Polydórvs [1]

[2044] POLYDÓRVS, i, ( Tab. XXXI.) des Priamus und der Hekuba Sohn, welchen diese seine Aeltern dem Polymnestor, Könige in Thracien, als seiner Schwester, der Iliona, Manne, nebst einem großen Schatze, anvertraueten, als sie sahen, daß sie in die Länge den Griechen vor Troja nicht würden gewachsen seyn. Virg. Aen. III. v. 49. & ad eum Serv. l. c. Euripid. Hecub. v. 3. sq. Es erzog ihn also seine Schwester. Weil sie aber eben dergleichen Knaben von dem Polymnestor hatte, so nannte sie ihren eigenen Sohn, der sonst Deiphilus hieß, mit ihres Bruders Namen Polydorus, und den wahren Polydorus hinwiederum Deiphilus, wußte auch die Sachen so einzurichten, daß Polymnestor selbst glaubete, der falsche Polydor sey der rechte, und der rechte Polydor sey sein Sohn Deiphilus. Als daher die Griechen einige Gesandten an ihn abschickten, und ihm [2044] Agamemnons Tochter, Elektra, nebst einem großen Schatze versprachen, wenn er den Polydor, Priamus Sohn, aus dem Wege räumen würde, so ließ er sich gar leicht darzu bewegen. Er wurde aber durch den falschen Namen verleitet, und nahm seinem eignen Sohne Deiphilus das Leben. Immittelst erfuhr doch der wahre Polydor, unter dem Namen des Deiphilus, daß Polymnestor und Iliona nicht seine Aeltern waren, daher er sich nach Delph machte, das Orakel dießfalls zu befragen. Dieses sagte ihm, sein Vaterland sey verbrannt, sein Vater todt, seine Mutter aber in der Sclaverey. Da er dieses nun nicht mit dem zusammen reimen konnte, weil Polymnestor noch lebete, Iliona noch Königinn war, und der Ort, wo er vermeynte geboren zu seyn, auch noch stund, so lag er der Iliona so lange an, bis sie ihm die wahre Beschaffenheit der Sache entdeckete, allein auch zugleich vermochte, den Polymnestor der Augen zu berauben, und ihn sodann vollends hinzurichten. Hygin. Fab. 109. Andere wollen, daß, als Troja zerstöret gewesen, Polymnestor gemeynet, er könnte sich der Schätze, die ihm mit dem Polydorus anvertrauet worden, nicht besser bemächtigen, als wenn er solchen aus dem Wege räumete. Dieses habe er denn gethan, und den Körper des Polydorus über einen Felsen hinab in die See gestürzet. Euripid. I. c. v. 21. sqq. Indem aber Hekuba an dem Ufer derselben gieng, ihre Thränen über die geopferte Polyxena, als ihre gewesene Tochter, abzuwischen, und sich allein damit noch tröstete, daß ihr Polydorus noch lebete, so sah sie dessen Körper in der See einher schwimmen. Sie erstarrete anfangs darüber, hernach aber dachte sie auf Rache. Ovid. Metam. XIII. 430–568. Nach andern fand ihre Magd, die sie ans Meer geschickt hatte, Wasser zu holen, den Leichnam der Polyxena abzuwaschen, dessen Körper, und brachte ihr solchen. Euripid. Hecub. Act. IV. Weil nun solches alles geschah, als die Griechen mit ihrer Flotte noch an den thracischen [2045] Ufern hielten, so suchte sie mit dem Polymnestor zu reden; und, da sie es erhalten, so entdeckete sie ihm, wie sie an einem geheimen Orte noch einen Schatz hätte. Er ließ sich also son ihr dahin führen, allein sie überfiel ihn darauf mit ihren mitgefangenen Frauen, und erwürgete nicht allein dessen beyde Söhne, sondern riß auch ihm selbst die Augen aus, und begegnete ihm so grausam, als sie nur konnte. Ovid. Met. l. c. Euripid. l. c. Act. V. Noch andere wollen, Polymnestor habe den Polydorus mit Pfeilen erschießen lassen, die aber alle zu Bäumen geworden; und, da hernach Aeneas unwissend einige davon brauchen wollen, so sey nicht nur Blut aus denselben geflossen, sondern es habe ihn auch Polydors Stimme ermahnet, sich auf diese Art an ihm nicht zu vergreifen. Virgil. l. c. v. 22. Bey dem allen aber will man auch, es habe ihn Polymnestor den Griechen allerdings ausgehändiget, die ihn denn gegen die Helena zu verwechseln gesucht: allein, da es Priamus nicht eingehen wollen, so hätten ihn die Griechen im Angesichte der ganzen Stadt Troja gesteiniget, und dem Priamus sodann dessen todten Körper überlassen. Dict. Cret. l. II. c. 18. 23. & 27. Noch andere geben vor, Achilles habe ihn erleget, als er in der Schlacht hin und her gelaufen, ob er sonst Alters halber gleich keinen Schaden habe thun können Homer. Il. Υ. 406. Allein, dieser war nicht der Hekuba, sondern nur des Priamus jüngster natürlicher Sohn, den er mit der Laothoe gezeuget hatte. Ib. Φ. 90. & Χ. 46. Er war überaus geschwind zu Fuße; Ib. Υ. 410. und kömmt nur allein beym Homer vor; daher man meynet, daß die Neuern den andern bloß erdichtet haben. Dam. Lex. etymol. p. 2995.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2044-2046.
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