Achtzehntes Kapitel

Schluß

[112] Es ist in diesen Erinnerungen nur möglich gewesen, einige wenige Genossinnen, die in den vorderen Reihen in unermüdlicher Arbeit die proletarische Frauenbewegung gefördert haben, namentlich anzuführen. Aber neben diesen steht eine große Anzahl lieber, treuer Genossinnen, die zwar ungenannt, oft weiteren Kreisen unbekannt, unter schwierigen Verhältnissen tüchtige Arbeit für die Bewegung geleistet haben.

Als ich im Jahre 1908 von der leitenden Stelle zurücktrat, zählten wir in Deutschland in den Staaten, in denen die Gesetze dem nicht entgegenstanden, ungefähr 11000 politisch organisierte Frauen und in 57 Orten etwa 9000 Zahlerinnen freiwilliger Parteibeiträge. Außerdem hatten wir mehr als 400 weibliche Vertrauenspersonen, denen je eine Anzahl Helferinnen zur Seite stand, mit denen sie die Agitation betrieben, Versammlungen veranstalteten, Gelder gesammelt, für die »Gleichheit« Abonnenten gewonnen haben usw. Gedenken wir auch der vielen, die in Werkstubensitzungen die Arbeiterinnen aufrüttelten, ihnen ihre Rechte und Pflichten klarzumachen suchten, ferner derer, die Lese- und Diskutierabende leiteten, die in einem Kreis von Frauen die Werke unserer Meister lasen und diskutierten, das sozialdemokratische Programm zu verstehen strebten, um dann ihr Wissen und Können weiteren Kreisen zugänglich zu machen! Dann ist des segensreichen Wirkens der Kinderschutzkommission zu gedenken, deren Tätigkeit gar manches Kind vor Brutalität und frühzeitiger Ausnutzung seiner Arbeitskraft geschützt hat. Eine kleine Anzahl Genossinnen wirkte in der Armenverwaltung, andere betätigten sich als Waisenpflegerinnen. Auch die Frauenbildungsvereine, die Jahre hindurch uns die politischen Vereinigungen ersetzen mußten, deren Zahl jetzt 94 mit etwa 10500 Mitgliedern betrug, haben Unschätzbares für die Aufklärung der Frauen geleistet. Erinnert sei an den Bildungsverein[113] der Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse Berlins, dessen geschickter Leitung es zu danken war, daß er ohne Fährnisse 25 Jahre bestehen konnte. Es wurden Vorträge über die verschiedensten Wissensgebiete gehalten, so über die Frauenfrage, die Erziehung der Kinder, Gesundheitslehre, Schulfragen, Wohnungshygiene, Wohnungseinrichtungen u. dgl. Künstler sprachen über Malerei und Bildhauerei, mit Vorführung von Werken alter und neuer Meister. Führungen durch Museen, den Botanischen Garten wurden veranstaltet, die städtischen Anstalten, z.B. das Altersheim in Buch, die Erziehungsanstalten in Groß-Beeren und Zehlendorf wurden besichtigt und anderes mehr. Die Märchenvorlesungen für Kinder und die musikalischen Darbietungen, wie die Feste, die der Verein bei allen sich bietenden Gelegenheiten veranstaltete, waren mustergültig. So hat dieser Berliner Verein den Frauen unendlich viel Belehrung, Gutes und Schönes fürs Leben gebracht.

So wie der Berliner Verein haben wohl die meisten dieser Vereine in den Großstädten Deutschlands ihre Aufgabe zu lösen gesucht. In den kleineren Orten, in denen für vieles die belehrenden Kräfte nicht vorhanden waren, mußte man sich mit einfacheren Darbietungen begnügen. Aber auch sie haben den Zusammenhalt der Frauen ermöglicht und ihnen Belehrung geboten, sie empfänglicher für Gutes und Schönes gemacht.

Vieles ist errungen worden. Der Kampf gegen reaktionäre Gesetze, für freieres Recht ist unerschrocken geführt worden. Weder behördliche Schikane noch Anklagen und Verurteilungen haben uns von dem Kampf für unser Menschenrecht abzubringen vermocht. Wir haben statt des Arbeitstages von 13, 15, ja oft mehr Stunden jetzt den Achtstundentag, um den die Kämpfe vieler Jahre geführt worden sind. Das schmachvolle preußische Vereinsgesetz, das uns Frauen auf gleiche Stufe mit Idioten und Verbrechern stellte, ist einem freieren Reichsvereinsgesetz gewichen. Das freie Wahlrecht, für das wir in jahrzehntelangem Kampfe gestanden haben, ist errungen worden, und vieles andere. Möge die jetzige Generation nun auf diesem freieren Boden den Kampf für den Sozialismus mutig und zielklar weiterführen, für den manchen Weg zu ebnen der Erfolg der vergangenen Jahre und Kämpfe war.[114]

Quelle:
Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin. 3. Auflage, Berlin, Bonn 1979, S. 112-115.
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