Sethos' I. Feldzug gegen die Beduinen Palaestinas und gegen die Libyer

[431] Sethos I. hat, als er nach der kurzen Regierung seines Vaters Ramses I. den Thron bestieg, in den kräftigsten Mannesjahren stehend und von kriegerischem Geiste beseelt, sich sofort der Wiederaufrichtung der ägyptischen Weltherrschaft zugewandt. Die dringendste Aufgabe war, der Überschwemmung Palaestinas durch die Beduinen, die Chabiri der Amarnabriefe, die Šos der ägyptischen Inschriften, ein Ende zu machen; denn Ḥaremḥabs Erfolge waren vorübergehend geblieben, die Zustände waren auch jetzt nicht anders als unter Amenophis IV. »Die Stammeshäuptlinge der Beduinen (Šos)«, so wird Sethos gemeldet, »haben sich vereinigt und im Choriterlande Fuß gefaßt; sie sind in vollem Aufruhr und Hader, einer tötet den andern, sie kümmern sich nicht um die Gebote des Hofes.« Gleich im Frühjahr seines ersten Jahres ist Sethos an der Spitze eines starken Heeres von der Grenzfestung Sile am Isthmuskanal aufgebrochen. Die wichtigsten Episoden seiner Feldzüge hat er in einem Bilderzyklus an der nördlichen Außenwand der Säulenhalle von Karnak verewigt, dessen Reliefs zum größeren Teil erhalten sind829; in [431] ihnen tritt uns in derselben Weise, wie vorher schon auf einer Truhe aus dem Grabe Tut'anchamons, das unter der Einwirkung Kretas und Mykenes geschaffene ägyptische Schlachtgemälde voll entwickelt entgegen. Eine wesentliche Ergänzung unserer Kunde bietet jetzt die Inschrift einer von Sethos auf seinem ersten Feldzug errichteten Stele in Betšean830; aber gerade dadurch kommt erst recht zum Bewußtsein, wie lückenhaft und unzulänglich unsere lediglich aus solchen Bildern geschöpfte Kunde naturgemäß ist.

[432] Auf dem Marsch durch die Sinaiwüste hatte Sethos fortdauernd mit den Beduinenscharen zu kämpfen. Umso mehr Anlaß hatte er, die Heerstraße nach Palaestina zu sichern durch Anlage einer langen Reihe von Brunnen, die von Kastellen und Wachttürmen beschützt wurden831. Zu einer größeren Schlacht kam es dann auf dem Hochland Südpalaestinas, bei der auf einer steilen Anhöhe, mit einem Quell vor der Mauer, gelegenen »Feste des Kana'an«. Die Šos wurden völlig geschlagen, ihre Widerstandskraft gebrochen; in Massen wurden beduinische Gefangene nach Ägypten geschleppt. Die einheimischen Dynasten aber, die bisher mit ihnen in Verbindung gestanden hatten, begrüßten jetzt huldigend den Pharao und brachten ihm ihre Gaben dar; »er hatte«, so sagt die Beischrift, »dem Prahlen der Magnaten der Choriter ein Ende gemacht«832.

Dann ist Sethos weiter nach Norden gezogen. Eine Inschrift aus Betšean berichtet, daß der aufständische Fürst von Hamat (östlich vom See Tiberias, s.o. S. 92, 2) Truppen ausgerüstet und im Bunde mit den Leuten von Pella (Pḥr., o. S. 92, 1) [433] Betšean besetzt und den Fürsten von Rechob eingeschlossen hat. Da schickt Sethos je eine Legion gegen Hamat, gegen Betšean, und gegen Jenu'am, und sie nehmen diese an einem einzigen Tage. Der Kampf gegen das auf einem bewaldeten Berge mit einem Quellbach gelegene Jenu'am ist in den Reliefs dargestellt; Sethos dringt auf seinem Wagen gegen die Feinde vor, packt den durch seinen nie irrenden Pfeil verwundeten feindlichen Häuptling beim Hals und reißt ihn vom Wagen herab, während sein Wagenführer sich ergibt. Man kann zweifeln, ob dieser Szene etwas Tatsächliches zugrunde liegt oder ob sie nur in üblicher Weise die siegreiche Allgewalt des Königs verherrlicht, der ganz allein alle Siege erficht, wie er dann auch die Feinde beim Schopf packt und bindet oder unter dem Arm auf seinen Streitwagen nimmt. Jedenfalls ist Sethos kurz nach der Einnahme von Jenu'am wieder in Ägypten gewesen833, und bei seinem triumphierenden Einzug in die Grenzfestung Sile führt er nur die gefangenen Šos vor sich her, nicht die aus der seßhaften Bevölkerung834.

Die Besiegung der Beduinen ist von Sethos mit Recht als entscheidender Erfolg stark betont worden. Durch sie ist den anarchischen Zuständen, die seit zwei Menschenaltern in Palaestina herrschten, ein Ende gemacht und wieder Ordnung geschaffen worden. Was von Beduinen im Lande blieb, mußte sich fügen und Ruhe halten, so der Stamm Israel, der sich in dem Waldgebirge westlich vom Jordan (Ephraim) festgesetzt hatte835. In Betšean, das den Übergang über den Jordan beherrscht, ist unter Sethos das erwähnte Siegesdenkmal aufgestellt und ein neuer Tempel gebaut worden, [434] im Ostjordanlande unweit von 'Aštarot und Edre'i haben sich die Reste einer ägyptischen Stele gefunden, auf der er den Amon und die Mut verehrt836; gleichartige Denkmäler hat es gewiß noch viele gegeben. Wo Widerstand versucht wurde, wurde er leicht bewältigt. In einer Liste der von Sethos eroberten Ortschaften werden neben Pella, Betšean, Jenu'am weiter Kumidi, Bet'anat und Qart'anab genannt837. In dem Reliefzyklus von Karnak ist eine Burg Gader (»Festung«) dargestellt, deren Torbalken bei der Erstürmung zusammengestürzt sind. Daran angeschlossen ist die Huldigung der »Häuptlinge des Libanon«, die entgegenzunehmen der König vom Wagen gestiegen ist; in ihren langen Gewändern legen sie selbst Hand an, Tannen für ein großes Schiff und die Flaggenmasten des Amontempels zu fällen. Daraus folgt, daß auch die phoenikische Küste wenigstens zum großen Teil wieder in ägyptischem Besitz gewesen sein muß, wohl schon seit den Zeiten Ḥaremḥabs; als von Sethos erobert nennt die erwähnte Liste hier Akko und Tyros nebst Usu (Palaetyros)838.

Auch an der Westgrenze Ägyptens hat Sethos gekämpft. Wie es scheint, hat in Nordafrika unter den hellfarbigen, blondhaarigen und blauäugigen Stämmen am Nordrande des Kontinents, die wir nach griechischem Sprachgebrauch Libyer nennen839, eine neue, vom Westen her gegen das Niltal vordringende[435] Bewegung eingesetzt840. Sethos hat in den Reliefs von Karnak den Kampf gegen sie dem gegen die Beduinen und gegen die Chetiter gleichgestellt. Er selbst erschlägt vom Streitwagen aus einen libyschen Häuptling, der mit dem Kampfstock, der Hauptwaffe dieser Stämme, auf ihn eindringt; einen anderen durchbohrt er im Fußkampf mit der Lanze. Darin mag starke Übertreibung stecken841; aber ein ernstlicher Kampf gegen eine das Kulturland bedrohende Invasion wird es doch gewesen sein: »Er hatte bewirkt, daß sie auf dem Kampfplatz nicht standhielten und vergaßen, den Bogen zu spannen, sondern in den Höhlen verweilten wie Wölfe in Angst vor seiner Majestät.«


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 431-436.
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