Erster Brief.

[3] Wohlgeborner Herr!

Hochzuverehrender Herr!


Ich, einer der größten Sünder und schwersten Verbrecher, der ich nicht werth bin, daß mich Gottes Erde trägt, wage es, an Sie zu schreiben. Wie hat sich mein Herz darnach gesehnt, wie oft habe ich Sie in mein stilles Gebet zu meinem göttlichen Erlöser am Abende mit eingeschlossen, um zu erfahren, wie sie heißen,[3] und wem ich es zu verdanken habe, daß ich wieder ein Mensch bin. Ach! mein Dank ist zu schwach und mein Geist ist noch schwächer, um Ihnen diese meine Dankgefühle darzubringen, die ich Ihnen schuldig bin. Mein Heiland hat meine Bitten erhört, die ich auf meinem Krankenlager mit reuigem Herzen zu ihm geschickt habe. Er hat mein Leben erhalten. Ich habe Sie wieder gesehen. O! wissen Sie, was Sie an meiner Seele gethan haben. Nun so hören Sie.

Ich heiße Heinrich Adolph Busch, aus Berlin gebürtig, 38 Jahre alt, meine Eltern sind mir gestorben im Jahre 1805. Ich lebte unter schlechter Aufsicht. Als die Franzosen 1806 nach Berlin kamen, ging ich als Bedienter mit einem Rittmeister, Namens R., aus Berlin. Er war ein ruchloser Wollüstling, dem kein Opfer zu schwer war, wenn er nur seine Leidenschaft befriedigen konnte. Aber Gott konnte seine Greuelthaten nicht länger mit ansehen; er blieb in der Schlacht bei Preußisch Eylau. Ich suchte nun wieder einen andern Herrn, den ich auch bald fand. So bin ich bis zum Jahre 1815 bei vier verschiedenen Herren gewesen, von denen Einer so ruchlos war als der Andre, und Einer so wenig an Gott und Vergeltung glaubte als der Andre. Welch ein schrecklicher Sünder, welcher verruchte Bösewicht ich unter diesen Menschen wurde, ach! das ist nur Gott bekannt, an den ich dazumal eben so wenig glaubte, als meine Herren, denen ich diente.

Als ein solcher leichtsinniger, bösartiger Mensch kam ich im Jahre 1816 nach Berlin. Hier lebte ich eben so ohne alle Religion, als ein grundverdorbener Mensch fort. Meine Glückseligkeit war nur, Fressen, Saufen, Huren, Tanzen, Spielen; so wie ich es bei meinen Herren gelernt hatte. Um aber dieses Leben fortsetzen zu können, dazu gehörte Geld. Das, was ich mitgebracht hatte, war bald alle. Ich lernte hier einen eben so verruchten Menschen kennen, als ich selbst war, Namens Z. Wir wurden bald einig; und nun wurde ein Dieb; wovon ich bis jetzt, trotz aller meiner Lasterhaftigkeit, frei geblieben war. Wir wurden gleich das erstemal gekriegt, kamen[4] in Arrest. Trotz all meinem Leugnen und Streiten, wurde ich sowohl als Z. mit zwei Jahren Zuchthausstrafe belegt. Der Richter mußte es mir wohl an der Stirn ablesen, daß ich Antheil an dem Diebstahl genommen hatte. Die zwei Jahre Strafzeit waren um, ich erhielt nun meine Freiheit wieder, ohne ein besserer Mensch geworden zu seyn. Ich stahl noch einmal, wurde wieder dabei ertappt, kam wieder in Arrest, wurde mit drei Jahr Zuchthausstrafe nach Spandau verurtheilt. Allein in diesen drei Jahren kam ich doch etwas zum Nachdenken. Nämlich, ich hatte in meinem letzten Strafjahre auf dem Schlafsaale, wo ich schlief, dicht neben mir einen schon etwas ältlichen Mann zum Nachbar, der alle Abend, wenn wir uns schlafen legten, im Stillen sein Gebet verrichtete. Er weinte auch oft; er legte sich aber gewöhnlich auf den Bauch, und verbarg sein Gesicht so, daß es keiner so leicht merken konnte; welches er darum that, um nicht von andern ausgelacht und verhöhnt zu werden. Allein er sprach manchmal doch so laut und seufzte dabei so stark, daß ich mich beleidigt fühlte. Ich stieß ihn an, und fragte ihn, was er denn immer zu brummen hätte; ich wäre müde und wollte schlafen. Ich stieß ihn auch manchmal sehr unsanft; ich glaubte, er thue es im Schlafe. Als ich ihn nun einmal so gröblich in seiner Andacht gestört hatte, da wandte er sich um, sah mich mit thränenden Augen an und sagte, ich sollte ihn doch nicht so gröblich stoßen, es wäre sein Wille nicht, mich im Schlafe zu stören, er vergesse sich aber manchmal und spreche so laut; es geschehe ja ganz wider seinen Willen. – Ich sah, wie ihm die Thränen von den Backen liefen, und die Sanftheit, mit welcher er mich ansprach, besänftigte mich. Ich sagte: Was in aller Welt, was fehlt dir denn? du weinst ja. So hart habe ich dich ja doch nicht gestoßen. Nein, sprach er, das hast du nicht. Da entstand zwischen uns beiden ein Gespräch und nun hörte ich, daß er beten thue. Ich fluchte ihm, hieß ihn einen alten Sünder und einen Heuchler und lachte ihn aus, und machte ihn auch noch bei andern zum Spott und Gelächter. Er trug dies mit Geduld, ohne sich bei den Vorgesetzten über[5] mich zu beklagen; sonst wäre es mir wohl schlecht gegangen. Da ich es nicht unterließ, seiner zu spotten, so wandte er sich mal im Vertrauen zu mir und bat mich, ihn doch nicht immer so auszufluchen. Er that dies mit weinenden Augen. Dies rührte mich so sehr, daß ich ihm das feste Versprechen gab, nie wieder Störer seiner Andacht zu sein. Ich habe treu mein Wort gehalten, und wir wurden vertraute Freunde zusammen.1

Er erzählte mir mit einem solchen reuigen Gemüthe seine schweren Verbrechen und schwarzen Sünden, daß mich schauderte dabei. Es würde hier zu lange dauern, wenn ich Ihnen alles berichte sollte, wie in diesem großen Sünder eine solche Gemüths-Veränderung vorgegangen ist. Genug wir wurden Freunde. Hier machte ich den ersten Rückblick auf meinen bisherigen Lebenswandel. Ich wollte nun auch des Abends beten;2 aber es ging nicht. Kaum konnte ich das Vaterunser im Stillen beten, so kamen mir während der Zeit des Betens lauter schändliche, nichtswürdige, spöttische Gedanken in den Kopf, so daß ich selbst über mich lachte. Gott! wie weit war es doch mit mir gekommen! Der Teufel, der meine arme Seele in seiner Gewalt hatte, hatte mich so fest umstrickt, daß er mich, wie an Ketten geschmiedet, fest hielt. Dir, o mein göttlicher Erlöser! Dir allein ist es bewußt, wie ich gekämpft habe! – Doch nein, ich habe ihn, den Feind, nicht bekämpft, sondern Du hast für mich gekämpft. Ach, ich war zu ohnmächtig, diese gewaltigen Ketten zu sprengen, die mich gefesselt hielten. Ach ich möchte Dir, mein göttlicher Erlöser,[6] zu Füßen fallen, ich möchte dich umarmen, an mein Herz drücken und küssen, Dich meine Sonne, mein Himmel und meine Ruhe. Du hast mir aufs Neue ein Leben gegeben, welches ich mit keinem Königreiche vertausche, ob ich gleich krank und schwach bin. Ach so schwach und elend hat mich Deine weise Güte gemacht, die ich mit Dank erkenne. Wäre ich noch ein gesunder, starker, robuster Mann, so wäre ich auch gewiß ein eben so böser, wilder, ruchloser Sünder. Doch ich komme ganz von meiner weiteren Mittheilung ab. Ich kam nach drei Jahren wieder frei, mit dem festen Vorsatz, ein besserer Mensch zu werden. Ich war schon etwas kränklich, als ich frei ward. Da ich kein Geld hatte, verkaufte ich eins von meinen Hemden, ging in eine Schlafstelle und bemühete mich gleich um einen Dienst. Allein es hielt schwer. Denn erstens hatte ich kein Attest; zweitens stand ich unter polizeilicher Aufsicht; drittens bekam ich einen so starken Husten, daß ich schon wegen meiner Schwächlichkeit die Arbeit aufgeben mußte; denn ich war in Arbeit bei einem Lohgerber, wurde aber so krank, daß ich in die Charité gehen mußte, wo ich noch zu rechter Zeit ankam; denn ich erfuhr da, daß ich die Lungenentzündung hätte. Ich hustete viel Blut aus; wurde aber durch gute ärztliche Behandlung in 5 Wochen hergestellt. Allein ich behielt doch eine große Schwäche, und der Husten wollte mich nicht verlassen. Daher konnte ich bei meinem besten Willen keiner schweren Arbeit vorstehen und keinen Pfennig Geld verdienen. Ich verließ also heimlich meine Schlafstelle, nachdem ich 4 Tage dort war, weil ich kein Geld zu bezahlen hatte. Mein Bette mußte ich nun mit der Erde verwechseln, vor dem Thore, wo ich 4 Nächte zubrachte. Bei diesem Herumtreiben traf ich einige Bekannte, die ich theils bei meiner Untersuchung, theils im Zuchthause kennen gelernt hatte. Sie fragten mich, was mir fehle, ich sehe ja so elend aus. Ich sagte ihnen meine traurige Lage. Sie schenkten mir 16 Groschen und sagten mir zugleich, sie wollten mir etwas zu verdienen geben, wenn ich ihnen auf den Abend ein Packet tragen wollte. – (Welch eine Schlinge!). – Ich[7] versprach es und stellte mich an den Ort, wohin sie mich bestellt hatten. Daß sie das gestohlen hatten, was sie mir gaben, sah ich wohl, allein ich fragte sie nicht darnach, und sie sagten mir nichts und gaben mir 12 Groschen. Einer hieß P ...., der andere N .... und ein dritter E ...... Ich und die beiden ersteren wurden arretirt, weil ich ihnen etwas tragen half. Ob ich nun gleich nicht mit gestohlen hatte, so war ich eben so sehr schuldig und ein Verbrecher, wie sie, weil ich ihnen das gestohlene Gut habe tragen helfen. So saß ich in dieser Untersuchung (diese vergangene Ostern (1828) sind es 4 Jahre gewesen) im Criminal-Gefängnisse zu Berlin Nr. 37., als ich Sie zum erstenmale sah, wenn Sie es sich nach meiner Beschreibung, wie ich gewiß glaube, erinnern können. Sie kamen nämlich mit dem damaligen Ober-Inspector am Oster-Feiertag in das Gefängniß; ich las bei Ihrem Eintritt im neuen Testamente. Einer mit Nahmen J ....... stand mitten im Gefängniß, Sie gingen an ihn an und fragten ihn, was er gemacht habe, er schlug die Augen nieder, weinte und sagte: er hätte nichts gemacht, er sitze schon so lange unschuldig und habe Frau und Kinder. Sie wandten sich hierauf um und sprachen mit dem Ober-Inspector höchstens zwei Worte, wandten sich wieder zu J ....... und sagten: Heuchler! es ist kein größerer Verbrecher als Er. Er sollte in sich gehen und mit reumüthigem Herzen dem Richter die Wahrheit sagen, sollte bedenken, wie höchst unglücklich er sich und seine Familie gemacht habe, so wie andere Menschen durch die Meineide, die er geschworen. Er ist zeitlich und ewig bei Gott verloren. Wie! wenn Gott ihn diese Nacht noch abruft, wenn er den morgenden Tag nicht erlebt, wenn er als ein unbekehrter Sünder vor Gottes Richterstuhl gefordert wird, dem nichts verborgen ist, der in das Innere sieht; wie schrecklich und qualvoll wird sein Loos seyn! Hierauf nahmen Sie ein Gesangbuch, welches bei mir auf einem Schemel lag, und schlugen das Lied auf:


Herr, ich habe mißgehandelt,

Ja mich drückt der Sünden Last,[8]

Ich bin nicht den Weg gewandelt,

Den Du mir gezeiget hast,

Und ich möchte gern vor Schrecken,

Mich vor deinem Zorn verstecken.


Diesen Vers haben Sie selbst laut vorgelesen. Hierauf wandten Sie sich an mich und sahen mir scharf ins Auge, fragten mich, ob ich fleißig in dem Buche lese, ob ich auch verstehe, was ich lese. Ich bejahete es. Nun, sagten Sie, denn sollte ich nur weiter lesen und meine Verbrechen ernstlich bereuen und mich demuthsvoll an meinen göttlichen Erlöser wenden. Sie verließen darauf das Gefängniß, und ich konnte die erste Viertelstunde gar nicht wieder zur Besinnung kommen, bis mich einer meiner Mitgefangenen auf die Schulter stieß und mich fragte: wer Sie wären. Dieser Mensch war erst vor 2 Tagen in Arrest gekommen und hatte noch nie gesessen, und glaubte, weil ich schon so lange saß, daß ich Sie kennen würde. Aber ich sagte zu ihm, und das mit schwerem Herzen: das weiß ich selbst nicht. So war mein Herz noch nie ergriffen, von Reue und Gewissens-Bissen, womit sich meine Seele quälte. So haben mich Ihre durchdringenden Worte erschüttert. O das war der glücklichste Augenblick meiner Bekehrung. Nie, nie werde ich diesen Augenblick, was Sie da an meiner Seele gethan haben, vergessen. Ich hielt das Buch noch immer offen in meiner Hand. Jetzt las ich erst weiter, und je weiter ich las, je mehr wurde mein hartes, kaltes Herz erweicht. J ....... ging im Gefängnisse herum wie ein Verwirrter, er hielt Sie, wie ich, für einen Prediger, weil keiner von uns allen Vieren Sie kannte. J ....... besann sich wieder und sagte: Ein Geistlicher kann er doch nicht seyn; er muß eine Gerichts-Person seyn, wie wüßte er sonst meine ganze Sache. Nun erfuhr ich erst von diesem verschmitzten Menschen, daß er zu der Sch ...schen Untersuchung gehörte. Er unterhielt sich oft mit mir von seiner Sache, gestand mir mehrere seiner Verbrechen, frug mich, ob es wohl besser für ihn ausfallen würde, wenn er dem Richter alles eingestände. Allerdings, sagte ich, und sprach ihm guten[9] Muth ein.3 Da ich es so gern hätten wissen mögen, wer Sie wären und wie Sie heißen, so fragte ich den Herrn Ober-Inspector darnach; allein er antwortete mir ganz kurz: was ich darnach zu fragen hätte. So habe ich auch mehrere Schließer gefragt; aber alles war vergebens. Welchen tiefen Eindruck Sie in ihrer göttlichen Ermahnung auf mich schweren Sünder gemacht haben, bin ich nicht vermögend, hier zu beschreiben; sonst müßte ich noch zwei Bogen Papier haben, und die habe ich nicht. Diese zwei habe ich von zwei Personen geschenkt bekommen. Ich würde Ihnen auch zu langweilig werden, weil Sie Ihre große Geschäfte haben. Ich fasse daher alles so kurz wie möglich.

Ich wurde von hier (Berlin) nach Spandau ohne Erkenntniß abgeführt, und weil mein Körperbau schwächlich geworden war, so kam ich zu leichter Arbeit. Allein ich wurde immer matter und brachte halbe Nächte auf meinem Lager schlaflos zu, theils mit Weinen, theils mit Beten, über den Rückfall in meine Sünden. Wie oft habe ich meinen göttlichen Erlöser gebeten, Er soll mich zu sich nehmen, ich würde doch nie ein nützlicher Mensch werden, sondern ein Auswurf der Menschheit bleiben. Ach wie schwer lag meine Sündenlast auf mir![10]

Aber meine Gebete waren fruchtlos.4 Ich selbst fühlte mich so ohnmächtig in meinem Gebete, daß ich oft darüber einschlief. In meinem Schlaf hatt' ich auch keine Ruhe, ich wurde mit schweren Träumen geängstigt. Wie oft habe ich Sie im Traume gesehen, ich stellte Ihnen meine Schwäche vor, Sie verwiesen mich an meinen göttlichen Erlöser; ich sollte nur um seinen Beistand bitten, Ihm meine Schwäche im Gebet vorstellen, und nicht ablassen; Er nur allein könne und würde mich stärken. Nur bei Ihm allein wäre wahre Ruhe und das Heil der Seele zu finden; aber nicht bei Menschen.5 So wiesen Sie mich von sich. Ich sah meinen göttlichen Heiland bluten; Er schenkte mir Trost, Glaube, Hoffnung und Liebe. O! wie kann ich Ihm genug danken! Ich wurde jeden Tag elender; die Inspection sah mein Elend. Ich war zu schwach um mein leichtes Geschäft zu verrichten; ich konnte nicht mehr die Treppen steigen; man stellte mich dem Doctor vor, der mich gleich ins Lazareth nahm. So habe ich 2 Jahr und 8 Monat unter Abwechselungen meiner Krankheit zugebracht, während welcher Zeit mein Erkenntniß (Urtheilspruch) gekommen ist. Ich war damit zufrieden und wünschte nichts sehnlicher, als zu meinem göttlichen Erlöser zu gehen. Allein die Inspection appellirte ohne[11] meine Einwilligung. Das zweite Erkenntniß kam mit 15 Jahr und Begnadigung.6

Während meiner langen Leiden in dem Lazareth, und unter dem Wechsel meiner Krankheit, hat sich so vieles in meiner Seele zugetragen, daß ich Ihnen nicht alles schreiben kann, was ich doch so herzlich wünschte, wie viel mein Heiland für mich gekämpft; denn ich war zu schwach, der Böse hatte zu tiefe Wurzeln in mir gefaßt; ich weiß es nicht deutlicher zu sagen als: er hielt meine arme Seele umstrickt, wie man einen Ball umstrickt. So ohnmächtig wie der Knaul ist, aus dem umstrickten herauszukommen, so ohnmächtig fühlte ich mich, mein Netz zu durchreissen, mit dem ich umstrickt war. Weil ich zu matt und müde war, mein Gebet fortzusetzen, kamst Du, mein Erlöser, mir zu Hülfe. Ich hörte nicht auf, Ihn anzuflehen, daß er mein Gebet stärken, und mir meine Kräfte schenken wolle. Mein göttlicher Erlöser sah meinen guten Willen, aber auch meine Schwäche, Er erbarmte sich mein und stärkte mich mit neuem Muthe. Ach, wenn ich aus dem Abgrund meiner niedrigen Schwachheit und meines sündhaften Lebenswandels zu Dir, mein Gott und Vater, mein Auge erhebe, und Deine Barmherzigkeit anflehe – o! mein göttlicher Erlöser! dann siehst du den innersten Kampf und Zustand meiner Seele, siehst, wie mein Herz blutet, dann kommst Du meinem schwachen Gebete zu Hülfe und Dein Beistand hilft mir siegen.7 Ich komme wieder ganz von meiner Geschichte ab. Mein gutes Vertragen blieb der Inspection und dem Doctor nicht unbekannt, sie gaben mir gute Zeugnisse, kamen für mich bei der Potsdammer Regierung ein und trugen wegen meines kränklichen, schwachen Zustandes auf weitere Verpflegung an. So kam ich hierher nach Berlin in das Arbeitshaus. Da war ich 8 Tage, dann schickten sie mich zur Charité, wo ich nun bereits schon 8 Monat bin. Hier war es,[12] wo ich an einem Tage so glücklich war und Sie wieder sah. Sie gingen mit einem Patienten Namens H .... im Garten. Da mir den Tag ein bischen wohl war, ging ich auch im Garten. Wie freute sich mein Herz, da den Mann wieder zu sehen, dem ich mein Glück und Seelenheil zu verdanken habe. Ich fragte gleich nach Ihrem Namen und wer Sie wären. Da erfuhr ich denn, was ich jetzt weiß. Nun hätte ich so gern gleich an Sie geschrieben; allein ich wurde wieder bettlägrig, und bekam ein starkes Zittern in den Händen.

Nun habe ich Ihnen alle meine Verbrechen geschrieben, weil Sie sich vielleicht meiner aus den Acten erinnern können. Und sollten Sie dieselben nicht haben, so bin ich überzeugt, daß es Ihnen ein Leichtes sein wird, alle meine Acten zu bekommen. Da werden Sie dann erst finden, was für ein verruchter Sünder ich bin, und wie grenzenlos ich den Richter betrogen habe.

Sollten Ew. Wohlgeboren mich reuevollen Sünder verächtlich von Sich stoßen, und kein Mitleid, welches ich auch nicht verdiene, mit mir haben, was ich aber von Ihnen nicht glauben kann; so schenken Sie mir wenigstens das feste Vertrauen, daß ich als ein reuevoller Sünder, dennoch hier nie aufhören werde, Sie zu lieben. Dort, beim ewigen Richter, der in das Innerste meines Herzens sieht, sehen wir uns wieder. Dann werden Sie meine Seele nicht verkennen, die Sie vom ewigen Tode und Verderben gerettet haben. Darum bitte ich Sie, erhören Sie meine Bitte, und kommen Sie, wenn es Ihre Geschäfte erlauben, zu mir; weil man aber oft verlegt wird, und ich deshalb nicht mit Gewißheit sagen kann, ob ich morgen auf diesem Saale liegen werde, wo ich heute liege, so bitte ich Sie, gefälligst sich meinetwegen bei dem Hausvater P ..... zu erkundigen, der es weiß, wo ich liege.

Ew. Wohlgeboren

ganz unterthänigster Diener

der Arbeitsmann

Busch.

Charité,

den 10. Juny 1828.
[13]

* * *


Welche Liebe, welches Dankgefühl, welches Bescheidenheit und Demuth ist nun in diesem, vormals so rohen, gefühllosen, undankbaren Verbrecher. Solche Perlen, weil sie nicht die beliebige Einfassung haben, mißkennt und verachtet die Welt; ja sie tritt sie in den Koth. Aber der Herr kennt die Seinen. Er weiß sie zu finden. Ihm ist kein Ort zu schlecht. Wenn die stolze übertünchte Welt Ihn und Sein Evangelium verachtet, und bei aller Lasterhaftigkeit sich tugendhaft und gerecht lügt, und der Buße nicht bedürftig zu seyn wähnt, so geht der Sünder Freund in die Zuchthäuser und Kerker, züchtigt und straft durch seinen Geist inwendig zuerst Diesen oder Jenen, seiner Sünde wegen, daß er nicht glaubt an Jesum, rüttelt ihm das Herz, daß er Ströme von Thränen vergießt und sich nicht trösten kann. Diese Thränen müssen zugleich den Nachbar, der noch Spötter ist, aus dem Schlaf wecken und auf sich selbst aufmerksam machen, bis er selbst sich nicht satt weinen kann, und bis endlich beide die Gerechtigkeit erlangen, die sie nicht suchten, den Weg des Heils ohne Weg, den Mittler ohne Mittel finden; indem sich ihnen der Mittler, der Weg, Wahrheit und Leben ist, selbst unmittelbar offenbart.

Wie wunderbar ist der Herr! Tausende hören Jahre lang Predigten, lesen Bibel und Bücher, die von Jesu zeugen, den Weg zur Seligkeit führen, und sie finden oder gehen diesen Weg nicht, werden über ihre Sünden nicht bewegt, sondern halten sich ohne Bekehrung, ohne Reue, ohne Thränen, ohne Erfahrung der Gnade und des Friedens Gottes für selig, sind ruhig ohne Ruhe und sicher ohne Gewißheit zu haben. Und diese Verbrecher im Zuchthause, unter Räuber und Mörder, ohne Predigt und Belehrung, hören kaum ein Wort der Ermahnung und stehe erstaunt da, schwimmen in Thränen über ihre Sünden, werden göttlich gewiß der erlangten Gnade, sind getrost und fröhlich in Trübsalen, in mancherlei Leiden, in Armuth und Noth. O! Ihr Kirchenläufer, ihr Bücherleser! ihr Predigthörer! euch ist viel gegeben, viel, viel wird auch von euch gefordert werden. Wenn solche Verbrecher, denen so wenig gegeben[14] wurde, die mit einem Pfunde so wucherten, von einem Saamenkörnchen des Worts, das in ihre Seele fiel, so viel Frucht brachten: wie werdet ihr bestehen vor dem Herrn der Erndte, wenn er einst seinen Schnitter sendet, und Früchte von seinem reichlich in euer Herz ausgestreuten Saamen fordert?

Doch wir wollen zu unserem B .... zurück kehren, und ihn selbst weiter hören. Nach einigen Tagen empfing er das heilige Abendmahl und schrieb dann folgenden Brief.

Fußnoten

1 Die Thränen des reumüthigen Verbrechers, mußten dem Herrn dienen, das noch harte und steinerne Herz des andern zu erweichen. Und durch die Sanftmuth und Freundlichkeit des begnadigten Sünders, macht er sich den rohesten Spötter und Verächter zum Freunde und Vertrauten. Und diese Wunder der allmächtigen Liebe geschahen im Zuchthause, wo sie niemand suchte. Ein Schächter bekehrt hier den andern durch des Herrn Gnade.


2 Wie doch das gute Beispiel, mit sanfter Liebe und Geduld verbunden, auch im Zuchthause auf die rohesten Gemüther so mächtig wirkt. Wer sich des Gebets nirgends schämt, bekömmt bald einen Mitbeter und Freund.


3 Eher kann auch das Herz nicht zu Ruhe kommen und Frieden finden, bis es wahre Reue empfunden, und seine Vergehungen vor Gott und Menschen offen bekannt hat. So heißt es in dem Worte Gottes. Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedecket ist; wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet, in deß Geist kein Falsch ist. Denn da ich's wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen, und deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Darum bekenne ich dir meine Sünde, und verhehle meine Missethat nicht. Ich sprach: ich will dem Herrn meine Uebertretungen bekennen; da vergabest du mir die Missethat meiner Sünde. Psalm 32, v. 1–5. Wer seine Missethat läugnet, dem wird's nicht gelingen, wer sie aber bekennet und läßt, der wird Barmherzigkeit erlangen. Sprüch. Salomonis 28, v. 23. So wir aber unsere Sünde bekennen; so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergiebt, und reiniget uns von aller Untugend. 1 Epistel Johannis 1, v. 9. –


4 O nein! das schienen sie nur, sie waren es nicht, sie hatten endlich die wahre Bekehrung zur Frucht, die aber noch nicht zu sehen war. Das Gebet ist nie fruchtlos, wenn es ernstlich ist und anhaltend. Aber man muß geduldig warten; wenn Gott nicht gleich und nicht gerade so erhört, wie man es ihm vorschreibt. Er erhört allzeit, aber nach seiner Weisheit und zu seiner Zeit.


5 An Mitteln und an Wegen fehlt es dem Allweisen nicht. So kann der Geist des Herrn auch in Träumen durch Mittelspersonen die Unwissenden belehren, die Sünder bekehren und ihnen den rechten Weg zeigen, als wenn sie wirklich gegenwärtig wären. Dem Herrn ist kein Ding unmöglich, und das Gebet ist nie fruchtlos und vergeblich. Wo wir nicht persönlich wirken und zugegen sein können, da kann der Geist, der uns vertritt, doch so gesegnet wirken, als durch unsere Gegenwart und Persönlichkeit.


6 D.i. bis zur Begnadigung, worauf vor Ablauf von 15 Jahren von Amtswegen nicht anzutragen.


7 Wer malte ihm Jesum den Gekreuzigten so vor? Wer brachte Ihm denselben so nahe? Der Geist, der das Amt hat, uns Jesum zu verklären und uns in alle Wahrheit zu führen.


Quelle:
Busch, Heinrich Adolph: Selbstbekenntnisse eines begnadigten Verbrechers. Berlin 1830, S. 15.
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