§ 126

[309] Viel größere Incommodität haben mir die Spasmi und convulsivischen Bewegungen im Leibe verursachet; und habe bereits oben bei einer andern Gelegenheit erzählet, daß ich vielmal, insonderheit früh nach dem Gebrauch des Thées wenig, oder nichts in Büchern lesen können. Wenn ich lesen wollte, und auf das acht geben, was ich las, und die Lebens-Geister aus dem verschleimten Geäder in das Haupt zog, so liefen die flüchtigen Gedanken wie Pfeile, und wurde mir dabei höchst übel, und weichlich um den Magen. Es war, als wenn sich etwas im Leibe zusammen zöge, oder auch, als ob sich manchmal etwas von einander gäbe. Wenn ich nicht zuweilen das Buch weggeleget, so hätte ich müssen hinfallen. Ehe ich die Lehre von Spasmis und von innerlichen Convulsionen inne hatte, wußte ich nicht, was mir begegnen könnte, und bei dergleichen Fällen bevor stünde, oder zu was vor einer Krankheit dieses eine Disposition wäre; habe aber nach der Zeit solches zur Genüge erkennet. Und ich wünschte, daß ich es niemals erkennet hätte, und mir es niemals weder Herr D. Naboth, noch jemand anders gesaget. Denn wenn ich dergleichen Anwandelung nach der Zeit wieder bekommen, so hat mich die Furcht desto mehr gequälet, daß nicht die Krankheit in den Actum und in die Tat ausbräche, welche[309] ich zu besorgen hatte. Ich fiel von ohngefähr zur selbigen Zeit drauf, daß ich mir stets eine warme Stürze [Wärmflasche] auf den Leib legte, auch denselben mit einem Gurte zusammen zohe. Weil man von außen dergleichen Übel nicht gerne vor den Leuten gestehet, so gab ich bei denen, welchen es bekannt war, was ich tat, vor, als ob ich solche Stürzen wider die Colica, und Durchfall gebrauchte, dachte aber manchmal bei mir selber: Wenn ihr wüßtet, was vor ein groß Übel es sei, was ich dadurch zu verhüten suche, ihr würdet wohl gar von mir laufen, und meinen Umgang meiden.1

Den höchsten Grad aber von dieser schädlichen Disposition habe ich allemal gefühlet, wenn es so weit gekommen, daß mir die große Zehen in Füßen, und die Daumen in Händen schwach worden. Wie oft hab ich auf die Kanzel in solchem Zustande steigen, und mit Zittern und Beben predigen, und mich unterm Predigen setzen müssen, welches die Zuhörer zu allem Glücke vor eine Schwäche der andern Teile des Leibes ansahen? Ich glaube, wenn mancher Prediger sich continuirlich mit solchen, und andern Übeln in seinem Amte plagen und schleppen müßte, er würde noch eher das tun, was ich getan habe, und sein Amt aufgeben. Einstmals, da ich kaum wußte, wie ich auf die Kanzel kommen sollte, kam noch das Malheur dazu, daß, da ich zur Sacristei-Türe hinaus gehen wollte, um das Wasser abzuschlagen [urinieren], welches ich bei dem andern [zweiten] Vers des[310] Glaubens, den man singet, zu tun gewohnet war, der abscheuliche große Hund des Herrn Gouverneurs, den ich noch niemals gesehen, vor der Sacristei-Türe stand; worüber ich dermaßen erschrak, daß ich zitterte und bebete, und mit solchem Beben auf die Kanzel gehen, und die ganze Predigt durch gleichsam mit Tod und Leben ringen mußte; so als wie, wenn einem, um ein Gleichnis zu geben, die ganze Predigt hindurch übel und speierlich wäre, so daß er immer dächte: Nunmehr wirst du dich brechen und übergeben müssen. Weil in Buß-Tagen oft dergleichen Fälle sich ereignen, daß, wegen der Menge des Volkes, sonderlich zur Sommers-Zeit, einige von diesem Übel in der Kirchen angefallen werden, so habe ich dergleichen vielmals gefürchtet, daß es sich nicht auch unter meiner Predigt zutragen möchte. Bei dem allem so geschah doch einmal, was ich befürchtet hatte. Der Auflauf war groß, doch stärkte mich Gott, daß ich ungehindert fort predigen kunte, und nur mich zu setzen genötiget wurde. Und damit ja bei diesem Leiden und Affecte nichts fehlen möchte, sondern damit Gott wiese, wie er auch höchst schwache Menschen stärken könnte, auch zu der Zeit, wo man solches schier vor unmöglich hält; so schickten öfters noch dazu meine Zuhörer zu mir, daß ich denen, die wegen dergleichen Zufälle [Anfälle] auf den Tod krank lagen, einen Trost zusprechen sollte, und erzählten mir noch dazu im Vorsaal die Krankheit, womit ihr Patient behaftet wäre; wie ich ein, oder zwei dergleichen Exempel bald unten werde anzuführen haben. Ich stund auf dem Lande einst zu Gevattern, das Kind aber kunte nur die Not-Taufe erreichen, und starb in der Krankheit, in welcher viel Kinder zu sterben pflegen. Ich kunte kaum davon hören reden, weil es noch vor der Mahlzeit war; und, wenn gleich der Teufel bei solchen Fällen sein Spiel hätte, so könnte es sich nicht seltsamer zutragen; denn die Kinder-Mutter [Hebamme] meinte Wunder, wie klug sie es machte, wenn sie so gar den Paten den erbärmlichen Zustand des Kindes wiese, und sie solchen mit den Augen sehen ließe.

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Es überfiel mich dieses Übel auch Anno 1720 da ich die Quellen des gottlosen Lebens heraus gab, und das in so großer Maße, und mit solchen Umständen, daß ich dieselben kaum vor bloß natürlich halten kunte. Ich war Willens die Postille, gleichwie allen meinen Zuhörern, also gar besonders den Proceribus Reipublicæ und den Regenten der Stadt zu dediciren. Die Überschrift, oder die Adresse an zwei aus denselben war fertig; und wie man sonst einen Brief eher zu entwerfen pflegt, als dessen Titel und Überschrift, so war mich die Zuschrift selbst nicht schwer angekommen; aber siehe, da ich an die dritte Überschrift komme, so wird mein Haupt wie ein Brunn, der nicht mehr quellen will, und mein Verstand und Einbildungs-Kraft, wie eine stumpfe Sichel, die nicht mehr schneiden will, und bin vor Mattigkeit des Leibes und des Gemütes nicht fähig das geringste zu erfinden, ja verliere so gar aus dem Gedächtnis, was ich schon erfunden hatte. Ich mußte aus gewissen Ursachen mit dem Buche eilen, und mein Drucker kunte auch nicht warten, bis ich etwan meine Kräfte, wie Simson seine Stärke, wieder bekam [vgl. Richt. 16,28–39], mußt ihm also, so wehe es mir auch im Herzen tat, die unvollkommene Zuschrift einhändigen, so, wie sie jetzt noch zu lesen ist.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 309-311.
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