Sibyllae

[2195] SIBYLLAE, arum, Gr. Σίβυλλαι, ων.

1 §. Namen. Solchen wollen einige, wiewohl sehr gezwungen, aus dem ebräischen Kibbel, er hat empfangen, herholen, weil diese Frauenspersonen ihre Wissenschaft des Zukünftigen von Gotte empfangen hätten. Neander contra Iudæos p. 517. Peucer de divinat. gener. p. 118. Andere haben das ebräische Sabal, er hat getragen, zu dessen Stammworte angegeben, weil die Wahrsager Gott bey sich trügen. Thysius miscellan. exercit. c. 13. Ja, man könnte auch das arabische Sabal, er ist der Religion geweihet, dafür annehmen, weil sich die Sibyllen doch für Gotte gewiedmete Personen ausgaben. Gallæus ad Orac. Sibyll. p. 3. Viel ungezwungener leitet man ihn von σιβυλλαίνειν her, welches so viel, als ἔνθεάζειν, von der Gottheit begeistert seyn, heißt. Diod. Sic. l. IV. c. 66. p. 187. Man will auch, daß er so viel, als θεοβουλη, Gottes Kath, heissen soll; denn in der äolischen Mundart nannte man die Götter nicht Θεοὺς, sondern Σιοὺς, und den Rath nicht βουλὴν, sondern βυλὴν. Lactant. Instit. l. I. c. 6. Man verwirft aber diese Meynung, weil βυλὴ gar nicht griechisch, und Σιὸς nicht äolisch, sondern lakonisch, sey, und hält den Namen für ein bloßes Verkleinerungswort. Salmas. exercit. Plin. p. 80. b. Er soll also nach lakonischer Mundart [2195] für θέβυλλα seyn gebrauchet worden und eine kleine Göttinn anzeigen. La Cerda ad Virgil. Aen. III. 444. Jedoch könnte man ihn auch von σίειν, bewegen, und βυλλὸς, voll, erfüllt, gemacht zu seyn glauben. Martinius ap. Gallæum de Sibyll. p. 4. Indessen wellen ihn einige lieber für lateinisch erklären, und soll er eine Prophetinn oder weissagende Frau heissen. Hesych. & Suid. in h. v. Da sie aber keinen Grund davon angeben, noch ein altes Wort deswegen beybringen: so hat man es für nicht ungereimt gehalten, wenn er von sibus hergeleitet würde. Petit ad Orac. Sibyll. p. 2. Dieß Wort soll aber verschlagen, scharfsinnig heissen, und von sophos weise, kommen. Fest. l. XVII. p. 506. & Dacer. ad il p. 339. Mehrere Ableitungen sehe man beym Petit & Gallæ. ll. cc.

2 §. Herkommen. Da man bey den Alten vieler Sibyllen erwähnet findet, die so wohl durch ihre eigenthümlichen Namen, als durch ihren Aufenthalt, von einander unterschieden werden, so läßt sich ihre Herkunft nicht allgemein angeben. Diejenige indessen unter ihnen, welche eigentlich den Namen Sibylla geführet, soll eine Libyerinn und eine Tochter des Jupiters und der Lamia, einer Tochter des Neptuns, gewesen seyn. Paus. Phoc. c. 12. p. 630. Andere erzählen, als Dardanus aus Samothracien kam, so vermählete er sich mit des Königes Teucer Töchtern, Batea und Neso, und zeugete mit dieser letztern die Sibylla. Sie besaß einen Wahrsagergeist; und weil sie denjenigen, die sie zu Rathe zogen, das Künftige vorher meldete, so wurde sie in Asien sehr berühmt. Von ihr wurden demnach alle andere weissagende Frauenspersonen Sibyllen genannt, nicht als ob sie mit ihr verwandt gewesen, sondern weil sie von eben dem Gotte getrieben worden. Eustath. ad Hom. Il. Β. p. 351. l. 30. Rhodig. lect. ant. l. XIV. c. 1. Diesemnach wäre also die phrygische die erste und eigentliche. Allein, solche wird auch wohl Diana genannt, und soll nach Delphen gereiset seyn. Clem. [2196] Alexand. Strom. l. I. Daher. hat denn die delphische vermuthlich ebenfalls diesen Namen. Suidas in Σίβυλλα, T. III. p. 311. Ja, sie soll sich selbst in ihren Versen bald Diana, bald Herophile haben zu nennen pflegen. Pausan. l. c. Man zeigete bey dem Rathhause daselbst noch lange nachher den Stein, auf welchem sie soll gesessen haben, als sie von dem Helikon dahin gekommen, wo die Musen sie erzogen hatten. Jedoch machet man diese zu einer Tochter des Neptuns und der Lamia. Plutarch. de Pythlæ oracul. p. 398. T. II. Opp. Die phrygische aber wird auch wohl für des Priamus Tochter, Cassandra, ausgegeben. Gallæus l. c. p. 165. Da man indessen die persische gemeiniglich zuerst setzet: so läßt sich dieserwegen nichts recht gewiß bestimmen.

3 §. Anzahl und besondere Namen. Man ist wegen dieser beyden Stücke bey den Alten und Neuen sehr ungewiß. Weil Plato, Plutarch, Plinius u.a. nur von einer Sibylle reden, und man keine andere, als griechische, Sprüche von ihr hat: so hat man daraus behauptet, daß es nur eine gegeben. Dieses soll die erythräische gewesen seyn, welche viel herum gereiset und nach dem Orte ihres Aufenthaltes die verschiedenen Namen bekommen. Petr. Petit de Sibylla l. I. p. 18. sqq. Cf. Gallæus de Sibyllis. p. 52. Andere gefellen ihr noch die phrygische zu, welche eine Trojanerinn, des Marmessus Tochter, gewesen, und Erophila geheissen haben soll, so wie jene Symmachia, des Hypporeusis Tochter. Mart. Capell. de nupt. Philolog. l. II. p. 40. Einige haben deren drey angenommen. Auson. Gryph. tern. Eid. XI. v. 85. Die erste davon soll diejenige gewesen seyn, welche sich in ihren Versen für des Apollo Schwester ausgegeben, die zweyte die erythräische, und die dritte die sardische; Schol. Aristoph. in avib. v. 963. oder wie sie andere nennen, die delphische, die erythräische, Heriphile, und die kumische. Solin. Polyh. c. 2. Man will auch den Plinius H. N. l. XXXIV. c. 5. wo er von dreyen Bildsäulen der Sibylle redet, [2197] zu dieser Meynung rechnen. Pauvin. ap. Wolf. lect. memor. Centen. III. p. 82. Allein, man hat dagegen erwiesen, daß diese drey Bildsäulen nur Eine vorgestellet, und nach einander errichtet worden. Petit. l. c. & Gallæus l. c. p. 54. Pausanias scheint Phocic. c. 12. p. 130. & 131. deren viere anzunehmen, wovon die erste die eigentliche so genannte Sibylle, oder die libysche, die zweyte die Herophile oder Diana, d.i. die delphische, wovon er nicht undeutlich zu verstehen giebt, daß sie mit der erythräischen einerley sey; die dritte die kumische oder Demo, und die vierte die hebräische Sabba ist. Aelian var. histor. l. XII. c. 35. saget auch, es gäbe deren nur viere, nämlich die erythräische, die samische, die ägyptische, und die sardische: doch setzet er gleich hinzu, diesen fügen andere noch sechs bey, damit ihrer zehn in allen seyn. Dieß ist auch die gewöhnlichste Zahl, worinnen die meisten übereinstimmen, obgleich die Ordnung derselben nicht bey allen einerley ist. Nach dem Varro war die erste und älteste, deren Nikanor erwähnet, welcher die Geschichte des macedonischen Alexanders beschrieben hat, aus Persien gebürtig. Lactant. Instit. l. I. c. 6. Sie soll Sambethe geheissen haben und vom Noah hergestammet seyn. Doch machet man sie auch zur Tochter des Berosus und der Erymanthe, und sie ist gleichfalls die chaldäische oder hebräische. Suid. in Σίβυλλα, T. III. p. 310. Nicht weniger heißt sie bey einigen Sabba, bey andern die babylonische oder ägyptische. Pausan. l. c. Die zweyte, deren Euripides in seinem Vorredner zu dem Trauerspiele Lamia Erwähnung thut, hieß die libyssische, und war in Libyen geboren. Lactant. l. c. Es scheint, daß man sie für eine Tochter des Apollo und der Lamia, oder, nach einigen, des Aristokrates und der Hydole, oder anderer, ausgegeben. Suid. l. c. Die dritte war aus Delph, wovon Chrysippus in seinem Buche von der Wahrsagung redet. Lactant. l. c. Sie soll in dem Tempel des Apollo daselbst geboren seyn, und vor dem trojanischen [2198] Kriege geweissaget, Homer aber viele Verse von ihr seinem Gedichte einverleibet haben. Isidor. Orig. l. VIII. c. 8. Man machet sie zu des Tiresias Tochter, und giebt ihr den Namen Daphne. Diod. Sic. l. IV. c. 68. p. 187. Die vierte war die cimmerische in Italien, welche Nävius in seiner Geschichte des punischen Krieges, und Piso in seinen Jahrbüchern nennet. Die fünfte war die erythräische, welche der erythräische Apollodor für seine Landesmänninn erkläret. Sie weissagete den Griechen, welche nach Ilion giengen, daß Troja erobert werden und Homer viele Unwahrheiten davon schreiben würde. Lactan. l. c. Man will, sie soll von Mermessus, aus dem Trojanischen, gewesen seyn, weil dieser Ort von dem rothen Erdreiche da herum Eryihre hieß. Steph. Byz. in Μερμησσὸς. Allein, andere versichern ausdrücklich, sie sey zu Erythrä in Ionien geboren worden. Strabo l. XIV. p. 645. Gleichwohl giebt man Babylon zu ihrem Vaterlande an, und sie soll nur daher, daß ihre Gedichte in dieser Insel gefunden worden, den Namen erhalten, sonst aber Erophyle geheissen haben. Isidor. l. c. Nach andern war sie eigentlich von Batti, welcher Ort Erythrä hieß, nachdem er zur Stadt geworden. Sie soll aber erst vierhundert drey und achtzig Jahre nach Zerstörung der Stadt Troja, oder nach Euseb. Can. Chron. p. 152. unter dem Romulus, vierhundert ein und dreyzig Jahre darnach, gelebet, und die dreyeckig gestaltete Leyer zuerst erfunden haben. Suid. l. c. Hier scheint mit dem, was kurz vorher gesaget worden, ein großer Widerspruch zu seyn. Er verliert sich aber zum Theile, wenn man weis, daß es eine ältere und jüngere erythräische Sibylle gegeben, welche letztere Athenais geheissen, und von Alexanders edeln Geburt geweissaget hat. Strabo l. c. & l. XVII. p. 645. Einige halten sie für die sicilische, andere für die sardinische, die gergithische, die rhodische, die libysche, die lucanische, und die samische. Diese letztere giebt man indessen doch für die sechste [2199] an, welche mit ihrem rechten Namen Phyto geheissen. Suid. l. c. Eratosthenes schreibt von ihr, daß er sie in den ältesten Jahrbüchern der Samier aufgezeichnet gefunden. Lactant. l. c. Sie soll von der Insel Samos auch Samonote seyn genannt worden. Isidor. l. c. Die siebente war die cumanische, mit Namen Amalthea, welche von andern Demophile oder Herophile genannt wird, und dem ältern Tarquin die sibyllinischen Bücher zu Kaufe brachte. Lactan. l. c. Sie heißt auch wohl Deiphobe. Virgil. Aen. VI. 36. Ihr Grab wurde lange Zeit in Sicilien gewiesen. Isidor. l. c. Die achte war die hellespontische, welche in dem trojanischen Gebiethe, in dem Flecken Marmessus, bey der Stadt Gergis, geboren war, und zu des Cyrus und Solons Zeiten lebete, wie Heraklides von Pontus sagete. Die neunte war die phrygische, welche zu Ancyra weissagete; und die zehnte die tiburische, Albunea genannt, welche sich zu Tibur, oder Tivoli, aufhielt. Lactant. l. c. Außer diesen zehnen findet man noch hin und wieder bey den Alten einiger andern gedacht, die man nicht füglich unter sie hat bringen können. Dergleichen sind die kolophonische, Lampusa genannt, welche vom Kalchas abstammete; die thessalische, mit Namen Manto, des Tiresias Tochter; und eine Sarbis, die von einigen Kassandra, von andern aber Taraxandra, genannt wird. Suid. l. c. Hierzu kömmt noch die epirotische, welche Tzetzes Phaenno, Zosimus aber Phaello nennet, beyde aber, da sie von ihren Orakeln reden, ausdrücklich von den Sibyllen unterscheiden. Gallæus de Sibyl. c. 12. p. 184. sqq. Man setzet auch wohl zur eilften eine europäische, von welcher man aber nichts angeben kann, als daß man muthmaßet, sie sey vieleicht mit einer andern, die man Agrippina oder Agrippa nennet, einerley. Gallæus l. c. p. 193. Desgleichen nimmt man zur zwölften eine andere ägyptische an, als die so genannte persische, die sonst dafür gehalten wird; und glaubet, es sey die Königinn von Saba gewesen, die [2200] zum Salomo gekommen. Id. ib. p. 195. Ueberhaupt aber wird sich deren Zahl schwerlich recht fest setzen lassen. Id. ib. p. 59. Denn man pflegte fast alle wahrsagende Frauenspersonen, oder die man von einem solchen Geiste getrieben zu werden glaubete, von der erstern Sibylle zu nennen. Lactant. & Suid. ll. cc.

4 §. Stand und Wesen. Man unterscheidet sie zuweilen sorgfältig von andern weissagenden Frauenspersonen. Pausan. Phoc. c. 12. p. 131. Es läßt sich aber schwerlich recht bestimmen, welches ihr unterscheidendes Kennzeichen gewesen. Indessen kömmt man doch darinnen meist überein, daß sie ohne die geringste Wissenschaft, ohne einige Ursache, Kenntniß und Beobachtung der Sachen, aufgebracht wurden, und das Zukünftige, in einer Art von wahnwitzigen Raserey, vorher verkündigten. Cic. de divin. l. I. c. 2. & 18. Virg. Aen. VI. 47. Ovid. Metam. XIV. 107. Daher wurden sie denn oft unsinnig und wüthend genannt. Virgil. Aen. III. 443. Claudian. de IV Honor. consul. 148. Sie sageten auch selbst, daß sie von einem gewaltigen Flammenstrome brenneten. Amm. Marc. l. XXI. c. 1. Was sie alsdann vorbrachten, erklang aus einem wüthenden Munde ohne Anmuth, Schmuck und Zierde. Plutar. de Pyth. oracul. p. 397. T. II. Opp. In dieser Wuth wußten sie nicht, was sie sageten, und vergaßen so gleich wieder, was siegesaget hatten; und dieß soll die Ursache seyn, woher ihre Verse nicht allezeit die richtigsten sind. Iustin. Mart. cohort. I. ad Græc. p. 77. T. I. Opp. Daher kamen auch die Widersprüche und Ungewißheiten in ihren Gedichten, wie sich denn die delphische z.B. bald für des Apollo Frau, bald für dessen Schwester, bald für dessen Tochter, u.s.w. ausgab. Paus. l. c. Diese wahnsinnige Wuth, die sich bey ihrem Weissagen finden mußte, machte den Vernünftigen denn die Verse verdächtig, die man zu Rom als Sibyllensprüche verehrete, weil sich Akrosticha darinnen befanden, die nur von einem ruhigen Gemüthe konnten[2201] seyn gemacht worden. Cic. de divin. l. II. c. 12. Indessen vermuthete man doch eine Gottheit und einige Gesellschaft der Himmlischen bey ihnen. Plin. H. N. l. VII. c. 33. Eigentlich aber wurden sie nur von der schwarzen Galle geplaget, und geriethen dadurch in die Unsinnigkeit. Aristot. problem. sect. XXX. qu. 1. Weil gleichwohl die Pythia u.a. solches auch an sich hatten, so will man, sie werden dadurch von denselben unterschieden, daß sie nicht an einem Orte fest gesessen, und nur auf Befragen oft von geringen Dingen Antwort gegeben, sondern daß sie überall von freyen Stücken große, wichtige, und oft noch weit entfernte Dinge vorher verkündiget. Petit de Sibyl. l. III. c. 1. Sie sollen aber auf dreyerley Art das Zukünftige vorher gesaget haben, entweder mündlich, oder schriftlich, oder durch Zeichen, dergleichen auf den Obelisken sind; oder wie andere wollen, durch Schriftzüge, da ein einziger Buchstab etwas bedeutete. Sie pflegeten aber auf Palmblättern zu schreiben. Serv. ad Virg. Aen. III. 444. Jedoch waren die sibyllinischen Bücher zu Rom auf Leinwand geschrieben. Claudian. de bel. Get. 230. Symmach. l. IV. ep. 34. Meistentheils fangen sie ihre Weissagungen; Pausan. & Virg. ll. cc. und das sollen sie bis auf tausend Jahre getrieben haben. Plutarch. l. c. Daher saget denn die cumäische, als Aeneas sie zu Rathe zog, sie habe schon siebenhundert Jahre gelebet und habe noch dreyhundert zu leben. Ovid. l. c. 144. Ja, die erste prophezeyete von sich, sie werde auch nach ihrem Tode nicht aufhören, zu weissagen, sondern in dem Monde umgehen und in das Gesicht verwandelt werden, welches in demselben erscheinen soll: der Geist aber, der mit der Luft vermenget worden, werde alles nach seiner Bewegung hervorbringen, und der in Erde verwandelte Leib Kräuter und andere Sachen, welche die heiligen Thiere fressen, die verschiedene Farben, Gestalten und Beschaffenheiten des Eingeweides haben, woraus den Menschen das Zukünftige gezeiget wird. Plutarch. l. c. [2202] p. 398. Sie hielten sich auch nicht immer beständig an einem und eben dem Orte auf, sondern zogen vielfältig herum. Denn so soll eben diese die meiste Zeit ihres Lebens zwar auf der Insel Samus gewohnet, aber doch auch nach Klarus und Kolophon, nach Delus und Delph gekommen, und in der Landschaft Troas gestorben seyn. Pausan. l. c. Man hält sie insgemein für reine und keusche Jungfrauen, und sie sollen eben durch ihre beständige Jungfrauschaft die Gabe zu weissagen verdienet haben. Hieron. cont. Iovian. l. I. Nach denjenigen Schriften aber zu urtheilen, die man noch von ihnen haben will, können sie eben keinen großen Anspruch auf eine unbefleckte Keuschheit machen. Gallæus l. c. p. 49. 50. Diejenigen acht Bücher Orakel indessen, welche wir unter ihren Namen besitzen, sind ein untergeschobenes Werk, und nur erst nach Christi Geburt erdichtet worden. Fabr. Bibl. gr. l. I. c. 33. p. 215.

5 §. Verehrung. Ungeachtet man vorgiebt, daß sich bey den Alten keine Spur fände, woraus man sicher behaupten könnte, sie wären als Gottheiten verehret worden: Petit de Sibyll. l. II. c. 14. p. 265. so findet man doch gleichwohl, daß wenigstens eine oder die andere göttliche Ehre genossen und man ihnen geopfert hat. Gallæus de Sibyll. c. 14. p. 257. sqq. So wurde die tiburische als eine Göttinn zu Tibur an dem Ufer des Flusses Anienis verehret, in welchem man ihr Bild mit einem Buche in der Hand gefunden hatte. Lactant. Instit. l. I. c. 6. Es sollen noch an dem Orte, den man für ihre Höhle ausgiebt, Trümmern eines kleinen Tempels seyn, von welchem man meynet, er sey ihr gewiedmet gewesen. Spon. Voyag. P. I. p. 37. Desgleichen hatte die cumische zu Cumä ihre Kapelle; Solini Polyh. c. 8. Selbst die Grotte, aus welcher sie ihre Orakel gab, wurde so genannt. Virg. Aen. VI. 41. Auch in spätern Zeiten sah man allda ein großes aus Einem Steine gemachtes Gebäude, in dessen Innerstem sich eine Kapelle befand von eben dem Steine, mitten aus welcher sie auf einem hohen[2203] Throne sitzend ihre Weissagungen soll vorgebracht haben. Iust. Martyr. cohor. I. ad Gr. p. 77. T. I. Opp. Es wurden ihnen Bildsäulen errichtet. Plin. H. N. l. XXXIV. c. 5. Man fand deren so gar zwölfe von allen oben angezeigeten in einer christlichen Kirche zu Siena, die Galläus in Kupfer stechen lassen, und deren Verehrung daselbst er für unheilig erkläret. De Sibyll. l. c. p. 263. Diese indessen zu entschuldigen, hat man gemuthmaßet, sie wären da gelassen, als man die Kirche zu dem christlichen Gottesdienste eingeweihet. Ban. Erl. der Götterl. I B. 806 S. Außerdem pflegte die Stadt Gergis in Kleinphrygien diejenige, welche daselbst geboren seyn sollte, als ihre Gottheit, nebst dem Sphinx, auf ihre Münze zu setzen. Steph. Byz. in Γέργις. Die Ehrerbiethung, welche man in Rom für die sibyllischen Verse hegete, welche dem Tarquin zu Vcrkause gebracht worden, war überaus groß, und man verwahrete solche in einem steinernen Kasten in einem unterirdischen Gewölbe des Tempels auf dem Capitolio. Dion. Halic l. IV. p. 260. Sie durften nur, wie andere heilige Sachen, mit verhüllten Händen berühret werden. Flav. Vopisc. in Div. Aurel. c. 19. Es mochten ihrer ungefähr auf hundert mehr oder weniger seyn. Serv. ad Virgil. l. c. v. 42. Sie wurden bis auf des Cornelius Sylla Zeiten von den Pontificen zu Rathe gezogen. Solin. Polyh. c. 2. Da in dem bürgerlichen Kriege aber das Capitolium mit ihnen wegbrannte, so ließ man zu Samos, Troja, Erythrä, in ganz Afrika, Sicilien und Italien alles aufsuchen, was man von solchen Orakelsprüchen finden konnte, damit man diesen Verlust wieder ersetzete. Tac. Ann. l. VI. c. 12. Man brachte deren etwan tausend zusammen. Lactan. l. c. Weil davon aber viele unecht seyn konnten, so setzete man Priester nieder, die, so viel menschlicher Weise möglich wäre, die echten aussuchen sollten. Tac. l. c. Gleichwohl blieben noch viele falsche darunter, die man an den Akrostichen will haben unterscheiden können. Dion. Halic. l. c. Man nahm [2204] zu denselben nur auf Verordnung des Rathes seine Zuflucht, wenn man bey sich eräugeten Wunderzeichen wissen wollte, was zu thun wäre. Varro de re rust. l. I. c. 1. Liv. l. XXII. c. 9. Dergleichen geschah auch bey entstandenen Aufruhren, oder wenn das Kriegesheer eine überaus große Niederlage erlitten hatte. Dion. Halic. l. c. Jedoch will man, daß dieses in den ältesten Zeiten bey dergleichen Vorfällen eben nicht, aber wohl bey Pest-und Hungersnoth, geschehen sey. Salmas. ad Vopisc. l. c. Anfänglich waren zu deren Aufsicht nur Zweymänner, hernach Zehnmänner, und endlich Funfzehnmänner bestellet, deren Anzahl sich bis auf sechzig vermehrete, wiewohl sie nur immer den Namen der Funfzehnmänner behielten. Serv. ad Virgil l. c. v. 73. Cf. Gallæus l. c. p. 270. sqq. Diese Ehrfurcht gegen die sibyllinischen Bücher daurete weit in die Zeiten ders Kaiser hinein, bis endlich unter des Honorius Regierung Stilico sie verbrennen ließ. Rutil. Numant. itiner. l. II. 52.

6 §. Bildung. Man will die Köpfe von einigen noch auf verschiedenen römischen Münzen wahrnehmen. Also soll es die phrygische seyn, die, wies der Gergither ihre, mit dem Sphinx auf einer Münze des T. Carisius vorkömmt. Spanhem. de V. & Pr. num. T. I. p. 246. Havercamp. Thes. Morell. T. I. p. 72. Eine andere, welche man für die erythräische hält, kömmt mit der deutlichen Unterschrift des Namens auf einigen Münzen der manlischen Familie vor. Havercamp. l. c. p. 260. So wie es der Kopf der delphischen seyn soll, den man auf einer Münze des L. Valerius sieht. Id. ib. p. 424. Es möchte aber bey allen vieleicht noch etwas zu erinnern seyn. Gronov. Thes. ant. græc. T. II. t. 43. 44. & 45. Außerdem so erkläret man die auf einer trojanischen Münze unter dem K. Commodus stehende nackende Frauensperson, die den Leib vorwärts gebeugt und die Haare in einen Knoten gewickelt hat, den rechten Fuß auf einen Tritt setzet und in der ausgestreckten [2205] rechten Hand einen nach unten geneigten Lorberzweig hält; wie auch die auf einer andern unter dem K. Caracalla eben so gebildete Frauensperson, nur daß sie den rechten Fuß auf einen Dreyfuß setzet, für die Sibylle Herophile. Patin. Impp. R. num. f. 17. & 19. Diese will man auch bekleidet auf einer Säule über einer Höhle stehend erblicken, vor welcher sich ein Hirt und hinter demselben ein springender Hirsch zeigen. Haym. Thes. Brit. T. II. p. 329. Desgleichen soll eine alte Bildsäule im Campidoglio die cumanische vorstellen. Sie steht aufgerichtet, hat in der rechten Hand etwas, das eine Buchrolle seyn könnte, wo es nicht ein Stück von einem Stabe ist, und mit der linken fasset sie ihr Kleid. Sie krümmet den Leib nach der rechten Seite und hebt nach der linken den Kopf, der mit einer Haube bedecket ist, in die Höhe. In dem alten Gesichte desselben entdecket man alle Züge einer in Begeisterung redenden oder singenden Person, und ihr Alter wird noch aus andern Theilen ihres Leibes kenntlich. Maffei Racc. di Statue. t. 25. Viel gelassener und jünger stellet sie eine andere in den mediceischen Gärten sitzend mit unaufgebundenen Haaren vor. Sie breitet beyde Hände von einander, als ob sie etwas vortrüge, und hat in der rechten eine förmliche Buchrolle: zu ihrer linken aber stehen noch andere dergleichen. Gronov. Thes. Ant. gr. T. II. t. 42. Von mehrern andern, die man für Abbildungen der Sibyllen ausgiebt, ist man selbst noch zweifelhaft. Montfauc. Antiq. expliq. T. II. P. I pl. 3. Die zwölfe, welche man in der Kirche zu Siena gefunden, scheinen zu viel neues und phantasiemäßiges an sich zu haben, als daß man sie hier füglich beschreiben darf.

7 §. Eigentliche Beschaffenheit. Wenn man gleich nicht leugnen will, daß es dergleichen Frauenspersonen gegeben, von denen man gemeynet, daß sie das Künftige voraus sagen könnten, und die auch manchen dergleichen Ausspruch in den Tag hinein mögen gethan haben: so soll doch alles [2206] dabey nur auf einen ungefähren Zufall, oder auf Einbildung und Betrügerey, angekommen seyn. Van Dalen de orac. Diss. I. c. 18. p. 405. Indessen möchte sich dieses doch wohl nicht so ganz sicher behaupten lassen. Fabric. Bibl. gr. l. I. c. 29. §. 16. p. 176. Gleichwohl soll die ganze Erzählung von ihnen aus Persien und Chaldäa herkommen, und das Zeichen der Jungfrau im Thierkreise dazu Anlaß gegeben haben. Man pflegte solches daselbst Sumbul oder Sumbula von der Kornähre zu nennen, die sie in der Hand trägt, und man Sibylla oder Sibbyla nannte. Dieser Aehre, oder der Jungfrau, schrieb man etwas Wundersames zu, als wenn sie das Verborgene offenbarete und das Versteckete entdeckete; daher man denn dieselbe auch eine Prophetinn und Wahrsagerinn nannte. Da nun die Chaldäer alle ihre Wissenschaft des Vergangenen und Zukünftigen aus dem Gestirne schöpfeten, so war es nichts ungereimtes, daß sie dieser Jungfrau, als der Quelle der himmlischen Weisheit, unter dem Namen der Kornähre oder Sibylle, die Anzeige und Offenbarung künftiger Dinge zueigneten. Die Griechen folgeten ihnen darinnen nach, und daher kam es, daß sie die persische Sibylle, unter dem Namen Sambethe von Sambula, für die erste angaben. Hyde de relig. vet. Persar. c. 32. p. 391.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2195-2207.
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