Anno 1736
§ 155

[380] Gott hätte aber meine abergläubische Furcht nicht besser können bei mir selbst prostituiren und zu Schanden machen, als da er nach seiner erbarmenden Güte schaffte, daß diese Tage und Nächte, vor welche ich am meisten besorget gewesen, gar leidlich und erträglich waren. Hingegen kam der größte Sturm ganz zu einer andern Zeit, und da ich michs am wenigsten versahe, und so gar etliche Wochen eher über mich. Die Stärkung am Sonntage Oculi, war eine rechte Seelen-Arznei vor mich gewesen, mich desto besser auf dieses Wetter der Trübsal zu verwahren, daß ich solches desto besser ausstehen möchte. Ich ließ Montags drauf auf Einraten des Medici, da ich so viel Hitz im Kopfe hatte, daß mir auch, welches lange Zeit nicht geschehen war, die Nase zu bluten anfieng, wie etlichen andern Leuten zu solcher Zeit auch geschahe, zur Ader. Nun so schwach andere Leute auf Aderlassen werden, so befinde ich mich allemal stärker als zuvor, sowohl im Leibe als Gemüte. Nur hab ich es jederzeit darinnen versehen [falsch gemacht], daß ich alsdenn nicht einige Tage darauf des Morgens und um Vesper-Zeit an statt der warmen Wasser-Getränke, lieber einen Trunk Wein, oder ein starkes Bier erwählet, bis mich nun die Erfahrung seit dem zu etlichen malen gelehret, daß um solche Zeit die Wasser-Getränke manche Menschen höchst schwach, und die Gedanken höchst flüchtig machen. Dies geschah auch dazumal. Den ersten Tag[380] nach dem Aderlassen kam um Vesper-Zeit ein vornehmer Mann zu mir, dessen Sohne ich einige Gefälligkeit und Liebes-Dienste erzeigen sollte. Weil er mein großer Gönner und Wohltäter jederzeit gewesen, so fiel mir es harte ihm abzuschlagen, was er bat; und gleichwohl war ich um Vesper-Zeit so schwach, daß ich es ihm unmöglich so gleich versprechen konnte. Ich geriet in Pro- und Contra Streit, ja ich fürchtete gar, es könnte als eine Lieblosigkeit, und als eine wider das Gewissen laufende Sache angesehen werden, wenn ich ihm nicht darinnen gratificiren [willfahren] sollte. Ich mußte aber doch, weil das Übel den folgenden Tag noch größer wurde, bei ihm depreciren [mich entschuldigen] lassen. Ich sage, den folgenden Tag; denn des Abends wurde die Schwachheit des Hauptes noch größer, und übertraf noch das, was ich Anno 1717 Sonntags Palmarum erfahren müssen. Ich habe nach diesem manchmal an Lutheri Worte gedacht, wenn er Tom. VI. fol. 83 von sich aus eigener Erfahrung schreibt: Der Teufel weiß seine Argumenta wohl anzusetzen und vorzubringen, und hat eine schwere starke Sprache, und gehen solche Disputationes nicht mit vielem und langen Bedenken zu, sondern alle Augenblicke ist ein Wort ums andere, und ich habe da wohl erfahren, wie es zugehet, daß man des Morgens die Leute im Bette tot findet. Er kann den Leib erwürgen, das ist eines; er kann aber auch der Seelen so bange machen, daß sie ausfahren muß in einem Augenblicke, wie er mirs gar oft fast nahe gebracht hat. vid. Glassium in seiner Anfechtungs-Schule, p. 45 und 46. Niemand weiß besser, was diese Worte Lutheri zu bedeuten und zu sagen haben, als der es selbst erfahren. Wer es nicht erfahren, kann sich zur Not keine bessere Einbildung darvon machen, als wenn er sich einen Dieb, Spitzbuben, oder Übeltäter vorstellt, den die Häscher in einem Wirtshause sitzend, oder anderswo antreffen, und ihn mit Gewalt fortführen wollen, er sich aber nicht ergeben, und mit gutem fort will. Du mußt fort, spricht ein Gerichts-Diener mit schnellen und ungestümen Worten, es ist da kein Halten, nur fort, nur fort, deine Zeit ist nun aus, nur sperre und wegere [weigere] dich nicht erst lange, du mußt doch dran etc. Da ich endlich gegen Abend in der Hitze etwas mehr trank, als sonst, ließ die Flüchtigkeit der Gedanken einiger maßen nach; kunte aber doch kaum ein paar Stunden dieselbe Nacht schlafen. Sonntags Lætare drauf meinte ich, Gott sollte mir auf diesem jammer-vollen Abend einen Lætare- und Freuden-Tag machen, kam aber in eine Predigt, in welcher die mutwilligen Selbst-Mörder weitläuftig[381] bestraft wurden. Ob mich nun wohl diese Bestrafung nicht angieng, so war ich doch voll Zitterns, und Bebens: besinne mich auch nicht, ob zugleich denen ein Trost gegeben worden, die mit Furcht geplaget, daß sie selbst Hand an sich legen werden; denn ich hatte nicht das Herze, auf alles genaue Achtung zu geben.

Mittwoche nach Oculi ließ ich den Medicum zu mir kommen, und sagte ihm, daß, nachdem ich Ader gelassen, das Blut noch ärger tobe, und wüte, und daß ich wahrhaftig im Leibe krank wäre; er meinte aber doch, als ob etwan von weltlicher Sorge meine Hitze und Maladie herkäme, so daß er auch um mein Nahrungs[Erwerbs]-Wesen bekümmert war, und mich fragte, ob etwan dasselbe jetzund ins Stecken geriete, da wohl nichts weniger als dieses, die Ursache sein kunte. Ich wundere mich, wie so gar wenig unter den Menschen geschickt sind, von ihres Nächsten Zustand, Affecten und Passionen ein rechtes Urteil zu fällen, wenn sie gleich mit demselben viel und lange Jahre umgegangen, und sein Tun und Wesen stets mit ihren Augen angesehen und betrachtet haben. Ich sage dieses nicht in Regard [hinsichtlich] des Medici, sondern vielmehr eines meiner guten Freunde. Zu demselben kam ich an dem Abend des damaligen Buß- Tages, der vor Palmarum vorher gieng, und wollte ihm meine Not und Anliegen, obschon mit dunkeln Worten, ein wenig klagen. Ihm konnte meine Passion, wider die ich in meinem Leben am meisten zu streiten gehabt habe, gar nicht unbekannt sein. Er hatte bei 20 und mehr Jahren mit Augen gesehen, wie ich mein Geld unter die Armen Haufen-weise, ich will nicht sagen aus der Tugend der Freigebigkeit, ausgeteilet, sondern beinahe eher aus natürlicher Weichlichkeit, wo nicht gar aus Wollust, verschwendet: wie ich es an keinem Gelde und Kosten ermangeln lassen, meinem Leibe mehr gütlich zu tun, als wohl billig, und auf dessen Gesundheit mehr aufzuwenden, als nötig gewesen; und gleichwohl wollte er mir eine scharfe Straf-Predigt wegen meines Geizes halten.

Nun war es eine unaussprechliche Wohltat von Gott, da die Tage und Nächte glücklich vorbei giengen, die vor diesem mir schon zu andern Zeiten so betrübt, und so fatal gewesen; Wegen unbeschreiblicher Größe aber solcher Wohltat war ich am Palm-Sonntage und Kar-Freitage frühe ganz étourdi, erstarret, und nur bestürzt, an statt, daß ich meinte, mein Herze würde alsdenn vor Freude zerspringen. Ach, des schwachen Glaubens, möchte ich hier bald mit einem gewissen Theologo ausrufen![382] Laßt unsern Leib so Milz-süchtig sein, als er will, und das Geblüte so dicke und hitzig, als es will, und laßt die Lebens-Gei ster mit den Gedanken so flüchtig und so erschrecklich sein, als sie wollen: laßt die feurigen Pfeile des Teufels im Gemüte so häufig fliegen, als ehemals die Pfeile der Tartarn, da man die Sonne am Himmel davon kaum sehen konnte; Wenn die Angefochtenen zu solcher Zeit einen starken Glauben und Vertrauen auf Gott hätten, und noch mehr, wenn sie kraft dieses Glaubens in der höchsten Selbst-Verleugnung stünden, und ihren Tod, und die Art und Weise, er möge geschehen, wie er wolle, unter lebendiger Hoffnung des ewigen Lebens in Gottes Hände stellten, und wie sie singen, mit aufrichtigem Herzen zu Gott sprächen: Jedoch ich dich nicht lehren will, noch dir mein Ende fürschreiben, sondern dir allweg halten still, bei deinem Wort zu bleiben, und glauben, daß du als ein Fürst des Lebens mich selig machen und erhalten wirst, ich sterbe gleich wo, und wie ich wolle, und sollte ich auch im hitzigen Fieber, oder aus Melancholie, wenn sie ins hitzige Fieber ausschlägt, aus Beraubung des Verstandes ins Feuer, oder ins Wasser springen; Wahrlich, diese schreckliche Furcht, so sie, als Melancholicos, wegen ihres Todes plagt, würde gar bald aufhören; so daß die Seele den Leib, und der Geist das Fleisch überwinden würde; wie auch die Erfahrung bei einigen Christen, wenn sie im Glaubens-Kampfe wider ihren Leib, und wider ihre Furcht des Gemütes gestritten, solches bezeuget hat. Gott läßt auch diese Art der Krankheit des Leibes und des Gemütes über die Menschen kommen, um der Seele eine Gelegenheit zu geben, sich destomehr im Glauben und Vertrauen zu üben, und den zu überwinden, der des Glaubens größter Feind ist, nämlich die Furcht, es mag nun dieselbe gerichtet sein, auf was sie wolle. Doch haben billig jederzeit Theologi Bedenken getragen, denen die Seligkeit abzusprechen, bei denen der schwache Glaube die Furcht nicht ganz tilgen können, sondern der höchste Grad der Krankheit der Melancholie das Haupt mitten im Kampf und Streit wider des Leibes Schwachheit verwüstet und verwirret, so daß sie sich, des Verstandes beraubet, endlich selbst entleibet.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 380-383.
Lizenz: