Anno 1715
§ 129

[319] Diese Schwermut wurde noch um ein großes gemehret, als ich aus Übereilung dem Catecheten, M. Schuster, mit Rat an die Hand gieng, wie er es machen sollte, wenn er seines Catecheten-Dienstes gerne wollte los werden. Dieser M. Schuster war ein ärgerer Melancholicus, als ich. Er war vor diesem mit mir zu gleicher Zeit Baccalaureus Philosophiæ worden; und, nachdem er in Magistrum promoviret, wollte er eine Disputation halten von Gespenstern, die er selbst gesehen, und die wohl von niemanden eher gesehen werden, als von Leuten, die nicht mehr gut transspiriren, und bei denen das dicke Geblüte nicht recht circuliren will, wie der Herr Geheimde Rat Gundling in einem Orte schreibet; allein die Facultät wollte ihm solche Disputation zu halten nicht vergönnen. Melancholici haben nicht nur ein dickes, sondern auch öfters ein sehr gesalzenes Geblüte, und sind erschrecklich zur Geilheit geneigt, so daß die Ustiones, und das Brunst-Leiden ihre tägliche Plage ist. So waren sie es auch bei[319] diesem M. Schuster. Er entdeckte mir solche Not, von welcher ihn Jacob Bœhme, der seiner Profession nach, wie bekannt ist, ein Schuster gewesen, dessen Schriften er vollkommen zu verstehen sich rühmete, nicht befreien konnte. Er gab mir zu verstehen, er wolle heiraten, und könne unmöglich länger in diesem Zustande ausdauren: diese, und diese Person hätte er zu nehmen im Sinne, welche auch etwas Geld hätte, und durch ihr Hoffart[Putz]-machen was verdienen könnte. Ich riet ihm, er solle nur schnelle zur Sache schreiten, und niemanden etwas sagen; denn, weil unter tausend Menschen nicht ein einziger, dem dergleichen jämmerliche Plage bekannt wäre, so würde sich alles ihm widersetzen, und ihm es ein jeder auszureden suchen, den er um Rat fragen würde. Wenn die Sache nur erst geschehen, so wollte ich hernach die Sache schon bei den Patronis [Patronatsherrn] helfen entschuldigen, daß er deshalben seines Catecheten-Dienstes nicht verlustig würde. Allein er entdeckte die Sache einem Prediger, der nicht mehr am Leben, der zwar an seiner Beförderung großen Anteil gehabt, der aber von solcher Leibes-Plage und Anfechtung nichts wußte, so viel andere wichtige Dinge Gott ihn auch sonst erfahren lassen. Er suchte ihm solches mit ganzer Gewalt auszureden, und schlug ihm das Gebet, als ein Mittel wider solche Gedanken und Reizungen vor, welches denselben aber eben so deuchte, als wenn man einen Hungrigen, und Durstigen bereden wollte, daß man Hunger, und Durst mit dem Gebet vertreiben könnte; sintemal kein Ei dem andern so ähnlich, als die Begierde zu secerniren [auszuscheiden], und zu egeriren [auszustoßen], als die Begierde zu ingeriren [einzuverleiben], und zu essen, und zu trinken. Wollen einige sagen, daß sie desiderium secernendi [den Wunsch auszuscheiden] durch diese und jene geistliche Mittel allein überwunden hätten, und daß dieselben also mit Hunger und Durst nicht zu vergleichen wären, so müssen diese Begierden nicht stark, und nicht Begierden eines kranken und verdorbenen Leibes gewesen sein, gleichwie auch nicht ein jeder Hunger und Durst stark und heftig ist, sondern mit Studiren, und andern Gedanken auf eine Weile kann vertrieben und unterdrückt werden.

Nun wurde der arme Mensch schlüssig, sein Amt gar aufzugeben, und nach Holland zu gehen, damit er zu seinem Zwecke gelangen, und heiraten könnte. Er kam deshalben zu mir, und fragte mich um einen Rat. Hier übereilte ich mich nun, und riet ihm abermal, niemanden erst darüber zu consuliren [konsultieren], weil er auch darinnen allen Widerspruch antreffen dürfte,[320] der ihm das Haupt nur noch schwächer, und der Sorgen mehr machen möchte. Ich meinte es zwar gut in diesem Stücke mit ihm; denn ich befürchtete, es möchte eine Verwirrung des Gemüts in ihm entstehen, wenn man ihn seinen Entschluß zu ändern würde veranlassen wollen; allein das Herze schlug mir doch hernach gleich, als ich ihm diesen Einschlag [Rat] gegeben, und ich ihn mit diesem Rate von mir gelassen hatte. Denn ob ich ihm schon zugleich auch anlag [nahelegte], daß er zum wenigsten desjenigen Predigers Gutachten darüber vernehmen sollte, den er wegen des Heiratens um Rat gefraget; so war er nicht mehr darzu zu bewegen, denn er wußte, wie es ihm gegangen, da er wegen Heiratens ihn consuliret, und was ich ihm etliche Tage zuvor auch selbst gesagt hatte. Er gieng also zu Herr Bürgermeister Gräfen, und endeckte ihm sein Vorhaben, welcher auch gleich bereitwillig war, ihm in seinem Petito [Gesuch] zu willfahren, auch so gar ihm das Formular, wie er vorgab, aufsetzte, nach welchem er seine Renunciation [Rücktritt] einrichten könnte. Ich geriet darüber in Angst, und Schrecken, ja in große Gewissens-Angst. Es lag mir Tag und Nacht im Sinne, daß ich einen Menschen unglücklich gemacht, der die Zeit seines Lebens seinen Bissen Brot hätte haben können, wenn er auch nur Catechete geblieben, und dabei Kinder informiret, oder Collegia gehalten hätte. Es peinigte mich, daß ich nicht mehr gesuchet hatte, ihm die Sache, und sein Vorhaben auszureden. Denn das Herze wurde ihm einst schon leichte, da ich ihm die fleischliche Wollust als geringe vorstellte, und daß es mir nicht viel besser gienge, und doch die Zeit meines Lebens an kein Heiraten gedenken dürfte: ich ließe das närrische Fleisch wüten, und toben, wie es wollte: zwänge mich von der Tat zu enthalten, und suchte mit strenger Diæt, und Vermeidung aller hitzigen gesalzenen Speisen und Getränken, ja auch durch gewisse Arznei-Mittel die salzichten Teile aus dem Geblüte zu vertreiben. Die Angst nahm bei mir so zu, daß ich mir des Tages vielfältigmal selbst prophezeite, und zu mir sagte: Wie du einen armen Menschen, der so einfältig wie ein Kind gewesen, stets von lauter Liebe geprediget, und im Predigen ein anderer Johannes gewesen, um sein Amt so schnelle gebracht hast: so kann dir vielleicht einmal dergleichen auch begegnen. Was ich endlich nach der Zeit ausgestanden, und wie mir diese Sache im Sinne gelegen, nachdem dieser M. Schuster in Armut herum gieng, und so gar seines Verstandes größtenteils beraubet wurde, so daß man ihn endlich nach Waldheim bringen mußte, mag ich nicht erst weitläuftiger[321] anführen. Genug, wenn ich sage, daß mein Herze dadurch mit mählichem zermalmet, und zu den großen Trübsalen der Grund geleget wurde, so hernach über mich kommen sollten.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 319-322.
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