Amphíon

[229] AMPHÍON, ŏnis, Græc. Ἀμφίων, ονος, ( Tab. X. & XXX.)

1 §. Aeltern und Geburt. Sein Vater war, nach gemeinem Vorgeben, Jupiter, die Mutter aber Antiope, des Nykteus von Theben, Tochter, die aber aus Furcht vor ihrem Vater sich zu dem Epopeus nach Sicyon begab, der sie denn auch zur Gemahlinn nahm. Wie sich aber Nykteus dießfalls zu Tode grämete, so befahl er dem Lykus, seinem Bruder, seine Rache an dem Epopeus und der Antiope zu nehmen, welches dieser auch in so fern that, daß er Sicyon eroberte, den Epopeus erlegete, und die Antiope gefangen nach Theben zurück führete, die denn auf dem Wege bey Eleutheris den Amphion und Zethus, als Zwillinge gebahr, und beyde wegsetzete. Apollod. lib. III. c. 5. §. 5. & Hygin. Fab. 8. Andere geben vor, Antiope sey des Lykus Gemahlinn gewesen, habe aber ihre Liebeshändel dabey [229] auch mit dem Epopeus, oder, wie er von andern genannt wird, Epaphus gehabt, und, da sie von jenem deshalber verstoßen worden, habe Jupiter erst seine Liebeshändel mit ihr angefangen. Hygin. Fab. 7. Noch andere wollen, sie sey von dem Epaphus betrügerischer Weise zu Falle gebracht worden; Luctat. ad Stat. Theb. IV. v. 570. und, da Jupiter sich in einen Satyr sollverwandelt haben, als er die Antiope angetroffen, Ovid. Met. IV. v. 110. so kann es gar wohl seyn, daß sich Epaphus in dergleichen verkleidet gehabt, als er sie betrogen. Doch geben ihn noch andere für einen Sohn des Theoboons, Diophan. ap. Nat. Com. Mythol. lib. VIII. c. 15. und wiederum andere für des Hilasius seinen aus, daß also dessen wahre Aeltern allerdings unbekannt bleiben; Abel Hist. Monarch. lib. II. cap. 1. §. 17. zumal noch einige ihn auch für einen Sohn des Mercurius halten wollen. Huet. Dem. Ev. Propos. IV. c. 8. §. 21.

2 §. Namen und Auferziehung. Als er besagter Maßen mit seinem Bruder weggesetzet worden, soll sie ein Hirt gefunden und dem Amphion den Namen von ἀμφὶ und ὁδὸς, der Weg, gegeben haben, weil ihn seine Mutter am Wege geboren, Hygin. Fab. 7. welche Ableitung des Namens aber ziemlich gezwungen heraus kömmt. Indessen wurde er doch von den Hirten, Id. ibid. oder einem derselben auferzogen; Id. Fab. 8. und, da er sich also unter ihnen befand, so schenkete ihm Apollo, nach andern aber die Musen, und nach den dritten Mercurius nicht nur eine Leyer, Dioscorid. & Pherecyd. ap. Schol. Apollon. ad lib. I. v. 740. & Apollod. lib. III. c. 5. §. 5. sondern lehrete ihn auch dieselbe spielen, Epimenides ap. Nat. Com. lib. VIII. c. 15. & Horat lib. III. Od. II. v. 1. welches doch nach einigen selbst von dem Jupiter geschehen seyn soll. Heraclid ap. Plutarch. de Musica p. 1131. T. II. Opp. Huet. Dem. Ev. Prop. IV. c. 8. §. 21. Daher wurde er denn so vollkommen auf derselben, daß er sogar die leblosen Steine nach sich zog, wenn er sie spielete. Pausan. Bœot c. 17. & Horat. de Arte Poët. v. 394.[230]

3 §. Thaten. Weil Lykus die Antiope seiner Gemahlinn, der Dirce, zu peinigen übergab, sie aber die Gelegenheit fand, zu entfliehen: so kam sie von ungefähr zu ihren Söhnen, von denen sie aber Zethus nicht annehmen wollte, weil er sie für eine entlaufene Sklavinn hielt. Da aber auch Dirce an des Bacchus Feste dahin kam, wo sie war, und sich daher ihrer wieder bemächtigte, so entdeckete obbemeldeter Hirt dem Amphion und Zethus, daß sie ihre Mutter wäre. Diese befreyeten sie darauf nicht allein wieder, sondern banden auch die Dirce mit den Haaren an einen wilden Ochsen, und ließen sie also zu Tode schleifen. Hygin. Fab. 8. & Schol. Apollon. ad lib. IV. v. 1090. Nach diesem brachten sie ein ziemliches Heer auf die Beine, und überwanden den Lykus in öffentlicher Schlacht, Apollod. lib. III. c. 5. §. 5. richteteten ihn auch nach einigen selbst hin, Pausan. Bœot. Nach andern aber ließen sie ihn zwar auf des Mercurius Befehl beym Leben, doch mußte er ihnen das Reich abtreten. Hygin. l. c. Sie befestigten die Stadt Theben mit sieben guten Thoren, und in gewisser Weite von einander gesetzten Thürmen. Homer. Od. Λ. 262. sq. Wenigstens vereinbareten sie den obern Theil derselben, Cadmeia, mit deren unterm Theile, wobey sich denn die Steine von selbst in die Mauer zusammen setzeten, so bald Amphion auf seiner Leyer spielete. Apollon. Rhod. l. I. v. 740. Pausan. l. c. Propert. lib. III. Eleg. 2. v. 2. Es geschah dieses ums Jahr der Welt 2533, Calvis. ad Ann. cit. und wird Amphion mit unter die Könige der alten Thebaner gerechnet. Hygin. Fab. 86. Er erfand hiernächst, nach einigen, die Cither, Plin. H. N. lib. VII. c. 56. richtete dem Mercurius den ersten Altar auf, Huet. D. E. Propos. IV. c. 8. §. 21. und gieng unter den Argonauten mit nach Kolchis, Id. ib. wobey er denn zugleich für einen Hexenmeister gehalten wird, weil er durch seine Kunst von selbst eine Mauer zusammen gesetzet. Paus. Eliac. post. c. 20.

4 §. Tod und Begräbniß. Man will, daß er mit sammt seinen Kindern, um seinen und seiner Gemahlinn Hochmuth [231] willen, von dem Apollo und der Diana endlich mit Pfeilen erschossen worden; Apollod. lib. III. c. 5. §. 6. und müsse noch in der Hölle seine Strafe dafür leiden. Pausan. Bœot. c. 5. Doch wollen auch einige, er habe sich aus Unmuth über seiner Söhne Tod selbst erstochen. Ovid. Metam. lib. VI. v. 271. Indessen wurde er und sein Bruder in ein Grab geleget, welches mit der Zeit aus nichts, als einem Hügel Erde bestund, zu gewisser Jahreszeit aber gar sorgfältig von den Thebanern bewahret wurde, weil die von Tithorea ämsigst bemühet waren, etwas Erde von demselben zu bekommen, und sie auf der Antiope Grab zu streuen. Denn man glaubete, dadurch würden ihre Aecker allemal auf das Jahr, da solches geschah, fruchtbar, der Thebaner ihre dagegen aber unfruchtbar. Es pflegeten ihm deswegen auch die Tilhorenser so gar göttliche Ehre zu erweisen; und es lagen übrigens bey seinem Grabe einige schlechte und grobe Steine, welche von denen seyn sollten, die ihm auf seine Musik ehemals nachgefolget waren. Pausan. Bœot. cap. 17.

5 §. Familie. Seine Gemahlinn war Niobe, des Tantalus, Königes in Phrygien, Tochter, mit welcher er nach einigen sieben Söhne, nämlich den Sipylus, Minytus, Ismenus, Damasichtho, Agenor, Phädimus und Tantalus, und auch sieben Töchter, als die Ethodea, Kleodoxa, Astyoche, Phthia, Pelopia, Astykratea und Ogygia gezeuget. Apollod. lib. III. c. 5. §. 6. Andere nennen die Söhne Tantalus, Ismenus, Eupinytus, Phädimus, Sipylus, Sikothius unb Archenor, die Töchter aber Thera, Chiade, Chloris, Astykratea, Siboe, Kleodoxa und Ogygia, welche Namen aber zum Theile unstreitig falsch sind. Hygin. Fab. 2. & ad eum Muncker. l. c. Nach noch andern waren erstere Ismenus, Sipylus, Phädimus, Tantalus, Alphenor, Damasichthon, und Ilioneus, Ovid. Metam. VI. v. 224. seqq. und nach wiederum andern die Töchter Neära, Kleodoxe, Astyocha, Phaeta, Pelopia, Eugyge und Chloris. Tzetzes op. Nat. Cam. Mythol. lib. VI. c. 13. Wie [232] aber die Auctores nicht in den Namen, also kommen sie auch nicht in der Anzahl der Kinder des Amphions überein; indem einige nur 6, andere 10, manche 19, wiederum andere 20 zählen. Aelian. Hist. Var. lib. XII. c. 36. So sind auch nach einigen von den Töchtern die Amykla und Meliböa, Apollod. l. c. oder doch die Chloris, Hygin. Fab. 10. und von den Sohnen Amphion übrig geblieben.

6 §. Eigentliche Historie. Einige halten ihn in der That für einen Aegypter. Theodont. ap. Boccacc. lib. V. c. 28. Weil er aber den Lynceus (Lycus) König zu Theben hingerichtet, so habe er sich nach Griechenland gewendet, und, ungeachtet er daselbst sehr gütig von dem schon alten Kadmus aufgenommen worden, so habe er ihn dennoch dafür selbst vom Reiche verdrungen, und, sich um so viel größer zu machen, selbst für Jupiters Sohn ausgegeben. Palæphat. c. 42. Hierbey soll er ein guter Musicus gewesen seyn, und die Harmonie derselben von den Lydiern gelernet und zu erst nach Griechenland gebracht haben. So soll auch die Leyer, welche damals nur vier Saiten gehabt, mit noch drey andern von ihm seyn vermehret worden. Plin. Hist. nat. L. VII. c. 56. Cf. Burette dans les Mem. de l'Acad. des B. L. T. XI. p. 43. Er soll aber niemanden etwas von seiner Kunst haben hören lassen, der nicht mit Hand an die Erbauung der thebanischen Mauren geleget. Laudinus ap. Masen. Spec. Ver. occ. c. XXIII. n. 17. Andere verstehen unter seiner Musik nur dessen Beredsamkeit, womit er die Leute überredet, besagte Mauren zu bauen. So nehmen einige die Steine, welche ihm selbst nachgefolget, für die groben, ungeschlachten und steinartigen Leute in Böotien an, welche er beredet, von ihren Klippen, Bergen, und wo sie sich mehr zerstreut aufhielten, sich zusammen nach Theben zu begeben, da er sie denn ferner zu einem ganz andern Leben angewöhnet, und aus ihnen, die gleichsam Steine waren, erst gescheute Menschen gemachet habe; Albric. ap. Boccacc. l. c. & Omeis Mythol. in Amphion. wie denn die Fabel von der Kraft seiner Musik ziemlich [233] neu seyn soll. Ban. Erläut. der Götterl. IV Band, 297 S. Er soll sich aber mit gedachter Befestigung der Stadt Theben gegen seine Feinde, die Phlegyer, zu verwahren gesuchet haben. Pherecyd. ap. Nat. Com. lib. VIII. cap. 15. Conf. Banier. Entret. XIX. ou P. II. p. 291. Das Gewisseste dabey ist wohl, daß Amphion mit seinem Bruder, Zethus, nicht den Kadmus, sondern erst den Laius von dem thebanischen Throne verdrungen habe. Mascamp. Instit. Hist. P. I. lib. IV. c. 1. §. 9. Wenn ihn aber einige darum für den Moses halten wollen, weil er einen Bruder gehabt, wie Moses an dem Aaron, weil er von seiner Mutter weggesetzet, vom Jupiter, wie Moses, von Gott selbst unterwiesen worden, weil er und Orpheus, wie auch Linus, in vielen mit einander überein kommen, diese aber ebenfalls Moses seyn sollen, und was dergleichen mehr ist: so muß solches wohl ein jeder für etwas gezwungenes ansehen. Huet. Dem. Ev. Propos. IV. cap. 8. §. 71.

7 §. Anderweitige Deutung. Daß Jupiter unter der Gestalt eines Satyrs seine Mutter gewaltsamer Weise zu Falle gebracht hat, soll bemerken, wie heftig und mächtig oft die Geilheit sey, Boccac. lib. V. c. 28. und, daß er selbst die Steine bewegen können, wird für einen Beweis gehalten, wie kräftig die Musik, oder auch die Beredsamkeit sey. Omeis Mythol. in Amphion. Wenn aber solches insonderheit durch die Cither geschehen seyn soll, diese aber ein Bild der Einträchtigkeit ist, so will man daher noch beweisen, daß nichts eine festere Mauer um eine Stadt und dergleichen bauen könne, als die Eintracht und gute Harmonie der Einwohner. Castal. ap. Masen. Spec. Ver. occult. c. XXXIII. n. 17. Allein, da er auch endlich, oben bemeldetermaßen, noch selbst so unglücklich geworden, daß er in der Hölle seine Plage ausstehen soll, so bemerket solches, daß Hochmuth endlich alle stürze, und keiner, er sey sonst auch so gut, als er wolle, ungestrafet bleibe, wenn er Gott und dessen Dienst gering zu achten anfange. Nat. Com. lib. VIII. c. 15.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 229-234.
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