Wenden-Feste.

[350] Unter den feierlichen Festen der Wenden zeichneten sich zwei vorzüglich aus; nämlich das Todten- und das Erndtefest. Ersteres war ganz dazu eingerichtet, um in der Seele ernste Vorstellungen zu erwecken. Sie versammelten sich nämlich im Frühjahre auf dem Platze, wo sie ihre Todten zu verbrennen pflegten, und erinnerten sich daselbst derjenigen Verstorbenen, welche ihnen entweder durch das Blut nahe verwandt, oder doch sonst ihrem Herzen theuer gewesen waren. Hier riefen sie jene frohen Stunden in ihr Gedächtniß zurück welche sie in der Gesellschaft derselben verlebt hatten, wünschten ihnen einen glücklichen Aufenthalt in den Wohnungen des Wodans, und eine lebhafte Einbildungekraft malte ihnen in einem reizenden Gewande die Freuden, deren auch sie nach dem Tode theilhaftig werden würden. Diese ganze Feierlichkeit endigte sich mit einigen Opfern und mit Absingung verschiedener Todtengesänge, und hatte gewiß nicht geringen Einfluß auf die Verachtung des Todes, welche [351] die Wenden in der Stunde der Schlacht jeder Gefahr trotzen lehrte.

Nicht weniger wichtig war das Erndtefest, bei welcher Gelegenheit der Wende dankbare Empfindungen wegen der eingeerndteten Früchte gegen die Gottheit äußerte. Nach beendigter Einsammlung der Früchte begab sich das frohlockende Volk zum Gott Svantevit, opferte demselben einige Thiere zum Danke für die erhaltenen Früchte, und goß neuen Wein in sein Füllhorn, leerte aber zuvor den alten aus, woraus man auf die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres schloß, wenn sich der Wein nicht vermindert hatte. Ein frohes Gastmal und ein Tanz machten den Beschluß dieser Feierlichkeit.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 350-352.
Lizenz: