§ 117

[279] Unter das Angenehme, habe ich gesagt, ist einmal zu rechnen der große Beifall und die Liebe, so ich bei meinen Zuhörern gefunden. Es ist zwar in dieser Stadt nichts Ungewöhnliches bei vielen Jahren her gewesen, wie in andern Städten auch zu sein pfleget, daß bald ein Vesper-Prediger, bald ein Frühprediger vor allen andern Predigern großen, ja den größten Applausum gehabt, und eine zeitlang, so zu reden, Mode gewesen, wie einige zu reden gewohnt sind; die sich aber noch der ersten Jahre meines Predigt-Amts erinnern, werden mir gerne zugestehen, wenn ich sage, daß der große Beifall, den ich damals gefunden, und eine geraume Zeit behalten, kaum seines Gleichen gehabt. Es hielten manchmal, wie schon oben erwähnet [S. 209], wohl 40 Kutschen vor der Kirchen nach der Predigt, und geschahe oft, daß alle Bürgermeister und Pro-Consules [Bürgermeister-Stellvertreter], und die Vornehmsten der Stadt meine Zuhörer waren, und wunderte ich mich vielmal selbst nicht wenig, wie es möglich wäre, daß so viel ein Wohlgefallen an meinem Vortrage[279] und Predigten haben kunten; indem ich noch so schwächlich am Leibe, und im Kopfe war, daß ich selten concipiren, und die Predigt von Wort zu Wort aufschreiben kunte, sondern nur eine Sciagraphie und summarischen Abriß mir aufsetzte, und also zum Extemporiren gezwungen wurde. Ich hatte zwar auf der Schule etwas Oratorie studiret, so daß, wenn ich manchmal mich ein wenig an Leibes- und Gemüts-Kräften erholet, und meine Predigten mit allerhand Meditationen, und sogenannten Realien [Beispiele, Räsonnements] und Argutien [Scharfsinnigkeiten] ausschmückte, dieser Zucker noch mehr Leute herzu lockte; ich ließ aber gar bald diese Art zu schreiben, so leicht sie mich auch in gesunden Tagen ankommt, großen Teils fahren, weil die Begierde deutlich zu sein, und das arme Volk zu erbauen, und nicht mit leeren Worten abzuspeisen, mir solches nicht länger zu tun gestatten wollte. Bei dem allen so ward dadurch die Zahl der Zuhörer nicht vermindert, sondern nahm noch mehr zu, wenn ich auch nur einer niedrigen Schreib-Art mich bediente, und allerhand erbauliche Meditationen und Betrachtungen, insonderheit, wenn ich ein Kapitel aus der Bibel erklärte, einstreuete. Als ich die 5te Predigt über das 5te Kapitel des 1. Buchs Mosis in der Vesper hielt, und so steril und trocken, als das Capitel aussahe, doch bei dem Leben der Patriarchen vor der Sündflut, und bei einem jeden Vers insonderheit ungewöhnliche, und unvermutete, und doch erbauliche Locos Communes [Sentenzen] und Meditationes einfließen ließ; so hatte ich bei dem Herrn Appellation-Rat Plazen, und dem Herrn Vorsteher Rivino so viel Approbation gefunden, daß sie auch nach der Predigt in der Kirchen zusammen kamen, und sich beratschlagten, wie sie mir in der Nähe ein Haus zu meiner Wohnung bauen möchten. Ja D. Plaz kunte sich nicht halten, er mußte in die Sacristei kommen, und gegen mich wegen gehaltener Predigt sein Vergnügen, so er darüber gehabt, bezeugen. Er fragte mich unter andern, ob es denn nicht möglich, daß ich auch die andern Catecheten, deren damals 17 an der Zahl waren, und welche das erste Jahr nach Mittage lauter Prob-Predigten hielten, so anführen könnte, daß sie auf gleiche Weise die Kapitel erklärten.

Nun ich bin keinesweges gesonnen in dem großen Zulauf, Applausu, und Beifall meiner Zuhörer etwas Außerordentliches zu suchen, oder übernatürliche Würkungen, und mehr als gemeine Gaben mir zuzuschreiben; welches wider diejenigen zu merken, so wider mich geschrieben, oder in Schriften meiner gedacht haben, und sich recht viel Mühe geben, damit sie ja nihil divini,[280] und nichts Göttliches, und Ungewöhnliches in diesem Falle mir einräumen möchten. Daß sie aber meinen, die vielen, und meisten moralischen Predigten hätten solchen Applausum verursachet, das ist nicht wahr. Denn einmal sind der moralischen Predigten nicht so viel von mir gehalten worden, als sie meinen; und folget gar nicht, daß, weil diejenigen Predigten, so ich in Druck gegeben, viele Dinge, so das Leben angehen, in sich halten, so müssen auch die andern, so nicht in Druck heraus kommen, meistens so beschaffen gewesen sein. Und sollten ja diese in Druck heraus gegebenen Predigten bisher viel Käufer gefunden haben, so ist ja noch eine große Frage, ob die moralischen Dinge, so in denselben enthalten, und nicht vielmehr viel andere Materien, so darinnen vorkommen, zur Recommendation und zum Verkauf derselben das meiste beigetragen haben. Versuche es nur einer, und predige meistens lauter Moralia, und sehe, ob er lange damit seinen Zuhörern angenehm sein, und einen Gefallen tun werde; ich bin versichert, sie sollen bald davor einen Eckel bekommen, und derselben überdrüssig werden. Einige natürliche Gaben, der natürliche und unaffectirte Vortrag, die Deutlichkeit etc. haben freilich das ihrige dazu beigetragen; das meiste aber habe ich jederzeit dem zugeschrieben, was mich Gott Anno 1695, Anno 1704, und Anno 1710 Bitters, und Angenehmes hat schmecken und erfahren lassen, und was ich oben bereits weitläuftig erzählet. Ich hatte in diesen Jahren, wie ich gewiesen, selbst schon dem Tode, der Sünde, dem Teufel, und der Höllen im Rachen gesteckt, und konnte von diesen Dingen viel besser, als ein anderer, aus der Erfahrung lehren und predigen. Ich durfte also manchmal nur eine, und andere Worte, und etwas ein fließen lassen, das sich auf dergleichen Zufälle und Anfechtungen bezohe [bezog], dergleichen mir begegnet waren; so merkten die Angefochtenen im Volke, die in dergleichen Not auch gesteckt, oder aus dergleichen Not von Gott auf gleiche Weise waren erlöset worden, deren manchmal mehr unter den Zuhörern sind, als man glaubet, daß ich davon Erfahrung haben, und ihren Zustand inne haben müßte, und kamen zu mir, oder ließen mich zu sich holen, und entdeckten mir ihren Jammer-Stand, in welchem sie sich entweder noch befanden, oder aus welchem sie durch wunderbare große Gnade Gottes waren erlöset worden. Und weil ich auch die tiefe Verderbnis des Menschen, die elende Sklaverei der Sünden, des Teufels tiefe List, und Bosheit zur Genüge an mir selbst geschmecket und gelernet, so wurden viel Sünder, und unter denselben auch nicht wenig vornehme Leute[281] gerühret, so gar, daß sie auch zum Teil ihr Leben mir entdeckten, ihre Sünden bekannten, und Anweisung zum Christentum, und fernern Unterricht in vielen Gewissens-Fällen begehrten.

Zu meinem Applausu mochte auch etwas beigetragen haben, daß ich einige Wahrheiten und Lehr-Sätze, die zwar von unserer Kirchen niemals geleugnet worden, die aber eben nicht gar zu oft im Predigen berühret, und eingeschärfet werden, mit Nachdruck vortrug, und dieselben den Zuhörern zu Gemüte führte. Z.E. Es ist unmöglich, daß ein Sünder bei seinem gottlosen Leben kann selig werden, und zu Gott kommen. Die großen Haupt-Sünden, Unglaube, und die herrschende Liebe der Welt haben eine natürliche Verbindnis mit der Hölle, und mit der ewigen Verdammnis. Jedweder Mensch kann nur einen Gott, oder nur einen letzten Endzweck haben, worinnen er seine höchste Ruhe und Glückseligkeit suchet: entweder den wahren Gott, als das höchste Gut; oder die geringen Schein-Güter dieser Erden, und die vergängliche Lust der Welt. Die Wollüstigen, Geizigen, und Ehrgeizigen hangen mit ganzem Herzen, und mit ganzer Seele an der fleischlichen Wollust, an den Reichtümern, und Ehre dieser Welt, und alle ihre andere Sünden, und gottlose Werke sind Ausbrüche dieser ihrer herrschenden Sünden. Alle Traurigkeit, Angst, Kränkung, entstehet in der Welt bei dem Menschen, wenn er entweder das eingebildete Gut nicht erlangen kann, was er gern hätte; oder wenn er dessen, was er am meisten liebet, und woran er sich am meisten ergötzet, beraubet wird. Nun verlieret der Gottlose im Tode alle seine Güter, an denen er in diesem Leben alle seine Freude und Lust gehabt. Gott, das höchste Gut, hat ihm niemals angestanden, und kein Vergnügen gemacht; so muß er notwendig im Tode in das höchste Ach, Jammer, und Weh, ewiges Herzleid, Angst, Traurigkeit, und Verzweifelung verfallen. So oft er also mit ganzem Herzen und herrschender Liebe diesen irdischen Gütern nachläufet, so lauft er eo ipso, und eben dadurch von Gott weg, und kann unmöglich zu Gott kommen; und ist eben so töricht, als wenn einer hier gegen Mittag [Süden] zu hinaus reisete, und wollte vorgeben, er reisete nach Halle zu; da er doch eben dieser Stadt auf solcher Reise den Rücken zukehret. So natürlich, als es also zugehet, daß ein Mensch, der viel säuft, die Schwindsucht, die Wassersucht, und andere Krankheiten bekömmt; so natürlich geht es zu, daß seine Seele in die ewige Höllen-Pein nach dem Tode verfällt, wenn sie in Süden von hinnen scheidet. Die Sünder, wenn sie von Gottes Zorn und Strafen der Sünden reden[282] hören, denken nur, wenns hoch kommt, an lauter willkürliche Strafen Gottes, und stellen sich immer bloß unsern Gott nur vor, wie einen Richter, der einem Diebe, der den Galgen verdienet, das Leben noch schenkt, und manchmal aus Gnaden noch laufen läßt; sie denken aber selten an die natürlichen Strafen, welche, sie mögen nun zeitlich, oder ewig sein, großen Teils mit der Sünde durch ein natürliches Band verknüpft sind, welche Gott unmöglich vergeben kann, wo sie der Mensch nicht ableget, und wo er nicht sein Herze davon durch Haß und Reue losreißt, und sein Vertrauen auf Gottes Gnade setzet; so daß es eine Contradictionem in adjecto, und einen Widerspruch in sich selbst in sich schließet, daß ein Sünder soll in Gott, als in dem höchsten Gute, seine ewige Freude und Ergötzung finden, von dem er weglaufet, den er verachtet, geringe hält, vor welchem ihm eckelt, und den er im Herzen hasset. Und doch sind die Sünder so blind, und wollen, wenn sie gleich in Sünden, und Liebe der Welt verharren, sich aufs Abbitten legen, und sich trösten, Gott werde ihnen ihre Sünden vergeben, und sie nicht in die Hölle werfen; da es denn eben so heraus kommt, als wenn einer mutwilliger weise ins Feuer sprünge, und sich wollte trösten, Gott werde ihn nicht gleich verbrennen lassen; oder wenn er mutwillig Gift söffe, und wollte das Vertrauen haben, Gott werde machen, daß ihn solches nicht töten, noch des Lebens berauben werde. Das hieße, Gotte zumuten, er solle Wunder tun, welches er doch nicht verheißen, so daß also das Vertrauen ein törichtes Vertrauen ist. Ja Gott würde nicht nur ein Wunder, sondern eine Contradiction in adjecto tun müssen, welches doch zu tun auch einer göttlichen Allmacht unmöglich: Nämlich einen, der ihn hasset, und verabscheuet, zu gleicher Zeit, und so lange er ihn hasset, Liebe in ihm würken, und Kraft derselben ihn die größte Freude und Wollust schmecken lassen. Es impliciret in Terminis [setzt voraus]: Gott müßte erst den Haß ändern, ihn von der Blindheit des Verstandes befreien, seinen Verstand erleuchten, daß er Gott vor das höchste und edelste Gut hielte, wenn die Liebe und Freude zu Gott, und in Gott, und die Seligkeit selbst entstehen soll. So absolut nötig also, als es nun ist, das gottlose Leben zu meiden, und nur den wahren Gott über alles zu lieben, so hat der Mensch im natürlichen und sündlichen Zustande keine Kraft, von der Blindheit sich zu bekehren, die Augen seines Verstandes aufzutun, und Gott vor das höchste Gut zu erkennen, und die herrschende Liebe zur Welt fahren zu lassen, sondern Gottes Geist muß seinen Verstand erleuchten, und[283] sein Herz ändern. Diesen Geist Gottes, der durch den Sünden-Fall von den Menschen verloren worden, hat der Sohn Gottes durch sein Leiden und Sterben den Sündern verdienen, und erwerben müssen. Durch dessen Kraft können sie ihre Augen auftun, die Sünde bereuen, und dieselbe zu hassen, Gott über alles zu lieben, und auf Gottes Gnade ihr Vertrauen zu setzen anfangen. Und diesen Geist Gottes empfangen sie durch den Glauben an Christum zu ihrer fernern Heiligung und Tilgung der fernern Herrschaft der Sünden, nachdem er erst durch seine zuvorkommende Gnade sie durch Gottes Wort, und durch das Gesetze zur Erkenntnis Gottes, und ihrer Sünden gebracht, und auch durch die bekehrende Gnade den Glauben an Gott und ihren Heiland gewürket: Christus etiam mortuus, ut posses pie vivere.

Ich denke nicht, daß jemand unter uns diese Sätze und Wahrheiten, so ich hier angeführet, in Zweifel ziehen, noch an deren Richtigkeit dubitiren [zweifeln] werde. Weil nun, wie gesagt, solches etwan nicht so weitläuftig von andern mochte sein vorgetragen worden, so machte es bei meinen Zuhörern großen Eindruck und Aufsehen. Nach dem, was man mir öfters vor meine Ohren gebracht, ließ sich ein, und der andere verlauten: das hab ich mein Lebtage nicht gehöret, der prediget ganz anders, als die andern Prediger: nun sehe ich erst wie nötig es ist, daß ich von meinem gottlosen Leben muß abstehen, wenn ich will selig werden. Wo du nun, geliebter Leser, diese und dergleichen Dinge, die ich geprediget, auch vor moralische Dinge ausgeben, und es Moralisiren nennen willst, da es doch Glaubens-Punkte sind, die nur a priori gründlich bewiesen worden, so ist es wahr, so habe ich in meinen Predigten meistens moralische Dinge geprediget. Denn so blind sind die Leute, und die Unwissenden gewesen, daß, wenn ich auch die Glaubens-Punkte, so in unsern drei Haupt-Artikeln vorkommen, geprediget, im Fall ich sie deutlich und gründlich, als es möglich gewesen, bewiesen, alles bei ihnen moralisch und philosophisch geheißen. Lauter Moral, lauter Philosophie, war das gemeine [allgemeine] Urteil, so viel aus Dummheit fälleten.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 279-284.
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