Religionskenntnis.

[64] Es ist nicht mit Worten zu beschreiben, wie wenig man immer von Gott und dem Christenthume weiß. Denn das ist noch lange nicht genug, daß man weiß, Gott habe uns erschaffen, und Jesus habe uns erlöset. Aber damit ist es schon alles, was man weiß, und kann man noch überdies ein paar Sprüche herplappern, so glaubt man, daß man viel köstliche Dinge wisse. Ist das aber nicht rechte Sünde, die Erkenntnis Gottes zu verachten, die uns doch so deutlich in der heiligen Schrift vor Augen gelegt wird? Da wundere ich mich nicht, wenn die Bosheit alle Tage mehr überhand nimmt, wenn man nicht Gottes Allgegenwart, Heiligkeit, Gerechtigkeit recht ausführlich gelernt hat, und kaum erfahren hat, was Sünde ist, und was der allmächtige Herr geboren und verboten hat. Darum sage nicht, daß du schon genug von Gott und seinem Worte gelernt hast, du kannst nicht genug lernen. Nimm ein Gleichnis: wenn du eine Kunst und Handwerk lernen willst, so lässest du dir alles zeigen und[65] lehren, damit du wohl unterrichtet sein und nach der rechten Kunst und Wissenschaft alles machen mögest. Kannst du nun aber nach Gottes Wort thun, glauben und sterben, so du ein Fremdling darin bist, und nicht rechte und wahre Erkenntnis davon hast. – Glaubet an das Evangelium, heißt es, aber wie nun, wenn du nichts von dem Evangelio weißt, kannst du auch da daran glauben. Solche Kraft und Gnade kömmt nicht anders, als von der Erkenntnis Gottes. – Er hat uns ein Beispiel gelassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen. Darum müßen wir wissen und unabläßig forschen, wie sein Beispiel beschaffen war, was er machte und vornahm, daß wir es auch machen und vornehmen. – So versäume denn, o Christ, keine Zeit, wo du auf Gottes Wort merken und darinne forschen könnest. Du hast auch keine Entschuldigung und Vorwand, daß es dir nicht möglich sei, in der Erkenntnis Gottes zu wachsen. Siehe an, was dir gegeben ist! Du hast Predigt, Kirche, Schule, Gewissen, und was das allerkostbarste und schönste ist, die heilige Schrift, die es ist, die von ihm[66] zeuget. Gebrauchest du diese Mittel ehrlich und rechtschaffen, wie du kannst und sollst, so wirst du immer mehr von Gott und Jesu, und seinen Geboten zu reden und zu sagen wissen, und deine Erkenntniß recht groß und lebendig werden. Aber wo du das nicht thätest, siehe so kann jedermann kommen und dich etwas falsches lehren, und du bist so einfältig und glaubst, was dir vorgesagt wird. Aber hast du selbst gelesen im Worte Gottes und gehört die Predigt des Evangeliums, so mag Teufel und alle Roten kommen, und dich auf falsche Dinge hinleiten, du wirst ihnen nicht glauben, sondern sie Lügner schelten, und deines Glaubens gewiß sein. Darum sagt auch der Fromme; ich weiß, an welchen ich glaube, aber so du nicht fleißig gelernt hast in Gottes Wort, kannst du das nicht sagen. Auch dich nicht trösten in Leiden, in Noth, und am meisten im Tode. Denn wo die Erkenntnis nicht recht fest und gewiß ist, so sieht man es zu dieser Zeit am ersten und deutlichsten. Aber bist du ein verständiger, erleuchteter Christ, so weißt du auch, warum dir dein Gott Leiden auferlegt, und wessen du dich[67] zu trösten hast, und was du im Tode zu hoffen hast, nämlich Leben und unvergängliche Seligkeit.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 64-68.
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