Beim Anmarsch zur Bahnstation, von wo aus die Heimfahrt vor sich geht, sind besondere Anstandsregeln nicht so notwendig. Man benehme sich zum letzten Male so, wie man's im Feldzug gewohnt war!
»Ade, ihr Berge, Ihr geliebten Trichter – ich hab' die Neese pläng – Parole is Heimat!« –
Aber dann betritt man den Bahnsteig. Es ist hier nicht notwendig, die Trittbretter der Eisenbahnwagen abzusägen, um sie als Brennstoff mitzunehmen; das Heizen besorgt von jetzt ab der Herr Lokomotivführer, dem zu diesem Zwecke sogar Kohlen zur Verfügung stehen. –
In den Abteilen bittet man die Bänke nicht zu Heizzwecken zu zerhacken und den Sehschlitzen, die hier der besseren Akustik halber mit Fensterglas bedeckt sind, Schonung angedeihen zu lassen. Verbesserungen an dieser Einrichtung mittels energisch drangelehntem Mündungsschoner (sehr beliebtes Unterhaltungsspiel!) unterlasse man gütigst – patentiert wird so 'ne Verbesserung von dem verständnislosen Eisenbahnfiskus doch nicht! Im Gegenteil!
Wenn möglich, lasse man auch die hübschen[7] kleinen Käseglocken, die an der Decke hängen und bei liebevoller Behandlung des Abends den fahrenden Unterstand erleuchten, am Leben; ihr Zartgefühl würde einem freundschaftlichen Kolbenstoß kaum widerstehen!
In der zweiten Klasse vermeide man, wenn angängig, die Polsterüberzüge zu zerschneiden, um Fußlappen oder Halstücher draus zu machen. Wenn's durchaus sein muß, lege man in Gottes Namen die Füße drauf!
Wer hundert Mark zuviel hat, hänge sein Gewehr an die Notbremse (soviel ist die nämlich in festgebundenem Zustaude wert im Gegensatz zur Pferdebremse, die man nicht festbinden kann, und die deswegen auch nichts wert ist). Das männliche Geschlecht von Bremse heißt Bremser; dieser hängt nicht an der Decke, sondern wohnt in einem kleinen Häuschen hinten auf dem Eisenbahnwagen. Man kann an ihm aber nicht ziehen, wenigstens braucht er sich das nicht gefallen zu lassen. Er ist dafür auch nicht so schön rot lackiert wie die Notbremse.
Mit gemischten Gefühlen wird man den kleinen Nebensalon betreten. Er dient offensichtlich zu ernsten Betrachtungen, denn an seiner Tür steht: Offen – Zu! Ein durchbohrter Stuhl darinnen mahnt uns an die Vergänglichkeit alles Irdischen, aber schon mancher stand dort erleichtert wieder auf. Schon der große Schiller (1,75 m) gibt eine anschauliche Schilderung von ihm: »In der Tiefenur brauset es hohl – – –!« Alsdann öffne man die Fenster – – –
Hat man nun den ersten wohlverdienten Schlaf hinter sich, schaue man auch mal aus den Beobachtungsschlitzen, zu deutsch »Fenstern«, hinaus. Herren, die längs der Strecke an den Schienen herumpolken, rede man mit »Herr Streckenarbeiter« an. Man bewerfe sie möglichst wenig mit leeren Bierflaschen und betrachte ihr Tun mit Ehrfurcht, da es gemeinnützigen Reißnägeln – pardon, Zwecken dient. Der Vorgesetzte dieser Leute, kenntlich an der vornehmen Haltung, mit der er sich auf seine Hacke stützt und zusieht, wie die andern arbeiten, ist der Herr Rottenführer. (Zum Unterschied von der militärischen Rotte, die Gott sei Dank nur aus zwei Mann besteht, ist die »Rotte« dieses Mannes so stark wie ein Infanteriezug. Ich höre nun schon einen ganz Schlauen sagen: »Der Rottenführer müßte eigentlich 'n Gefreiter sein« – und einen andern: »Da sollte der Rottenführer eigentlich Zugführer heißen – – –« Quatsch! Auf derartige Spitzfindigkeiten sich einzulassen, hat die Eisenbahnverwaltung keine Zelt! Sie nennt eben die Mutter des Zuges mit dem roten Bandelier – die doch eigentlich wieder »Fettlappen«, wollte sagen »Feldwebel« heißen müßte, was?? – Zugführer, und den Mann, er zum Heil des Vaterlandes die Schienen aufreißen läßt, »Rottenführer«. Wenn du so rechnest, kriegst du schließlich[11] raus: Gefreiter = Rottenführer = Zugführer = Feldwebel! Was Blödsinn ist und beweist, wohin man mit dem vielen Denken kommt!
Die Welt sieht aber mal wieder die Gefährlichkeit des Militarismus, wo zwei Männeken zur Rottenbildung genügen, während die harmlose Eisenbahn ihrer dreißig und mehr dazu bedarf.)
Nach dieser Bemerkung setzte er sich – d.h. nein, fahren wir erst mal mit dem Zuge fort! Eure Weisheit ehrt mich, aber unterbrecht mich nicht immer!
Der D-Zug wird auf der Fahrt oft an kleineren und größeren Ortschaften halten; dies ist nötig, auf daß er sich keinen Wolf läuft. Kurz bevor nun das Bähnchen in einen Ort hineingelassen wird, muß es an einem schmalen, hohen Hause vorbei mit Fenstern nach allen Seiten. Hier wohnt ein Mann, der ist extra angestellt, aufzupassen, wenn ein Zügle klimmt. Dieser Mann hat ein weiches Gemüt, wenigstens stellt er sich so (darum heißt er »Weichensteller«); aber manchmal läuft ihm die Galle über, und dann steckt er eine rote Fahne raus. Da bleibt das Zügle mit einem Angstgekreisch stehen, weil es meint, es ginge schon los mit den ††† Roten – – –
Aber das mit der roten Fahne war bloß Spaß von dem Mann, er lacht und läßt den Zug weiterfahren, indem er eine Latte hochzieht. Und nun läutet er aus Leibeskräften an einer Bimmel.[12]
Das hören die nun in dem Windsack und sagen: »Aha!« – Aha, das heißt auf deutsch »na, endlich!« Und nun rasselt der Zug in den Windsack, zu deutsch Bahnhof, hinein. (Die Eisenbahnverwaltung nennt nämlich diese Art offenen Wurstkessel, wo der Wind so prächtig von zwei Seiten hindurchblasen kann, aus unbekannten, aber stichhaltigen Gründen »Bahnhof«, auch »Station«. Von diesem Ort, wo den ganzen Tag jemand zieht – teils der Wind, teils die Lokomotive, teils der Portier die Uhr auf, kommt die Redensart »Es zieht!«)
Wenn der Zug hält, wird man Euch vermutlich mit großen. Geschrei und Eimern einen braunen Saft bringen – nehmt nur, er ist ungefährlich und reizlos, aber warm. Faust hat sich eklich geschnitten, wenn er behauptet: »Dies ist ein Saft, der eilig trunken macht – – –!« Sprach da nicht einer »Gaffee?« Woher weißt du, Anton? – Alles wieder einsteigen! Jetzt kommt der Greis mit dem Hammer. Spuckt ihm nicht auf den Kopf, wenn er grade unter Eurem Abteil eine Numpfbeuge ausführt – denn wenn er auch ein verwunschener Spiritist ist, der einst dazu verdammt wurde, unter jedem Eisenbahnwagen Mitteleuropas nach Klopftönen zu spionieren, so ist er doch in Punkto Gespucke empfindlich.
Überhaupt das Gespeie hört sich in Deutschland auf, Herrschaften! Das überlaßt man den[13] Franzmännern und andern Kompostbrüdern, die nicht lesen können, was in § 99 des Militärgesangbuches – wollte sagen der verkehrten Eisenbahnordnung – Himmelsakra, ich meine der Eisenbahnverkehrsordnung steht: »Nicht auf den Boden spucken!« (Wer schlau ist, spuckt in die Luft!)
Die Hauptperson auf dem Bahnhof ist jedoch ein Zivilist, der mittels einer durchlochten Scheibe fortgesetzt Signale gibt. Diesen wolle man nicht verhaften, da er infolge eines abgelegten Examens dazu befugt ist, und der Feind wegen der Krümmung der Erdachse außer Sicht ist. Weil er vor der Station steht, heißt er der Herr Stationsvorsteher. Er kann auch mit einer Laterne winken, ohne daß ihm das schadet. Manchmal schreit er auch: »Abfahrt!« Dann pfeift der Zug und bläst Gas ab. Manchmal fährt er auch los. So praktisch ist das in Deutschland eingerichtet.
Die Bahnhofsuhren sind als Schießscheiben für Freudenschüsse nur im Notfall zu benützen, weil der Eisenbahnminister sonst nicht weiß, unter welcher Rubrik er die Reparaturkosten buchen soll!
Gott sei Dank, wir fahren wieder! Nun habt acht auf die Telegraphenstangen, die vorbei tanzen! So viel Draht gibt's noch im Lande, wie da dran hängt. Und ohne Stacheln! Das ist wegen des Telegraphierens, damit die Telegramme gut rutschen können. Auf Stacheldraht[14] kann man nicht gut rutschen, wenigstens ist das schwieriger. Da können edle Teile leicht hängen bleiben – na, Ihr wißt ja Bescheid! Daher kommen dann die verstümmelten Telegramme!
Was da überall für 'ne Menge Volks am Bahndamm steht – und wie sie winken und schrein – – – Ihr meint, aus Angst vor Euch machten sie »Hände hoch«? Dieses weniger – guckt – aus den Häusern kommen sie gelaufen, und aus den Fenstern winken sie – hört Ihr, was sie brüllen? »Hurra, die Sieger! – – –« Herrschaften, damit seid Ihr gemeint! Nun zeigt Euch mal leutselig und schreit wieder – hurra! Das, worauf Ihr jetzt seid, ist nämlich eine sogenannte Triumphfahrt! Ihr erfaßt's wohl nicht? Hand aufs Herz – und wenn Ihr's nicht glaubt – morgen könnt Ihr's fettgedruckt im Generalanzeiger lesen: »Die Heimkehr der Sieger gestaltete sich zu einer Triumphfahrt!« Da habt Ihr's dann schwarz auf weiß und könnt's Euch einrahmen lassen!
Und überall hängen Fahnen raus, beinahe wie am Sedantag, und die Glockenläuten – alles zu Ehren Eures Triumphzuges! Und kein Flieger zu sehen – und nicht mal 'ne Granate kommt angepflastert – jawohl, hier herrscht die fidele Himmelstochter mit dem Auge des Gesetzes! Ordnung muß sind, sagt' schon Schiller, als er den Dreißigjährigen Krieg beschrieb – und goß einen hinter die Binde. (Er hatte sein Jahr bei[15] den Holkischen Jägern zu Pferde abgerissen und war dort, weil er zum Stalldienst unbrauchbar war, als Dichter ausgebildet worden. Er konnte 'nen Stiebel vertragen, war aber militärisch 'ne Nulpe. Das könnt Ihr bei ihm nachlesen in einer spanischen Nummer, wo er einen dreiundzwanzigjährigen Infantristen auftreten läßt, der seine ganze Dienstzeit über noch nischt getan hatte. Schiller hatte anscheinend noch nie von 'nem Feldwebel gehört, der wo diesem Infantristen schon 'n Talglicht aufgesteckt hätte! Ei weih!) Doch dies bloß nebenbei von wegen die Bildung.
So Kinder, nun zieht Euch aber mal die Stiebeln wieder an, die Triumphfahrt fängt an, sich ihrem Ende zu nähern! Da vorn könnt Ihr schon den Wasserturm von Neustadt sehen und daneben die Brauerei! Heißa, noch eine halbe Stunde und Ihr seid bei Muttern!
Buchempfehlung
Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro