Amphiarávs

[220] AMPHIARÁVS, ai, Gr. Ἀμφιάρος, ου, ( Tab. XXV.)

1 §. Namen. Diesen soll er daher bekommen haben, daß beyde Aeltern seiner Mutter die Götter gebethen haben, sie möchten doch ihre Tochter ohne Schmerzen niederkommen lassen. Hephæst lib. III. p. 313. Daher muß er denn von ἄμφω und ἀράομαι zusammen gesetzet seyn, wovon jenes so viel, als ambo, oder beyde, und dieses so viel, als precor, oder ich bitte heißt.

2 §. Aeltern. Sein Vater war, nach einigen, selbst Apollo, Hygin. Fab. 70. & 128. nach andern aber Oekleus, Id. Fab. 70. & 128. oder, wie er auch geschrieben wird, Oikleus, Id. Fab. 250. der nach dem griechischen Ὀικλῆς, Kuhn. ad Pausan. Eliac. post. c. 17. auch Oikles gegeben wird; Interpres Pausanlæ l. c. & Apollod. lib. III. c. 6. §. 2. seine Mutter aber die Hypermestra, Hygin. Fab. 70. 73. oder wie sie auch genannt wird, Hypermnestra, Pausan. Corinth. c. 21. nicht aber die Clytämnestra, Hygin. Fab. 250. und zwar war solche auch nicht des Thespius, Id. Fab. 70. sondern Thestius Tochter. Apollod. l. c. 7. §. 10.

3 §. Stand und Thaten. Er war ein berühmter Wahrsager, Apollod. lib. III. c. 6. §. 2. und soll mit unter den Argonauten gewesen seyn, woran aber andere zweifeln. Vid. Catal. Argonaut. Burm. Er hatte seine Ansprüche gegen den Adrastus auf das König reich Argos. Indem er aber die Sache auf seiner Gemahlinn, der Eryphile, Entscheidung ankommen ließ, so sprach solche, wider sein Vermuthen, das Reich selbst dem Adrastus, als ihrem Bruder, [220] zu. Diod. Sic. lib. IV. c. 67. p. 186. Als hierauf der Zug wider Theben vorgenommen werden sollte, und er wußte, daß er in demselben umkommen würde, so wollte er durchaus nicht mit, widerrieth auch das ganze Unternehmen den übrigen, von denen ihm gleichfalls bekannt war, daß keiner, als Adrastus, mit dem Leben davon kommen würde. Apollod. l. c. Er versteckete sich daher auf das sorgfältigste, so, daß niemand wußte, wo er hingekommen war, als seine Gemahlinn. Hygin. Fab. 73. Weil ihn aber solche dennoch gegen ein goldenes Halsband, welches Minerva ehemals der Harmonia auf ihrer Hochzeit mit dem Kadmus geschenket hatte, dem Polynikus verrieth; Diod. Sicul. l. c. oder doch sonst antrieb, mit in den Krieg zu gehen, Apollod. l. c. so befahl er seinem Sohne, dem Alkmäon, solche Bosheit und Verrätherey an seiner Mutter nach seinem Tode zu rächen. Hygin. l. c. Er trat also den unglücklichen Zug mit an; und, da sie unter Wegens dem Opheltes zu Ehren die nemäischen Spiele hielten, so erlangete er im Wettlaufen, und mit der Wurfscheibe den Preis, Apollod. l. c. §. 4. erwies sich auch in dem folgenden Kriege selbst als ein guter Soldat, erlegete insonderheit den Melanippus, des Astakus Sohn, der den Tydeus verwundet hatte. Weil er aber doch dessen beständiger Feind war, indem auf seinen Antrieb insonderheit dieser Zug war vorgenommen worden, so brachte er ihm den abgehauenen Kopf des Melanippus, der denn aus Rachgier denselben von einander hieb, und das Gehirn daraus fraß, wodurch er sich die Minerva zur Feindinn machete, die sonst von dem Jupiter abgeschicket war, ihn nicht nur zu heilen, sondern so gar unsterblich zu machen. Weil es aber das Schicksal so mit sich brachte, daß er von dem Periklymenus sollte verwundet werden, so flüchtete er sich noch vorher gegen den Fluß Ismenus. Allein, es spaltete Jupiter mit einem Donnerschlage die Erde vor ihm von einander, daß er nebst seinem Fuhrmanne, dem Baton, imgleichen Pferde und Wagen in die Gruft hinab fuhr, [221] und niemals wieder gesehen, wohl aber von dem Jupiter unsterblich gemachet wurde. Id. ib. §. 8. Pind. Nem. Od. IX. 57. Er war hierbey selbst so voller Verzweifelung, daß er die Pferde, welche der Kluft ausweichen wollten, selbst in solche hinab trieb. Stat. Theb. lib. VII. v. 818. Jedoch war ihm des Tages vorher die glückliche Vorbedeutung geschehen, daß ein Adler seinen Spieß nahm, ihn in die Höhe führete, und so dann wieder fallen ließ, der denn nicht allein in die Erde zu stehen kam, sondern auch so fort in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde. Trisimachus. ap. Plutarch. Paral. c. 6. Einige sagen, es wären nur Wagen und Pferde verloren gegangen, er selbst aber hätte sich noch gerettet. Strabo lib. IX. p. 404. & Barth. ad Stat. l. c. v. 818. Oder, da er ja in die Hölle mit hinab gefahren, so wäre er doch bald wieder durch einen besondern Brunnen bey den Oropiern herauf gekommen, als er bereits zu einem Gotte geworden war. Pausan. Attic. c. 34. Immittelst wurde doch der Ort, wo der Wagen verschlungen worden, von solchem Harma genannt, weil ἅρμα im Griechischen einen Wagen bedeutet, und solcher mit besondern Säulen eingefasset, da denn vorgegeben wird, daß sich auf solche kein Vogel gesetzet, und auf dem Platze niemals wieder Gras gewachsen, oder ihn auch weder ein zahmes, noch wildes Thier berühret habe. Id. Bœot. c. 8. Bochart beweist daher, daß dessen Benennung also nicht von dem griechischen Worte herkomme, sondern aus dem Phönicischen, wo Harma einen Fluch bedeute. Geogr. sacr. P. I. c. 16.

4 §. Verehrung. Er wurde zuerst von den Oropiern mit unter die Götter gerechnet, und zwar baueten sie ihm zwölf Stadien von der Stadt an dem Orte, wo er von der Erde verschlungen seyn sollte, einen Tempel von weißen Steinen, worinnen auch seine Statüe von dergleichen Steine zu sehen war. Pausan. Attic c. 34. p. 64. Den Oropiern thaten es darauf andere griechische Städte, Voss. Theol. gentil. lib. I. c. 13. zuförderst aber die zu Argos nach, als [222] welche ihm auch seinen besondern Tempel widmeten. Id. Corinth. c. 23. p. 126. Dennoch aber war sein vornehmster Tempel der bey den Oropiern, weil sich in demselben auch ein besonderes Orakel befand. Wer dasselbe zu Rathe ziehen wollte, mußte sich einen ganzen Tag aller Speisen, und drey Tage des Weines enthalten. Philostrat. de vit. Apollon. Thyan. L. II. c. 37. Wenn er ihm darauf einen Widder geopfert hatte, und sich sodann auf dessen Fell im Tempel schlafen legete, so offenbarete ihm Amphiaraus im Traume, was er zu wissen begehrete. Pausan. l. c. Neben diesem Tempel war eine Quelle, die seinen Namen führete, weil man glaubete, er sey durch dieselbe, nach seiner Vergötterung, aus der Erde wieder hervor gekommen. Das Wasser derselben wurde weder zu den Reinigungen, noch zu den Opfern, und auch nicht einmal zum Händewaschen gebrauchet. Diejenigen aber, welche die Hülfe dieses Gottes erfahren hatten, mußten eine goldene oder silberne Münze hinein werfen. Pausan. Attic. l. c. In diesem Tempel sollen, wie Celsus vorgab, so viele Wunder geschehen seyn, als Christus selbst gethan, Ban. Entret. XVI. ou P. II. p. 155. Ej. Erl. der Götterl. V Band, 81 S. welches aber andere, als offenbare Lügen, zur Gnüge widerleget haben. Origin. cont. Cels. VII. cap. 5.

5 §. Familie. Seine Gemahlinn war Eriphyle, des Talaus Tochter, und Schwester des Adrastus, Apollod. lib. I. c. 9. §. 13. mit welcher er den Alkmäon, Diod. Sic. lib. IV. c. 67. p. 186. Katillus, Tiburtus, Koran, Virg. Aen. VII. v. 670. und Amphilochus, die Eurydice und Demonassa zeugete, Paus. Eliac. prior. c. 17. von welchen ersterer seinen Tod an seiner Gemahlinn rächete, und sie ihm ins Reich der Todten nachschickete. Diod. Sicul. l. c.

6 §. Eigentliche Historie. In dieser findet sich eben nichts Unglaubliches, außer, daß ihn die Erde verschlungen haben soll, welches denn einige dahin deuten, daß er, seiner Kunst nach, Achtung auf die vorbey fliegenden Vögel gegeben, um den Ausgang des von [223] den vereinigten Fürsten unternommenen Feldzuges daraus zu erforschen, darüber aber in eine Tiefe gefallen, und also um sein Leben gekommen sey. Ban. Erläut. der Götterl. V. Band. 76 S. Ej. Entret. XVI ou P. II. p. 153.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 220-224.
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