des Admirals Dönitz zum Oberbefehlshaber im Jahre 1943 weitere Konferenzen mit ihm gehabt?


GÖRING: Nein.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie als Oberbefehlshaber der Luftwaffe sogenannte Seenotflugzeuge eingesetzt zur Rettung von abgeschossenen Fliegern im Kanal?


GÖRING: Es waren mehrere Staffeln Seenotflugzeuge im Kanal eingesetzt, und zwar zur Rettung von Fliegern, die im Kanal abgesprungen waren, um, wie der Befehl eindeutig nachweist, sowohl deutsche als auch feindliche Flieger herauszufischen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie sahen diese Flugzeuge aus?


[432] GÖRING: Die Flugzeuge waren, soweit mir noch erinnerlich, zunächst besonders gekennzeichnet mit dem Roten Kreuz.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren sie bewaffnet?

GÖRING: Zunächst nicht.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie wurden diese Flugzeuge von englischer Seite behandelt?


GÖRING: Es gab einige Fälle, wo sie unbelästigt blieben, aber es gab eine ganze Reihe von Fällen, wo sie bei der Rettungsaktion abgeschossen wurden. Das zwang schließlich dazu, weil diese Fälle überhand nahmen, daß ich sagte, es ist dann zweckmäßiger, auf die Kennzeichnung des Roten Kreuzes zu verzichten, die Flugzeuge zu bewaffnen und dann den Versuch zu machen, so unsere Kameraden trotzdem aus dem Wasser zu holen. Wir haben außerordentliche Verluste in diesen Seenotstaffeln gehabt.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie im Kanal auch Rettungsbojen verankern lassen zur Aufnahme abgeschossener Flieger?


GÖRING: Es wurde eine ganze Reihe von Rettungsbojen verankert, an welchen sich abgeschossene Flieger durch lange Seile, die daran befestigt waren, anklammern konnten beziehungsweise enthielten die Bojen auch Getränke und Lebensmittel und ähnliches, auch Schwimmwesten, Rettungsgürtel und ähnliches. Daneben waren vergrößerte, möchte ich sagen, Rettungsbojen. Es waren dies kleine Floße, auf welche sich die Flieger aufziehen konnten. Dort fand er eben falls Decken, Getränke, Verbandszeug und ähnliches.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie wurden diese Rettungsbojen von englischer Seite behandelt?


GÖRING: Verschiedentlich. Wenige blieben, andere wurden vernichtet.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ist alles.


PROF. DR. EXNER: Herr Zeuge, wissen Sie, daß es besonders im Jahre 1942 zu einem schweren Konflikt zwischen dem Führer und dem Generaloberst Jodl kam?


GÖRING: Ja.


PROF. DR. EXNER: Wissen Sie, daß damals Jodl sogar abgelöst werden sollte?


GÖRING: Der Konflikt entstand aus der Kaukasuskrise. Der Führer machte dem General Jodl Vorwürfe, daß nicht mit konzentrierten Kräften in Richtung Tuapse durchgestoßen wurde, sondern Hochgebirgsbataillone aus den Flankentälern über die hohe Gebirgskette des Elbrus vorgingen, was der Führer für sinnlos hielt. General Jodl verwies ihn damals, soweit mir erinnerlich, daß dieses mit ihm [433] aber besprochen gewesen sei und von ihm genehmigt worden wäre. Der Führer griff sehr scharf den Armeeoberbefehlshaber, der dort führte, an. Jodl deckte ihn auf Grund dieser Nachweise, und es kam zu einer außerordentlich scharfen Spannung. Der Führer äußerte mir gegenüber, daß er Jodl ablösen wollte. Die Spannung war so stark, daß von diesem Augenblick, soweit mir erinnerlich, der Führer sich von dem gemeinsamen Kasino seines Führungsstabes und Oberkommandos zurückzog und auch bei den Mahlzeiten für sich allein blieb, und zweitens, daß er auch eine ganze Zeitlang, für mehrere Monate, den Herren verweigerte, die Hand zu geben. Das als Kleinigkeit nebenbei für die große Spannung, die damals entstand. Als Nachfolger Jodls war bereits Herr Paulus ausersehen worden, zu dem der Führer besonderes Vertrauen hatte. Warum es dann schließlich nicht zu dem Wechsel kam, weiß ich nicht genau. Ich nehme an, daß auch hier wieder, trotz aller Spannungen beim Führer, entschied, daß er sich außerordentlich schwer an neue Gesichter gewöhnte und aus seiner näheren Umgebung keinen Wechsel vornehmen wollte. Lieber arbeitete er weiter mit Männern zusammen, die er nicht mochte, wenn sie aus seiner direkten Umgebung waren, wie sie zu wechseln. Im Laufe der Jahre stieg dann selbstverständlich sein Vertrauen zu dem taktischen Können Jodls wieder erheblich, und zu diesem taktischen Können hatte er volles Vertrauen. Menschlich waren die Beziehungen beider Herren nie besonders gewesen.


PROF. DR. EXNER: Sie wissen, Herr Zeuge, daß besonders im Jahre 1945 erwogen wurde, die Genfer Konvention zu kundigen. Wissen Sie, wie sich Jodl damals dazu stellte?


GÖRING: Es mag im Februar 1945 gewesen sein, als der Minister Goebbels dem Führer diesen Vorschlag machte. Diesem Vorschlag wurde einhellig von uns allen mit lebhaftem Widerspruch begegnet. Trotzdem war der Führer tagelang immer wieder geneigt und kam immer wieder darauf zurück, sie zu kündigen, und zwar war die Begründung eigenartigerweise die, daß im Westen zuviel Überläufer waren und sich die Truppen zu leicht ergeben würden. Der Führer war nun der Meinung, daß, wenn die Truppen wüßten, daß ihnen in der Gefangenschaft die Genfer Konvention nicht zur Verfügung stände, sie härter kämpfen würden und nicht auf sehr umfangreiche Feindpropaganda, wie gut sie es haben sollten, falls sie den Kampf einstellten, eingehen würden. Es gelang den vereinten Bemühungen, an denen Jodl selbstverständlich ebenso teilnahm, den Führer davon abzuhalten, und zwar mit der Begründung, daß dieses im deutschen Volke eine große Erregung bringen würde und Sorge um die sich in der Kriegsgefangenschaft befindenden Angehörigen.


PROF. DR. EXNER: Und noch eine Frage. Vor dem Norwegenfeldzug hat Jodl einmal in seinem Tagebuch eingetragen, es ist schon hier gelegentlich zur Sprache gekommen: »Der Führer sucht [434] noch nach einer Begründung.« Die Übersetzung lautete: »Der Führer sucht nach einer Ausrede.« Das ist aber unrichtig. Im Original steht: »nach einer Begründung«. Nun, inwiefern suchte der Führer damals nach einer Begründung?


GÖRING: An diesen Punkt erinnere ich mich ebenfalls sehr genau, und deshalb kann ich unter Eid sagen, daß eine Gleichstellung des Begriffes »Begründung« gleich »Ausrede« hier überhaupt nicht angebracht ist. Der Fall war folgender: Der Führer wußte genau, und wir mit ihm, und hatten ziemlich umfangreiche Nachrichten und begründet sichere Nachrichten, daß Norwegen von seiten der Alliierten England und Frankreich besetzt werden sollte. Ich führte das neulich schon aus. Zur Abwehr dieses wollte er vorher handeln, und nun sprach er darüber, daß die Begründung des englisch-französischen Angriffs für uns klar wäre, aber die Beweiskraft nach außen nicht, und er suche noch nach Unterlagen. Jodl hätte besser geschrieben, nicht »der Führer sucht noch nach einer Begründung«, sondern er hätte, der Führer meinung entsprechend, schreiben müssen: »Der Führer sucht noch nach Unterlagen, Beweisunterlagen«, die wir an sich hatten, »für die Beweiskraft nach außen«. Das war das eine. Das zweite war, daß im allgemeinen für solche Schritte das Auswärtige Amt die nötigen vorbereitenden Arbeiten durchzuführen und Noten zu entwerfen hatte. In diesem Falle »Norwegen« hatte nun der Führer das Auswärtige Amt erst, ich glaube 24 oder 48 Stunden vorher, eingeschaltet. Er wollte es zu dieser Zeit überhaupt nicht einschalten, weil er diesen ganzen Plan außerordentlich geheim hielt. Ich erinnere daran, daß ich, als der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, verspätet eingeschaltet wurde. Und das war der zweite Grund, daß er nun selbst sich damit befaßte, eine Begründung für den Tag des Angriffs herauszugeben. Das waren die beiden Momente. Ich möchte noch einmal sagen, daß besser hineingeschrieben, klarer ausgedrückt worden wäre, wenn man gesagt hätte, der Führer sucht nach den Unterlagen und nicht nach der Begründung.


PROF. DR. EXNER: Wenn ich recht verstehe, meinen Sie, nach den Unterlagen für die Überzeugung, daß die Engländer die Absicht hatten, unmittelbar Norwegen zu besetzen.


GÖRING: Wir hatten die Meldung, aber das letzte schriftliche Beweisstück haben wir erst später bekommen.


PROF. DR. EXNER: Also der Führer zweifelte nicht daran?


GÖRING: Keinen Augenblick, es zweifelte niemand von uns daran. Wir haben später die Beweisstücke bekommen.


DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG:

Ist es richtig, daß Hitler Sie ermächtigt hatte, alle Verhandlungen zu führen zwecks Bildung einer Regierung Hitler, wie sie dann am [435] 30. Januar 1933 zustande gekommen ist, und zwar, daß Sie allein hierfür beauftragt worden sind?


GÖRING: Das ist richtig. Ich habe es neulich ausgeführt.


DR. KUBUSCHOK: Ist es richtig, daß im Januar 1933 Sie zum ersten Male mit Herrn von Papen über eine Regierungsbildung gesprochen haben?


GÖRING: Ich habe zum ersten Male mit Papen am Sonntag vor der Regierung... oder besser gesagt, am Sonntag vor acht Tagen vor der Regierungsbildung gesprochen, im Hause Ribbentrop.


DR. KUBUSCHOK: Wenn also Papen zwischen dem 4. Januar, am Tage der Zusammenkunft mit Hitler im Hause des Barons Schröder, bis zum 22. Januar Verhandlungen über eine Regierungsbildung geführt hätte, so hätte er sie über Sie führen müssen, und Sie müßten es wissen?


GÖRING: Das ist richtig, da der Führer in dieser Zeit in München weilte und ich in Berlin die einzige Autorität für diese Regierungsbildung war. Zudem trat anfangs Januar noch durchaus nicht erkenntlich hervor, daß in absehbarer Zeit eine Regierung von uns in diesem Sinne hätte gebildet werden müssen. Es schwebten da andere Verhandlungen, die mit Herrn von Papen nichts zu tun hatten.


DR. KUBUSCHOK: War die Bildung einer neuen Regierung damals für Hindenburg Mitte Januar deswegen unvermeidlich geworden, weil Schleicher keinerlei parlamentarischen Rückhalt hatte und damals seine Bemühungen endgültig scheiterten, durch Spaltung der Nationalsozialistischen Partei, Verhandlung mit Gregor Strasser, einen parlamentarischen Rückhalt zu erhalten?


GÖRING: Ich glaube, das auch in großen Zügen schon ausgeführt zu haben, daß Schleicher keine parlamentarische Mehrheit bekam und bei seinem Spaltungsversuch dadurch scheiterte, daß von seiten des Führers Strasser raschestens ausgeschlossen wurde und keine Gefolgschaft hinter sich an Abgeordneten tatsächlich besaß. Nach Scheiterung dieser Möglichkeit, eine Mehrheit zu bekommen, mußte Schleicher regieren ohne das Parlament, und das konnte er nur mit außerordentlichen Vollmachten Hindenburgs. Nachdem er ihm vorher gesagt hatte, daß er imstande sein würde, eine Mehrheit zu bekommen und dieselbe Vollmacht, die das vorhergehende Kabinett Papen für sich forderte, für unmöglich hielt, lehnte dies der Reichspräsident ab und entschloß sich nunmehr das zu tun, was ich neulich ausgeführt habe.


DR. KUBUSCHOK: Ist es zutreffend, daß Herr von Papen das Ministerpräsidium in Preußen am 20. April 1933 an Sie abgetreten hat, weil durch die Wahlen zum Preußischen Landtag vom März 1933 die Nationalsozialisten eine absolute Mehrheit in Preußen [436] erlangt hatten und daher der Landtag beabsichtigte, Sie, Herr Zeuge, als Ministerpräsident zu wählen?


GÖRING: Ganz so trifft es nicht zu, denn der Preußische Landtag hatte keinen Ministerpräsidenten zu dieser Zeit zu wählen. Aber die Tatsache, daß im Preußischen Landtag die NSDAP die absolute Mehrheit hatte, bewog Herrn von Papen im Zusammenhang mit meinen Besprechungen in München, von sich aus an den Führer heranzutreten, daß er einverstanden wäre, das Preußische Ministerpräsidium an mich abzuge ben.


DR. KUBUSCHOK: Eine letzte Frage: Sie sprachen gestern davon, daß Sie, als Oberster Kriegsherr der Luftwaffe, viele Begnadigungen vorgenommen hätten von Personen, die in Belgien und Frankreich wegen ihrer Widerstandshaltung verurteilt worden waren. Ist es richtig, daß Herr von Papen verschiedentlich Wünsche von Angehörigen derartiger Verurteilter an Sie herangetragen hat, und daß er dieses damit begründete, daß er zum Ziele einer späteren Solidarität der Völker es nicht haben wolle, daß durch die. Urteile, wenn sie auch militärisch begründet seien, eine unpersönliche Haltung eintrete, und daß Sie diesen Wünschen des Herrn von Papen Rechnung getragen haben?


GÖRING: Ich erinnere mich lediglich, daß ich einige Male, ein Fall ist mir besonders in Erinnerung, weil es einen bekannten Namen behandelte, von Herrn Papen eine Bitte bekam, ob der Betreffende nicht begnadigt werden könnte. Es handelte sich hierbei um solche Leute, die verurteilt worden waren, weil sie feindlichen Fliegern zur Flucht weitergeholfen hatten. Ich habe in diesem Falle den Wunsch des Herrn von Papen weitgehend respektiert. Die Gründe sind mir nicht mehr so geläufig.


DR. WALTER BALLAS, IN VERTRETUNG VON DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Ich bitte den Gerichtshof, mir einige Fragen an den Zeugen Göring zu gestatten. Es handelt sich um die bekannten Telephongespräche, die am 11. März 1938 zwischen Berlin und Wien geführt worden sind. Ist es richtig, Herr Zeuge, daß Dr. Seyß-Inquart, als er im Juni 1937 zum österreichischen Staatsrat ernannt worden war, Sie in Berlin in Begleitung von Staatssekretär Keppler besucht hat?


GÖRING: Auf das Datum besinne ich mich nicht, auf den Besuch, ja.


DR. BALLAS: Hat Dr. Seyß-Inquart damals die Idee geäußert, die österreichischen Nationalsozialisten sollten von der Reichspartei völlig unabhängig gemacht werden?


[437] GÖRING: Wünsche in dieser Richtung sind von ihm besprochen worden, weil er eine möglichst reibungslose Arbeit für sich im Kabinett haben wollte und die wohl daraus ersah.


DR. BALLAS: Damals hat er weiter geäußert, und ich möchte Sie bitten, zu antworten, ob das richtig ist, dafür sollten die österreichischen Nationalsozialisten in Österreich die Betätigungserlaubnis erhalten, um das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland im Rahmen eines selbständigen Österreichs möglichst eng zu gestalten.


GÖRING: Über die Parteiseite erinnere ich mich nicht mehr so genau, was gesprochen wurde. Die These, Österreich selbständig im Zusammenhang mit Deutschland zu erhalten, ist von Seyß-Inquart wiederholt vertreten worden, und ich habe das neulich ja geschildert. Es schien mir persönlich nicht weitgehend genug. Gerade, weil ich diese Einstellung Seyß-Inquarts kannte, muß ich offen sagen, mißtraute ich etwas in den Tagen des 11. zum 12. März seiner Haltung und habe deshalb an jenem Spätnachmittag, wo die Telephongespräche stattfanden, Keppler nach Wien geschickt, damit in dieser Richtung, bezüglich des Anschlusses, die Dinge richtig laufen. Ich hätte lieber einen anderen geschickt, weil mir auch Herr Keppler zu weich war, aber der Führer wünschte in diesem Falle: Wenn, dann Keppler.


DR. BALLAS: Ist es richtig, daß Dr. Seyß-Inquart unter anderem seinen Standpunkt damit begründet hat, daß er auf den Vorteil verwies, wenn die deutschen Interessen von zwei Staaten vertreten würden?


GÖRING: Das ist absolut richtig, daß er das gesagt hat. Ich antwortete ihm, daß ich total anderer Ansicht sei, es wäre mir lieber, der deutsche Standpunkt würde von einer Seite umso energischer vertreten, als von zwei, wo man nicht sicher wäre, ob der andere sie genau so vertritt.


DR. BALLAS: Haben Sie mit Dr. Seyß-Inquart am 11. März 1938 oder am Tage vorher eine andere telephonische oder sonstige Verbindung gehabt?


GÖRING: Soweit ich mich erinnere, aber ich kann dies nicht mit Sicherheit sagen, habe ich, glaube ich, am Sonntag vorher, diese Telephongespräche waren am 11., das war ein Freitag, habe ich am Montag oder Dienstag vorher ihn selbst oder einen seiner Leute nach dem Eindruck gefragt, den sie in Graz und Steiermark bekommen hätten. Das ist mir vage in Erinnerung, aber ich kann es nicht unter Eid behaupten.


DR. BALLAS: Aus der von der Anklage vorgelegten Urkunde 2949-PS, in der die Telephongespräche zwischen Berlin und Wien in dem kritischen März 1938 enthalten sind, ergibt sich, daß erst im [438] Gespräch zwischen Dr. Dietrich und dem Staatssekretär Keppler, der damals in Ihrem Auftrag in Wien war, und das um 21.54 Uhr abends geführt wurde, an diesem Tage, das Einverständnis von Dr. Seyß-Inquart mit dem Telegramm, das Sie bereits vorher diktiert hatten, von Keppler mitgeteilt worden. War zu dieser Zeit der Einmarschbefehl schon gegeben?


GÖRING: Ich habe das neulich ausgeführt. Der Ein marschbefehl war gegeben und hatte mit dem Telegramm an sich nichts zu tun. Es war auch gleichgültig, ob er einverstanden war oder nicht. Die Verantwortung für den Einmarsch trugen der Führer und ich.


DR. BALLAS: Dann ist es also richtig, daß der Einmarsch auch ohne das Telegramm erfolgt wäre?


GÖRING: Nun selbstverständlich.


DR. BALLAS: Welchen Zweck hatte dann dieses Telegramm, etwa außenpolitischer Art?


GÖRING: Das habe ich in aller Ausführlichkeit hier ausgeführt.


DR. BALLAS: Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß in der Nacht vom 11. auf den 12. März Staatssekretär Keppler im Namen von Dr. Seyß-Inquart in Berlin mit der Bitte angerufen hat, den Einmarsch nicht durchzuführen?


GÖRING: An dieses Telegramm erinnere ich mich mit aller Deutlichkeit, denn ich war außerordentlich wütend, daß ein solch dummes Telegramm, nachdem alles klar war, die Nachtruhe des Führers, der sehr angestrengt war und am nächsten Tag nach Österreich gehen sollte, gestört hätte, und ich deshalb dem Adjutanten außerordentliche Vorwürfe machte und ihn darauf hinwies, daß ein solches Telegramm hätte an mich weitergeleitet werden sollen. Aus diesem Umstand erinnere ich mich genau an dieses Telegramm und auch an seine völlige Zwecklosigkeit.


DR. BALLAS: Mit dem Ergebnis dann, daß der Führer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dieses Telegramm rundweg abgelehnt hat.


GÖRING: Er konnte es ja gar nicht mehr ablehnen, weil der ganze Truppeneinmarsch bereits rollte. Man kann so etwas nicht abstoppen auf eine Stunde. Rollt einmal ein Truppenaufmarsch ab, so braucht man Tage, bis man ihn abstoppen kann. Wir hätten höchstens den Einmarsch bei einer bestimmt erreichten Grenze aufhalten können. Es lag aber ja, wie ich ausführte, gar nicht in unserem Interesse. Von diesem Augenblick an hielt auch nicht Dr. Seyß-Inquart das Schicksal in Händen, sondern der Führer und mit ihm ich.


DR. BALLAS: Ich habe nur noch zwei Fragen mit Bezug auf die Niederlande. Ist es richtig, daß neben dem Befehl des Führers, [439] der am 18. Mai 1940 veröffentlicht wurde und Dr. Seyß-Inquart zum Reichskommissar der Niederlande ernannte, ein nichtveröffentlichter Befehl des Führers erlassen wurde, der Dr. Seyß-Inquart direkt Ihnen unterstellte?


GÖRING: Von diesem geheimen Befehl weiß ich nichts. Ich weiß auch nicht...


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die Frage langsamer stellen? Sie sehen doch, daß das Licht aufleuchtet.


DR. BALLAS: Ich habe verstanden.

Hatte der Vierjahresplan in den Niederlanden eine eigene und selbständige Dienststelle?


GÖRING: Ich habe die erste Frage noch nicht beantwortet. Ich habe es so verstanden, daß Sie diese Frage nochmals stellen sollten, weil sie nicht durchgekommen war.


DR. BALLAS: Ich habe das Gericht so verstanden...


GÖRING: Ich gebe Ihnen jetzt die Antwort. Von diesem geheimen Befehl weiß ich nichts. Es wäre auch unsinnig gewesen, denn ein Reichskommissar in den besetzten Gebieten konnte mir nicht gesondert unterstellt werden. Wenn es sich aber um die Unterstellung auf wirtschaftlichem Gebiet handelt, dann wäre es selbstverständlich, daß der Reichskommissar, wie alle anderen obersten Reichsstellungen, meinen Befehlen und Weisungen auf diesem Gebiet selbstverständlich unterstand.

Zu Ihrer zweiten Frage kann ich sagen, im einzelnen weiß ich heute nicht, ob in besetzten Gebieten, also auch in den Niederlanden, da und dort ein unmittelbarer Vertreter des Vierjahresplans war, oder ob ich mich des Militärbefehlshabers oder der wirtschaftlichen Dienststelle des betreffenden Reichskommissars bediente. Soweit mir jetzt, ohne Unterlagen, erinnerlich ist, war aber in den Niederlanden die Situation so, daß der dortige Wirtschaftsberater oder Beauftragte des Reichskommissars, Fischböck, gleichzeitig, was ja logisch war, die wirtschaftlichen Anordnungen des Vierjahresplans durchführte. Der Reichskommissar wäre ja niemals in der Lage gewesen, von mir ausgegebene Befehle nicht auszuführen. Er konnte ja nur bei mir vorstellig werden, äußerstenfalls dann noch beim Führer. Aber an sich hatte dies keine aufschiebende Wirkung.


DR. BALLAS: Ich habe keine Frage mehr.


VORSITZENDER: Das Gericht vertagt sich nun.


[Das Gericht vertagt sich bis

18. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 408-441.
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