Anno 1700
§ 45

[107] Damals, als ich unter ihm disputierte, war er den Hällischen Professoribus Theologiæ ganz, und gar zugetan, welches mich auch veranlassete, das andere mal nach Halle zu reisen, um die Universität, und ihre Verfassung besser kennen zu lernen. Denn Anno 1699 im Sommer, war ich wohl auch schon in Gesellschaft mit Herr Müllern, dem jetzigen Cantore in Bautzen, daselbst gewesen; aber nur auf zwei Tage, so daß ich nicht Zeit genug gehabt, mich um die theologischen Dinge zu bekümmern. Ich traf damals einige von meinen ehemaligen Commilitonibus an, so mit mir in Breslau frequentirt [die Schule besucht], und ein sehr liederliches Leben geführet, über deren wahrhafte und große Veränderung ich erstaunen mußte. Sie redeten von lauter Buße, Gottesfurcht, und sonderbaren Führungen Gottes, verfluchten ihr ehemaliges Leben, und giengen uns nicht vom Leibe, in willens, uns auch zu bekehren, und nach Halle zu ziehen. Sie sprachen von lauter Orcodoxis, so in unserer Kirche wären, welche die Leute in die Hölle predigten. Sie führten uns vom Morgen bis auf den Abend aus einer Kirche und Predigt in die andere, und nach der Vesper am Sonntage aus einem Collegio Pietatis [Erbauungsversammlung der Pietisten] in das andere; denn es wurden damals derselben zwei gehalten, so daß mir der Kopf davon ganz tumm wurde. Herr Senftlebe, ein Studiosus Medicinæ, der im Gymnasio neben mir gesessen, und nun ein Doctor und Practicus in Breslau ist, ließ sich sonderlich angelegen sein, viel Gutes in uns zu bringen. Er beherbergte uns, satzte[107] uns aber, so reich, als er war, nach seiner Sparsamkeit, die wir schon auf dem Gymnasio bei ihm angemerket, nur Butter und Brot vor. Nach der Mahlzeit las er ein Kapitel mit uns aus der Bibel, und predigte darüber; weil er aber nach meinem Bedünken in einem und dem andern den Verstand [Sinn] der Schrift nicht zu treffen schien, so trug ich kein Bedenken, ihm zu widersprechen. Er beschloß mit einem langen Gebete aus dem Kopfe, worüber mir bald die Zeit wäre zu lang worden. Herr Müllern, meinen Compagnon, mußten die vielen Dinge, so er des Tages gesehen und gehöret, auch das Gehirne ziemlich eingenommen haben; denn er schlief sehr unruhig, fieng im Schlafe an zu reden, und ängstlich zu tun, so daß ich mich bald [beinahe] neben ihm zu fürchten angefangen hätte. Dieses mal aber, An. 1700 im Sommer, traf ich andere Bekannten an, die uns nach Studenten-Manier eine Ehre antaten, und mit uns manches von den Streit-Punkten discurirten, so die andern Theologi, und insonderheit die Witebergenses mit den Hallensibus hatten. Ich ließ mir solches wohlgefallen, kaufte auch einige Kleinigkeiten, aus welchen ich davon noch mehrern Unterricht bekommen konnte.

Als ich wieder nach Hause kommen war, dachte ich an meine Projecte, und Entwürfe, die ich gemacht, und sann, wie ich solche bewerkstelligen wollte. Weil ich mich unter Herr Odelem im Disputiren wohl gehalten, so entschloß ich mich, Baccalaureus Philosophiæ zu werden, und sollte ich das Geld in Breslau bei meinen Gönnern dazu erbetteln, an welche ich auch schrieb, und alles erhielt, was ich suchte. Und damit die Promotio in Magistrum gleich den Winter darauf mit dem Baccalaureat verknüpfet werden möchte, so schrieb ich auch an meine Mutter, und noch lebende Brüder, und Schwestern, daß sie dieselbe bereden möchten, daß sie vor ihrem Ende noch, welches ohnedem nicht ferne mehr sein könnte, von dem Not-Pfennige, den sie etwan mochte ihr beigeleget [sich gespart] haben, mir so viel zuschickte, als ich zur Promotion vonnöten; Welches sie auch tat, so daß mir alles so gieng, wie ich nur gewünschet hatte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 107-108.
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