[1765] OEDĬPVS, i, & ŏdis, Gr. Ὀιδίπους, οδος, (⇒ Tab. XXII.)
1 §. Namen. Diesen hat er von ὀιδέω, ich schwelle auf, und ποῦς, Fuß, weil er ganz dicke Füße hatte, und solches daher, daß ihm in der ersten Jugend deren Knöchel waren durchlöchert [1765] worden. Apollod. l. III. c. 5. §. 7. cf. Becmann. Orig. L. L. in Pes, p. 848.
2 §. Aeltern und Auferziehung. Sein Water war Lajus, König zu Sparta, seine Mutter aber Jokasta, oder, wie sie einige nennen, Epikasta, des Menäceus Tochter. Weil seinem Vater das Orakel gesagt hatte, wo er mit der Iokasta einen Sohn zeugete, so wurde ihn solcher umbringen: so enthielt er sich solcher Gemahlinn eine ganze Weile. Als er sich aber einesmales berauschet hatte, so zeugete er solchen Oedipus mit ihr. Damit er nun des Orakels Prophezeyung entgienge, so gab er selbigen einem Hirten, der ihn auf dem Berge Cithäron wegsetzete, nachdem ihm Lajus vorher die Knöchel durchstochen. Es fanden ihn des Polybus von Korinth Hirten, und brachten ihn dessen Gemahlinn, der Periböa, welche ihn, weil sie kein Kind hatte, willigst annahm, und, nachdem sie ihm die Füße wieder heilen lassen, von deren Aufgeschwollenheit eben Oedipus nannte. Apollod. l. III. c. 5. §. 7. Einige wollen hierbey, daß ihn Periböa, oder, wie sie andere nennen, Merope, Schol. Eurip. ap. Muncker. ad Hygin. Fab. 66. als sie ihre Kleider am Meere waschen wollen, selbst gefunden, und mit Genehmhaltung des Polybus auferzogen: Hygin. l. c. sein Vater aber habe ihm vorher die Fußsohlen mit einem glüenden Eisen durchbohret; Lactant. Argum. Oedipi ap. Senec. oder nach andern beyde Füße mit einem Drathe, welchen er durch dieselben gezogen, zusammen geheftet gehabt. Senec. Oedip. v. 857.
3 §. Thaten. Weil er es in seiner Jugend allen seines gleichen an Stärke und Geschicklichkeit zuvor that, so wurden diese oft böse darüber, und warfen ihm vor, daß er nur ein untergeschobenes Kind wäre. Wie ihm dieses nun sehr nahe gieng, so fragte er die Periböa um seinen wahren Zustand, den sie ihm aber nicht entdeckte, worauf er sich nach Delph machte, und das Orakel deshalber fragte Dieses antwortete ihm, er sollte nicht wieder in sein Vaterland zurück gehen, weil er sonst seinen [1766] Vater tödten, und mit seiner eigenen Mutter zu thun haben würde. Diese Gräuelthaten zu vermeiden, wollte er Korinth nicht wieder sehen, weil er glaubete, Polybus und Periböa wären seine Aeltern; sondern wendete sich nach Theben. Hier begegnete ihm Lajus, annoch in Phocis, in einem engen Wege; und dessen Präco, Polyphontes, hieß ihn trotzig aus dem Wege weichen; und da dieser nicht sogleich gehorchen wollte, so machte Polyphontes eines seiner Pferde nieder. Dadurch wurde Oedipus dergestalt aufgebracht, daß er sowohl den Polyphontes, als Lajus, erschlug, sie beyde liegen ließ, und seinen Weg nach Theben fortsetzete. Apollod. l. III. c. 5. §. 7. Als er hieher kam, so befand er, daß alles wegen der Sphinx in Furcht war, weil auch so gar Kreons Sohn von derselben war umgebracht worden; worauf denn Kreon öffentlich versprechen lassen, daß, wer ihr Räthsel errathen würde, des Lajus Witwe, Jokasta, nebst dem Königreiche, zur Belohnung haben sollte. Es machte sich daher Oedipus an dasselbe, und errieth es glücklich, worauf sich denn die Sphinx den Felsen hinab stürzete, Oedipus aber die Jokasta, nebst dem Königreiche erhielt. Id. ib. §. 8. Nach einigen fuhr ihm Lajus, da er nicht weichen wollte, selbst mit einem Rade über ein Bein hinweg, wogegen er ihn von dem Wagen herunter zerrete und hinrichtete. Als nun mittlerweile Polybus zu Korinth starb, so betraurete ihn Oedipus, als seinen Vater. Es entdeckete ihm aber Periböa nunmehr die wahre Beschaffenheit mit ihm, und Itemales, der ihn weggesetzet hatte, machte alles vollends offenbar. Hieraus sah er mit größtem Entsetzen, daß er seinen Vater Lajus selbst umgebracht, und seine Gemahlinn, Jokasta, seine Mutter war. Alles dieß gieng ihm denn so nahe, daß er die Schnallendorne (fibulas) aus dieser ihren Kleidern nahm, und sich damit selbst die Augen ausstach, Theben verließ, und sich freywillig ins Elend begab. Hygin. Fab. 67. & Diod. Sic. IV. c. 66. p. 185. Nach noch andern befiel Theben eine[1767] heftige Pestilenz unter dessen Regierung. Senec. Oedip. Act. 1. Da man deshalber nun nch Delph wegen deren Abwendung schickte, so sagte das Orakel, daß man des Lajus Mord mit des Mörders Verbannung rächen solle. Id. ib. Act. 2. Wie aber diesen niemand wußte, so rief Tiresias des Lajus Geist wieder aus der Hölle herauf, welcher denn sagte, Oedipus habe ihn umgebracht. Id. ib. Act. 1. Dieser machte sich dagegen ungemein breit, weil er sicherlich glaubete, er sey des Polybus Sohn, ließ auch den Kreon deshalber ins Gefängniß legen; fassete aber doch zuletzt seiner selbst wegen ziemlichen Argwohn, worinnen ihn Jokasta nicht wenig bestärkete, als sie ihn auf sein Befragen, die genauen Umstände bey des Lajus Ermordung entdeckete. Id. ib. Act. 4. Er erfuhr darauf auch von einem Alten, welchen Periböa nach Theben sendete, ihm des Polybus Tod zu hinterbringen, und also zu Annehmung des Reichs abzuholen, daß er nicht des Polybus Sohn wäre; Id. ib. v. 784. und endlich auch von dem Phorbas, der ihn ehemals weggesetzet, daß Lajus sein Vater und Jokasta seine Mutter wären. Id. ib. v. 845. Dieß brachte ihn dergestalt außer sich, daß er sich nach einigen selbst die Augen ausstach. Id. ib. Act. 5. Auf dem Fragmente einer Urne in dem Pallaste Rondinini sieht man diesen blinden König von zween Jünglingen geführt. Winkelm. Mon. ant. 103. p. 137. Jokasta aber richtete sich mit dem Schwerte hin. Id. ib. v. 1040. Andere wollen hingegen, diese habe sich erhenket, Oedipus aber sey von den Thebanern vertrieben worden, wobey er denn, weil seine Söhne dasselbe mit angesehen, ohne sich seiner anzunehmen, sie aufs heftigste verflucht habe. Apollod. l. c. §. 9. Noch andere sagen, als dessen Söhne die vergangenen Dinge erfahren, so hätten sie sich des Reichs selbst angemaßet, und dem Oedipus befohlen, sich nicht wieder sehen zu lassen, sondern beständig zu Hause zu bleiben. Diod. Sic. l. c. c. 67. p. 186. Von diesen gehen wiederum andere in so weit ab, daß sie wollen, [1768] er habe diesen seinen Söhnen das Reich selbst, und zwar mit der Bedingung, übergeben, daß selbiges einer ein Jahr ums andere verwalten sollte. Hygin. l. c.
4 §. Kinder. Es waren erwähnte seine Söhne mit der Jokasta Eteokles und Polynices, zween Zwillinge, die Töchter aber Ismene und Antigone. Jedoch wollen auch einige, daß solcher aller Mutter nicht Jokasta, sondern Eurygenea, des Hyperphas Tochter, gewesen. Apollod. l. III. c. 5. §. 8. Einige behaupten, er habe mit der Jokasta ganz u. gar keine Kinder gezeuget. Pausan. Bœot. c. 5. p. 550. Dagegen machen noch andere zu seinen und der Jokasta Söhnen, den Phrastor und Laonytus, und, weil er ein Jahr nach der Jokasta auch die Euryganea geheurathet, so soll er mit dieser den Eteokles, Polynices, die Antigone, Ismene und Jokaste gezeuget, und endlich auch die Astymedusa, des Sthenelus Tochter, zu seiner dritten Gemahlinn genommen haben. Schol. Euripid. ap. Kuhn. ad Paus. l. c. Wenn man auch bedenket, daß Jokasta ziemlich alt gewesen seyn muß, als er sie geheurathet, so will es fast nicht wahrscheinlich fallen, daß er noch so viel Kinder mit ihr habe zeugen können.
5 §. Tod. Er begab sich unter der Führung der Antigone, seiner Tochter, als die ihn in seinem Elende nicht verließ, nach Kolonus, einem Orte in Attika, woselbst ein Hayn der Eumeniden, oder Furien war, in welchen er sich fußfällig niederwarf, endlich aber von dem Theseus aufgenommen wurde, worauf er bald hernach verstarb. Apollod. l. III. c. 5. §. 9. Sophocl. Oedip. Colon. v. 36. sqq. 578. sqq. Man soll ihn zwar darauf zu Theben begraben, und bey solchem seinem Grabe mit besondern Leichenspielen verehret haben: Homer. Il. Ψ. v. 682. jedoch soll er nach der Zeit nach Athen gebracht, und endlich selbst in dem Areopagus beerdiget worden seyn. Pausan. Att. c. 28. p. 52. Man hat von ihm noch eine Tragödie des Sophokles, Fabric. Biblioth. Gr. l. II. c. 17. §. 3. deren Hauptinnhalt man auf einem alten Denkmaale vorgestellet [1769] zu sehen glaubet. Der abgedankte verjagte König sitzt verhüllet da und läßt das Opfer vor der Stadt Athen in dem heiligen Hayne verrichten. Winkelm. Monum. ant. 104. p. 138. Es findet sich auch eine andere vom Seneca, Fabr. Biblioth. Lat. l. II. c. 9. §. 11. hingegen aber des Aeschylus und Euripides ihre sind verloren gegangen. Id. Biblioth. Gr. l. II. c. 16. §. 7. & c. 18. §. 3.