Anno 1699
§ 40

[98] Bei dem allem so lag mir doch immer auf dem Herzen, daß ich noch keine Philosophie hörte. Die Aristotelische Philosophie herrschte damals noch, dieselbe aber hatte ich auf der Schule großen Teils gelernet. Nach der Physic insonderheit fragte ich nicht viel, wäre sie auch auf die neueste, und beste Weise vorgetragen worden; denn Herr Krantz, der allein in der Physic ein Eclecticus war, hatte in 6 Jahren auf dem Gymnasio mir so viel aus derselben beigebracht, daß ich mir daran genügen lassen kunte. Herr Olearius, der Bruder des noch lebenden Herrn Doctoris Olearii, war im Ruf, daß er einen Cursum Philosophicum nach den Principiis Cartesii und der Philosophorum Corpusculariorum läse; er war aber noch ein junger Magister, und las seinen Cursum das erstemal, nachdem er aus Engeland wiedergekommen, wollte also noch nicht trauen, sondern erst warten bis sein Applausus, und Approbation [Erfolg und Anerkennung] größer, und allgemeiner würde. Damit ich aber doch, nicht ganz ohne alle Philosophie das erste Jahr lebte, so entschloß ich mich, die Aristotelische Philosophie durch Disputiren zu wiederholen, und trat in ein Collegium Disputatorium bei einem Erz-Aristotelico. Und das war der alte Licentiat Friderici, ein Schmalkalder, ein alter Junggeselle, ein lustiger und aufgeweckter Mann, so graue Haar er auch schon auf dem Kopfe hatte. Er war in Distinctionen [Begriffsspaltungen] nicht zu erschöpfen, so daß er mit seinem vielen Distinguiren öfters publice das ganze Auditorium zum Lachen bewegte. Wenn er disputirte, so kamen die Studiosi Haufen-Weise ins Auditorium, und machten auch im Scherze einander weis, er hätte abermal 2000 neue Distinctiones erfunden. In seinem Museo, und Disputatorio privato wollte er keinen Syllogismum conditionalem annehmen: der Herr Quicunque [Herr XY], sprach er, ist ein braver Kerl. Es fragte ihn einer einst, ehe die Stunde angieng, da er immer gerne mit sich schwatzen ließ, wie viel wohl Sterne im Himmel wären? Ich will es dem Herrn kurz sagen, sprach er, vierzehen vierzehen; wollte damit andeuten, daß derselben 1414 wären. Zu einem andern, der blaß aussahe, sprach er: Aut nimium studes, aut nimium amas [entweder studierst du zu viel oder du bist zu sehr verliebt]. Der Studiosus war mit der Antwort bald fertig, negirte Majorem [Obersatz] und sprach: Datur tertium [Es gibt eine dritte Möglichkeit]. Rectissime respondisti [Du hast ganz recht[99] erwidert], versetzte er, aber was ist das Tertium? Ich will dem Herrn das Tertium sagen: aut nimium studes, aut nimium amas, aut utrumque [entweder studierst zu viel oder du bist zu sehr verliebt oder beides]. Solcher Dinge wollte ich eine große Menge anführen, womit er seine Auditores [Hörer] bei der Lust erhielt, wenn jemanden damit etwas gedienet wäre. Da das große Sonnen-Finsternis 1699 im September war, und wir darauf zu Mittag in der Stunde davon urteilten, schloß ich nach meinem Erkenntis [Urteil], daß er kein großer Physicus und Astronomus sein müsse, wie auch Aristoteles selbst in der Physica ein schlechter Held gewesen.

Mein Vergnügen war damals überaus groß, daß ich das Glücke hatte zu erleben, und das zu sehen, welches zu sehen sich schon viel Jahre zuvor, die Gelehrten, und insonderheit die Astronomi gewünscht, und sich darauf gefreuet hatten. Dr. Schultze, ein berühmter Medicus und Astronomus in Breslau discurirte davon mit dem Herr Inspector Neumann An. 1698 auf seinem Sterbe-Bette, und sagte, er wollte gerne sterben, wenn ihn Gott nur dies Jahr wollte leben, und dieses seltsame Phænomenon (denn eine solche totale Sonnen-Finsternis gedachte keinen Menschen,) mit ansehen lassen. Er war bekümmert, ob denn auch alsdenn es würde auf Erden kälter werden, wenn die Sonne auf eine gute Zeit ganz verfinstert sein würde. Inspector Neumann erzählte dieses in der Parentation [Leichenpredigt], die er ihm hielt, und die ich mit an hörte, und dahero ein starkes Nota bene meinem Gedächtnis machte, auf diesen Umstand, wenn mich Gott leben ließe, Achtung zu geben. Ich tat es. Die Sonne war helle aufgegangen, und das warmeste Sommer-Wetter, ob es gleich schon Herbstes Anfang war. Aber da die Sonne über und über verfinstert wurde, da fieng mir eine solche kalte Luft an die Beine anzugehen, daß ich an diesen Umstand gedenken mußte, wenn ich auch sonst denselben vergessen hätte. Es geschahe dergleichen auch An. 1706 am Mittwoche vor Himmelfahrt, und nicht Freitags nach Himmelfahrt, wie Herr Tennhard in seinen Weissagungen, dessen Geist kein gut Gedächtnis haben muß, vorgiebt, welche Finsternis an der Größe, wie mich bedünkt, die von An. 1699 noch in etwas übertroffen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 98-100.
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