Aus meinem Leben.
(Nr. 9. F.H.1)

Ich F.H. bin am 22. Juni 1861. als Sohn eines Magistratsbeamten in Y. geboren. Meine Kinderjahre verlebte ich glücklich im Hause meiner Eltern. Mit 6 Jahren kam ich in die Volksschule, in der ich drei Jahre verblieb. Dann schickten mich meine Eltern ins humanistische Gymnasium, in welchem ich drei Klassen absolvierte, um darauf ins Realgymnasium überzutreten.

[173] Noch als 16jähriger Gymnasiast hatte ich die damals 20jährige Lehrerin K.E. kennen gelernt und mit derselben ein Verhältnis angeknüpft. Ich war kaum 17 Jahre alt geworden, als sich Folgen dieses Verhältnisses zu zeigen begannen. In dem Drange, mich und das Mädchen den infolge der nahenden Geburt zu erwartenden familiären Zwistigkeiten aus dem Wege zu bringen, vergriff ich mich, um zu den Mitteln zu einer geplanten Flucht nach Paris zu gelangen, an dem Eigentum einer in meinem elterlichen Hause lebenden Verwandten, wurde jedoch noch am gleichen Tage sistiert. Das war der Anfangspunkt meiner abschüssigen Lebensbahn, auf die ich ohne meine Frühreife und ohne jenes so ganz vorzeitige Verhältnis wohl kaum gelangt sein dürfte, zudem meine Lehrer und Professoren mir stets das Zeugnis eines talentierten und dabei strebsamen Menschen ausgestellt hatten.

Nach Verbüßung dieser meiner ersten Freiheitsstrafe in der Dauer von 1 Jahr und 3 Monaten – wovon mir 3 Monate erlassen worden waren, nach Y. zurückgekehrt, glaubte ich mich von dem oben besagten Mädchen, das mir inzwischen einen Sohn geboren und damit ihre Stellung als Lehrerin verloren hatte, nicht abwenden zu dürfen. Das Verhältnis dauerte fort. Ich studierte privatim, um mir eine Stellung als Techniker oder auf einem Baubureau zu erwerben. Es entsprossen dem Verhältnis in der Folge noch zwei weitere außereheliche Kinder (Söhne). Ich stand bei noch allzugroßer Jugend Pflichten gegenüber, denen ich nicht gewachsen war; und so verfehlte ich mich, durch momentane Notlage hierzu veranlaßt, ein zweites Mal und wurde wegen Urkundenfälschung und Betrugs zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Im Mai des Jahres 1881. entlassen, heiratete ich schon im September desselben Jahres, obwohl ich kein gutes Ende ahnte, die Mutter meiner Kinder, die ich eben durch die Verehelichung legitim machen wollte. Meine Ehe war ebenso kurz als unglücklich. In Anbetracht des Umstandes, daß meine Frau vom Hauswesen nicht das Geringste verstand, von Häuslichkeit keine Ahnung hatte und dabei auch noch eine Magd halten wollte, ist es wohl leicht erklärlich, daß bald Differenzen eintraten, herbeigeführt durch immer fühlbarer werdende Notlage. Ich war damals zeichnerisch tätig und verdiente Honorargelder für Reporter-Artikel. Nachdem mir wiederholt per Post eingegangene Honorare von meiner Frau unterschlagen worden waren, und die häuslichen Zwistigkeiten kein Ende mehr nahmen, glaubte ich mich dazu »berechtigt«, das, was ich am häuslichen Herde finden sollte und nicht fand, anderweitig suchen zu müssen, und ich, dessen eheliche Treue im Kreise meiner Bekannten [174] mir den Spitznamen »Kuno, der Pantoffelritter« eingetragen, ward zum Ehebrecher. Nun war ich auf eine ganz glatte und abschüssige Bahn gelangt, auf der es, obwohl ich trotz alledem noch immer nach dem Besten strebte, rasch abwärts ging, zumal meine Frau, von der ich mich – allerdings mit ihrem eigenen Einverständnis – getrennt hatte und von der ich später gerichtlich geschieden wurde, in blinder Rachsucht und Eifersucht das Ihrige beitrug, mich brotlos zu machen. Teils mein grenzenloser Leichtsinn, teils meine damals momentan wirklich große Notlage veranlaßten mich zu weiteren Verfehlungen gegen das Gesetz, was mir eine Gefängnisstrafe von 5 Monaten eintrug. Auf freiem Fuße verhandelt und verurteilt – erhielt ich Strafaufschub und hatte gerade in dieser Periode das Glück, einen ausgezeichneten Posten in einem Y.er Baubureau einer auswärtigen Firma zu erhalten. Hier, wo ich mir nach nachheriger eigener Aussage meines Chefs durch einen einzigen Federzug und ohne fürchten zu müssen, so schnell betreten zu werden, hätte 20–30000 Mark auf unehrlichem Wege erwerben können, errang ich mir durch Treue und Fleiß die Zufriedenheit meines direkten Vorgesetzten in solchem Maße, daß derselbe, als mich ein plötzlich und unerwartet eintreffender Strafantrittsbefehl zur Flucht ins Ausland veranlaßte, sich gegen meine Angehörigen äußerte: »Er hinterließ alles in schönster Ordnung, und ich habe mich noch auf niemand so verlassen können, wie auf ihn; hätte er mir reinen Wein eingeschenkt, seine Strafe ruhig verbüßt, statt zu fliehen, ich hätte ihn wieder auf seinen Posten genommen!«

Ich war also ins Ausland geflohen. Die Flucht hatte ich mit meiner Konkubine F.G. angetreten. Auch diese brachte mir zwei Kinder zur Welt, für die ich nun draußen in der Fremde zu sorgen hatte. Wir hielten uns durch mehr als 3 Jahre in Wien, Budapest, Zürich u.s.w. auf. In Zürich fristete ich mein Leben dadurch, daß ich gemeinschaftlich mit meiner Konkubine stickte. Dadurch sogar zu einigen Ersparnissen gelangt – annoncierte ich mich in der Zeitung als Privatlehrer und hatte bald einige Lektionen in Zeichnen, Latein, Englisch und Deutsch. Letzteres lehrte ich einem reichen Japaner, der bei guter Honorierung täglich eine Lektion nahm. Schließlich gelangte ich zum Posten eines ständigen und gut bezahlten Reporters einer Züricher Zeitung, deren Besitzer mir in Jahresfrist 3000 Francs Vorschuß gab. – Ich vergaß zu bemerken, daß ich mich unter verändertem Namen im Auslande aufhielt. Ein böser Zufall brachte dies eines verhängnisvollen Tages ans Licht, und ich sah mich gezwungen, Existenz und alles dahinten zu lassen und mit »Weib« und mit sechswöchigem Kinde nach Österreich, nach Wien, [175] zu flüchten. Dort wendete ich mich zwar wieder an die Schweizer Zeitung und durfte für dieselbe auch von Wien und Pest aus fortarbeiten, doch waren die infolge des erhaltenen Vorschusses von 3000 Francs eintretenden Abzüge so groß, daß oft Not und Mangel bei uns herrschte. Dann hatte ich aber auch wieder sehr gute Gelegenheiten, Geld zu verdienen; aber ich konnte trotz der besten Zeugnisse von Redakteuren und Zeitungsverlegern nirgends dauernden Halt gewinnen; denn der böse Zufall und der »Fluch der bösen Tat, der fortzeugend Böses muß gebären«, brachte immer wieder ans Tageslicht, wer ich sei, daß ich und warum ich aus meiner Heimat geflohen. Es würde mich zu weit führen, all die leider selbstverschuldeten Unbilden aufzuzählen, die ich erlitten, ich resümiere: Ich führte ein Leben wie Ahasverus, wie Kain – unstet und flüchtig; und dabei war ich nicht allein; meine Kinder – von denen eines dann in Wien monatelang schwer krank lag und starb – schrieen nach Brot; ich, der ich in bodenlosem Leichtsinn sie in diese Welt gesetzt, mußte wohl auch für dieses Brot sorgen. Mein Leben war ein Gemisch von redlichem Streben und leichtsinnigem Fehlen. Als ich mich schließlich gar nicht mehr hinaussah, suchte ich Zuflucht – zu Hause, in der Heimat! Mir ward diese Zuflucht im – Zuchthause! Der ursprünglichen Gefängnisstrafe von 5 Monaten war ich aus dem Wege gegangen; das brachte mir eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten ein.

Dasselbe Zuchthaus, in dem ich diese Strafe verbüßte, hat mich auch jetzt wieder für ein Jahr aufgenommen! Und warum? – Man erlasse mir das Weitere. Ich kann nur sagen: »Maxima mea culpa est!« Und mag meine derzeitige Strafe im Verhältnis zu meinem Vergehen auch wohl ein wenig hoch bemessen sein ich habe sie doch verdient mit meinem Leichtsinn, durch den ich alte betagte Eltern und ein junges, ahnungsloses Mädchen, das ich seit wenigen Monden »Braut« nannte, namenlos unglücklich machte. Meine frühere Konkubine war in Wien geblieben und nach dem Tode der beiden Kinder wieder in Stellung gegangen. –[176]

1

4. S.J. von A., ehelich geboren 1874 prot., lediger Kaufmann. Nicht tätowiert. Vorstrafen seit 1892: einmal Haft und 7mal Gefängnis (in mehreren Anstalten) wegen Betrugs, Diebstahls, Erpressungsversuche, Beleidigung. Zuletzt wegen Zuhälterei 3 Jahre 9 Monate Gefängnis und Arbeitshaus. Buchmacher bei Rennen. Bewegte Vergangenhelt, Spieler und Zuhälter. Als Schreiber wiederholt beschäftigt in der Gefangenenbibliothek. Nierenleidend. Gute Führung. Wollte wieder in die Höhe kommen. Gute Volksschulbildung und ein paar Jahre bessere Bürgerschule.

Kriminalschutzmann.

Quelle:
Jaeger, Johannes: Hinter Kerkermauern. Berlin 1906, S. 11-12,173-177.
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