Anno 1710
§ 108

[263] Wie ich 1710 im Früh-Jahre ein wenig wieder zu Kräften kam, so riet mir jederman zu mehrer Motion und Bewegung. Ich gab gerne Beifall, wohl wissend, wie solche zu anderer Zeit stets meine Medicin und Præservativ gewesen. In der Marter-Woche reisete ich demnach nach Halle mit der Post, und hatte davon großen Nutzen. Denn da ich bei einem Viertel-Jahre her schier ganz verstopft gewesen, und nie eine rechte Öffnung gehabt, so[263] bekam ich durch die Erschütterung auf dem Post-Wagen zulängliche und sattsame Öffnung. Ich consulirte bei dieser Gelegenheit den berühmten D. Stahl in Halle. Er hatte eine Disputation de Febri hectica [über das hektische Fieber] ehedessen gehalten, und bis 10 Signa und Merkmale von dieser Krankheit angegeben. Ich befand sie alle bei mir, und in meinem Leibe, und hatte sie vor Signa hecticæ bisher allemal gehalten, wie sie denn auch von Lic. Friderici davor waren gehalten worden, und dieses schon, ehe ich noch D. Stahls Disputation zu lesen bekam, als wodurch ich nur noch in meiner Meinung bestärket worden. Weil einige Doctores in Leipzig nichts von der Hectica hatten wissen noch hören wollen, als die keine Hecticam statuirten, wo nicht die Lungensucht dabei, und der würkliche Actus febrilis [Fieberausbruch] dabei wäre; so dachte ich, dieser D. Stahl wird solchen Morbum bei mir notwendig agnosciren, und zugestehen müssen, weil er eben diese Signa bei mir antreffen wird, so er selbst in seiner Disputation angegeben. Ich schrieb sie demnach alle auf einen Zeddul [Zettel] in der schönsten Ordnung, begehrte von ihm in Ansehung meiner Krankheit ein Consilium medicum [ärztlichen Rat]. Da ich nun meinte, er würde unfehlbar diese Signa vor Signa hecticæ halten müssen, wo er nicht leugnen, und umstoßen wollte, was er selbst in seiner eigenen Disputation geschrieben, so wollte er doch nicht viel draus machen: meinte, es würde mit diesem Patienten nicht viel zu bedeuten haben: derselbe solle nur Aderlassen, seine Pillen brauchen, und sich seines roten Pulvers bedienen. Ich gieng von ihm weg, und wußte nicht, was ich von ihm, und andern Medicis gedenken sollte. Kennt dieser große Medicus, dacht ich im Heimgehen bei mir selbst, nicht die Krankheit aus den 10 oder 12 Signis, welche er selbst angegeben, quid de cæteris fiet [was wird dann erst bei den anderen geschehen]? Und ich sahe doch gegen meine ehemalige völlige Leibes- und Gesundheits-Gestalt zu rechnen, jetztund wie ein Sceleton aus; so daß, als mich im Rückwege auf der Kutschen Mons. Rhönisch unvermutet antraf, er sich zu entsetzen anfieng, als er mich sahe, als der sich auf mein sonst völliges Gesichte, und fette starke Fäuste noch gar wohl zu besinnen wußte.

Dieser Rhönisch hatte Anno 1705 bis 1706 Collegia bei mir gehalten [besucht], und sich vor andern Auditoribus dinstinguiret [Hörern ausgezeichnet]. Ich war ihm auch vor andern sehr gewogen gewesen; denn er hatte auf dem Gymnasio fast solche Dinge erfahren, wie ich 1695 und 1704 und wußte von seltsamen[264] Anfechtungen zu erzählen, so ihm auf dem Gymnasio begegnet. Er war sehr begierig immer frömmer zu werden, wie diejenigen sind, so aus der Erfahrung wissen, was Sünde, was Buße, was Glaube, was Christus, was Belial [2. Kor. 6,15], was Gottes Zorn, und was Gottes Gnade. Beim Einbruche der Schweden aber hatte er sich nach Halle gewendet. Ich fragte ihn um das Absehen seiner Reise nach Leipzig; er, unwissend wegen meiner Wahl, welche 1709 im Herbste geschehen, erzählte mir, daß ein Catechete in Leipzig erwählet wäre worden, und derselbe wäre schon ein halbes Jahr krank; und da der Rat willens wäre einen andern zu erwählen, so hätte ihm Herr Lic. Teller geschrieben, daß er kommen, und eine Gast-Predigt tun, oder sich vor einigen Patronis sollte hören lassen. Ich weiß nicht, ob ich mehr erschrak, oder mehr lachen mußte über diese seltsame Avanture. Denn ich war der Catechet, so krank worden, und der auch erwählet war worden; und sollte jetzt hören, daß mein ehemaliger Discipel und Auditor mir sollte vorgezogen werden. Ich kann nicht wissen, ob er den Patronis, als er gepredigt, nicht gefallen, oder ob mein Ausgehen, und wieder erlangte Gesundheit, wie es hieß, den Rat auf andere Gedanken gebracht. Die Haupt-Ursache, daß sie weder einen andern erwählten, noch auch zur Vocation meiner Person schritten, mochte wohl sein der Bau der Peters-Kirchen, die vorlängst schon in eine Kalk-Hütte, und in ein Haus der Wäsche – Weiber war verwandelt worden; welchen Bau der Rat aus wichtigen Ursachen vornahm, welche vielleicht so bekannt sind, daß ich nicht Ursache habe, sie hier anzuführen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 263-265.
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