Horvs

[1293] HORVS oder ORVS, i, ein Sohn des Osiris und der Isis und der letzte unter denen Göttern, welche in Aegypten regieret haben. Herod. Euterp. s. l. II. sect. 144. Diod. Sic. l. I. c. 25. p. 15. Als Typhon seinen Vater Osiris umgebracht, so ließ er ihn, der noch unerwachsen war, überall aufsuchen. Es hatte ihn aber seine Mutter der Latona anvertrauet, die ihn auf einer Insel bey Buto versteckete. Herod. l. c. sect. 156. Gleichwohl soll er von den Titanen seyn umgebracht und in einen Fluß geworfen worden, worinnen ihn seine Mutter gefunden. Weil sie nun die allerseltensten Geheimnisse der Arzeneykunst besaß, so gab sie ihm nicht nur das Leben wieder, sondern verschaffete ihm so gar die Unsterblichkeit. Sie unterrichtete ihn hernach auch selbst in dieser Wissenschaft und in der Wahrsagerkunst, welche denn Horus zum Besten der Menschen anwandte. Diod. Sic. l. c. Sie ermahnete ihn dabey, seines Vaters Tod zu rächen; und dieser soll auch selbst aus dem Reiche der Todten zurück gekommen seyn und ihn in der Kriegeskunst unterrichtet haben. So bald er also heran gewachsen, so machete er sich einen Anhang und zog wider den Typhon zu Felde. Er war glücklich und bekam denselben gefangen. Seine Mutter aber, welcher er solchen in Ketten und Banden überlieferte, wollte ihn nicht hinrichten lassen, sondern stellete ihn wieder auf freyen Fuß. Hier über wurde Horus so aufgebracht, daß er sich an ihr vergriff und ihr den königlichen [1293] Schmuck vom Kopfe riß. Typhon machete ihm nunmehr die Krone aus dem Grunde streitig, daß er nicht des Osiris rechter Sohn sey: er wurde aber deswegen gerechtfertiget, und Typhon in noch zweyen Treffen überwunden. Plutar. de Is. & Osir. c. 20. p. 358. Das letzte wurde an einem Flusse nicht weit von Antäum gehalten und Tpphon scheint darinnen geblieben zu seyn. Diod. Sic. l. c. p. 12. Man findet aber bey den Aegyptiern einen doppelten Horus, den ältern und jüngern. Der ältere wird insgemein Arueris genannt. Sieh diesen Artikel. Der jüngere aber soll gegenwärtiger seyn. Schlegel beym Bann. I B. 150 Anm. Gleichwohl ist dessen Namen ebenfalls kein anderer, als das aus dem ägyptischen Aruer zusammen gezogene Uer oder Or, welches die wirksame Kraft bedeutet. Iablonski Panth. ægypt. P. I. p. 224. Man pflegete ihn bey den Aegyptiern auch wohl Kämin zu nennen, welches so viel als der sichtbare heißen soll. Plutar. l. c. p. 374. Sie sahen ihn für die Hauptursache der Hervorbringung der Früchte und der Fruchtbarkeit des Jahres an. Aelian. de animal. l. XI. c. 10. Daher hielten denn die Griechen so wohl ihn, als den ältern Horus, für ihren Apollo. Diod. Sic. l. c. Plutarch. l. c. p. 355. & 373. Herodot. l. c. Ja, einige glaubeten, daß er der Priapus sey. Suidas in v. Πρίαπος. Jedoch scheint es, daß er die Beschaffenheit der alles erhaltenden und ernährenden Witterung und Mischung der Luft habe anzeigen sollen. Plut. l. c. p. 366. In der That aber war er so, wie Harpokrates, ein Sinnbild der Sonne und zwar derjenigen, die zur Zeit ihres Stillstandes im Sommer ihre Kraft am stärksten äußert. Iablonski l. c. p. 215. sqq. Dieserwegen wurde er denn auch eben so, wie jener verehret. Sieh Harpocrates. Auf allen Abbildungen, die man von ihm annoch hat, wird er allezeit als ein Kind vorgestellet; vermuthlich deswegen, weil er noch sehr jung gewesen, als sein Vater um das Leben kam. Ban. Erl. der Götterl. II B. 19. S. So sieht man ihn auf der isischen Tafel [1294] in der Gestalt eines eingewindelten Kindes, das vom Kopfe bis auf die Füße mit einem Kleide bedecket ist, das aus würfelichten Theilen von verschiedenen Farben besteht. Er hält mit seinen beyden Händen einen Stab, dessen Knopf ein Vogelskopf ist, und eine Ruthe oder Peitsche, dergleichen Osiris zuweilen hat Auf einem andern alten Denkmaale steht er zwischen ihm und der Isis, die einander die Hände geben, als ein junges Kind in einem langen Rocke gekleidet, wobey er in dem linken Arme eine Keule liegen hat, die ihm Osiris gegeben zu haben scheint. Montfauc. Ant. expl T. II. P. II. t. 120. p. 291. Cf. Winckelm. Monum. antich. n. 75. p. 100.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1293-1295.
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