Kämpfe mit den Kana'anaeern. Debora.

Religiöse Gestaltung

[224] »In den Tagen des Šamgar ben 'Anat«, heißt es im Deboraliede, »in den Tagen des Ja'el« – leider erfahren wir nicht, welchem Stamme diese Machthaber, wohl sicher Häuptlinge, angehört haben513 – »waren öde die Straßen, die Wanderer auf den Pfaden gingen krumme Wege ...sah man wohl Schild und [224] Speer bei vierzig Tausend in Israel?« Während Israel so in Ohnmacht zu versinken schien, hat im Qišontal ein König Sisera die Vormacht gewonnen; die übrigen »Könige Kana'ans« leisten ihm Heeresfolge. Sein Versuch, die israelitischen Stämme zurückzudrängen und womöglich zu Fronknechten nach Art Išsakars zu machen, hat bewirkt, daß diese sich aufrafften und zusammenschlossen. Die Führung übernahm Baraq, der Sohn Abino'ams, der, wie es nach einer Andeutung des Liedes scheint, der Gefangenschaft glücklich entronnen war; zur Seite trat ihm die Seherin Debora aus Išsakar, die durch ihre Lieder die Scharen zum Kampfe trieb. Überallhin gingen die Hilfrufe; und in der Tat kamen aus fast allen Stämmen westlich vom Jordan die Heerscharen zusammen, von Ephraim, Benjamin, Makîr, von Išsakar, Zebûlon und Naphtali; nur Ašer und Dan oben im Norden blieben fern, und ebenso jenseits des Jordans Gil'ad sowie R'uben; in diesem Stamm hat man wenigstens die Verpflichtung gefühlt, daß man helfen solle, ist aber über Beratungen in den Sippen nicht hinausgekommen.

Bei Ta'anak am Qišon kam es zur Schlacht. Ein gewaltiges Gewitter, in dem Jahwe selbst vom Himmel her seinem Volk zu Hilfe kam, brachte die Entscheidung: der Fluß schwoll mächtig an und riß die Feinde fort, ihre Kriegswagen konnten nicht eingreifen, sondern suchten ihr Heil in der Flucht; Sisera selbst wurde von einer Beduinenfrau aus dem Stamm Qain, die hier zeltete, erschlagen, während sie ihm eine Schale mit Milch bot. Das Siegeslied, das die Bedrängnis und die Schlacht schildert, das erste, für uns nicht selten so gut wie unverständliche Dokument der hebraeischen Literatur, das sich erhalten hat, ist ein großartiges Denkmal des erwachenden Nationalgefühls: mit warmer Empfindung preist es die freiwillige Hingabe, mit der die einzelnen Stämme sich erhoben und verbunden haben; die Ferngebliebenen werden ironisch behandelt, über den Ort Meroz wird der Fluch Jahwes ausgesprochen, weil seine Mannen Jahwe nicht zu Hilfe gezogen sind. In der höhnenden Schilderung, wie die Mutter Siseras mit ihren Frauen im Palaste erwartungsvoll nach ihm ausschaut und sie sich die reiche Beute ausmalen, die [225] er mitbringen wird, kommt der Triumph der Sieger durch den Kontrast umso wirkungsvoller zum Ausdruck514.

Man wird diesen Kampf ins Ende des 12. Jahrhunderts setzen dürfen. Über den Fortgang haben wir keinerlei Kunde. Aber es scheint, daß die Schlacht bei Ta'anak in der Tat die Entscheidung über das Schicksal des Landes gebracht hat, ähnlich wie ehemals unter Thutmosis III. die bei Megiddo. Von einem Versuch der Kana'anaeer, den Israeliten die Herrschaft streitig zu machen, hören wir nichts mehr; vielmehr werden sie es fortan vorgezogen haben, Existenz und Besitz dadurch zu erhalten, daß sie zu jenen in ein Schutzverhältnis traten. So haben sich die Zustände gebildet, mit denen der Eingang des Richterbuchs die Stellung der kana'anaeischen Städte innerhalb der israelitischen Stämme schildert: »als Israel stark ward, wurden diese Städte fronpflichtig, aber vertrieben wurden sie nicht«. Die Folge ist gewesen, daß die nationalen Gegensätze schwanden und diese kana'anaeische Bevölkerung mit der israelitischen verschmolz, in derselben Weise, wie sich das in den hellenistischen Städten und im Römerreich mit den verschiedenen Volkselementen vollzogen hat.

Äußerlich sind die Israeliten, als sie zu seßhaften Bauern wurden, alsbald ganz in die kana'anaeische Kultur hineingewachsen und haben deren Lebensformen übernommen. Das gilt auch von Religion und Kultus: wo immer ein göttliches Numen, ein El oder Ba'al, seinen Sitz hatte, wurde es auch von den Israeliten verehrt, vor allem auf den Bergen und Hügeln und in dem ihren Gipfel krönenden und sich hier lebenskräftig entfaltenden Baum; zugleich galt diese Gottheit als eine Erscheinungsform des Stammgottes Jahwe, der sich an dieser Stätte den Ahnen [226] schon in der Vorzeit offenbart hatte. So wird das Kollektivum ha-elohîm »die göttlichen Mächte« (o. S. 138, 1. 142) der gewöhnliche Ausdruck für »die Gottheit«; und diese ist keine andere als Jahwe, der Gott Israels515. Zahlreiche Eigennamen derselben Bildung, wie überall in der westsemitischen Welt, sprechen das Vertrauen auf seinen Schutz und seine Hilfe aus; in manchen wird er auch als Ba'al bezeichnet. Überall im Lande errichtete man ihm schlichte Altäre, aus Erde oder aus unbehauenen Steinen, wie es die Vorväter getan hatten; denn die Bearbeitung mit Werkzeugen aus dem erst jetzt in Aufnahme kommenden Eisen galt als Entweihung (Exod. 20, 24f.). Die Formen des Kultus, mit den neben dem Altar aufgerichteten Steinpfeilern (Maṣṣeben) und Holzpfählen (Ašeren), sind den kana'anaeischen völlig gleich; dabei scheint die Ašera, wie bei den Phoenikern, speziell als Sitz einer dem Hauptgott beigeordneten weiblichen Gottheit (Astarte) gegolten zu haben, was allerdings dem Wesen des seiner Natur nach ganz ungeselligen Feuergottes vom Sinai oder vom Dornbusch widersprach und daher früh bekämpft worden ist. Derartige Jahwes Hofstaat bildende Gottheiten, wohl immer aus dem kana'anaeischen Kultus übernommen, finden wir vielfach in den israelitischen Heiligtümern bis auf die Kultreform von 621 hinab; so haben noch im 7. Jahrhundert die jüdischen Militärkolonisten in Elephantine die Ašima und die 'Anat in dem dort erbauten Jahwetempel als zugehörig verehrt. Auch in aufrecht stehenden Steinblöcken und Steinkreisen (Gilgal) hausen göttliche Mächte, so in Benjamin bei Jericho. Hier findet sich daneben eine Anzahl von Schnitzbildern (o. S. 219); sie mögen die kriegerische Gefolgschaft Jahwes darstellen, wie denn eine Sage erzählt, daß hier dem Josua der Heeresoberst Jahwes mit gezücktem Schwert erschienen sei516.

[227] Mit der kana'anaeischen Kultur ist auch die bildliche Darstellung der Gottheit übernommen. Wohlhabende Leute stellten ein solches Bild wohl auf ihrem Grundstück auf, um sich so den göttlichen Segen zu sichern, wie Micha in Ephraim, dem es dann von den Daniten geraubt wurde; dazu gehörte weiter ein Gotteshaus und zur Bedienung womöglich ein geschulter Priester, der die Kunst gelernt hatte, ihm die Losorakel zu entlocken. Dies Gottesbild heißt entweder ephod »Überzug«517, so in den Geschichten von Saul und von David, wo es vom Priester zum Werfen der Lose herbeigeholt wird, oder pesel u masseka »Schnitzwerk und Gußwerk«518; es ist also eine aus Holz geschnitzte Figur, die mit Metall (Gold oder Silber) überzogen ist. Gleichartig, ebenfalls in menschlicher Gestalt, sind die Teraphîm, die Idole, die als Schutzmächte wohl in jedem Hause standen519. Daneben ist an den Hauptheiligtümern die Darstellung Jahwes [228] als Stier (»Kalb«) aufgekommen, die offenbar gleichfalls den Kana'anaeern entlehnt ist und vielleicht, nach Analogie Hadads, eigentlich das Tier darstellen soll, auf dem Jahwe thront (o. S. 154).

Auch die Ackerbaufeste haben die Israeliten übernommen und auf Jahwe übertragen: das Fest des Erntebeginns, Anfang April, bei dem man aus Gerste Brotkuchen ohne Sauerteig (Mazzen) backt, das Erntefest sieben Wochen darauf und das Fest der Weinlese, bei dem man in Lauben wohnt. Daneben hat sich aus der Nomadenzeit das Passachfest erhalten, bei dem man die jungen Lämmer schlachtete und ihr Blut dem Jahwe darbrachte; da es gleichfalls in den Frühling fällt, ist es schließlich (doch definitiv erst in nachexilischer Zeit) mit dem Mazzenfest verbunden worden. Dazu kommt dann, gleichfalls aus der Vorzeit beibehalten, das Neumondfest und der an jedem siebenten Tage stattfindende Markttag, bei dem die Feldarbeit ruht (Sabbat).

Im übrigen laufen in dem Bilde von Jahwe, wie immer auf religiösem Gebiet, verschiedene Vorstellungen durcheinander. An sich sitzt er einsam auf seinem Feuerberg; das Deboralied schildert, wie er aus weiter Ferne seinem Volk zu Hilfe zieht. Für gewöhnlich aber übersendet er seine Weisungen durch einen Abgesandten (mal'ak, ἄγγελος), der sie an den Kultstätten dem Volke überbringt; so wird z.B. im Deboraliede, während Jahwe selbst vom Himmel herab die Sterne für das Volk kämpfen läßt, der Fluch über Meroz durch seinen Gesandten ausgesprochen, sei es durch ein Orakel, sei es dadurch, daß er in den Siegern diesen Beschluß erzeugt, der offenbar zu einem Strafgericht über die säumige Stadt geführt hat. Nach der Darstellung in Jud. 1 hat der Mal'ak bei der Eroberung des Landes zuerst im Gilgal bei Jericho, dann in Bet-el seinen Sitz genommen; »und dort opferte man dem Jahwe« (Jud. 2, 1 a. 5 b)520. Aber im Kultus kann man die unmittelbare Verbindung [229] mit der Gottheit garnicht entbehren; da treten alle diese Vorstellungen ganz zurück, und man denkt sich Jahwe wirklich an den einzelnen Kultstätten wohnend und die Opfer entgegennehmend, die man ihm darbringt; und im Gottesbild vollends ist er selbst gegenwärtig und wird herbeigeholt, damit der Priester, der damit umzugehn weiß, vor ihm die Orakellose werfen und seine Entscheidung einholen kann.

Eine abweichende Gestalt hat dieser Kultus in dem Tempel erhalten, der auf dem Gebirge Ephraim in Šilo erbaut war und in dem eine Priesterschaft, die sich von Moses ableitete, eine sehr selbstherrliche Stellung gewonnen hatte. Hier thronte Jahwe selbst auf einer Truhe, die mit zwei Kerûben geschmückt war, phantastischen geflügelten Mischwesen, wie sie der vorderasiatischen Kunst geläufig waren521. Wenn man in den Krieg zog, wurde diese Truhe oder Lade mitgenommen, damit Jahwe mitziehn konnte. So ist Jahwe hier speziell der Kriegsgott; er heißt daher »Jahwe der Heerscharen (Ṣeba'ôt), der auf (oder bei, zwischen) den Kerûben sitzt«. Vielleicht hat in der Lade ursprünglich ein Steinfetisch des Gottes gelegen, wie bei den ägyptischen Götterprozessionen; daraus würde dann die Behauptung der Späteren gemacht sein, in dieser »Bundeslade« hätten die Gesetzestafeln des Moses gelegen. Dies Heiligtum mag schon in die Zeiten zurückgehn, da die Israeliten noch ein wandernder Nomadenstamm waren; die Lade könnte dann auch ein Beutestück sein. Ebenso möglich ist jedoch auch, daß sie erst für den Kult von Šilo angefertigt ist. Was wir sicher wissen, ist lediglich, daß, weil die Gottheit hier dauernd in [230] eigener Person anwesend war, dieser Kultus kein Gottesbild gebraucht und auch in der Folgezeit nie eins verwendet hat522.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 224-231.
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