Humanität

[266] Humanität (franz. humanité, lat. humanitas), eigentlich Menschlichkeit, bezeichnet zunächst das für den Menschen im Unterschied vom Tier Charakteristische, also den Gegensatz zur Bestialität, Brutalität. Da dieses aber durch Erziehung und Unterricht ausgebildet werden muß, so bedeutet es auch die Bildung, welche nicht bloß gewisse Kenntnisse gibt, sondern auch Gemüt und Charakter erzieht. Als Wirkung der Humanität gilt das humane, d.h. leutselige und freundliche Benehmen gegen Schwache, Niedere, Arme usw. Denn dem wahren Menschen ist nichts Menschliches fremd, weder der Sinn für ein geistiges oder sittliches Gut, noch das Mitgefühl für fremdes Leid. Die Idee der Humanität, welche die Einheit des Menschengeschlechts zur Voraussetzung hat, ist allmählich zur Anerkennung gelangt. Im Altertum verachtete und haßte jedes Volk das andere. Erst Alexanders Züge, durch welche griechische Sprache und Literatur Gemeingut der Völker wurde, sowie die Lehren der Kyniker und Stoiker haben den Satz in Aufnahme gebracht, daß alle Menschen Brüder seien. Ihnen schloß sich das Christentum und die Philosophie im allgemeinen an. Als dann im 15. Jahrhundert die alten Künste und Wissenschaften ihre Wiedergeburt (Renaissance) feierten, erschienen sie ihren Anhängern im Gegensatz zu dem verzerrten, beschränkten Zeitalter als einzig menschlich, daher nannte man sie Humaniora und die, welche sich ihrem Studium widmeten, Humanisten (Reuchlin, U. v. Hütten, Erasmus von Rotterdam u. a.). Allmählich verloren diese sich aber in Buchstäbelei und Pedanterie, sodaß ihnen im 18. Jahrhundert der Philanthropinismus (s. d.) entgegentrat, der das ausschließliche Studium der alten Sprachen mit Recht bekämpfte. Aber noch heute ist der Streit zwischen Humanismus und Realismus nicht geschlichtet. Aus der tieferen Erkenntnis des Altertums, namentlich aus dem Studium der Griechen erwuchs dann in unserer klassischen Zeit unter Vorangang J. J. Winckelmanns (1707-1768) die Humanitätsidee, wie sie vor allem Lessing, Herder, Goethe, Schiller und W. v. Humboldt beherrscht. Im 19. Jahrhundert hat die Humanitätsidee ihre Einschränkung durch das Erwachen des Nationalgefühls, die Entwicklung der Naturwissenschaft und der Technik und die Neuerungsrechte auf dem Gebiete des Schulwesens gefunden.[266]

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 266-267.
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