Aiax [1]

[157] AIAX, ácis, Gr. Αἴας, αντος, ( Tab. XXIV.)

1 §. Namen. Dieser soll den Namen Αἴας von ἀατὸς, ein Adler, bekommen haben, weil sich dergleichen Vogel sehen ließ, als Herkules den Jupiter bat, dem Telamon einen Sohn zu geben. Tzetz. ad Lycophr. v. 455. Er wird aber sonst auch von seinem Vater bald Telamonis, Apollod. lib. III. c. 9. §. 8. bald Telamoninus, Hygin. Fab. 114. sonst aber auch wohl major, Schol. Vet. ad Stat. Achill. 1. v. 501. beygenannt, um ihn von dem vorigen Aiax zu unterscheiden. Jedoch ist er auch vornehmlich zu verstehen, wenn sich kein Beynamen bey Aiax befindet. Id. Fab. 112. 113.

2 §. Aeltern. Sein Vater war, wie schon angezeiget worden, Telamon, des Aeacus Sohn, seine Mutter aber, nach einigen, Periböa, des Alkathous Tochter, und Enkelinn des Pelops, Apollod. lib. III. c. 2. §. 7. nach andern aber Euriboa, Parthaons Tochter Pind. Isthm. VI. Epod. b. 2. & Tzetz. ad Lycophr. v. 452.

3 §. Auferziehung. Von dieser findet sich eben nichts merkwürdiges, ausser daß Herkules dereinst dazu kam, als Telamon eben opferte, wobey denn jener den jungen Aiax auf den Arm nahm, und seinen Vater den Jupiter bat, ihm das nicht zu versagen, was er von ihm bitten wurde. Er bedeckete darauf den Knaben mit seiner Löwenhaut, und ersuchete den Jupiter, er mochte ihn an seinem Leibe doch so fest und wider alles Gewehr gesichert machen, als solche Haut, welches er denn auch erhielt. Pindar. Isthm. VI. Antistr. b. Allein, da er wegen des Köchers, oder auch des Schildes, den Aiax trug, dessen Seite nicht mit der Löwenhaut berühren konnte, so behielt er da einen Ort, durch welchen er konnte verwundet werden; Lycophr. v. 458. & ad eum Tzetz. Eustath. ad Hom. [157] Il. Ψ. ap. Meurs. ad Lycophr. l. c. wie er sich denn auch zuletzt selbst dadurch mit seinem eigenen Schwerte erstach.

4 §. Thaten. Er gab unter den vielen Freyern der Helena auch einen mit ab, Apollod. lib. III. c. 9. §. 8. und, als solche war entführet worden, so gieng er mit 12. Schiffen seiner Leute aus Salamin, woselbst sein Vater König war, mit vor Troja, da sein Bruder Teucer ihn mit eben so viel Schiffen begleitete. Homer. Il. Β. v. 557. & Hygin. Fab. 97. Er hielt sich daselbst also, daß er nach dem Achilles für den tapfersten unter allen Griechen gehalten wurde; Homer. Odyss. Λ. v. 550. wie er denn auch allein auf die 28 Feinde erlegete, Hygin. Fab. 144. und unter solchen insonderheit den Hippodamus und Chlonius, Id. Fab. 113. oder, wie sie andere lieber wollen genannt wissen, den Hippothous und Kleopolimus, oder auch Chthonius, Muncker. ad Hygin. l. c. wozu billig noch Kaletor, Homer. Il. Ο. v. 419. wie nicht weniger Teuthronius, Dict. Cret. lib. II. c. 3. gesetzet werden. Und da die Griechen in währender trojanischen Belagerung zum öftern mit starken Haufen von ihrer Armee auch die benachbarten Landschaften, die es mit den Trojanern hielten, heimsucheten, so that er seines Ortes einen Einfall in den thracischen Chersonesus, zwang den König desselben, den Polymestor, sich zu ergeben, und, so wohl des Priamus Sohn, Polydorus, auszuhändigen, als auch ein großes Geld, zuförderst aber auf ein ganzes Jahr der ganzen griechischen Armee vor Troja das Korn zu liefern. Hierauf machete er sich nach Phrygien, und, nachdem er dessen König, Teuthrantes, in einem besonderen Zweykampfe erleget hatte, auch dessen Residenz eroberte, und so wohl sonst eine große Beute erhielt, als insonderheit dessen Tochter, Tekmesse, gefangen wegführete, Id. ib. c. 18. und sie hernachmals zu seiner Beyschläferinn behielt. Id. ib. c. 19, Horat. lib. II. Od. 4. v. 5. & ad eum Despr. l. c. Gegen das Ende des trojanischen Krieges gerieth er selbst mit dem Hektor in einen besonderen Zweykampf, den er auch zuletzt mit einem großen [158] Steine darnieder schlug. Indem sie aber nach der Götter Willen wieder von einander gebracht wurden, so verehrete Aiax dem Hektor seinen Gürtel zum Andenken, woran aber dieser hernach von dem Achilles um Troja herum geschleifet wurde; und Hektor gab dem Aiax dagegen sein Schwert, womit sich dieser endlich selbst erstach, daß also beyder ihre Geschenke ihnen auch gar unglücklich waren. Hom. Il. Η. 225. Hyg. Fab. 112. & Serv. ad Virg. Eclog. IX. v. 6.

5 §. Tod und Begräbniß. Als Troja übergieng, und Helena wieder in der Griechen Hände kam, so rieth er, dieselbe nieder zu machen. Weil aber Menelaus seine Liebe gegen dieselbe noch nicht hatte fahren lassen, so brachte er es durch Beyhülfe des Ulysses dahin, daß er sie lebendig wieder bekam. Als nun hernach Aiax und Ulysses über das Palladium, Dictys Cret. lib. V. c. 14. Suid. & Cedren. ap. Annam Fabr. ad eumd. l. c. oder vielmehr über die schönen Waffen des Achilles, welche Aiax, als seines gewesenen Anverwandten, Ulysses aber aus andern Scheingründen verlangete, in einen schweren Streit geriethen, und Agamemnon, nebst dem Menelaus, dem Ulysses wieder einen Freundschaftsdienst erweisen wollten, und sie daher diesem vor jenem zusprachen: so zog sich solches Aiax dergestalt zu Gemüthe, daß er unsinnig darüber wurde, und erst seine eigene Heerde Schafe, in der Meynung, als ob es seine Feinde wären, niedermachete, hernach aber durch den Ort seines Leibes, wo er verwundet werden konnte, sich mit dem vom Hektor bekommenen Schwerte selbst erstach. Homer. Odyss. v. 544. & Ovid. Metam. lib. XIII. ab init. Q Calab. L. V. 121. seqq. Jedoch melden auch einige, daß er sich nach so unbilligem Urtheile allerhand Drohworte vernehmen lassen, worauf er denn des Morgens todt gefunden worden. Weil man geglaubet, daß er durch Hinterlist des Ulysses, Agamemnons und Menelaus umgebracht worden, so habe sich ersterer still weg machen, die andern aber eine Weile heimlich halten müssen, weil das ganze Heer in Bewegung gekommen, und eines so wohl [159] verdienten Helden Tod nicht ungerorächet lassen wollen. Dict. Cret. lib. V. c. 15. Anfänglich trug man Bedenken, ihm die Ehrenbezeugung eines öffentlichen Scheiterhaufens wiederfahren zu lassen, und wollte ihn nur bloß begraben. Philostr. in Heroic. c. 11. Gleichwohl ließ doch Pyrrhus, des Achilles Sohn, Id. ib. oder, welches wahrscheinlicher ist, Teucer, des Aiax Bruder, Fab. ad Dict l. c. ex Sophocle. dessen Körper mit geziemenden Ehren verbrennen, und die aufgesammlete Asche so dann in einer goldenen Urne auf dem rhöteischen, Dict. l. c. oder, nach andern, auf dem sigäischen Vorgebirge in einem errichteten Begräbnisse beysetzen, Plin. H. N. lib. V. c. 30. an welches nachher, als Ulysses in der See Schiffbruch erlitten, die Wellen des Meeres dennoch die besagten Waffen, als dem Aiax gehorig, sollen angetrieben haben. Paus. Att. c. 35.

6 §. Familie. Seine rechte Gemahlinn war Glauca, mit der er den Aeantis zeugete: Dictys lib. V. c. 16. seine Nebengemahlinn aber die obbemeldete Tekmessa, von der er den Eurysaces zurück ließ, Id. ibid. & Eustath. ad Hom. Iliad. Α. cit. Fab ad Dict. l. c. von welchem endlich auch der berühmte Athenienser Alcibiades abstammete. Plutarchin Alcibiad. c. 1.

7 §. Verehrung. Außer dem, daß er obbemeldetermaßen anständig begraben wurde, und so gar die übrigen griechischen Heerführer ihren Schmerz über dessen Tod zu bezeugen, sich nach damaliger Weise die Haare abschnitten, und mit bey dessen Grabe niederlegeten, Dict lib. V. c. 16. so verschaffeten auch die Götter, daß aus seinem Blute, welches er bey seiner Entleibung vergossen, eine Hyacinthe hervor wuchs. Ovid. Metam. XIII. 394. So erbaueten ihm auch die Salaminer zu Ehren einen besonderen Tempel, worinnen seine Statüe aus Ebenholze stund, Paus. Att. c. 35. und feyerten ihm jährlich ein besonderes Fest, welches Ἀιαντεια, oder Ἀιαντία hieß. Hesych. in Ἀιαντία. Cf. Voss. Theol. Gent. lib. I. c. 13. Dieses thaten auch auf ihre Art die Athenienser. Paus. l. c. Uebrigens hat ein alter griechischer Poet [160] diese Grabschrift nach Ausons Uebersetzung auf ihn verfertiget:


Aiacis tumulo pariter tegor obruta Virtus,

Inlacrimans bustis funeris ipsa mei:

Incomptas lacerata comas, quod pravus Atrides

Cedere me structis compulit insidiis.

Jam dabo purpureum claro de sanguine florem,

Testantem gemitu crimina judicii.


Epitaph. 3. Und Sophokles hat von ihm ein ganzes Trauerspiel geschrieben, das noch vorhanden ist. Fabric. Biblioth. Gr. lib. II. c. 17. §. 2.

8 §. Statur und Eigenschaften. Einige melden, daß er eines Kopfes länger, als die andern Griechen vor Troja, gewesen, auch zugleich alle an Breite der Schultern übertroffen habe; Hom. Il. Γ. v. 227. und andere wollen wissen, daß er eine helle Stimme und schwarze Haare gehabt, dabey stark und gegen seine Feinde grausam gewesen. Dares Phryg. c. 13. Wenigstens muß er von ziemlicher Größe gewesen seyn, weil nach der Zeit, bey erfolgter Oeffnung seines Grabes, eine seiner Kniescheiben so groß, als eine Wurfscheibe, befunden worden. Pausan. Attic. c. 35. Hierbey aber wird auch von ihm gesaget, er sey wild, ungestüm und jachzornig gewesen, habe sich selbst nicht viel um die Götter bekümmert. Denn als ihm sein Vater vorgesaget, wie der Sieg von denselben herkomme, so meynete er, daß mit dergleichen Beyhülfe ein jeder nichtswürdiger Mensch den Sieg erlangen könne, er aber hoffe ihn auch ohne dieselben zu erhalten. Banier ex Sophocle & aliis, Entret. XVII, ou P. II. p. 225.

9 §. Eigentliche Historie. Das meiste, was von ihm erzählet worden, kann an sich für gute Wahrheiten angesehen werden. Wenn aber Herkules ihn mit seiner Löwenhaut soll fest gemachet haben, so will man dieses von dessen guten Waffen verstehen, ob man wohl auch zugiebt, daß Herkules ihm zur guten Vorbedeutung seine Löwenhaut einsmals kann umgegeben haben. Was von dem Adler gemeldet wird, der sich auf des Herkules Bitte sehen lassen, so glaubet[161] man nur, daß solches von der so ziemlichen Gleichheit beyder Namen, nämlich ἀετὸς und Αἴας, hergenommen sey. Das Vorgeben von der Verwandelung in eine Hyacinthe, hält man für eine Schmeicheley, womit ein Lobredner des Aiax Familie trösten wollen. Daß seine Seele nach seinem Tode in einen Löwen soll gefahren seyn, deutet man auf seine Tapferkeit und gehabten Löwenmuth; und daß endlich des Achilles Waffen durch die See selbst zu seinem Grabe getrieben worden, will man dahin deuten, daß Ulysses, indem ihm sein böses Gewissen bey entstandenem Sturme aufgewachet, solche Waffen dem Aiax zur Versöhnung dessen Geistes, wieder zu geben versprochen habe. Banier Ent. XVII. ou P. II. p. 221. und dessen Erl. der Götterl. V Th. 243 S.

10 §. Anderweitige Deutung. An ihm soll man abnehmen, daß die Beredsamkeit auch der größten Stärke und Tapferkeit überlegen sey; daß große Kriegeshelden oft sehr jachzornig seyn, und sich damit selbst den Tod zuziehen, und das Gedicht von der entstandenen Hyacinthe soll insonderheit andeuten, daß sie eben so wohl, als eine Bluhme, hinfällig und vergänglich sind, und nach ihrem Tode entweder von ihren Tugenden einen guten, oder von ihren Lastern einen bösen Geruch nach sich lassen. Omeis Mythol. in Aiax der telamonische.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 157-162.
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