Erigone

[1035] ERIGŎNE, es, Gr. Ἠριγόνη, ης, des Ikarius Tochter, bewirthete, mit diesem ihrem Vater, den Bacchus, als er bey ihnen einkehrete, so wohl, daß er ihnen endlich ein Faß Wein zurück ließ, mit dem Befehle, solchen weiter fort zu pflanzen. Hygin. Fab. 130. Er ließ sich aber ihre Schönheit auch so wohl gefallen, daß er sie durch eine falsche Traube hintergieng. Ovid. Metam. VI. 125. Man meynet, es sey solches auf einer Gemme vorgestellet, worauf andere nur eine schöne Bacchantinn sehen wollen, die eine Traube vor ihr Gesicht hält, welche sie mit Vergnügen ansieht, und in eine darunter gehaltene Schale ausdrücken zu wollen scheint. Lipperts Dactyl. I Taus. 422. Durch diesen Betrug soll sie gleichwohl einen Sohn zur Welt gebracht haben, den sie von σταφυλὴ Staphylos nannte. Constant. Fanens. ad Ovid. l. c. Sie luden darauf ihre Weinschläuche und Reben auf einen Wagen, und machten sich mit ihrem Hunde, Mära, nach Attica, woselbst Ikarius den Bauern etwas von seinem Weine vorsetzte. Weil sich aber diese darinnen also besoffen, daß sie darnieder fielen, so glaubeten sie, er habe ihnen Gift gegeben, und schlugen ihn daher mit Knütteln zu Tode. Mittlerweile suchte ihn Erigone hin und wieder, bis endlich obgedachter Hund ihr den Ort zeigete, wo ihr Vater unbegraben lag. Einige wollen, die Bauern hätten ihn heimlich begraben; daher sie ihn erst lange nicht finden können. Nonni Dionys. l. XLVII. 142. Als sie ihn ersah, so erhieng sie sich an einen Baum über ihn. Bacchus machte dagegen, daß sich die Athenienserinnen häufig selbst erhiengen. Da sie nun das Orakel um die Ursache befragten, so sagte ihnen dieses, es geschehe solches, weil sie des Ikarius und der Erigone Tod ungeahndet[1035] gelassen. Sie straften darauf die gedachten Hirten oder Bauern am Leben, und stelleten der Erigone zu Ehren ein besonderes Fest an, welches das Schaukelfest, Aiora, genannt wurde, weil man sich an solchem auf Stricken schaukelte, die an Bäume gebunden waren, um sie zu erinnern, wie Erigone von den Winden bewegt worden. Hygin. l. c. Es wurde zugleich ein Lied gesungen, welches Aletis hieß, weil Erigone zuweilen diesen Namen geführet. Potteri Archæol. græc. T. I. p. 364. Man verordnete dabey, daß ihr und dem Ikarius jährlich etwas von den ersten Feld- und Weinbergsfrüchten geopfert werden sollte. Sie wurden darauf von den Göttern selbst mit an den Himmel versetzet, und zwar soll Erigone die Jungfrau im Thierkreise, Ikarius aber der Arkturus oder Bootes und der Hund Mära die Canicula, der Hundsstern, seyn. Hygin. l. c. & Astron. Poet. III. c. 4. Cf. Apollod. l. III. c. 14. §. 7. Nonn. l. c. 246. & Critolaum ap. Plutarch. Par. min. n. 9. Weil sie die Aernde anzeiget, und von ihr gesaget wird: Spicifera, est virgo Cereris; Manil. Astron. II. 442. so glaubet man sie auf einem geschnittenen Steine zu sehen, wo sie ein Paar Aehren in der Hand hat, welche andere sonst für die Ceres halten. Lippert am angef. O. N. 96.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1035-1036.
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