Königin Ḥatšepsut

[110] Thutmosis I. ist etwa um 1520 gestorben211; sein gleichnamiger Sohn, der ihm nach dem Tode mehrerer älterer [110] Brüder folgte, scheint noch ein Knabe gewesen zu sein. Der Thronwechsel gab, wie gewöhnlich, das Signal zu einem Aufstand in Nubien, unter Führung eines Häuptlings aus dem Norden von Kusch und zweier Trogodytenhäuptlinge212. Der König schwur, die gesamte männliche Bevölkerung, die am Aufstand beteiligt war, auszumorden, und sein Heer hat das Gelübde ausgeführt; nur ein Sohn des Kuschitenhäuptlings wurde mit seinen Leuten nach Theben geschleppt und hier beim Siegesfeste »unter die Füße des guten Gottes gelegt«. Offenbar sind sie dann vom König vor Amon niedergehauen worden, wie Agag von Jahwe, eine Szene, die als Abschluß der Kriegszüge regelmäßig in den Tempelreliefs [111] dargestellt und gewiß nicht immer lediglich symbolisch zu verstehn ist. – Sonst erfahren wir nur noch von einem Feldzug gegen die Beduinen (Šos) in den Grenzgebieten Palaestinas.

Thutmosis II. war vermählt mit seiner Stiefschwester Ḥatšepsut, der Tochter der A'ḥmose, der Hauptgemahlin seines Vaters. Er scheint nach Ausweis seiner Mumie kränklich gewesen und jung gestorben zu sein. Söhne hatte er nicht; so adoptierte er seinen jungen Stiefbruder, der gleichfalls den Namen Thutmosis führt, und erhob ihn zum Mitregenten, indem er, nach dem dafür herkömmlichen Zeremoniell, den jungen Prinzen, der eben erst ein untergeordnetes Priestertum bekleidete, auf Geheiß des in der heiligen Barke von den Priestern getragenen Fetisches Amons vor den Augen der Gläubigen aus der Tempelhalle herausholen und krönen ließ213. Nach seinem Tode (um 1505) wurde er offiziell sein Nachfolger; tatsächlich aber hat Ḥatšepsut, die schon unter Thutmosis II. das Regiment geführt haben mag, die Herrschaft ergriffen. Sie erhob den [112] jungen Thutmosis III. zu ihrem Gemahl und hat ihn bei festlichen Anlässen als König paradieren lassen, vor allem auf religiösem Gebiet; daher findet sich sein Name in den zu Anfang der gemeinsamen Regierung erbauten Tempeln in Nubien (Semne, Kumme, Wadi Halfa) teils allein, teils neben dem der Königin214. Aber tatsächlich war sie die Herrscherin; und alsbald hat sie schrittweise die volle Pharaonentitulatur angenommen, und ihren nominellen Gemahl noch weiter in den Hintergrund gedrängt. »Als Thutmosis II. zum Himmel eingegangen war, trat sein Sohn an seine Stelle als König der beiden Lande und Herrscher auf dem Thron seines Erzeugers; seine Schwester, das Gottesweib Ḥatšepsut, sorgte für das Land und regierte es, Ägypten diente ihr, dem göttlichen Samen, vortrefflich war ihre Regierung, die beide Lande zufrieden stellte, wenn sie sprach«215. In ihren Inschriften redet sie ganz als männlicher Alleinherrscher, wie sie sich auch mit dem zum Königsornat gehörenden Kinnbart darstellen läßt216; im Tempel von Dêr el Baḥri hat sie sogar die offizielle Version der politischen Dogmatik vom göttlichen Ursprung des Königs auf sich übertragen: Amon selbst hat in Gestalt des Thutmosis I. die Königin A'ḥmose aufgesucht und Ḥatšepsut gezeugt, alle Götter haben bei ihrer Geburt geholfen und ihr die Weltherrschaft verheißen, Thutmosis I. hat sie feierlich zum Nachfolger erklärt, ihr huldigen [113] und ihre Königsnamen festsetzen lassen, ja sie behauptet, wie es die Theorie verlangt, am Neujahrstage (1. Thoth) gekrönt zu sein – während in Wirklichkeit ihr Krönungsfest wie das Thutmosis' III. auf den 4. Pachons fiel217 –; die Regierung Thutmosis' II. wird in dieser Darstellung, die von Anfang bis zu Ende Fiktion ist, vollständig übergangen.

Der weibliche Pharao hat sich als wirkliche Herrschernatur erwiesen. Ihr auf einem Sphinx (in Berlin) erhaltener Kopf zeigt die energischen Züge der Herrscherin. Aber auch darin erinnert sie an Elisabeth oder Katharina II., daß sie trotz aller Betonung ihrer Selbständigkeit ihren Günstlingen einen großen Einfluß gewährte und daß sie, von maßloser Eitelkeit beseelt, Schmeicheleien sehr zugänglich war: der Wust verherrlichender Phraseologie, mit dem sie selbst sich in ihren Inschriften überschüttet, übertrifft alles, was die darin wahrlich nicht kargenden Texte der übrigen ägyptischen Könige bieten. Ein politisches Moment fehlt dabei allerdings nicht: da sie, wenn auch, im Gegensatz zu ihren Brüdern, von der Hauptfrau ihres Vaters geboren, doch nach ägyptischer Anschauung als Frau nicht zur Herrschaft berechtigt war – eben darum hat sie ihren jüngsten Bruder geheiratet und neben sich geduldet218 –, versuchte sie, ihre Usurpation dadurch zu verhüllen, daß sie ihre unmittelbaren Beziehungen zu Amon und ihre Erwählung durch den Gott (und durch ihren Vater) und damit zugleich den Segen ihrer Regierung möglichst stark betonte. Als der Mann ihres Vertrauens erscheint der Kanzler Senmut, dem die Verwaltung sowohl des königlichen Hofhalts wie des Vermögens des Amon unterstellt war. Er ist offenbar der leitende Minister [114] gewesen. Die Ausführung aller Bauten der Königin stand unter seiner Leitung; er nennt sich »der Große der Großen des ganzen Landes; die Angelegenheiten beider Lande wurden ihm gemeldet, die Abgaben des Südens und Nordens waren unter seinem Siegel, die Tribute aller Fremdlande unter seinem Amt«; so hat er auch die Gesandten aus Kreta empfangen (o. S. 106). Auch die Erziehung der Prinzessin Nofrurê', die offiziell als Tochter der Königin von Thutmosis III. galt und von der Mutter zur Thronerbin bestimmt war, wurde ihm als »Vater und große Amme« derselben anvertraut219.

Die Regierung Hatšepsuts bildet den Abschluß der Neuorganisation Ägyptens. Überall im Lande hat sie verfallene oder zerstörte Tempel wiederhergestellt und neu aufgeführt und mit Weihgeschenken und Einkünften ausgestattet. Der Löwenanteil fiel natürlich auf Theben, dessen glänzende Entwicklung jetzt beginnt. Den von ihrem Vater begonnenen Amontempel von Karnak hat sie weiter ausgebaut und hier bei dem im 15. Jahre ihrer Regierung gefeierten Setfest dem Amon zwei gewaltige Obelisken errichtet, auf Geheiß des Gottes, der ihr den Gedanken eingab, es ihrem Vater gleichzutun, der zwei solche 23 Meter hohe Obelisken vor dem von ihm erbauten Eingangstor des Tempels aufgestellt hatte. Sie hat ihn noch beträchtlich überboten; in sieben Monaten hat Senmut die riesigen 29 1/2 Meter hohen Monolithe im Steinbruch von Syene gebrochen, in einem dafür gebauten Boot nach Theben geschafft, und hinter diesem Tor in der Säulenhalle ihres Vaters auf den dafür bestimmten Sockeln aufgerichtet; die Spitzen wurden mit einer dicken Goldschicht überzogen, so daß sie im Sonnenglanz weithin durch das Niltal erstrahlten. Die Leistung ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, wel che Schwierigkeiten nicht nur den Römern, sondern auch der Gegenwart noch der Transport und die Aufrichtung dieser Kolosse bereitet hat und wie stolz die Architekten und Beamten [115] Theodosius' d. Gr. gewesen sind, daß sie einen gleichartigen Obelisken Thutmosis' III. mit Hilfe der an der Basis dargestellten mechanischen Vorrichtungen auf dem Hippodrom von Konstantinopel haben aufstellen können, nachdem sie den unteren Teil abgesägt hatten, weil das Ganze ihnen zu groß und zu schwer war.

Das glänzendste Denkmal der Königin ist der Tempelbau von Dêr el Baḥri in der Totenstadt auf der Westseite Thebens. Wie die Könige der elften und manche der dreizehnten Dynastie hatten auch ihre Vorgänger aus der siebzehnten und achtzehnten sich ihre Gräber, schlichte Ziegelpyramiden, am Rande des Gebirges220 angelegt. Ḥatšepsut dagegen hat, wie schon ihr Vater221 und wie dann alle ihre Nachfolger, als Ruhestätte ein weit abgelegenes Tal im Inneren des Gebirges gewählt mit einer Grabkammer tief im Felsen, zu der lange Korridore hinabführen222. Weit vor dem Grabe, durch den Bergrücken von ihm getrennt, aber der Idee nach den Totentempeln vor den Pyramiden entsprechend, liegt der große Tempel, den sie dem Amon und zugleich ihrem eigenen und ihrer Eltern Andenken errichtet hat, um durch das dauernde Fortleben ihres Namens und ihrer Bilder sich die Unsterblichkeit zu sichern. Ausgeführt ist auch dieses Werk, auf das wir später noch zurückkommen werden, von Senmut, [116] der dabei durch Anbringung seines Namens und Bildes an verborgener Stelle, hinter den Türen, auch seine Existenz verewigt hat. Die Königin und ihr Minister haben darin eines der eigenartigsten und wirkungsvollsten Denkmäler geschaffen, die Ägypten überhaupt aufzuweisen hat.

Kriege hat die Königin nicht geführt; und es ist recht fraglich, wie weit die prahlenden Wendungen über ihre Weltherrschaft, die sie von ihren Vorgängern übernimmt, noch der Wirklichkeit entsprachen; der größte Teil Syriens hat jedenfalls die ägyptische Oberhoheit abgeschüttelt. Dagegen hat sie ein friedliches Unternehmen ausgeführt, auf das sie besonders stolz ist: die Wiederaufnahme der Seefahrten nach dem Weihrauchlande Punt an der afrikanischen Küste des arabischen Meerbusens. Seit dem Niedergang des Mittleren Reichs war der direkte Verkehr vollständig unterbrochen; die kostbaren, für die Kultur unentbehrlichen Produkte gelangten nur durch Zwischenhandel nach Ägypten: sie wurden, sagt Amon in dem Orakel, durch das er die Königin zu der Expedition auffordert, »seit der Zeit deiner Urahnen von einem zum anderen gebracht um den Preis vieler Zahlungen, niemand gelangte dorthin mit Ausnahme deiner Karawanen«, – die vielen Seefahrten der Vorzeit sind vollständig vergessen, das Unternehmen der Königin wird als etwas Neues und Unerhörtes dargestellt. Im neunten Jahre ihrer Regierung entsandte sie fünf große mit Ruderern und Soldaten bemannte Schiffe, mit hohem Mast und mächtigen Segeln, in See, und zwar nicht mehr, wie ehemals, von einem Hafen am Roten Meer, sondern direkt von Theben aus durch den Kanal vom Nil nach Suez, der damals bereits bestanden haben muß; denn von einem Umladen und einem Transport durch die Wüste ist weder bei der Hinfahrt noch bei der Rückkehr die Rede, die Schiffe landen in Theben selbst. An den »Terrassen des Weihrauchs« im Lande Punt wurden die Fremden freundlich aufgenommen, allen voran von dem Häuptling Parhu mit seiner nach afrikanischer Art durch gewaltige Fettleibigkeit charakterisierten Frau und seinen Kindern. So [117] erstaunt man war, daß die Fremden den Weg »in dies den Menschen (rômez, d.h. den Ägyptern) unbekannte Land gefunden hatten« – »seid ihr auf den Himmelsstraßen herabgekommen oder seid ihr auf dem Wasser auf Erden gefahren?« –, so hatte man doch Kunde vom Pharao und seiner Macht, und auch an Dolmetschern kann es nicht gefehlt haben; ein Verkehr hatte eben doch immer bestanden. So huldigten die Magnaten von Punt der Königin und ein Tauschhandel begann; die Ägypter hatten Schmucksachen, Lebensmittel, Waffen u.a. mitgebracht, die offiziell als Geschenke für die Göttin Ḥatḥor, die »Herrin von Punt«, betrachtet werden. Das Land wurde für Amon in Besitz genommen, Statuen des Gottes und der Königin aufgerichtet. Zugleich aber sollte dieses Land, das Amon sich zur Herzensfreude geschaffen hatte, in die Residenz selbst versetzt werden: zahlreiche Weihrauchbäume wurden ausgehoben und in Kübeln verladen, um damit auf den Terrassen von Dêr el Baḥri ein neues Punt zu schaffen. Reich beladen mit allen Produkten des Landes kehrten die Schiffe heim, mit Harzen, Weihrauch und Myrrhen, mit gewaltigen Massen Goldes, mit Ebenholz und Elfenbein, Pantherfellen und lebenden Panthern, Geparden, Affen, zahlreichen Rindern sowie »Leibeigenen mit ihren Kindern«. Auch mehrere »Magnaten von Punt« begleiteten die Heimfahrenden, um der Königin persönlich zu huldigen. Fortan ist Punt jahrhundertelang in Abhängigkeit von Ägypten geblieben und hat regelmäßig Abgaben geleistet; im Grabe des Rechmerê' (o. S. 107) und sonst mehrfach, so unter König Ḥaremḥab, ist die Empfangnahme dieser Tribute dargestellt.

Die Erzeugnisse von Punt beweisen, daß es an der afrikanischen Küste gelegen haben muß223. Nach den Abbildungen [118] im Tempel der Königin war es ein flacher, fruchtbarer Strand, auf dem zwischen Palmen und Weihrauchbäumen die Rinder weideten. Die runden Lehmhütten der Bewohner standen auf einem von Pfählen getragenen Rost, zu dem eine Treppe hinaufführt; der Boden muß also feucht gewesen sein. Im Hintergrunde steigt das Gebirge terrassenförmig auf; hier muß die Landschaft 'Amu gelegen haben, in der das Gold gewonnen wurde. Trotz dieser sehr anschaulichen Darstellung ist eine genauere Lokalisierung bisher nicht gelungen, und man kann schwanken, ob es bei Suakin oder bei Massaua oder jenseits der Straße Bab el Mandeb am Golf von Tedjura, oder gar noch weiter draußen an der Somaliküste zu suchen ist. Für eine nördliche Lage spricht, daß die Expedition auch Häuptlinge und Produkte afrikanischer Negerstämme, wie der Nemaju und Arem, mitgebracht hat, die in anderen Texten zu Kusch gerechnet werden224. Ethnographisch freilich sind die Puntier von den Negern durchaus verschieden; sie gleichen, wie früher schon erwähnt (Bd. I, 165. 167), in Gestalt, Farbe und Tracht den Ägyptern, und gehören offenbar der hamitischen Rasse an, deren Typus sich in diesen Gebieten vielfach bis auf die Gegenwart erhalten hat. Charakterisiert sind sie durch ihr voll auf den Nacken herabfallendes Haupthaar, das. wie bei den Kretern, in Locken endet; am Kinn tragen sie, wie die Ägypter, einen kurzen Stutzbart. Einmal nennt Amon die Bewohner von Punt »Chabestiu des Götterlandes«225; vermutlich ist das der einheimische [119] Name, trotz des abweichenden Anlauts identisch mit Ḥabaschat (Ḥa besch), dem Namen, den später das Hochland von Abessinien führt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 110-120.
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