[74] Dies Wort ist mit den Fingern an der Hosennaht, mit ausgerichteten Elbkähnen und mit einem gedämpften Rasseln auszusprechen, als wollte man sagen: »Bratwurst!« In Eurem Innern muß die Ehrfurcht Orgien feiern, Euer Mannesstolz muß sich hinter den Ohren kratzen, wenn Ihr dieses Wort lest: »Das Neustädter Rathaus!«[74]
»Sei's nun für Grieß, für Kohlen,
Sei's für ein Hemd der Schein –
Hier läßt sich gar nichts holen,
Es muß ›erstanden‹ sein – –«
singt schon ein altes Kirchenlied aus dem Dreißigjährigen Kriege. (Woraus man das Sprichwort ableitet: »Hol's der Geier!«) Auch erzählt man sich heute noch von einem gewissen Götz (er hatte bei einem Gasangriff die rechte Hand verloren und bezog Verstümmelungszulage, die er meistens aber schon am 2. versoffen hatte) – dieser hat sich einst auf einem Rathaus derartig gemein benommen, daß er gleich vier Wochen Strammen aufgedonnert kriegte. Die Nachwelt spricht nur mit Schaudern von diesem Kerl! Er führte außerdem solche gewöhnlichen Ausdrücke im Munde, daß sich diese bei einer Betrachtung des Neustädter Rathauses gar nicht wiedergeben lassen!
Wer aufgepaßt hat, ersieht aus dem eben gelesenen Satze, daß man ein Rathaus also betrachten kann. Daß dies ein Entgegenkommen der hohen Obrigkeit ist, das seinesgleichen sucht, muß auch dem größten Dämlack einleuchten; denn andere Obrigkeiten, wie etwa der kommandierende General oder gar der Herr Feldwebel lassen sich von einem Musketier nicht so ohne weiteres »betrachten«! Das könnte denn doch schief ablaufen![75]
Nach dieser etwas bandwurmartigen Einleitung wollen wir aber nun endlich in die Instruktion eintreten über das Thema »Die Fadennudeln«. Die gibt's nämlich heute auf Lebensmittelkarte Nr. 8, und das ist Stadtgespräch, dem wir uns nicht entziehen können, ohne den Unwillen der Hausfrau zu erregen.
Man nähert sich dem Rathaus schon von weitem. Dies geschehe aber mit Vorsicht, denn unten haust die Polizeiwache. Ist dagegen ein Ratskeller unten, so kann man schon etwas getroster in die Zukunft blinzeln, dann läßt sich das Ding schon menschlicher an.
In dieser ernsten Stunde wollen wir den besagten Keller aber meiden und still und gefaßt die Treppe, so zum Vorraum des Allerheiligsten führt, emporsteigen. Man versäume nicht, hierbei ein angenehmes Gruseln zu empfinden. Wenn du nun von einer Windtür gegen die Schienbeine geschlagen worden bist, stehst du im Innern. Ein allgemeines »Ah –h–h« wird dir entfahren! Hier hängen die Wände voll ehrwürdiger Offenbarungen des Amtsschimmels, hier grüßen dich die Schweißtropfen schlafloser Nächte, so die hohe Obrigkeit über Mehl und Graupen, alte Schuhe und Zinndeckel durchbrütet hat – gar herrlich gedruckt auf schlichtem Papier und geschwängert mit allen Höllenstrafen! Hier hebt sein tintentriefendes Haupt der Paragraph, der Bürgerschreck, die Furie des Vorbestraften!Und über dem Ganzen schwebt unsichtbar das eine Wort: »Es ist verboten!« –
Uff – wer schneuzt sich da so laut den Zinken aus? Ihr Militärsoldaten, habt Ihr denn kein Schamgefühl? Oder keinen Rotzlappen? Dann schert Euch nach Zimmer 13 und holt Euch 'nen Bezugschein5! O ha, Bezugschein! Seht, der ist wichtiger als der Taufschein! Ohne Bezugschein kannst du in Neustadt nicht sterben, weil du kein Hemd dazu kriegst. Ohne ihn kannst du dich weder auf die Socken machen, noch ins Gras beißen, weil die Futtermittel beschlagnahmt sind – du müßtest denn scheintot werden – – –
Es ist eine traurige Sache, aber hier geht alles nach dem Schein! (Ach, warum gibt es keinen Schein-Heiligen – – –!)
Seht die armen Sünde dort an der Wand! Schlotternd in Angst stehen sie in Reihen rechtsum nach Butterkarten. Und die dort weiter rückwärts stehen gar nach Seifenkarten – in dieser Welt des Scheins wollen diese Menschen sich und ihre Kinder auch noch einseifen! Reizt die Armen nicht durch Vorzeigen einer Schlackwurst, sonst könntet Ihr Worte hören, wie sie der besagte Götz im Rathause und sonstwo anzuwenden pflegte! Und trampst hier nicht so auf wie die Küchendragoner, sondern wandelt mit mir empor in die höheren Regionen![79]
Dort oben hat ein Beamter seinen Stand, der deswegen Standesbeamter heißt. Er ist der eigentliche Vater der Stadt, denn aller Nachwuchs Neustadts ist sein Werk. (Es müßte den schon mit natürlichen Dingen zugehen, wozu ich bloß sage »pfui« – weiteres darüber lese man in dem Kapitel »Wald und Feld«.) Er bietet alles auf, um – die Mittagsstunde herum, und die weisen Frauen loben ihn und seine Kunst. Kriegsgenossen – diesen Mann lege ich Euch zu Eurer Braut, d.h. ans Herz! Setzt ihn in Nahrung, und Frau Bolte wird's Euch danken! –
Nun nehmt aber den Bauch 'rein und die Hacken zusammen – dies ist der Sitzungssaal! Nicht, wie ein Schlaukopp denken wird »Vater Philipp«, nein, es ist der Unterstand, wo dem allerheiligsten Bureaukratius an hohen Feiertagen geopfert wird. Dies erfolgt durch ehrwürdige Greise und geschieht durch Wetzen der Gesäße auf ledernen Sesseln.
Das Opfer ist öffentlich, erfordert mehrere Stunden und endet unter allgemeinem Juhu-Schreien in einem Tintenstrom. Auf diesem Strom schwimmen wie Moses ganze Karawanen neugeborener Verordnungen zu Tal. Lästermäuler, die sie beim Morgenkaffee lesen, sagen dann wohl: »Da müßt' ich ja Tinte gesoffen haben!«
Mein mir angeborener Dreivierteltakt verbietet mir, derartige enganliegende Betrachtungen fortzusetzen.[80] Sonst könntet Ihr auf falsche Vermutungen kommen, was ich Euch nicht raten will, obgleich wir hier im Rathause sind.
Nun aber zur größten Sehenswürdigkeit dieses ehrwürdigen Gebäudes, dem gewaltigen, gefürchteten, regierenden Herrn – Polizeischersanten!
Dort schreitet er mit erhobener Aktenmappe! Sein Gang gleicht dem Wandeln eines Turmes, sein runder Bauch ist das Symbol der Gerechtigkeit, sein Riechkolben spiegelt den Glanz beschlagnahmter Kupferkessel, und sein Atem geht wie der Duft verflossener Nordhäuser! Oder Steinhäger! Diesen Mann haltet Euch warm, auf daß Euch nicht kalt werde. Sein Zorn ist Eis, sein Blick tödlich. Er ist Neustadt.
Trachtet nach seinem Wohlgefallen bei Tage und bei Nacht, zu Lande und zu Wasser und an welchem Orte es immer sei, so wird's ihm wohl bekommen und Ihr gut leben im Vaterlande.
Damit wollen wir den offiziellen Teil des Rathauses auf der Hinterhand verlassen. – Apropos, es gibt hier außerdem noch einen sogenannten Bürgermeister. Über ihn lese man Näheres im Adreßbuch nach. –
Nach Schluß des Kapitels Treffpunkt im Ratskeller.
5 | Vgl. Kapitel 5. |
Buchempfehlung
Nach 25-jähriger Verbannung hofft der gealterte Casanova, in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren zu dürfen. Während er auf Nachricht wartet lebt er im Hause eines alten Freundes, der drei Töchter hat... Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
82 Seiten, 3.80 Euro