[358] Raeder ist der Kriegsverbrechen auf hoher See beschuldigt. Die »Athenia«, ein unbewaffnetes englisches Passagierschiff, wurde am 3. September 1939 auf seinem Wege nach Amerika versenkt. Zwei Monate später erhoben die Deutschen die Beschuldigung, daß Mr. Churchill die »Athenia« absichtlich versenkt habe, um die feindselige Haltung Amerikas gegenüber Deutschland zu stärken. Tatsächlich aber wurde sie durch das deutsche U-Boot 30 versenkt.
Raeder behauptet, daß ein unerfahrener U-Boot-Kommandant sie in Verwechslung mit einem bewaffneten Handelskreuzer versenkt habe, daß dies erst einige Wochen nach dem Dementi, als U 30 zurückkehrte, bekannt geworden sei, und daß Hitler dann der Marine und dem Auswärtigen Amte Weisung gegeben habe, bei der Ableugnung zu verharren. Raeder leugnete jegliche Kenntnis eines Propagandafeldzuges gegen Mr. Churchill.
Die schwerste Beschuldigung gegen Raeder ist die Führung des uneingeschränkten Unterseebootkrieges, einschließlich der Versenkung von unbewaffneten Handelsschiffen und von Neutralen, sowie der Nichtbergung und Beschießung von Schiffbrüchigen mit Maschinengewehren unter Verletzung des Londoner Protokolls von 1936.
Der Gerichtshof kommt in Bezug auf Raeder hinsichtlich dieser Beschuldigung für die Zeitspanne bis zum 30. Januar 1943, dem Zeitpunkt, an dem er in den Ruhestand trat, zu der gleichen Entscheidung wie im Falle Dönitz, die bereits verkündet wurde.
Der Kommandobefehl vom 18. Oktober 1942, der sich ausdrücklich nicht auf den Seekrieg bezog, wurde den untergeordneten Marinebefehlshabern durch die Seekriegsleitung mit der Weisung übermittelt, daß er durch die Flottillenführer und Abteilungsbefehlshaber mündlich an ihre Untergebenen weiter zu geben sei. Am 10. Dezember 1942 wurden in Bordeaux 2 Kommandosoldaten durch die Marine, und nicht durch den SD, hingerichtet. Die Erklärung der Seekriegsleitung dafür war, daß dies »im Einklang mit dem Sonderbefehl des Führers geschehen sei, aber daß es trotzdem etwas Neues im Völkerrecht darstelle, da die Soldaten Uniformen trugen«. Raeder gibt zu, daß er den Befehl auf dem Dienstwege weiterleitete und daß er keinen Einspruch bei Hitler erhob.