Anno 1709
§ 101

[248] In Wittenberg hatte dieses Malum auch ziemlich um sich gegriffen, doch nicht so stark, wie in Jena. Inzwischen hatte doch der Sohn des Inspector Neumanns aus Breslau an dieser Krankheit seinen Geist aufgeben müssen. O seltsame Fata und Wege Gottes! Herr Inspector Neumann hatte nun zu glauben angefangen, daß Herr D. Buddeus nicht orthodox, und nicht rein genug in der Lehre wäre; darum hatte er seinen Sohn nicht lange[248] darnach, als ich denselben in Jena gesprochen, weggenommen, und nach Wittenberg geschickt, und noch dazu zu Herr D. Neumann ins Haus getan, damit er ohne alle Flecken, und Runzeln [Eph. 5,27] einmal wieder nach Hause kommen möchte. Es hatte aber Mons. Neumann, samt andern Studosis einem Lands-Manne, der den Sommer wieder nach Hause reisete, das Geleite gegeben, und waren in einer Breyhahn[Weißbier]-Schenke abgetreten. Der Breyhahn mochte gut geschmeckt haben: weil er aber zu jung gewesen, so daß er alle im Leibe zu kneipen angefangen, so hatten sie das Übel mit Aquavit dämpfen wollen; woraus denn, weil sie vielleicht des Aquavits zu wenig getrunken, eine solche schlimme Järung [Gärung] und Hitze entstanden, die bei Mons. Neumannen gar bald in einen Durchfall ausgeschlagen. Da die Krankheit am heftigsten war, und er dem Tode schon nahe kommen war, meinte der Herr D. Neumann, es erfordere seine Schuldigkeit eines so berühmten Mannes Sohn, der in seinem Hause und Tische wäre, in seiner Krankheit zu besuchen. Er tat es, wurde aber zu allem Unglück mit eben dieser Krankheit von ihm angesteckt, und mußte kurz hernach gleichfalls daran sterben. Ein solch unvermutet Ende hat dieser berühmte Theologus genommen, der als ein anderer Calovius, und lutherischer Maresius gleich dem Herrn D. Mayer, nach Gundlings Urteile, mehrmalen vor den Riß getreten [schützend für die bedrohte Orthodoxie eingetreten, vgl. Ps. 106,23] und seine Stimme in den zerschellten Brüchen [Ps. 60,4] des lutherischen Zions [Wittenberg], als eine Posaune, erschallen lassen.

Der Herr Inspector Neumann wurde durch den Tod seines Sohnes auf das empfindlichste gerühret. Er hatte alle seine Hoffnung auf ihn gesetzet; denn nach seinem Absehen sollte er einst das Lexicon Hebraicum, das er selbst, nämlich der Vater, angefangen, und in welchem er den Ebräischen Buchstaben vim significandi hieroglyphicam gab, und aus der Figur der Buchstaben den Verstand [Bedeutung] erzwingen wollte, fortsetzen, und sollten nicht nur D. Loescher, und Zierold, sondern alle theologische Welt nach seiner Methode die hebräischen Wörter analysiren, und die Schrift erklären. Man sagt, er habe nach der Zeit in alle Stamm-Bücher geschrieben: O vanitas vanitatum, & omnia vanitas [Pred. 1,2]! Doch es begegnete ihm, was ihm viel in Breslau prophezeiet hatten, mich dadurch aufzurichten, bei den Bewegungen, die er wider mich vor diesem erregte, als ich zu Hause, und von denen die ganze Stadt voll war. Er hat auch einen Sohn, sprach der Rector Hancke zu mir; wer weiß,[249] wie es demselben in der Fremde gehet, wenn er anderer Leute Kinder drücket, und macht, daß sie ihr Vaterland auf Lebenslang mit dem Rücken ansehen müssen. M. Hornig, der Ecclesiastes, tat dergleichen, und sogar mit solchen Formalien [Formulierungen] auf der Kanzel, so daß jedermann wußte, daß er mich meinte, und defendirte [verteidigte]; wie ich denn auch damals mit Recht noch defendiret werden konnte. Denn ob ich wohl nicht alle Dinge, und Instituta der Hällischen Theologorum verdammete, so war ich doch unschuldig in den Dingen, die er mich bezüchtiget hatte, und war noch lange nicht derjenige, der der Inspector selbst vor 2 Jahren noch gewesen, als er D. Speners und Franckens Schriften seinen liebsten Zuhörern zu lesen recommendiret hatte. Dato uno absurdo, sequuntur, si non semper infinita, tamen plura. Was kann eine übereilte und unweise Tat nicht vor seltsame und übele Folgen nach sich ziehen. Erst drückt er mich in Breslau, und verunglimpfet mich bei den Vornehmsten des Rats, und andern hohen Leuten: darnach fürchtet er sich vor mir: aus Furcht will er seinen Sohn nicht nach Leipzig senden, sondern schickt ihn nach Jena: durch mich erfährt er, daß Herr D. Neumann Buddeum vor heterodox hält, so tut er demnach seinen Sohn nach Wittenberg: und muß seines Sohnes Todes-Fall vollends eine Ursache werden, daß eine der größten lutherischen Kirchen-Säulen umfället. Doch ließ ihm Gott noch eine Hoffnung an dem andern Sohne übrig, der ein Medicus Chymicus, und ein vortrefflicher, ja Grund-gelehrter Mann worden, und jetzt in Berlin in sehr großem Ansehen lebet, auch viel gelehrte Schriften bereits bisher herausgegeben hat.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 248-250.
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