Aríon

[415] ARÍON, ŏnis, Gr. Ἀρίων, ονος.

1 §. Aeltern und Paterland. Nach einigen war sein Vater Cyklon, Aelian. H. A. lib. XIII. c. 45. A. Gell. N. A. lib. XVI. c. 18. Hygin. Fab. 194. nach andern aber selbst Neptun, der ihn mit der Nymphe, Oncäa, gezeuget haben soll. Andere nennen seine Mutter Autoloen, oder geben sie auch für die Erde an. Nat. Com. lib. VIII. c. 14. Wenn man aber dießfalls nichts gewisses angeben kann, so ist man doch darinnen einig, daß er von Methymna in der Insel Lesbus gebürtig gewesen. Probus ad Virg. Georg. II. c. 90.

2 §. Wesen und Schicksal. Er war ein unvergleichlicher Musikant seiner Zeit, und insonderheit ein besonderer Lautenist, oder Citharist, womit er sich vornehmlich bey dem Könige Piranthus, Hygin. Fab. 194. oder, wie er besser genannt wird, Periander, zu Corinth, Muncker. ad Hygin. l. c. beliebt machete, und ein großes Vermögen erwarb, Lucian. Dial. select. 17. als er auf dessen Vergünstigung sich mit seiner Cithar in den Städten Griechenlandes hören ließ. Wie er aber damit nach seinem Vaterlande zurück zu gehen gedachte, und sich daher auf ein Schiff begab, so macheten seine Bedienten mit den Schiffleuten einen Anschlag, ihn umzubringen, und sich seines Geldes zu bemächtigen. Allein, es warnete Apollo den Arion im Schlafe, und befahl ihm, sich des Schutzes derjenigen zu bedienen, die sich zeigen würden. [415] Als darauf sich seine Feinde über ihn her machen wollten, so bath er sie, ihm nur noch zu vergönnen, daß er sich selbst sein Sterbelied spielete. Da sie ihm nun solches zustunden, so sammleten sich auf dessen Klang eine große Menge Delphine um das Schiff herum; und, weil er glaubete, daß solches diejenigen wären, von denen ihm Apollo Anzeigung gethan, so sprang er beherzt mit seiner Cithar ins Meer, da ihn denn einer der Delphine auf den Rücken nahm, und also an das tänarische Vorgebirge ans Land brachte. Indessen vergaß er doch, dem guten Delphine wieder ins Wasser zu helfen, der daher denn umkommen mußte: er aber eilete, was er konnte, wieder zu dem Periander zu kommen, dem er denn seine Zufälle erzählete. Dieser ließ den gestorbenen Delphin begraben, und ihm zugleich ein zierliches Grabmaal errichten. Als aber bald hernach obbesagtes Schiff durch den Sturm gezwungen wurde, in den Haven zu Corinth wieder einzulaufen, so fragete Periander die Schiffer, wo Arion geblieben wäre, welche denn einmüthig zur Antwort gaben, er wäre gestorben. Er befahl ihnen daher des Morgens darauf, solches bey dem Begräbnisse des Delphins zu beschwören, ließ aber vorher den Arion in solches gehen; und, da die Schiffer sich dennoch los schwuren, so kam Arion in eben der Kleidung, wie er in das Meer gesprungen, aus dem Begräbnisse hervor, wodurch die Buben ihrer Bosheit überzeuget, und von dem Periander insgesammt getreuziget wurden. Hygin. l. c. & Serv. ad Virgil. Eclog. VIII. v. 54. Doch wollen auch einige, es sey ihm dieses auf seiner Fahrt aus Sicilien nach seiner Heimath wiederfahren, und zwar nicht von den Schiffern, sondern von seinen Knechten, und er habe diese hernach selbst hart bestrafen lassen. Hygin. Astron. Poet. lib. II. c. 17. Indessen war doch seine Statüe, wie er auf einem Delphine saß, lange Zeit auf dem tänarischen Vorgebirge zu sehen, Pausan. Lac. c. 25. hingegen aber so wohl der Delphin selbst, als auch seine Leyer zum [416] Andenken mit unter die Sterne versetzet, wie ihm denn auch einige selbst an statt des Orions seine Stelle an demselben geben Hygin. Fab. 191. & ad eum Muncker. l. c. Cf. Servius l. c.

3 §. Eigentliche Historie. Daß Arion ein guter Musikus gewesen, ein ziemliches Geld erworben habe, und in Gefahr gestanden, von den Schiffleuten umgebracht zu werden, läßt sich noch wohl glauben, zumal die Sache nicht nur Poeten, sondern auch Geschichtschreiber und andere beybringen. Herodot. L. I. sect. 24. Gell. N. A. l. 16. c. 19. Allein, daß ihn ein Delphin auf dem Rücken zu Lande geführet, wollen sich nicht alle bereden lassen. Zwar behaupten einige solches, als etwas wahrhaftiges, und wissen dabey so wohl vieles von der Liebe der Delphine zu den Menschen, als zu der Musik, anzuführen. Plin. H. N. lib. IX. c. 8. Solin. c. 12. & alii. Allein, andere ziehen es hingegen nicht unbillig in Zweifel; Nat. Com. lib. VIII. c. 14. und es wollen daher einige, daß sich Arion entweder mit dem Schwimmen gerettet, Banier Entret. XX. ou. P. II. p. 320. oder auch von einem Schiffe aufgefangen worden, welches einen Delphin zum Wapen geführet. Nat. Com. l. c. Was aber die Versetzung seiner Leyer, des Delphins, oder auch wohl seiner selbst darzu, an den Himmel anbetrifft, so sind solches schlechterdings Gedichte, die aber doch ihre nicht ungegründeten Absichten gehabt haben.

4 §. Anderweitige Deutung. Sein Exempel soll erweisen, daß Gott alle Bosheiten strafe, und auch unvernünftige Thiere der Bösen Ankläger, hingegen der Frommen Erhalter seyn müssen, auch Gott die Wohlthat selbst angenehm sey, welche den Frommen erwiesen werde, Nat. Com. lib. IX. c. 14. nach dem als der Delphin für seine dem Arion erwiesene Dienste, endlich selbst an den Himmel versetzet worden. Andere wollen daher erweisen, daß die freyen Künste so wohl überall ihre Liebhaber, als auch in den größten Nöthen ihre Beschützer finden, und, da auch Gelehrte ihre Feinde und Verfolger haben, diese doch endlich zu Schanden [417] werden, und ihrer Strafe nicht entgehen. Omeis Mythol. in Arion.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 415-418.
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