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[286] Artikel 9 des Statuts bestimmt:
»In dem Prozeß gegen ein Mitglied einer Gruppe oder Organisation, kann der Gerichtshof (im Zusammenhang mit irgendeiner Handlung, derentwegen der Angeklagte verurteilt wird) erklären, daß die Gruppe oder Organisation, deren Mitglied der Angeklagte war, eine verbrecherische Organisation war.«
»Nach Empfang der Anklageschrift gibt der Gerichtshof in der ihm geeignet erscheinenden Form bekannt, daß die Anklagevertretung beabsichtigt, den Gerichtshof zu ersuchen, eine solche Erklärung abzugeben. In diesem Falle ist jedes Mitglied der Organisation berechtigt, an den Gerichtshof den Antrag zu stellen, über die Frage des verbrecherischen Charakters der Organisation gehört zu werden. Der Gerichtshof hat das Recht, dem Antrag stattzugeben, oder ihn abzuweisen. Wird dem Antrag stattgegeben, so kann der Gerichtshof bestimmen, in welcher Weise die Antragsteller vertreten und gehört werden sollen.«
Aus Artikel 10 des Statuts geht deutlich hervor, daß die Erklärung, eine angeklagte Organisation sei verbrecherisch, endgültig ist; sie kann im Verlauf eines darauffolgenden Strafprozesses gegen ein Mitglied der betreffenden Organisation nicht angefochten werden. Artikel 10 lautet:
»Ist eine Gruppe oder Organisation vom Gerichtshof als verbrecherisch erklärt worden, so hat die zuständige nationale Behörde jedes Signatars das Recht, Personen wegen ihrer Zugehörigkeit vor nationalen, Militär- oder Besatzungsgerichten den Prozeß zu machen. In diesem Falle gilt der verbrecherische Charakter der Gruppe oder Organisation als bewiesen und kann nicht bestritten werden.«
Die Auswirkung einer Erklärung des Gerichtshofs, daß eine Organisation verbrecherisch ist, wird durch das Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats für Deutschland vom 20. Dezember 1945 erläutert. Dieses Gesetz bestimmt:
[286] »Jede der folgenden Handlungen stellt ein Verbrechen dar:
...
»(d) Mitgliedschaft in Kategorien einer verbrecherischen Gruppe oder Organisation, die vom Internationalen Militär Gerichtshof für verbrecherisch erklärt wurde.«
»3. Gegen jede, irgendeines der oben beschriebenen Verbrechen schuldig befundene Person kann nach Schuldigerklärung mit einer vom Gericht als gerecht befundenen Strafe erkannt werden. Diese Bestrafung kann aus einer oder mehreren der folgenden Strafen bestehen:
a) Todesstrafe.
b) Lebenslängliche oder zeitliche Gefängnisstrafe mit oder ohne harter Arbeit.
c) Geldstrafe oder an ihrer Stelle Gefängnisstrafe mit oder ohne harter Arbeit.
d) Einziehung des Vermögens.
e) Rückgabe von zu unrecht erworbenen Vermögensgegenständen.
f) Aberkennung einiger oder aller bürgerlichen Rechte.«
Daraus geht hervor, daß ein Mitglied einer Organisation, die der Gerichtshof für verbrecherisch erklärt hat, später wegen des Verbrechens der Mitgliedschaft verurteilt und dafür mit dem Tode bestraft werden kann. Dies soll nicht heißen, daß Internationale Gerichtshöfe oder Militär Gerichtshöfe, vor denen die Prozesse gegen diese Personen verhandelt werden, nicht angemessene Rechtsmaßstäbe anwenden werden. Es handelt sich hier um ein weitreichendes neues Verfahren. Ohne die geeigneten Sicherheitsbestimmungen könnte seine Anwendung zu groben Ungerechtigkeiten führen. Es ist bemerkenswert, daß Artikel 9 die Worte »kann der Gerichtshof erklären,...« gebraucht. Es wird daher in das Ermessen des Gerichtshofs gestellt, ob er eine Organisation für verbrecherisch erklären will. Dieses Ermessen ist richterlicher Natur und gestattet kein willkürliches Vorgehen; es muß im Einklang mit anerkannten Rechtsgrundsätzen ausgeübt werden. Einer der wichtigsten dieser Rechtsgrundsätze besteht darin, daß strafrechtliche Schuld eine persönliche ist, und daß Massenbestrafungen vermieden werden sollen. Wenn sich der Gerichtshof von der strafrechtlichen Schuld einer Organisation oder Gruppe überzeugt hat, so darf er nicht zögern, sie für verbrecherisch zu erklären, etwa weil die Theorie der »Gruppenkriminalität« neu ist, oder weil sie von späteren Gerichten ungerecht angewendet werden könnte. Andererseits sollte der Gerichtshof eine Erklärung, daß eine Organisation verbrecherisch ist, soweit wie möglich in einer Weise treffen, die Gewähr dafür bietet, daß unschuldige Personen nicht bestraft werden.
[287] Eine verbrecherische Organisation entspricht einer verbrecherischen Verschwörung insofern, als das Wesen beider die Zusammenarbeit zu verbrecherischen Zwecken ist. Es muß sich um eine Gruppe handeln, die zusammengeschlossen und für einen gemeinsamen Zweck organisiert ist. Die Gruppe muß ferner gebildet oder benützt sein in Verbindung mit Verbrechen, die im Statut beschrieben sind. Da, wie bereits betont wurde, die Erklärung bezüglich der Organisationen und Gruppen die Strafbarkeit ihrer Mitglieder festsetzen wird, soll diese Erklärung diejenigen ausschließen, die keine Kenntnis der verbrecherischen Zwecke oder Handlungen der Organisationen hatten, sowie diejenigen, die durch den Staat zur Mitgliedschaft herangezogen worden sind, es sei denn, daß sie sich als Mitglieder einer Organisation persönlich an Taten beteiligt haben, die durch den Artikel 6 des Statuts für verbrecherisch erklärt worden sind. Die bloße Mitgliedschaft reicht nicht aus, um von solchen Erklärungen betroffen zu werden.
Da die vom Gerichtshof abgegebenen Erklärungen, daß eine Organisation verbrecherisch ist, von anderen Gerichten in Prozessen gegen Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in solchen Organisationen verwendet werden sollen, hält es der Gerichtshof für angebracht, die folgenden Empfehlungen auszusprechen: 1. Die Klassifizierungen, Sanktionen und Strafen sollen in den vier Besatzungszonen Deutschlands, soweit wie möglich, einheitlich gestaltet werden. Eine einheitliche Behandlung sollte, soweit durchführbar, das Grundprinzip sein. Dies heißt selbstverständlich nicht, daß dem Gericht keine Ermessensbefugnis bei der Verurteilung belassen werden soll; aber dieses Ermessen sollte sich im Rahmen festgelegter, dem Wesen des Verbrechens angepaßter Grenzen bewegen.
2. Das Gesetz Nr. 10, auf das bereits Bezug genommen wurde, überläßt die Bestrafung vollkommen dem Ermessen des Gerichts, sogar mit Einschluß der Befugnis, die Todesstrafe zu verhängen.
Das Entnazifizierungsgesetz vom 5. März 1946, das für Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden angenommen wurde, sieht jedoch bestimmte Strafen für jeden Typ von Verbrechen vor. Der Gerichtshof empfiehlt, daß die auf Grund des Gesetzes Nr. 10 über ein Mitglied einer vom Gerichtshof für verbrecherisch erklärten Organisation oder Gruppe verhängte Strafe in keinem Fall höher sein soll als die, die vom Entnazifizierungsgesetz festgelegt wird. Niemand darf nach beiden Gesetzen bestraft werden.
3. Der Gerichtshof empfiehlt dem Kontrollrat, das Gesetz Nr. 10 dahingehend abzuändern, daß die Strafen, die wegen Mitgliedschaft zu einer für verbrecherisch erklärten Gruppe oder Organisation verhängt werden dürfen, in keinem Fall die Strafen übersteigen, die vom Entnazifizierungsgesetz vorgesehen sind. Die Anklageschrift verlangt, daß der Gerichtshof die folgenden Organisationen als verbrecherisch erklären möge:
[288] Das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, die Gestapo, den SD, die SA, die SS, die Reichsregierung sowie den Generalstab und Oberkommando der Deutschen Wehrmacht.
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