Cerbervs

[667] CERBĔRVS, i, Gr. Κέρβερος, ου, ( Tab. V.)

1 §. Namen. Dieser soll zwar, nach gemeiner Ableitung, von Κρέας, Fleisch, und βορὸς, gefräßig, herkommen, und mithin so viel, als Fleischfresser heissen, weil solcher Cerberus so viel, als die Erde sey, die alle ihre anvertrauten Körper verzehre. Voss. Etymol. in Sarcophagus s. p. 519. Allein, andere gehen weiter, und wollen, daß Cerberus so viel, als das phönicische Kerbrosch heiße, welches von Krab, Schlacht, und rosch, Haupt oder Führer, so viel als einen Anführer zur Schlacht bedeute, und eigentlich einen Hund bemerke, der geschickt ist, die Wölfe und dergleichen wilde Thiere anzugreifen. Cleric. ad Hesiod. Theog. v. 310. Und [667] noch andere wollen, daß solcher Namen von Keleph, Hund, und Erez, Erde, zusammen gesetzet sey, und also einen Hund der Erde bedeute. Delrio ap. Becmann. Orig. L. L. in Cerberus. s. p. 353.

2 §. Ursprung. Der Vater dieses Ungeheuers war Typhon, die Mutter aber die Echidna, eine ungeheure Schlange. Hesiod. Theog. v. 304. & Hygin. Præf. p. 15. it. Fab. 151.

3 §. Wesen und Historie. Er war der Hund des Pluto, Hom. Il. Θ. v. 368. welchen dieser vor den Eingang der Hölle geleget, da er denn zwar alle und jede gern in dieselbe hinein, allein niemanden wieder heraus ließ, indem er die, welche dergleichen unternahmen, entweder mit seinem ungeheuren Bellen wieder zurück trieb, Lucian. ap. Barth. ad Stat. Theb. IV. v. 486. oder auch gar zerriß und fraß. Hesiod. Theog. v. 773. Indessen, als Herkules von dem Eurystheus Befehl bekam, ihm dieses Ungeheuer aus der Hölle zu holen, so ließ er sich erst nach gewissen Cäremonien weihen, opferte sodann und stieg durch das tänarische Vorgebirge hinab in die Hölle, und begehrte den Cerberus im Guten von dem Pluto. Dieser stund ihm auch denselben zu, doch so, daß er sich dessen ohne seine mitgebrachten Waffen bemächtigen sollte. Er legete daher dieselben von sich, und behielt nichts, als seinen Brustharnisch und die Löwenhaut um sich. Da er sich nun dessen an dem Acheron bemächtigte, so umfassete er mit seinen Händen dessen Kopf. Auf einigen geschnittenen Steinen hält er dessen drey Kopfe zwischen seinen Beinen geklemmet, und suchet ihn so zu binden. Maffei gem. ant. T. II. tav. 95. & 96. Mariette de pier. grav. T. II. P. I. n. 80. Begeri Thes. Brand. T. III. p. 192. Ungeachtet der Drache, welchen Cerberus statt des Schwanzes hatte, den Herkules aufs grausamste biß, so würgete er ihn dennoch so lange, bis er sich gab, und aus der Hölle heraus schleppen ließ. Man sieht solches noch auf einem rothen Jaspis abgebildet, wo Herkules ganz gleichgültig dabey aussieht. Lipperts Dactyl. I. Taus. 597. Er brachte ihn darauf dem Eurystheus, [668] der aber sogleich befahl, ihn wieder in die Hölle hinab zu schaffen. Apollod. lib. II. c. 5. §. ult. Einige wollen hierbey wissen, daß, als er den Herkules gesehen, er sich aus Furcht vor demselben zu des Pluto Throne begeben, Virgil. Aen. VI. v. 396. & ad eum Serv. l. c. und, als jener ihn endlich an das Tageslicht gebracht, so habe er bey Erblickung desselben zu speyen angefangen, wovon hernachmals das Akonitum, welches ein giftiges Kraut ist, erwachsen. Ovid. Metam. VII. v. 410. Herodorus & Euphorion ap. Apollon. ad. lib. II. v. 354. Sein Aufenthalt war eigentlich eine grausame Höhle, die voller Gebeine derer lag, welche er zerrissen und gefressen hatte; Virgil Aen. VIII. v. 297. & ad eum Emmeness. l. c. und er war darinnen mit tausend Ketten angebunden. Wenn er sich aber von solchen dennoch losmachte, so tobete er dergestalt, daß auch die Furien selbst sich nicht getraueten, ihm zu nahe zu kommen. Sil. Ital. lib. XIII. v. 592.

4 §. Gestalt. Er war zwar eigentlich ein Hund, hatte aber, nach einigen drey Zungen und drey Köpfe. Tibul. L. III. El. IV. 88. Nach andern hatte er deren funfzig, Hesiod. Theog. v. 312. und, nach den dritten so gar hundert, Horat. lib. II. Od. XIII. v. 34. wiewohl dieses auch nur von den vielen Schlangen zu verstehen ist, die um seinen Kopf hiengen, Vet. Schol. ad h. l. und deren ausdrücklich hundert angegeben werden. Hor. L. III. Od. XI. 17. Hiernächst war er auf dem ganzen Rücken, statt der Haare, voller Schlangen, Apollod. l. c. welche mit ihren Köpfen ein entsetzliches Gezische machten, Tibull. l. I. Eleg. 3. v. 71. & ad eum Achill. Statius l. c. und an statt eines ordentlichen Hundeschwanzes hatte er einen Drachen oder eine große Schlange zum Schwanze, welche jedoch am Ende auch ihren Kopf hatte. Senec. Herc. fur. v. 784. Er soll mit solchem eben den Herkules gebissen haben, als er ihn bey dem rechten Kopfe angefasset hatte. Apollod. l. c. Auf einigen alten Gemmen aber findet man solchen nicht. Maffei gem. ant. T. II. tav. 95. & 96. Mariette T. II. P. I. n. 80.

[669] 5 §. Eigentliche Historie. Da die ganze Fabel von der poetischen Hölle aus Aegypten gekommen seyn soll, so hält man es für sehr wahrscheinlich, daß ein dasiger König Chebres oder Kebron zu der Erdichtung des Cerberus Anlaß gegeben. Fourmont de l'enfer poet. dans l'Hist. de l'Ac. des I. & B. L. T. II. p. 12. Einige halten ihn für eine wirkliche Schlange, welche sich in einer Höhle des tänarischen Vorgebirges aufgehalten. Hecatæus Miles. ap. Paus. Lacon. c. 25. p. 212. Weil man nun diese Höhle für den Eingang zur Hölle ansah, so nahm man daher Gelegenheit, zu sagen, daß dieser Drache der Pförtner der Hölle sey, wozu man sonst Hunde brauchete. Man eignete ihm aus keinem andern Grunde drey Köpfe und drey Zungen zu, als weil die Zunge einer Schlange fast wie ein Pfeil gestaltet ist, und die schnelle Bewegung derselben ihr das Ansehen giebt, als ob sie deren drey habe. Wenn dabey noch gesagt wird, daß der Cerberus auf seinem Wege durch Thessalien Gift ausgespyen, so kömmt es daher, daß in diesem Lande viele giftige Pflanzen angetroffen werden. Ban. Erläut. der Götterl. IV B. 48 S. Andere hingegen wollen, daß er ein ungeheurer Hund des Königs Aidoneus in Molossis gewesen, der unter andern auch den Pirithous zerrissen haben soll, als solcher mit dem Theseus die Kora, des gedachten Aidoneus und der Proserpina Tochter, rauben wollen, da sonst die, welche die Kora haben wollten, mit ihm ordentlicher Weise kämpfen mußten. Plutarch. Thes. c. 37. Noch andere machen einen Hund des Geryons aus ihm, welchen Herkules mit des besagten Gerpons Rindern in Griechenland gebracht, und, weil er ungemein schön und stark gewesen, und dabey insonderheit von dem Herkules in der Stadt, Trikaria, erbeutet worden, so habe man ihn nur den trikarenischen Hund genannt. Weil nun dieses Τρικάρηνος sonst so viel als drey köpficht heiße, so habe man daher gedichtet, daß solcher Hund drey Köpfe gehabt. Als aber derselbe einen von [670] Mycenen, welche Molossus geheißen, insonderheit wohl angestanden, ihn aber auf keine geziemende Art von dem Eurystheus, als welchem ihn Herkules überlassen müssen, bekommen können, so habe er solchen endlich durch die Hirten stehlen, und in eine Höhle am tänarischen Vorgebirge verwahren, immittelst aber ihm seine Döben zuführen lassen, damit er, auf solche Art, Zucht von ihm bekomme. Wie aber Eurystheus auch den Herkules ausgeschicket, den verlornen Hund wieder zu suchen, und solcher ihn endlich aus besagter Höhle wieder hervor gebracht habe, so habe man vorgegeben, er habe denselben aus der Hölle herauf geholet. Palæphat. de Incredib. c. 40. Seine drey Köpfe deuten einige so aus, daß er zwey junge Hunde gehabt, die mit ihm zugleich so einmüthig wider ihre Feinde gestanden, als ob sie alle drey nur ein Hund, obgleich mit drey Köpfen, gewesen. Heraclit. de Incredib. c. 33. Jedoch wollen einige, wie schon oben beygebracht worden, unter ihm auch nur die Erde verstehen, Serv. ad Virg. Aen. VI. v. 395. andere aber den Mond, nachdem solcher mit den drey Köpfen des Cerberus seine Wirkung im Himmel, auf der Erde und unter der Erde, oder auch in der Luft und in dem Wasser erweisen soll: zu geschweigen, was einige noch von einem bösen Geiste melden, welcher unter ihm verstanden worden, und darum als dreyköpficht vorgestellet werden soll, weil er einmal aus dem Himmel vertrieben worden, sodann in der Luft sich aufhalten und über die Erde mit herrschen soll. Voss. Theol. gent. lib. II. c. 29.

6 §. Anderweitige Deutung. Einige verstehen unter ihm die Erde, weil diese alles Fleisch frißt und verzehret, wie solches sein Namen andeuten soll. Chartar. Imag. 42. a. Andere verstehen durch ihn die Zeugung derer Dinge, wozu Typhon, oder die Wärme, und Echidna, oder die Kälte, erfordert wird. Unter der Höhle, worinnen er liegen soll, verstehen einige die Gräber, und, daß er statt der Haare Schlangen hat, soll bedeuten, daß [671] sich dieses Ungeziefer gern in den Gräbern aufhält. Allein, da ihn Herkules auch aus der Hölle hervor geschleppet, so soll es bemerken, daß die Tugend mit ihres Ruhmes Beständigkeit Grab und Tod besiege. Nat. Com. lib. III. c. 5. Daß er aber insonderheit drey Köpfe gehabt haben soll, deutet man auf die drey Hauptlaster, Hochmuth, Geilheit und Geiz, welche die Menschen in die Hölle hinab bringen, allein von einem Herkules, das ist, einem klugen und tapfern Manne, gar leicht bezwungen werden können. Georg. Venetus ap. Masen. Spec. Ver. occ. c. XXIII. n. 22. Es sollen solche auch des Menschen Gedächtniß, Verstand und Willen bedeuten, welche ihn, wie ein Hund, in der Hölle anbellen, und dessen Sünden vorwerfen. Chartar. & Natal ap. eumd. l. c. n. 35. Noch andere verstehen durch die drey Köpfe die drey Theile der Erde, Asien, Europa und Africa, und kommen im übrigen mit erstern darinnen überein, daß solche die Menschen, wenn sie gestorben sind, wie ein Hund, verzehren. Wiederum andere nehmen solche für die drey Principia der Chymisten an, nämlich das Salz, den Schwefel und das Quecksilber, und was dergleichen meist weit gesuchter Auslegungen mehr ist. Omeis Mythol. in Cerberus, s. p. 72.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 667-672.
Lizenz:
Faksimiles:
667 | 668 | 669 | 670 | 671 | 672
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Hederich-1770: Cerbervs [1]

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon