26. Brief.

[174] Lieber Wilhelm!


Da ich Dich heute von den Regeln der Höflichkeit und des Anstandes bey der Tafel unterhalten werde, so will ich Dir zwar alle jene kleinen Regeln, die Du beym Essen selbst zu beobachten hast, nicht wiederholen; Du weißt sie. Aber bitten muß ich Dich, sie sorgfältig zu beobachten; denn manche Menschen legen auf sie einen sehr hohen Werth und schließen von der Nichtbeobachtung einer einzigen sogleich auf eine gänzliche Vernachlässigung des Aeußern und sagen: der junge Mensch hat nicht einmal ordentlich essen gelernt. So strenge nun auch ein solches Urtheil[174] seyn mag, so siehest Du doch daraus, daß sehr viel darauf ankommt, mit einem guten Anstande bey der Tafel zu erscheinen, und sich da gehörig zu benehmen.

Bist Du von Jemanden eingeladen, so wirst Du diese Einladung, welche Du als eine ausgezeichnete Höflichkeitsbezeigung anzusehen hast, ohne wahre Hindernisse und ohne erhebliche Ursache nie ausschlagen. Bist Du von mehrern zugleich eingeladen, so mußt Du die erstere Einladung behalten, und wenn sie von einem weit Niedrigern wäre, als die übrigen; nur der regierende Herr und seine Anverwandten machen hier eine Ausnahme, deren Einladung vor jeder andern angenommen werden muß.

Erscheine zur rechten Zeit, weder zuerst noch zuletzt, daher Du Dich erkundigen mußt, zu welcher Stunde man in dem oder jenem Hause zu speisen pflegt.

Setze Dich dahin, wohin man Dich anweiset, außerdem nie an den ersten Platz, (welcher immer der Thüre des Zimmers gegenüber ist,) es wäre [175] denn, daß Du eine höhere Person repräsentiren müßtest.

Iß alles gerne, ohne jene Ausnahmen von Speisen zu machen, die allemal von einer sehr schlechten Erziehung zeugen und gemeiniglich bey der niedrigsten Volksklasse gefunden werden.

Laß Dich nie sehr nöthigen, mache keine Umstände, iß und trink oder danke.

Sey aufmerksam auf die Gesellschaft und ihre Gespräche; nimm mit Heiterkeit daran Antheil und führe angenehme Unterhaltung herbey.

Iß und trinke mäßig, auchnicht bis zum kleinsten Grade der Unmäßigkeit. Ohne auf den Nachtheil, welchen jede Unmäßigkeit der Gesundheit bringt, Rücksicht zu nehmen, gibt es keinen häßlichern, ekelhaftern Anblick, als einen Menschen zu sehen, der sich mit seinem überfüllten Magen nicht rühren kann, und dem der Wein aus seinem aufgedunsenen Gesichte glüht.

Lobe weder die Speisen noch tadle sie; beydes setzt den Wirth in Verlegenheit und zeugt von Leckerey.

[176] Gesundheittrinken ist nicht Sitte in guter Gesellschaft, außer bey ganz besondern feyerlichen Gastmälern. Geschieht es indessen, so kommt es nur dem Höhern zu, sie auszubringen; die übrigen folgen ihm nach.

Beym Aufstehen machst Du gegen die Gesellschaft, besonders gegen den Herrn und die Frau vom Hause eine Verbeugung, und weiter nichts.

Es ist eine elende Sitte, seinen Mund an den Händen der Damen oder den Wangen der Herrn abzuwischen.

Bist Du in dem Fall, daß Du Andere, um ihnen Höflichkeiten zu erwiedern oder zu erzeigen, zum Essen einladest, so sey vorsichtig mit den Einladungen. Kannst Du es vermeiden, so bitte nicht Feinde zusammen, die sich nicht gerne sehen. Bittest Du Mann und Frau aus einem Hause, so mußt Du es schlechterdings mit jedem andern Hause eben so machen, und wenn es auch Niedere und Untergebene waren; sonst würde die Einladung, blos des Mannes, nicht Höflichkeit, sondern beleidigende Grobheit seyn, und dieser das Recht haben, dieselbe, zu seiner und seiner Frauen Ehre, auszuschlagen. [177] Bitte alle Deine Gäste auf einmal; da, mit einer, der später als die übrigen gebeten würden nicht glauben möge, er sey nur aus Noth, gebeten, um den Platz auszufüllen, welchen ein Anderer abschlug.

Bewirthe Deine Gäste gut. Die Anzahl der Speisen muß mit der Menge der Gäste im Verhältnisse stehen; je mehr Gäste, desto mehr Gerichte; der eine ißt gerne dieß, der andere jenes, dem einen erlaubt sein Gesundheitszustand nur von dem, dem Andern von jenem zu essen. Ahme die Sitten des Orts nach, ohne dem ausschweifenden Luxus nachzugeben; ein Gastmahl soll keine Schwelgerey seyn. Es wäre Thorheit, immer Andere übertreffen zu wollen. In den besten Häusern und Gesellschaften ißt man mäßig, damit man sich desto öfter sehen kann. Wähle ausgesuchte, seine, den Jahreszeiten angemessene Speisen, andere und schwerere für den Mittag, andere und leichtere für den Abend, und jedesmal in der Ordnung der Mannichfaltigkeit. Nichts darf den geringsten Widerwillen oder Ekel erwecken; daher die höchste Reinlichkeit in der Tafel, dem Tischzeuge, Geschirre, den Speisen und der Aufwartung herrschen muß.

[178] Die vornehmste Dame führst Du zur Tafel und setzest sie an den ersten Platz und den vornehmsten Herrn neben sie, die übrigen läßt Du sich nach ihrer Konvenienz setzen. Es ist sehr unangenehm, und zugleich bedenklich, das Setzen nach der strengen Rangordnung einzurichten; Vielen weiß man ihren Platz gar nicht anzuweisen, weil er nicht bestimmt ist, andere alterniren oder rouliren mit einander, die man also erst fragen müßte, welcher am längsten im Amte sey.

Deine Bedienung muß zur guten Aufwartung abgerichtet seyn, alles mit Aufmerksamkeit und Leichtigkeit verrichten ohne Geräusch, und Du mußt ihnen mit Deiner Aufmerksamkeit und Deinen geheimen Erinnerungen zu Hülfe kommen. Sie müssen sogleich sehen, wo etwas fehlt, gut, alles zur linken präsentiren, die Teller sogleich wegnehmen, wenn Jemand nicht mehr ißt, zu trinken geben, wenn es verlangt wird.

Nöthige nicht zum Essen und zum Trinken. Es ist sehr lästig, unterbricht die Unterredung und verleitet zur Unmäßigkeit. Jeder Vernünftige [179] ißt und trinkt bis er satt ist; daher läßt man den Teller oder die Schüssel noch einmal präsentiren und überläßt es den Gästen, ob sie noch essen wollen. Alle lästige Formen der Höflichkeit muß man entfernen; sie müssen kurzvernünftig und zweckmäßig seyn.

Als Wirth hast Du die besondere Pflicht, immer angenehme, leichte Gespräche herbeyzuführen, und zu unterhalten. Ohne der Wortführer zu seyn, mußt Du Dich bemühen, das Gespräch, wenn es stockt, entweder im Gange zu erhalten, oder wenn es erschöpft ist, ein neues aufs Tapet zu bringen. Dieß ist besser, als wenn Du von Deinen Speisen oder Weinen reden wolltest; es sey zum Lobe oder zum Tadel, so würde es eine thörichte Eitelkeit verrathen.

Das Aufstehen überläßt Du der vornehmsten Person.

Bey aller dieser Aufmerksamkeit würdest Du Deinen Gästen kein vollkommnes Vergnügen machen und sie nicht verbinden, wenn Du ihnen nicht zu erkennen gäbest, daß es nicht aus Ostentation [180] und Eitelkeit und noch weniger aus besonderer Gnade geschehen sey, daß Du sie oder einige von ihnen gebeten hast, sondern daß es ein Beweis ihrer Güte, Freundschaft und Höflichkeit sey, daß sie zu Dir gekommen sind. –


** den 23. Nov. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 174-181.
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