Halluzination

[254] Halluzination (lat. hallucinatio von hallucinari = faseln) heißt die Sinnestäuschung, durch welche der Mensch eine reproduzierte Vorstellung abwesender Gegenstände für eine Empfindung nimmt und diese veräußerlicht, d.h. in die Außenwelt projiziert. Von der einfachen Sinnestäuschung (Nachbilder,[254] Doppeltsehen) unterscheidet sie sich durch die Zusammengesetztheit der Wahrnehmungen, von der Illusion durch Abwesenheit eines veranlassenden Reizes. Doch ist auch bei der Halluzination nicht ausgeschlossen, daß kleine, unmerkbare Reize die Reproduktion veranlassen. Entweder usurpiert eine Vorstellung eine schon vorhandene Empfindung, oder sie begründet selbst eine neue. Solche Täuschungen entstehen aus abnormer Reizung der Sinnesnerven. Es handelt sich dabei entweder um abnorme Empfindungen im Innern des Leibes oder in den peripherischen Sinnesorganen oder um solche, die aus Reaktion gegen äußere Erregungen stattfinden. Zu jenen gehören die Wahngebilde der Säufer von Ratten und Flammen im Unterleib, die Kugel der Hysterischen. Bisweilen bilden sich Seelenkranke, Sterbende, Trunkene ein, sie hätten einen ganz anderen Leib, etwa von Glas, Holz oder dergl. Zur zweiten Art sind die Gesichtebilder Sterbender, das Glockengeläute bei Kongestionen des Gehirns, der Leichengeruch, der manche stets verfolgt, zu rechnen. Bei der dritten Art glaubt der Mensch, wenn er sich selbst im Spiegel sieht, einen Toten, einen Dämon zu sehen, oder fortgesetzt Schimpfworte zu hören. Eine Abart der Halluzination. ist die Vision (s. d.). Oft werden Mörder vom Gesicht ihres Opfers verfolgt, Pascal sah, seitdem er in Gefahr gewesen, in die Seine zu stürzen, zeitlebens einen Abgrund neben sich, Shakespeares Macbeth sieht den Geist Bankos. Wie ansteckend diese Psychose ist, zeigt der Hexenglaube, die Gespensterfurcht, das »zweite Gesicht« (second sight) der Schotten und das »Ragl« der Wüstenreisenden. Vgl Wundt, Grundriß d. Psych. § 18, 3 S. 331. B. A. Mayer, die Sinnestäuschungen, Halluzinationen und Visionen. 1869. Leubuscher, Grundzüge z. Pathol. d. psych. Krankheiten. 1848. Clemens, die Sinnestäuschungen. 1858. Perty, die myst. Erscheinungen d. mschl. Nat. 2. Aufl. 1872. Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II 430 ff. Hellpach, Grenzwissenschaften der Psychol. 1902. S. 309 ff.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 254-255.
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