Anno 1711
§ 110

[267] Je tiefer in Sommer ich hinein kam, je gesünder und munterer wurde ich. Collegia halten war meine Lust, und es war immer ein Groschen Geld in Leipzig zu verdienen, nach meinem gewöhnlichen Sprüch- und Scherz-Wort, wenn einer auch nur was[267] weniges gelernet hat. Aber siehe, wenn es geht nach des Fleisches Mut, so will der Mensch in der Gottseligkeit erkalten, und der alte Adam fänget an wieder warm zu werden, wenn er auch schon sonst noch so starre, oder auch ganz erfroren zu sein scheinet. Es fieng mich an der Unwille wieder zu plagen, der mich zu Ende des vorigen Jahres schon, nachdem ich mich in etwas erholet, nicht wenig verunruhiget hatte. Ich sollte eine Pfarre bekommen, und doch mein Lebtage an keine Knarre dabei gedenken. Das war mir aber eine Pein, nur daran zu gedenken. Ich bat Gott, er möchte mich doch diese Gratiam victoriosam [siegreiche Gnade], von welcher die Jansenisten und Augustinisch-Gesinnten so viel zu reden wissen, in großem Maße schmecken lassen, welche macht, daß man Ehre, Reichtum, und alles Vergnügen, was etwan dieser Stand scheinet mit sich zu führen, ja alles Irdische in der Welt mit dem Apostel vor Kot achtet [Phil. 3,8]. Ich erhielt zwar auf eine Zeit lang, was ich bat; denn an dem 10. Sonntag nach Trinitatis wurde ich mit dem Guß, und Genuß der Güte und der Gnade Gottes auf eine excessive Weise überschüttet, daß ich auch meinte, diese Neigung solle nun und nimmermehr wieder in mein Herz kommen, und mich, so lange ich lebte, nach nichts Irdischem mehr dürsten, es möchte sein was es wollte. Allein hatte dieser Teufel eine Weile geschlafen, so wachte er im October mit Murren, Ungeduld, und mit expostulirenden unwilligen Gedanken über Gottes Regierung, und über den zugelassenen unglücklichen Fall meiner Jugend wieder auf, geriet aber dabei in große Seelen- und Gewissens-Angst, eben deswegen, daß ich wider Gott ärger, als die Kinder Israel gemurret hatte [vgl. 4. Mos. 17,20]. Und ich hatte genug zu beten, daß Gott mir die Angst aus meiner Seelen wieder wegnahm, und mein Gemüt durch Vertrauen und Hoffnung wieder zufrieden stellte. Ich glaube, ich würde noch länger in dieser Not sein stecken geblieben, wenn nicht eine äußerliche Versuchung dazu gekommen und die Zeit meiner Vocation und Einsetzung ins Predigt-Amt mich nicht genötiget hätte, an andere Dinge zu gedenken.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 267-268.
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