Aeolvs

[105] AEOLVS, i, Gr. Αἴόλος, ου, ( Tab. XXV.)[105]

1 §. Namen. Es ist dieser kein anderer, als das allenthalben übliche griechische Wort, ἀιόλος, η, ον, welches bald so viel, als ποικίλος, mancherley, bald als ταχὺς, geschwind, bald als μέλας, finster, oder dunkel heißt, Potter. ad Lycophr. v. 4. und nach allen drey Bedeutungen sich gar wohl für die Winde schicket, weil solche so wohl vielerley und unbeständig, als schnell und geschwind, wie nicht weniger ihrem Ursprunge und Wesen nach unbekannt sind. Doch wollen einige solchen Namen lieber aus der phönicischen Sprache herleiten; und da in selbiger Aoi so viel, als ein Sturm heißt, so meynen sie, daß Aeolus, als ein Gott der Winde und Stürme, diesen seinen Namen daher erhalten habe. Bochart. Chanaan. lib. c. 33.

2 §. Aeltern. Insgemein wird er für einen Sohn des Hippotes und Enkel des Mimas angegeben; wogegen andere ihn für Jupiters Sohn, und die dritten für Neptuns Sohn halten. Serv. ad Aen. I. 52. Nicht weniger wollen einige, er sey Hellens Sohn gewesen, welchem Jupiter die Gewalt über die Winde verliehen habe. Hygin. Fab. 125. Wie nun solcher Gestalt seine Mutter die Nymphe Orseis würde gewesen seyn: Apollod. lib. I. c. 7. §. 1. so machen hingegen in ersterm Falle einige die Menekla, Euthydemus ap. Nat. Com. lib. VIII. c. 10. und andere die Lygia, Eudoxus Cnidius ap. eumd. l. c. zu seiner Mutter. Bey allem dem aber machen ihn auch einige nicht so wohl zu einem Sohne des Hippotes, als vielmehr zu dessen Enkel, und geben also für seinen Vater den Jupiter, für die Mutter aber die Acasta oder Segesta, des besagten Hippotes Tochter, an. Gyrald Synt. V. p. 188. Ob nun wohl einige die Sache in so fern ziemlich klar machen, daß sie einen Aeolus zu Hellens Sohne machen, und zu dieses wieder den Mimas, dessen Sohn Hippothes gewesen, wie dieses wiederum Aeolus II, dessen Tochter Arne mit dem Neptun den Böotus und Aeolus III gezeuget, welcher sich in den äolischen Inseln niedergelassen, Diod. [106] Sic. lib. IV. c. 69. so melden sie doch das letztere an andern Orten auch von dem Aeolus II, oder des Hippotes Sohne, Lib. V. c. 8. daß also dießfalls doch keine rechte Gewißheit aus ihnen zu nehmen ist.

3 §. Frauen und Kinder. Seine Gemahlinn soll die Cyane, des Liparus Tochter gewesen seyn, mit welcher er sechs Söhne, nämlich den Astyochus, Xuthus, Androkles, Pherämon, Iokastus und Agathyrnus gezeuget, die alle auch berühmte und große Leute geworden. Diod. Sicul lib. IV. c. 8. Hingegen nennen andere dessen Gemahlinn Telepora, oder auch Leopatra, und theilen ihm 12 Kinder zu, als sechs Söhne, nämlich den Jokastus, Phalakrus, Chrysippus, Pheremon, Androkles und Xuthus, und sechs Töchter, die Iphthe, Aeole, Periböa, Dia, Hephästia und Astykrate, die er mit einander verheurathete. Hom. Odyss. K. v. 7. Diod. Sic. L. V. p. 291; cf. Gyrald. Synt. V. p. 189. Noch andere machen zu dessen Gemahlinn die Enarete, des Deimachus Tochter, mit welcher er 7 Söhne, nämlich den Critheus, Sisyphus, Athamas, Salmoneus, Deion, Magnes und Perieres, und 5 Töchter, als die Canache, Halcyone, Pisidice, Calyce, und Perimede gezeuget. Apollod. lib. I. c. 7. §. 2. Allein, ohne solche alle werden ihm auch zu Kindern gegeben Lapithes, Diod. Sic. lib. V. c. 8. Tritogenia, Apollon. lib. I. v. 230. Mimas, Diod. Sic. lib. IV. c. 69. Arne, Id. ib. Makareus, Hygin. Fab. 242. Diores, Parthen. Erot. c. 2. Antiope, Hygin. Fab. 157. Jope, Steph. Byz. in Ἰοπη. Tanagra, Pausan. Bœot. c. 20. Cleobule, Nat. Comes lib. V. c. 5. und Agathyrnus, Diod. Sic. lib. V. c. 8. wobey aber kein Zweifel ist, daß nicht der Enarete Mann ein anderer Aeolus, und wieder ein anderer der Cyane oder Telepora ihrer sey, und zwar nach der Art, wie die geneal. Tab. XXV giebt, ob gleich die Auctoren sie insgemein mit einander vermengen, oder doch nicht zulänglich unterscheiden.

4 §. Zustand und Wesen. Er war der Gott der Winde, Diod. Sic. lib. V. [107] c. 7. die er in einer großen Höhle in Thracien eingesperret hatte, und aus derselben dann und wann einen oder auch mehrere heraus ließ, nachdem er es für nöthig befand, wobey er denn seinen Aufenthalt in einer andern dergleichen Höhle hatte. Virgil. Aen. I. v. 52. Jedoch wollen auch einige, daß er in einer Stadt, oder Insel, die mit ehernen Mauren umgeben sey, wohne, Hom. Odyss. K. v. 4. Palæphat. c. 18. und er gab auch wohl dann und wann einem einen Sack voll Winde mit, die er nach seinem Gutbefinden herauslassen und gebrauchen konnte; wie er denn dergleichen ehemals dem Ulysses gab, als er zu ihm kam, wiewohl dessen unvorsichtige und diebische Gefährten ihn um dieses wichtige Geschenk brachten. Homer. Odyss. K. v. 19.

5 §. Bildung. Er wird als eine Mannsperson vorgestellet, die in einer Höhle steht, mit einem leinewandenen Kleide angethan ist, unter den Füßen einige Blasebälge hat, in jeder Hand aber ein Horn hält, aus deren jeden er sechs Winde bläst. Auf seiner rechten Hand steht Juno in einer Wolke, und setzet ihm eine Krone auf den Kopf, auf der linken aber raget eine nackende Nymphe, die Deiopeia, halb aus dem Wasser empor, welche Juno ihm dafür zur Gemahlinn giebt, daß er des Aeneas Flotte auf seiner Fahrt nach Italien, auf ihr Verlangen, zerstreuete. Albricus de Imag. Deor. c. 13. & ad eum Muncker. Sonst wird er auch als eine nackende Mannsperson mit einem ziemlichen Barte und zweenen Flügeln, imgleichen einem Regierungsstabe in der Hand, also vorgestellet, daß er auf einem Berge schief anliegt, und um und neben sich allerhand Figuren der Winde hat. Pomey Fg. ad p. 133. & Gyrald. Fig. ad pag. 188. Nach dem Virgil Aen. I. 56. hält Aeolus in einer weiten Höhle die kämpfenden Win de und brausenden Wetter unter seiner Bothmäßigkeit, und zähmet sie durch Bande und Gefängniß. Sie rauschen unwillig und mit großem Geheule um die Schranken des Berges herum. Aeolus sitzt auf dem höchsten Gipfel desselben, [108] mit dem Zevter in der Hand, besänftiget ihre Wuth und mäßiget ihren Zorn. Wenn er solches nicht thäte, so würden sie See und Land, Himmel und Erde schnell mit sich fortreißen und durch die Lüfte führen. Dieß befürchtete der allmächtige Vater und hat sie also in dunkle tiefe Höhlen verborgen, eine Last solcher Berge darüber geleget, u.s.w.

6 §. Eigentliche Historie. Nach einigen ist er ein wirklicher König der Tyrrhener gewesen, Sostratus ap. Gyrald. Synt. V. p. 189. nach andern aber erhielt er von seinem Schwiegervater, Liparus, die Insel Lipara, mit den übrigen anjetzo so genannten liparotischen Inseln, und regierete dieselben also, daß er sich gegen die Götter fromm, gegen seine Unterthanen gerecht, und gegen die Freunde gütig und leutselig erwies, welches letztere Ulysses insonderheit erfuhr, als er auf seiner Rückreise von Troja bey ihm anlandete. Hiernächst erfand er die Seegel; und da er zuförderst aus dem Rauche der brennenden Insel Strongyle, Diod. Sicul. lib. V. c. 7. Cf. Plin. H. N. lib. III. c. 8. & Serv. ad Virg. Aen. I. p. 52. oder auch aus dem Zu-und Abflusse des Wassers abnahm, was für Wind und Wetter sich erheben würde, und solches vorhersagete. damit man sicherer durch die Straßeführe: so wurde er daher für einen Vorsteher oder Gott der Winde angesehen. Strabo lib. I. p. 23. Weil nun auch gesaget wird, daß er in einer Stadt oder Insel wohne, welche mit ehernen Mauren umgeben sey, so halten es einige für nichts anders, als eine gute Besatzung in seiner Residenz; Palæphat. c. 18. und daß er seine zwölf Kinder mit einander verheurathet habe, deutet man dahin, daß sich bey Ungewittern die 12 Hauptwinde oft mit einander vermischen. Baniers Erl. der Götterl. III B. p. 582. Und wenn er ehemals dem Ulysses einen Sack voll Winde gegeben haben soll, so meynen einige, es habe Aeolus nach seiner Erfahrung in der Astronomie, dem Ulysses vorher gesaget, zu welcher Zeit dieser oder jener Wind gehen werde. [109] Palæph. l. c. Bey allem dem aber ist ohne Zweifel zu setzen, daß wenigstens zween, wo nicht drey Aeoli mit einander vermenget werden, nämlich des Hellens, Hippotes und Neptuns Sohn: welcher aber von ihnen insonderheir der Gott der Winde sey, läßt sich nicht wohl bestimmen, außer daß doch solche Ehre mehr dem zweyten, als den übrigen, zuzukommen scheint.

7 §. Anderweitige Deutung. Einige verstehen unter ihm einen weisen Mann, der seine Affecten, insonderheit aber seinen Zorn, wohl zu mäßigen, und denselben bald merken zu lassen, bald wieder zu verheelen, vornehmlich aber einzuhalten wisse, daß er nicht zu stark werde, und endlich ihn selbst bemeistere. So soll es auch anzeigen, daß nichts ohne göttliche Regierung geschehe, weil selbst die Winde, ein so leichtes und flüchtiges Wesen, ihren Gott und Vorsteher haben. Nat. Com. lib. VIII. c. 10. Andere deuten ihn auf einen gerechten Menschen, der seine Begierden zu zähmen wisse; und wenn er sich von der Juno bereden läßt, seinen Wind auszulassen, soll es bedeuten, daß die Menschen aus Begierde nach Ehren (oder auch zur Wollust, wie Aeolus nach der schönen Deiopeia) gar leicht seinen Affecten den Zügel lasse. Laudin. ap. Masen. spec. ver. occ. c. XXII. n. 33. So sind auch, welche unter ihm das Jahr und unter seinen 12 Kindern die 12 Monate desselben verstehen. Heraclid. Allegor. Homeri p. 497. in Galei opusc. mythol. Valer. Pier. Hierogl. L. XIV. c. 8.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 105-110.
Lizenz:
Faksimiles:
105 | 106 | 107 | 108 | 109 | 110
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Hederich-1770: Aeolvs [2] · Aeolvs [1]

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon