[40] Nicht lange nach diesem lief ein arm Weib des Abends noch auf der Gasse herum, weinte und heulte, klopfte unter andern auch bei uns an, und bat, man möchte sie doch nur eine Nacht beherbergen, damit sie nicht bei so schlimmen Wetter auf der Gassen liegen dürfte. Ich weiß nicht, warum sie nicht meine Leute in die Schenke gewiesen, allwo ja auch die Bettler zur Not auf eine Nacht Herberge finden. Doch, wie mein Vater bei seinem großen Zorn, den er, wenn es Not tat, von sich blicken ließ, ein weichherziger Mann war, so nahm er das Weib ins Haus, so sehr wir Kinder auch samt der Mutter uns widersetzten. Es gefiel aber dem Weibe wohl bei uns, und, da es Morgen war, so hatte sie keine Lust, ihren Stab weiter zu setzen. Sie wußte uns so viel vorzusagen, oder vielmehr vorzulügen, daß wir ihr noch etliche Tage nachsahen. Da sie aber des Zauderns kein Ende machte, so sehr wir auch auf ihr Ausziehen drungen, so stießen wir sie schier mit Gewalt aus dem Hause. Ich war selbst nicht dabei, ob ich wohl [obwohl ich] mit dazu mochte geraten haben; wie man mir aber darnach erzählet, so soll sie sich, als sie mit Gewalt fortgejaget wurde, haben verlauten lassen, sie wollte machen, daß wir eine Weile an sie gedenken sollten; und was etwan der Drohungen und der Schelt-Worte mehr gewesen, deren sie sich bedienet. So lange dies Weib bei uns gewesen, haben wir nichts an ihr gemerket, aus welchem wir hätten schließen können, daß sie ein unrein Weib, oder mit Ungeziefer angestecket wäre, welches auch mochte Ursache sein, daß wir sie einige Tage dulden konnten. Allein es waren kaum etliche Tage nach ihrem Abzuge vorbei, so wurden wir gewahr, daß sie entweder voll Ungeziefer selbst müsse gesteckt, oder, so dieses nicht gewesen, uns gar damit angesteckt, und bezaubert haben. Wir brauchten die Mittel dargegen, die man bei dergleichen Fällen zu gebrauchen pfleget, solcher unangenehmen Gäste, die sich überall in unsern Kleidern und Betten häufig [massenweise] einquartiret, los zu werden; aber vergebens. Ich hätte wünschen wollen, daß wir diese Tiergen hätten auf einmal, wie das Weib, auf die Gasse werfen können; allein das wollte nicht angehen. Vier, fünf, bis sechs ganzer Jahr sind wir beinahe so arg, wie Pharao in Ägypten, daß ich es nur deutsch sage, mit Läusen geplaget gewesen [2. Mos. 8,16–19], und haben derselben nicht los werden können, was wir auch angefangen, und vor Mittel darwider gebrauchet.[41] Auch da ich schon von meinen Eltern wegkommen war, und in der Stadt wohnete, mußte ich mich fürchten, meine Eltern zu besuchen. Denn so vorsichtig ich auch war, so oft ich zugegen, und alle Örter, worauf ich mich setzte, sorgfältig abwischte, so wurde ich doch immer von neuem damit angesteckt. Niemand unter allen ist mehr, und längere Zeit damit geplaget gewesen, als ich selbst, und darf nicht mit Worten beschreiben die unglaubliche Menge von diesem Ungeziefer, welches mich öfters so geplaget, daß ich beinahe hätte schwermütig darüber werden mögen; indem, wenn andere Häuser, und Leute in der Stadt, wo ich aus- und eingieng, gleiches Übel an sich merkten, der Verdacht allemal auf mich fiel, und sie folgentlich einen Eckel und Abscheu vor mir bekamen.
Ich fieng gar an auf die Gedanken zu geraten, als ob etwan mein Leib von solcher schädlichen Disposition wäre, so daß diese Würmer [krankheitsbringenden Insekten] aus demselben hervor wüchsen, und fielen mir zuweilen die Exempel dererjenigen ein, von welchen ich gelesen, daß sie an der Phthiriasi [Läusesucht] gestorben. Ich bin nach der Zeit, da ich von solcher Plage befreiet worden, oft geneigt gewesen, ein besonderes Omen und Vorbedeutung daraus zu machen, als ob dadurch in meiner Jugend die vielen Fehler, Verbrechen, Verderbnisse, Sünden und Unarten, mit welchen ich nach der Zeit zu streiten gehabt, wären vorgebildet worden. Die Mutter hat diese Plage, so lange sie gewähret, und auch nach diesem, vor eine rechte Strafe und Gerichte Gottes angesehen, wiewohl wir nicht wußten, wie wir dazu kämen, und solches verdienet hätten. Und welches merkwürdig, so hat der Vater von diesem Übel entweder gar nichts, oder doch gar wenig empfunden; wie ich mich denn nicht besinnen kann, daß er jemals darüber geklaget, und gleiches Malheur zu haben bezeuget hätte. Dieses brachte uns auf die Gedanken, daß wir uns an diesem Weibe durch Unbarmherzigkeit versündiget hätten. Meine Mutter aber, so noch sehr viel Aberglauben hatte, und alles, ohne Unterscheid, vor wahr hielt, was man da und dort von Gespenstern, Zaubereien, und Unholden erzählte, wollte sich es nicht ausreden lassen, das Weib müsse eine Hexe gewesen sein, und habe uns auf Gottes Zulassung mit dergleichen Ungeziefer bezaubert. Nach meinem jetzigen Erkenntnis würde ich wohl schwer dran gehen, dem Satan beinahe so viel, als unserm Herren Gott selber, zuzuschreiben, und ihm eine Macht beizulegen, Läuse zu erschaffen und zu machen, wo keine sind, und noch dazu diese Kraft und Macht andern, nämlich seinen[42] Werkzeugen und Hexen mitzuteilen. Vielleicht hat dieses Weib eine Kunst gewußt, durch natürliche Mittel es dahin zu bringen, daß dergleichen Ungeziefer sich hecken [sich begatten], und so lange sich vermehren und bleiben müssen, wenn nicht erst die natürliche Ursachen wieder aus dem Wege geräumet worden.
Dem sei, wie ihm wolle, weil ich dieses jederzeit vor eine besondere Avanture [Mißgeschick], so meinem Hause, und mir in meiner Jugend begegnet, angesehen, so habe ich auch dessen hier Meldung tun wollen; wie ich denn alle solche Casus und Zufälle meines Lebens kurz mit anmerken werde, wo es den Schein gehabt, als ob eine besondere Würkung Gottes, oder des Satans dabei beschäftiget gewesen, und Gott, oder der Satan seine Hand, wie man redet, mit im Spiel gehabt. Verständige werden mir zugestehen, daß dieses in eine solche Historie sich gar wohl schicke, dergleichen ich hier von meinem eigenem Leben schreibe. Denn tut Gott, wie einige heutiges Tages lehren wollen, in der Welt nichts immediate und unmittelbar, nichts supra und præter naturæ ordinem [über und gegen die Naturordnung]: ist keine Providentia specialis [spezielle Vorsehung für den Menschen], welche occulte miraculosa [insgeheim wunderbar] ist: Hat Gott nach seiner Præscienz [Voraussicht] alle Dinge schon vorher gesehen, und also bei der Schöpfung geordnet, daß jetzt alles nach dem Laufe der Natur, und der einmal gemachten Ordnung geschehen muß, was geschiehet, ohne daß Gott jemals von dieser Ordnung abgehet, oder abgegangen ist, noch abzugehen vonnöten hat, ob es gleich von außen den Menschen ungewöhnlich, außerordentlich, und wunderbar vorkömmt; so geschehen doch so viel seltsame Dinge in der Welt, ja es begegnen dem Menschen solche Wunder-volle Zufälle, die man aus natürlichen Ursachen sehr schwer, oder gar nicht auflösen kann, und die so beschaffen, daß man Stein und Bein schwören sollte, Gott tue solche erst jetzund [jetzt], unmittelbar, außerordentlich, durch besondere Direction, über die Natur [hinaus], und nicht durch die gewöhnlichen Wege der Natur, sondern durch gewisse Geister, welche in die Kreaturen und Menschen, und menschliche Seelen würken können. So ist es demnach gut, allerhand solche Dinge zu lesen, zu hören, zu wissen, und folgentlich zu examiniren, ob sie in der Natur ihren Grund haben: ob dadurch das bekannte Systema harmoniæ, das heutiges Tages so viel Approbation [Zustimmung] findet, und alle Wunder ausschließet, zweifelhaft gemacht, und wohl gar über einen Haufen könne[43] geworfen werden; oder ob solches Systema mit allem, und bei allem dem Ungewöhnlichen und Erstaunens-vollen, so den Menschen oft zustößet, gar wohl stehen könne.
Ich sollte meinen, Obrigkeiten täten auch ein löbliches Werk, wenn sie, so oft sich in einer Stadt etwas ereignet, was außer dem gewöhnlichen Laufe der Natur zu sein scheinet, solches vor ihr Forum zögen, die ganze Sache untersuchten, und die Acten hernach dem Publico, und der gelehrten Welt, insonderheit denen Theologis und Philosophis vorlegten, damit diese desto geschickter wären, von solchen Dingen zu urteilen, und entweder dem heidnischen Aberglauben unter den Christen, von dem sie so lange geäffet worden, zu steuren, oder die Grund-Sätze der Religion außer [außerhalb] der Schrift auch noch durch die Erfahrung desto besser zu befestigen. Jetzt, da ich solches schreibe, redet man von dem Kinde eines ehemaligen Professoris, das durch einen Mann, der in der [Leipziger] Messe mit einem Raritäten-Kasten herum gelaufen, soll sein behext worden, und nun seltsame Phænomena von sich spüren lässet: ingleichen von einem Haus-Knechte, den eine sogenannte kluge Frau, so die Leute in einem Spiegel die Diebe sehen läßt, von denen sie bestohlen worden, durch Zauberei um ein Auge gebracht. Einer sagt dies, der andere ein anders. Der eine spricht: Es ist nichts dran, sondern alles erlogen, und verhält sich die Sache gar nicht so, als man vorgiebt; ein anderer aber will ganz gewisse Würkungen des Teufels, und der Zauberei bei beiden antreffen. Wenn man nun die Leute bei solcher Gelegenheit in lauter Ungewißheit läßt, als die in solchen Fällen ganze Scheffel voll Lügen einander im gemeinem Leben zumessen, und das Wahre mit Lügen und Mährgen [erfundenen Geschichten] verfälschen und vermischen; so gewinnt es so gar das Ansehen, als ob diejenigen, welche bei dergleichen Begebenheiten am geschicktesten wären, die Wahrheit, oder die Lügen an Tag zu bringen, mit Fleiß wollten, daß die Leute von solchen Dingen keine rechte Nachricht, noch Erkenntnis bekommen sollen, und als ob es eine Staats-Maxime sei, den Pöbel, und auch wohl höhere Leute im Aberglauben stecken zu lassen, und zu erhalten, damit sie desto besser im Zaume des Gehorsames könnten erhalten werden; wodurch aber die Ungläubigen leicht in ihrer Atheisterei, und törichten Meinungen gestärket werden, als ob die Religion überhaupt ein purer Aberglaube, und ein Inventum und Gedichte [Erfindung und Erdichtung] der Regenten sei, den Leuten, als solchen Roß und Mäulern [wie den Mäulern der Rosse], einen Zaum und Gebiß[44] ins Maul zu legen, wenn sie sich nicht mit Gutem wollen regieren lassen. Ich sage eben nicht, daß die, so Herrscher und Regierer des Volks, und Häupter einer Republik sind, im Gewissen verbunden wären, solches zu tun; sondern nur, daß es vor die gelehrte, und geistliche Welt eine nützliche Sache sein würde, und daß der Religion dadurch ein guter Dienst geschehen würde, von welcher die Republik doch in Wahrheit mehr Vorteile, als vom Aberglauben, und von lauter Religions-Ungewißheiten hat, die wahrlich keine gute Cives [Bürger] machen kann, man sage auch auf Seiten der Atheisten, was man wolle. Wäre bei solchen Casibus [Fällen] was Außerordentliches, so würden doch von den Gelehrten aus den Acten leicht merkwürdige Vestigia [Spuren] einer besondern göttlichen, oder teufelischen Würkung, wenn auch nur auf eine sehr wahrscheinliche Weise, können entdecket werden. Denn in solchen Dingen, wo die Frage ist, ob etwas natürlich, oder übernatürlich sei, zu einer demonstrativischen Gewißheit zu gelangen, welche entweder auf das Zeugnis der äußerlichen Sinne und der Erfahrung, oder auf unwidertreibliche [unwiderlegbare] Vernunft-Schlüsse sich gründet, ist ohne dem keine Hoffnung; weil es mit Gottes Weisheit streiten würde, den Glauben auf Erden auf solche Weise gleichsam in Schauen zu verkehren, und folgentlich so gar der menschlichen Freiheit in einem Stücke Gewalt zu tun.
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