Vom schriftlichen Verkehr.

[140] Wer einen guten Brief schreiben will, muß zuvörderst der Sprache völlig mächtig sein. Aber das allein genügt noch nicht, denn im Briefe tritt der Gegenstand hinter den Schreibenden zurück. Was auch der Zweck eines Briefes sein mag: der Schreibende will damit in jedem Falle etwas erreichen und deshalb beschäftigt sich der Empfänger nicht mit dem Inhalte oder dem äußerlichen Aussehen des Briefes allein; er bildet sich ein Urteil über die Person des Absenders auf Grund des empfangenen Schreibens, wenn er ihn noch nicht kennt, oder aber er wird in seiner bereits gefaßten Meinung über ihn bestärkt oder erschüttert.

Deshalb hat das geschriebene Wort eine weit größere Bedeutung, als das gesprochene. Bei letzterem kann jeder nicht ganz bestimmt zum Ausdruck gelangte Gedanke sofort berichtigt werden – beim ersteren aber muß jede falsche Wendung, jede Unklarheit Verwirrung hervorrufen, zum mindesten eine falsche Auffassung bewirken.

Die Wichtigkeit des Briefschreibens leuchtet demzufolge wohl allen ein, und jeder soll sich beizeiten bestreben, einen guten Brief schreiben zu lernen. Dabei verlangen wir gar nicht, daß jeder sprachrichtig sich ausdrücken soll; wenn einem Handwerker einmal ein kleines Versehen durchschlüpft, indem er ›mir‹ oder ›mich‹ verwechselt, so werden wir ihm das nicht so übel nehmen wie einem Kaufmann, sofern nur alles klar und verständlich gesagt ist, was mitgeteilt werden soll, und wenn der Ton des Briefes passend ist.[140]

Jeder Briefschreiber hat eben mit den besonderen Eigenschaften dessen zu rechnen, an den er schreibt. In einem Briefe an ernste, würdevolle Personen darf man also keinen launigen, scherzhaften Ton anschlagen, und einem Bräutigam beglückwünscht man nicht mit einem steten Hinweis auf den Ernst des Lebens.

Es muß also auch das Briefschreiben erlernt werden, und wenn leider in unseren Schulen fast gar nichts auf Abfassung eines guten Briefes gegeben wird, weil man annimmt, daß das Briefschreiben für jeden, der gelernt hat, seine Gedanken klar und sachlich mündlich auszudrücken, eine Kleinigkeit sei, so können wir nur jedermann empfehlen, das Fehlende nachzuholen und sich darin zu üben, seine Gedanken in richtiger Form zu Papier zu bringen. Als vortreffliches Hilfsmittel zur Erreichung dieses Zweckes empfehlen wir das Lesen guter Bücher, weil dadurch nicht nur der eigene Anschauungskreis erweitert wird, sondern weil sich durch fleißiges Lesen eine stetig zunehmende Gewandtheit in der Ausdrucksfähigkeit der eigenen Gedanken bildet, ganz abgesehen davon, daß auch die in der Schule erlernten Regeln der Rechtschreibung dadurch befestigt werden.

Wer einen Brief schreiben will, mache sich klar, was er eigentlich zu sagen hat; bezüglich der Reihenfolge, und damit nichts vergessen werde, empfiehlt es sich, vorher alles auf ein Blatt Papier zu schreiben und richtig so zu ordnen, wie es logisch zueinander gehört. Auch ist es gut, wenn der Brief erst in einem Entwurf ausgearbeitet und dann ins Reine abgeschrieben wird; bei der Abschrift wird man dann noch manches finden, was zu verbessern ist.

Natürlich darf das nicht durch Ausstreichen von bereits Niedergeschriebenem geschehen; Änderungen, Ausstreichungen und Hinzufügungen zwischen den Zeilen sollte sich kein Briefschreiber zuschulden kommen lassen; zumal in Briefen an Höhergestellte, in Bittgesuchen oder Eingaben darf so etwas nicht vorkommen, denn es bedeutet eine Nichtachtung des Empfängers. Was den Inhalt eines Briefes betrifft, so sei er verständlich, klar, und nicht durch einen gesuchten Satzbau schwerfällig gemacht. Nichts verursacht einen übleren Eindruck beim Durchlesen eines empfangenen Briefes,[141] als wenn man sich erst immer bei jedem Satze fragen muß, was denn eigentlich der Briefschreiber wollte. »Der Stil ist der Mensch,« sagte ein geistreicher Franzose, und in Wahrheit wird auch jeder, der sich einfach und natürlich ausdrückt, bei dem Empfänger des Briefes die Überzeugung er wecken, er habe es mit einem einfachen, natürlichen, wahrhaften Menschen zu tun.

Der Inhalt eines Briefes richtet sich in erster Linie darnach, für wen der Brief bestimmt ist. An Bekannte oder an Freunde schreibt man herzlicher als an Unbekannte. Wenn erstere nach dem Durchlesen des Briefes ein Gefühl empfinden, als hätten wir persönlich zu ihnen gesprochen, wenn aus jedem geschriebenen Wort ihnen gleichsam unsere Gestalt entgegentritt, dann haben wir unsere Sache gut gemacht, und unser Brief hat seinen Zweck erreicht. –

Bei Briefen an Unbekannte bedarf es erst einer entschuldigenden Einleitung, ehe der Kern der Sache berührt wird. In derartigen Briefen ist die vollkommenste Höflichkeit zu wahren, denn unser Brief vertritt gleichsam die Stelle unseres Besuches bei einem Unbekannten. Je höflicher – aber nicht kriechend – und je logischer und verständnisvoller der Brief ist, desto leichter wird sein Zweck erreicht. –

Bei Briefen an Vorgesetzte ist es wohl angebracht, deren Güte und Fürsorge für die Untergebenen zu erwähnen, aber das muß in aller Bescheidenheit geschehen, und es darf zwischen den huldigenden Worten keine Absicht hervorleuchten. Das würde den Empfänger des Briefes gegen den Absender einnehmen.

So richtet sich eben der Inhalt eines jeden Briefes nach der Wirkung, die er hervorbringen soll, und diese kann so unendlich verschieden sein, daß wir außerstande sind, für alle denkbaren Fälle Beispiele anzugeben. Das ist der Zweck der ›Briefsteller‹, deren mehrere im Verlage dieses Büchleins erschienen sind.

Wir können an dieser Stelle nur mit kurzen Worten allgemein über Form und Inhalt der im gesellschaftlichen[142] Leben am häufigsten vorkommenden Briefe Ratschläge erteilen und beginnen demzufolge mit den Briefen, die Familiennachrichten betreffen.

Da wir annehmen, daß alles, was unsere Familie betrifft, auch unsere Freunde und Bekannten angeht, lassen wir ihnen Anzeigen zugehen, wenn eine Verlobung, Hochzeit, Geburt, ein Jubiläum, eine Krankheit oder ein Sterbefall sich bei uns ereignen, wie wir ja bereits an anderer Stelle dieses Buches (Seite 25 ff.) berichteten. Dort allerdings hatten wir hauptsächlich die gedruckten Anzeigen im Auge; hat man Veranlassung, durch eigenhändige Briefe von einem oder dem anderen der oben genannten Vorfälle zu berichten, so vergesse man nicht, daß beispielsweise bei Geburtsanzeigen, die an nähere Bekannte oder an Anverwandte gerichtet sind, letztere auch über das Ergehen der Mutter und wie sie die schwere Stunde überstanden, etwas werden wissen wollen. Man versäume daher nicht, dies in der Anzeige mit zu erwähnen.

Bei Briefen, in denen eine Verlobung, Hochzeit oder ein Jubiläum gemeldet wird, richtet man sich bezüglich des Inhaltes lediglich nach dem Verhältnis, in dem man zu dem Empfänger des Briefes steht. Nahen Verwandten schreibt man ausführlicher, geht ihnen gegenüber viel mehr auf die inneren Familienangelegenheiten ein, als bei entfernter stehenden Bekannten.

Am schwersten fällt jedem wohl die Abfassung einer Trauerbotschaft. Es ist eine Notwendigkeit, daß man bei Briefen, in denen man eine Erkrankung, einen Todesfall meldet, den Empfänger des Briefes zunächst auf das Ereignis vorbereitet; man darf nicht mit der Tür ins Haus fallen. Besonders in unerwarteten Fällen muß man doppelt vorsichtig sein, denn eine derartige, erschütternde Nachricht kann, wenn sie unvermittelt kommt, von üblen Folgen auf die Gesundheit des Empfängers begleitet sein. Derartige Einleitungen erfordern also viel Selbstbeherrschung, gepaart mit richtigem Takt und Gefühl, und wer sich, überwältigt vom eigenen Schmerz, nicht stark genug fühlt, die Hiobspost in gehöriger Form abzufassen, der übernehme das Amt des Briefschreibers lieber nicht oder er befördere die Nachricht wenigstens nicht an den Empfänger, sondern[143] an einen Freund oder Bekannten, mit der Bitte, dem vom Unglück Betroffenen mündlich von dem erlittenen Verluste in der schonendsten Form Mitteilung zu machen. Mündlich ist das leichter, weil man nicht so auf sein Ziel loszusteuern braucht, als es beim schriftlichen Wege unvermeidlich ist.

Bei einer Todesanzeige darf man nie versäumen, den Bericht über die letzten Stunden des Dahingeschiedenen hinzuzufügen, denn es ist für alle, die im Leben ihm nahe gestanden, ein Trost, zu wissen, ob er schmerzlos verschieden, sanft entschlummert oder von schwerem Leiden endlich erlost worden ist.

Anderer Art sind die Briefe, in denen wir Familienangehörigen oder Freunden einen Bericht erstatten über Erlebnisse oder Ereignisse, die sich nur teilweise auf unsere Person beziehen. Ein Reisebericht zum Beispiel hat mit dem eigentlichen Wesen des Briefes nur die äußere Form gemein, denn er ist streng genommen eine Abhandlung, eine Schilderung von Land und Leuten.

Derartige Berichte sind oft von betrachtlichem Umfange, trotzdem das liebe Ich darin vollständig in den Hintergrund getreten ist und nur die Hauptsachen erwähnt wurden. Sie erfordern aber eine lebendige Auffassung des Gesehenen und die Fähigkeit einer gewandten Darstellung, sind deshalb schwierig und mühevoll für alle, die nicht gelernt haben oder nicht die Gabe besitzen, in einer den Empfänger des Briefes fesselnden Form gleichsam schriftlich zu plaudern und gerade das eingehender zu behandeln, was für diesen am nächsten liegt. Einen Maler zum Beispiel werden landschaftliche Schilderungen gewiß fesseln, aber doch nicht in dem Maße, als es bei Berichten über Gee mäldeausstellungen der Fall sein wird.

Berichte an Vorgesetzte müssen sich durch planmäßige Ordnung und Übersichtlichkeit auszeichnen, es muß hierbei auch die vorgeschriebene amtliche Form beachtet werden. Näheres darüber im ›Briefsteller‹, auf den wir auch bezüglich der ›Bittschriften‹ und ›Bittgesuche‹ verweisen.

Für erwiesene Teilnahme, für Gefälligkeiten oder Wohltaten hat man sich zu bedanken. Geschieht dies auf schriftlichem[144] Wege, so wird, kommt der Dank wahrhaft aus dem Herzen, es niemand schwer fallen, auch die passenden Worte hierfür zu finden. Jedenfalls muß der Ausdruck des Dankes in Einklang stehen mit dem, wofür man sich bedankt, und man hat, wo es angebracht ist, seine Bereitwilligkeit zu Gegendiensten hinzuzufügen. Diese Bereitwilligkeit ist natürlich, wenn sie gefordert wird, auch sofort zu betätigen.

War man durch Umstände verhindert, seinen Dank umgehend abzustatten, so muß der Brief mit einer Entschuldigung wegen der Verspätung und deren Begründung beginnen.

Wer einen Entschuldigungsbrief absendet, muß darin vor allem wahr und aufrichtig sein. Hat man jemand verletzt oder beleidigt, so vermeide man jede Beschönigung und bitte offen um Verzeihung. Ist man mit Unrecht beschuldigt worden und will man sich rechtfertigen, so muß man seiner Sache gewiß sein, will man nicht Ol ins Feuer gießen. Wird hierbei die Schuld einer anderen Person aufgedeckt, so lasse man Milde walten und meide alles Leidenschaftliche. Zu einem derartigen Briefe soll man sich überhaupt erst niedersetzen, wenn aller Zorn verraucht ist.

Über die schriftlichen Einladungen ist auch bereits in den vorhergehenden Abteilungen dieses Werkchens gesprochen worden. Diese erfolgen meist kurz mittelst gedruckter Karten. Schreibt man aber einen Brief, so geschehe dies in herzlichem Tone, damit der Eingeladene auf keinen Fall zu der Befürchtung berechtigt ist, er könne uns lästig fallen. Einladungen erfordern stets eine Antwort, auch wenn sie abgelehnt werden. Daß eine solche Ablehnung in der höflichsten Form erfolgen muß, ist wohl selbstverständlich. –

Empfehlungsbriefe spielen im Leben eine große Rolle. Wer eine Empfehlung gibt, muß davon überzeugt sein, daß der Empfohlene sie verdient und ihr Ehre machen wird. Es ist also bei derartigen Briefen die größte Vorsicht auf beiden Seiten geboten, sollen sie nicht große Verdrießlichkeiten im Gefolge haben.

Erinnerungs- und Mahnbriefe sind stets, auch da, wo man zu fordern hat, in höflichem Tone abzufassen.[145]

Jedenfalls erreicht man mit Höflichkeit meht, als mit Drohungen oder gar mit Beleidigungen. Mahnungen auf offener Postkarte unterlasse man, weil diese vor Gericht strafbar sind. Hat man mehrfach in höflicher Form vergebens gemahnt, so kann man, als letztes Mittel gütlicher Einigung, in bestimmter Form den Säumiger darauf aufmerksam machen, daß er die weiteren Schritte sich selbst zuzuschreiben habe.

Glückwünsche sind stets durch freudige Ereignisse veranlaßt. Eltern, überhaupt Personen, denen wir große Verpflichtungen schulden, dürfen wir an Geburtstagen nicht mit einer einfachen Glückwunschkarte nahen, sondern wir haben ihnen einen herzlichen Brief zu schreiben. Dieser braucht nicht lang zu sein; Hauptsache ist, daß wir mit dem Briefe beweisen, daß wir unserer Angehörigen nicht nur für einen flüchtigen Augenblick gedachten. In Gegenden, wo es üblich ist, die Namenstage festlich zu begehen, gilt für diese das gleiche. Neujahrsbriefe sind ebenfalls nur den nächsten Angehörigen gegenüber gebräuchlich; bei allen übrigen bedient man sich der Besuchskarte. Viele benützen auch den ersten Brief, den sie im neuen Jahre schreiben, um am Schlusse, nach Erledigung des Geschäftlichen, den üblichen Glückwunsch anzubringen. Der Inhalt eines besonderen Neujahrsbriefes besteht in der Regel in einem kurzen Rückblick auf das verflossene Jahr, mit dem Wunsche, daß die Erlebnisse freudiger Natur beim Empfänger auch im neuen Jahre nicht ausbleiben möchten.

Glückwünsche zur Hochzeit dürfen nie auf einer einfachen Karte abgesandt werden; hier ist die Briefform geboten. Neben den Ausdrücken der Freude über das fröhliche Ereignis, gibt man seinen Wünschen für ein stetes und ungetrübtes Glück im Ehestande Ausdruck.

Glückwunschbriefe aus Anlaß der Geburt eines Kindes sind nur im Kreise der Familienangehörigen gebräuchlich; sonst begnügt man sich mit einer Karte, auf der man seine Freude mit wenigen, aber herzlichen Worten ausspricht und für Mutter und Kind bestes Gedeihen wünscht.

Beileidsbriefe erfordern eine große Gewandheit im schriftlichen Ausdruck, weil niemand imstande ist, mit der Macht des Wortes für den erlittenen Verlust Trost zu spenden.[146] Hier ist die Zeit neben der Religion das einzige Heilmittel. Aber Beileidsbriefe sollen ja auch gar nicht trösten; ihr Zweck besteht nur darin, daß wir unserer Teilnahme, unserer Trauer passenden Ausdruck verleihen. Betrifft das Beileidsschreiben einen Todesfall, so haben wir der guten Eigenschaften des Verblichenen zu gedenken; das wird stets von wohltuender Wirkung sein. –

Für die äußere Form der Briefe gibt es im privaten Verkehr keine bestimmten Vorschriften. Man verwendet Papier in den verschiedensten Größen, doch muß es von gutem Stoff sein. Das ›Respektblatt‹, also den zweiten halben Bogen, kann man nur im geschäftlichen Verkehr, und auch da nur, wenn man auf einem Blatte in Quartgröße schreibt, oder in der Eile genauen Bekannten gegenüber fortlassen. Vielfach beliebt sind im Privatverkehr Briefbogen mit eingeprägtem Namenszug oder mit den verschlungenen Anfangsbuchstaben des Namens. Dazu verwendet man dann natürlich entsprechend geschmückte Briefumschläge. –

Der fertige Brief muß so zusammengelegt werden, daß er sogleich in den Briefumschlag hineinpaßt. Muß er mehrfach gefalzt werden, bis die richtige Größe gefunden ist, so erhält der Brief durch die verschiedenen Kniffe ein unschönes Aussehen.[147]

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 140-148.
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