13. Akylas, Aquila, Onkelos.

[404] Über Akylas' sklavisch treue Übersetzung, wodurch er der griechischen Sprache Gewalt angetan hat, ist vielfach Klage geführt worden. Hieronymus gibt am deutlichsten die Art der akyläischen Übertragung an, daß er jede eigentümliche hebräische Partikel, jede Silbe, jeden Buchstaben im Griechischen wiederzugeben sich bemühte: Aquila proselytus et contentiosus interpres, qui non solum verba, sed et etymologias verborum transferre conatus est, jure projicitur a nobis ... Quod Hebraei non solum habent ἄρϑρα sed et πρόαρϑρα ille κακοζἠλως et syllabas interpretetur et literas, dicatque οὺν τὸν οὐρανὸν καὶ οὺν τὴν γῆν quod graeca et latina lingua non recipit (de optimo genere interpretandi). Indessen ist der Widersinn einer solchen Übersetzungsweise zu groß, als daß gar nichts dahinter stecken sollte. Mir scheint der Schlüssel zu diesem Rätsel in dem Umstande zu liegen, daß Akylas Schüler R. Akibas war. Dieses bezeugt Hieronymus in der oben (S. 401) zitierten Stelle (Akibas quem magistrum Aquilae proselytae autumant) und Talmud (j. Kidduschin I, p. 59 a): 'רד םושמ יסא 'ר רמא אביקע 'ר ינפל רגה סליקע םגרת ןנחוי. Wie R. Akiba namentlich die Objektivpartikel תא als angedeutete Erweiterung – תוברל – interpretierte – ןיתא לכ שרד הרותבש, (S. 396), so gab Akylas jedes תא durch σύν wieder, nicht um das hebräische Wort widerspiegeln zu lassen, sondern um den halachischen Sinn anzudeuten. Wie R. Akiba ferner in jedem Buchstaben einen Fingerzeig erblickte, so übersetzte Akylas jede Silbe und jeden Buchstaben, jedes ἄρϑρον und πρόαρϑρον. Eine solche nicht sowohl dem Sinn entsprechende, als vielmehr die Pleonasmen des hebräischen Textes wiedergebende Übersetzung war ein Zeitbedürfnis, und aus diesem Grunde war die Septuaginta verketzert, weil sie die Pleonasmen, die περιττὰ, zu Gunsten der griechischen Syntax verwischt hat, wie Epiphanius (de mensuris II.) erzählt. Origines sah sich daher genötigt, um die der Kirche dienende LXX bei Juden in Aufnahme zu bringen, alle weggelassenen Pleonasmen durch Asterisken zu bezeichnen: Ὀριγένƞς δὲ ... ἀποκστέοτƞσε τῷ ἑκάστῳ τόπῳ τὸν ἐλλείποντα λόγον παρέϑετο γὰρ αὐτῷ τὸν ἀοτερίσκον. Ούχ ὡς χρείας οὔσƞες ... περιττὸς γὰρ ἔστιν, ἀλλ᾽ ἵνα μὴ παραλείψς Ἰουδαίοις – ἐπιλαμβάνεσϑαι τῶν ἐν ταῖς ἁγίαις ἐκκλƞσίαις ϑείων γράφων (ib d.). Darum war eben Akylas' Übersetzung im jüdischen Kreise so sehr beliebt, weil sie dem Pathos jener Zeit, die Halacha in dem Schriftwort wiederzufinden, auf eine so vollständige Weise genügte. Origenes erzählt von dieser Beliebtheit bei den Juden: οὕτω γὰρ Ἀκύλας δουλεύων τῇ ἑβραικῇ λέξει ἐκδέδωκεν εἰπών. φιλοτιμότερον πεπιστευμένος παρὰ Ἰουδαίοις ἑρμƞνευκέναι τὴν γραφὴν (Origenes ad Africanum 2). Akylas war demnach keineswegs Sklave des Buchstabens, sondern Herold des akibaïschen Interpretationssystems. Daher werden aus seiner Übersetzung, wie aus keiner sonst, an vierzehn Stellen in der talmudischen und agadischen Literatur ganz geläufig zitiert, weil sie sich in die jüdische Sphäre hineingelebt hat. Diese Stellen sind in de Rossis Meor Enajim VI. c. 45. zusammengetragen. Die Septuaginta dagegen hat nicht dieselbe Autorität genossen, weil außer dreizehn Varianten gar nichts aus ihr in derselben Literatur zitiert wird. – Die Identität des Proselyten und griechischen Übersetzers Akylas oder Aquila mit dem Proselyten סולקנוא, dem die chaldäische Übersetzung zum Pentateuch zugeschrieben wird, braucht kaum bewiesen zu werden. Onkelos ist die orientalische Aussprache für Akylas. Zur Zeit des Talmuds hat das sogenannte Targum[404] Onkelos noch nicht existiert; sonst würde es mindestens dasselbe Ansehen wie wie Akylas' griechische Übersetzung erlangt haben, während im Gegenteil manche Übersetzungen, welche sich in unserem Targum Onkelos finden, vom Talmud und Midrasch geradezu verworfen werden, und nicht einmal als Zitate eines bestehenden Targum, sondern als Einfälle Unberufener: ... ןנימגרתמד ןיליאו angeführt werden. (Vergl. Zunz, Gottesdienstliche Vorträge S. 75.) Alle Gegenbeweise, welche de Rossi (Meor Enajim c. 45) für die Verschiedenheit heranbringt, lösen sich in nichts auf, wenn für Gamaliel (ןקזה ג"ר) R. Gamaliel II. emendiert wird. Man nannte nach Akylas die einfache wortgemäße, die Halacha berücksichtigende chaldäische Übersetzung סולקנוא םוגרת, ohne daß es einen Übersetzer dieses Namens gegeben hat. Frankel hat sich Mühe gegeben nachzuweisen (in der klassischen Schrift über den Einfluß der palästinensischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik), daß Akylas und Targum Onkelos an manchen Stellen nicht nur differieren, sondern einander entgegengesetzt übersetzten (S. 15. i. 92. d. 101. r). Allein abgesehen davon, daß wir keine Gewißheit haben, ob die von Montfaucon gesammelten akyläischen Partieen wirklich als die seinigen zu betrachten seien, indem durch Origenes' Zusammenstellungen manches, was dem einen Übersetzer angehörte, dem anderen beigelegt wurde, kommt es gar nicht darauf an, daß beide Übersetzungen harmonieren müssen. Onkelos bedeutet weiter nichts, als eine einfache Hermeneutik. Das Targum Onkelos gehört der nachtalmudischen Zeit an. – Der Übersetzer Akylas scheint, je mehr man sich die einzelnen Umstände vergegenwärtigt, ganz unzweifelhaft identisch zu sein mit jenem Akylas, der mit Paulus in Verbindung gebracht wird (Apostelgeschichte 18. 2., Römerbrief 16. 3., 2. Timotheus 4. 19.). An der ersten Stelle wird Akylas als von Pontus gebürtig angegeben, Ποντικὸς τῷ γένει, der Übersetzer war ebenfalls aus Sinope in Pontus, wie Epiphanius (de ponderibus XIV) und Sifra (Sect. Behar. 1, 9, (סוטנופמ וידבעל סליקע איציהש המ אלו bezeugen. Diese Identität des jüdischen Proselyten und des Apostelgefährten Akylas stellt auch Epiphanius (und nach ihm Capellus) auf, (ibid. XV.), nur muß er ihm, auf der Erzählung von dem Umgang desselben mit Paulus fußend, eine lange Lebensdauer geben, von der Zeit vor der Tempelzerstörung bis Hadrian. Die gesunde Kritik sieht sich aber genötigt, da Akylas' Zeitgenossenschaft mit R. Akiba unerschütterlich feststeht, die neutestamentliche Erzählung von demselben für pseudepigraphisch und anachronistisch zu halten, daß nämlich jener Umgang desselben mit Paulus erdichtet sei. Die Sage in der Apostelgeschichte und den zitirten Episteln stammt noch aus der Zeit, als Akylas noch dem Christentum angehörte, d.h. der trajanischen Zeit. Daraus würden sich aber einige biographische Momente für Akylas ergeben, daß seine Frau Priscilla geheißen, daß er Teppichweber gewesen, und daß die Christen auf seine Bekehrung einen so hohen Wert gelegt haben, daß sie ihn als Apostelgenossen aufführten. Weiteres über ihn in der folgenden Note.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 404-405.
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