17. Die Lage von Geschur.

[420] Bei dem Worte Geschur findet man in den hebräischen Lexika und in den biblischen Realwörterbüchern angegeben, daß es dreierlei Lokalitäten oder Distrikte dieses Namens gegeben habe. Das eine Geschur habe in der Gegend von Basan gelegen, das andere in Aram und allenfalls noch ein drittes in Palästina in der Nachbarschaft des Philisterlandes. Der Name רושג wird dann vom Stamme רשג abgeleitet, welches »Brücke« bedeutet, weil [420] das Land an der Jordanbrücke im Oberlauf des Flusses gelegen haben soll. Demzufolge wird angenommen, daß Maacha, die Tochter Talmaïs, Königs von Geschur, die David geheiratet hat, aus dem aramäischen Geschur stammte, und selbstverständlich, daß Absalom, der Sohn dieser Maacha, sich nach der Ermordung Amnons aus Furcht vor dem Zorn seines Vaters zu seinem Großvater in dieselbe Gegend geflüchtet habe. Aber gegen diese Annahme sprechen die Tatsachen laut und entschieden.

Bei welchem Zusammentreffen sollte David Bekanntschaft mit dem König des im äußersten Norden oder Nordosten von Palästina gelegenen Geschur gemacht haben, daß dieser ihm seine Tochter zur Frau gegeben hätte? David hat Maacha geheiratet, als er nur König von Juda war und noch in Hebron weilte. In dieser Zeit hat er sich nur im Süden Palästinas bewegt und war noch nicht so angesehen, daß ihm ein König aus weiter Ferne seine Tochter zur Frau zugeschickt haben sollte. Ferner ist es nicht denkbar, daß Absalom so weit nach Norden geflohen sein sollte, um Schutz bei seinem Großvater mütterlicherseits zu suchen. Aber auch dieses zugegeben, wie konnte Joab ihn persönlich aufsuchen und mit ihm verhandeln, an den Hof seines Vaters zurückzukehren? Es heißt nämlich (II. Sam. 14, 23): »Joab machte sich auf, ging nach Geschur und brachte Absalom nach Jerusalem.« Von Jerusalem bis nach der Gegend des östlichen Hermongebirges oder Arams ist eine weite Reise von mehreren Tagen. Die Hauptschwierigkeit liegt aber in folgendem: Aus der Relation von Absaloms Untat geht mit Entschiedenheit hervor, daß David im Sinn hatte, gegen seinen Sohn, als er noch in Geschur weilte, kriegerisch vorzugehen. Die Verse ךלמה דוד לכתו בל יכ ... באוי עדיו תמ יכ ןונמא לע םחנ יכ םולשבא לא תאצל םולשבא לע ךלמה (II. Sam. 13, 39; 14, 1) sagen es geradezu aus, daß David einen Kriegszug gegen Absalom plante. Zu לכתו muß man ergänzen שפנ und vokalisieren לכתו [watikhel], »es sehnte sich David, gegen Absalom zu ziehen«, was eben שפנ הלכ bedeutet. So hat es auch das Targum verstanden, דודד אשפנ תדימחו םולשבא לע קפימל. Das Targum hat noch dazu korrekter die Präposition םולשבא לע »gegen Absalom« statt לא. Diejenigen, welche zu לכתו ergänzen תמח »Davids Zorn habe aufgehört«, verstehen nur oberflächlich Hebräisch und haben Vers 14, 1 nicht ins Auge gefaßt, der doch ausdrücklich hinzufügt, Joab habe erfahren, daß der Sinn des Königs gegen Absalom eingenommen sei. Hatte nun David die Absicht, gegen Absalom zu Felde zu ziehen (תאצל), und zwar nach Geschur, so muß dieses Land in seiner Nähe gelegen haben. Denn einen Zug nach Aram hätte David nicht so leicht planen können; dazu gehörte eine größere Vorbereitung und eine längere Zeit. Alles spricht also dafür, daß das Geschur, wohin sich Absalom flüchtete, also das Land seines Großvaters Talmaï, in der Nähe gelegen haben muß.

Verleitet wurden die Forscher, das Geschur des Königs Talmaï nach Syrien oder Aram zu verlegen, weil (das. 15, 8) Absalom aussagt: »Ich habe ein Gelübde getan, als ich in Geschur in Aram saß.« יתבשב םראב רושגב. Sie hätten aber bedenken sollen, wie oft in der Bibel für das Ketib םרא das Keri םודא und umgekehrt substituiert wird. Die syrische Version hat in der Tat hier die Lesart םודאבו רושגב תוה ביתידכ (vgl. o. S. 375, Anm.).

Hier in diesem südlichen Geschur, das zwischen dem Philisterland und Idumäa gelegen war, machte David Streifzüge von Ziklag aus bis zur Wüste Schur (I. Sam. 27, 8), יקלמעהו ... ירושגה לא וטשפיו ... דוד לעיו. Hier [421] im Süden konnte David Bekanntschaft mit dem König Talmaï und mit dessen Tochter Maacha gemacht und diese dann als Frau heimgeführt haben. Maacha war vielleicht eine Kriegsgefangene. Absalom hatte es also nicht weit, um nach diesem südlichen Geschur zu fliehen, und Joab nicht weit, um ihn von da wieder abzuholen. Diese Annahme liegt so sehr auf der Hand, daß es wunderlich ist, daß die Forscher nicht darauf gekommen sind. Von diesem südlichen Geschur handelt Josua (13, 2): Dieses ist das Land, welches noch (zu erobern) übrig geblieben ist, alle Kreise der Philister und ganz Geschur, תולילג לכ ירושגה לכו םיתשלפה. Daraus kann auch die ungefähre Lage des Ländchens ermittelt werden.

Neben diesem Geschur hat es nur noch eins im Norden Peräas gegeben, dessen Völkerschaft ירושג mit יתכעמ zusammen genannt wird (vgl. o. S. 377). Die Grenze desselben läßt sich nicht bestimmen, nur soviel ist gewiß, daß es an der Grenze des jenseitigen Manasse war (Josua 13, 11-13). Das südliche Geschur kann unmöglich seinen Namen von רשג »Brücke« entlehnt haben, weil es da keinen Fluß gibt, der überbrückt zu werden brauchte; so ist auf die Etymologie für diesen Eigennamen des nördlichen Landes auch nicht viel zu geben. Können nicht südliche Geschuriten sich nordwärts angesiedelt haben, oder um gekehrt? Keniter, die in Negeb wohnten, haben sich auch bei Kedesch im Norden angesiedelt.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 420-422.
Lizenz:
Faksimiles:
420 | 421 | 422
Kategorien: