[50] Das altdeutsche Wort Fehde bedeutet, überhaupt genommen, jede Uneinigkeit, die sich in Thaten äußert; im besondern Sinne versteht man aber darunter einen feindlichen Ueberfall mit Mannschaft, den ein Unterthan des deutschen Reichs gegen den andern verübte, um angethane Beleidigungen ohne Hülfe der Obern zu rächen. Die Neigung zu Fehden lag schon im Nationalcharakter der Deutschen; denn das Gefühl ihrer eigenen Tapferkeit gab ihnen ein solches Vertrauen zu sich selbst, daß sie, ohne erst, gleich Hülflosen und Schwachen, die Obrigkeit um Schutz anzuflehen, sogleich selbst mit dem Beleidiger in offener Fehde kämpften. Ein Volksglaube, daß nemlich die Götter dem Gerechten den Sieg schenkten, unterstützte diese Selbsthülfe, die die schädlichsten [50] Folgen hervorbrachte, indem im Mittelalter Freiheit in Zügellosigkeit überging, und der Adel, unter dem Vorwande des Lehnssystems, seinen eignen Unterthanen, seinen Mitständen und selbst dem Kaiser so viele Rechte, als möglich, zu entreißen suchte. Die Regenten waren zu schwach, um die immer mehr überhandnehmenden Befehdungen zu hindern: ja man verließ die alte Redlichkeit so sehr, daß man Raubschlösser errichtete, und seinen Feind nicht öffentlich angriff, sondern heimlich gleich Meuchelmördern niedermachte, Kirchen und milde Stiftungen und selbst Obrigkeiten befehdete. Sogar Bürger und Gesinde machten ihre Zwiste durch Selbsthülfe dieser Art aus. Man kannte nun in Deutschland keine Gesetze, keine Verfassung mehr; überall herrschte der Stärkere, und das Faustrecht (denn so nannte man das angebliche Recht zur Fehde) hatte alle Ordnung und Sicherheit verdrängt. So war der Zustand unsers Vaterlandes vom zehnten bis zum funfzehnten Jahrhunderte; die Bemühungen der Regenten, diesem Unheil ein Ziel zu setzen, waren meistentheils ganz vergeblich; und [51] selbst die Geistlichkeit arbeitete den weltlichen Herrschern hierbei entgegen, um sie zu schwächen. Die Kaiser machten vom Anfange des elften Jahrhunderts sehr viele Landfrieden, d.h. Verordnungen zu Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Tilgung der Befehdungen; aber der Erfolg entsprach ihren ruhmwürdigen Absichten nur wenig. Sie konnten es bloß dahin bringen, daß man Kirchen, milde Stiftungen und landesherrliche Schlösser schonte (ersteres hieß Gottesfriede, letzteres Burgfriede), und daß man auf gewisse Jahre oder in gewissen Bezirken die Fehden einiger Maaßen unterließ. Sie bewirkten auch, daß man die Fehde jedes Mal wenigstens drei Tage vorher durch einen Fehdebrief oder auf eine andre Art ankündigen mußte, und sezten die härtesten Strafen für diejenigen fest, die ohne gegründete Ursache, aus bloßer Rachsucht oder Raubgierde, Feindseeligkeiten anfingen. Allein erst Kaiser Maximilian I. konnte 1495 auf dem Reichstage zu Worms einen allgemeinen und beständigen Landfrieden zu Stande bringen; und durch diesen sowohl, als durch seine übrigen Anstalten [52] zur Beförderung der Ordnung, wurden die Fehden größten Theils abgeschafft. Die Sicherheit Deutschlands wurde unter dessen Nachfolgern, besonders unter Carl V., noch mehr befestigt; die Befehdungen hörten in dem sechszehnten Jahrhunderte ganz auf; eine der letzten wurde von Wilhelm von Grumbach 1563 gegen den Bischof von Wirzburg verübt. Die Reste der ehemaligen Unruhen und Verwirrungen wurden durch Gerichtshöfe oder in Güte auf rechtmäßige Art aufgehoben; und was noch nicht in die gehörige Ordnung gebracht war, gewann durch den Westphälischen Frieden, dem wir vorzüglich die heutige ruhige Verfassung unsers Vaterlandes verdanken, eine bessere und regelmäßige Form.