[83] Wie herrlich ist heute der Petrus! Der Himmel ist fliegerfrei, und die Sonne lacht durch die entstandene[83] Lücke über das helle Maiengrün – komm, Kamerad, wir wollen ein bißchen hinaus in die Geographie, in den Wald oder sonst wohin in die frische Wurst – o pardon, heute ist ja fleischloser Tag, ich meine ja frische Luft! – – »Dicke Luft – – –?« Nein, Karl, du verstehst mich miß – dicke Luft nicht, frische Luft ohne Gasmaske! Da hat die Polizei schon eine Riegelstellung vorgeschoben, indem die Bauern auf dem Lande laut § 100037 die Fenster geschlossen haben müssen. (Die Bauern wollen nämlich von Aufklärung nichts wissen und behaupten, das sei Sache der Kavallerie und der Flieger.)
Los! Ohne Tritt Marsch! Marschunordnung – es darf gesprochen werden. Junge, wie wird dir? So mal mit ohne Schanzzeug, ohne Dunstkiepe, ohne Affen – frei auf der larue zu tippeln, ohne egal »rechts ran« zu müssen, ohne alle fünf Minuten in 'm Granattrichter zu ersaufen? Hier herrscht der wahre Jakob! Hier darfst du die gebahnten Wege benutzen, soweit sie nicht verboten sind, ohne abzukochen; darfst gehen, wo's erlaubt ist, und keen Rußki oder Franzmann knallt nach dir aus Mangel an Schrot und anderen Futtermitteln. Das alles verdankst du dem Vaterlande!
Du staunst über die vielen Steinhaufen da auf der Chaussee? Die Steine sind alle echt, aber nicht zum Aussuchen da, wie von Kindern und unerfahrenen jungen Leuten angenommen wird,[84] sondern damit sie im Schatten liegen. Deshalb sind die Bäume danebengepflanzt. Auch sind sie für die Pferde. Wenn so ein Pferd durchgeht und rennt mit dem Schienbein gegen die Haufen, so denkt es »Dunnerkiel!« und rennt auf der anderen Seite weiter. Oder drüber weg, und dann hält die Versicherungsgesellschaft sich vor Lachen ihre betreffenden Seiten.
Siehst du die weißen Klötze rechts und links an der Straße? Diese stehen teils in Abständen, teils damit man weiß, wo der Graben ist. Manche sind auch numeriert, die nennt man dann Kilometer. (Nicht zu verwechseln mit dem Kilimandscharo!) Es gibt sogar Kilometerfresser, aber nur, wenn's der Gendarm nicht sieht.
Zu beiden Selten ist die notleidende Landwirtschaft. Sie ist wegen der Treibjagden in Felder eingeteilt. Wenn man Treibjagden mittels der dicken Berta veranstaltet und in einer fremden Landschaft herumzieht, entsteht ein Feldzug; wenn man dasselbe aber drei Jahre fortsetzt, hat man Erfahrung und genug. Weshalb die erfahrenen Landwirte auch so genügsam sind!
Nun wollen wir den Schleichpfad links abbiegen, da sind wir gleich im Grünen. (Am Schleichweg werden die Schleichhändler begraben zum Unterschied vom Kreuzweg, wo die blaue Blume blüht, also ein Bierlokal ist. Am Schleichweg ist leider keine Wirtschaft, aber eine Tafel mit der Warnung: »Oberrotzbach 5 km«.) Wo[85] die Bäume in vorschriftsmäßigem Abstande beieinanderstehen, fängt laut der darunterstehenden zweiten Warnungstafel der Wald oder »königlich preußische Forst« an. Stillgestanden – allgemeines »Ah – –«!
»Bei Douaumont sah der Wald etwas anders aus,« sagst du? Mehr besenartig mit viel Kleinholz und Stacheldraht zwischen den Stämmen? Na ja, jeder nach seinem chacun, der Franzmann braucht's nun mal so; aber das erlaubt bei uns der Oberförster nicht – höchsten mal 'n alten Blechtopf oder 'ne tote Bierflasche findest du hier im Dickicht, aber Draht nicht, Draht im Walde ist kriminell und, wenn's de geschnappt wirst, kaum mit »Draht« abzumachen. Das laß dir mißraten sein!
Und überhaupt und so, was draußen einfach Parolebefehl war, daran kehrt sich hier kein Schwan. Laß dich z.B. ja nicht mal mit deiner Braut vom Förster erwischen, d.h. mit der Frieda schon, aber nicht mit dem Knallstutzen! Du kämst als glatter Wilddieb vor den Scharfrichter!
Auf dem Teppich der Natur sollst du wieder zum unschuldigen Lamm werden, das vor jeder Warnungstafel den Hut zieht und die Gattertür hinter sich zumacht. – Wie's in den Kronen rauscht! Wie der Wind flüstert (drahtlos!) und die Vögel singen – weißt du noch, wie oft Ihr's draußen auf den staubigen Straßen der Champagne oder im serbischen Quartier oder oben vor Riga gesungen habt: »Die Vöglein im Walde, die sangen, ach, so wunder- wunderschön – – –« Junge, nun atmest du Heimatluft!
Aber da hört sich doch der Zwirn auf, das nennst du Heimatluft, diesen Stinkbolzen, diesen Glimmerschiefer? Karl, gemeingefährlicher Mensch, was rauchst du für ein Kraut – und noch dazu, wo's hier streng verboten ist! Kannst du denn nicht lesen? Da, nimm lieber 'ne Zigarre von mir, bestes Uckermärker Rübenblatt, Einlage gratis. Aber wenn der Förster kommt, dann danke ich, Komma! Dann sind wir geliefert ohne Bezugschein!
Übrigens – hast du schon mal einen Nutzen vom Niesen gehabt? Nein? Dann steh dir den Fiskus an, das ist der größte Nutznießer des Waldes. Er nutzt den Wald bis aufs Hemde aus, bis zum Laub, das er von kleinen Jungens mit der Säge bearbeiten läßt. Auch läßt er mit der Säge mahlen, aber nicht in Öl, sondern in tiefer Ruh, wobei er unten sitzt und dem Räderspiel zuguckt. (Du kannst dir jetzt, da wir im Walde sind, die Äußerung erlauben: »Da sieht man, wo der Hase läuft!«)
Siehst du das Tier dort mit der roten Quaste? Es ist eins der gerissensten, wo man hat, und das kommt von der klugen Benutzung seines Schwanzes, der Lunte heißt und somit die Erfindung des Luntenfeuerzeugs ermöglicht hat.[89] Wegen seiner Schlauheit rangiert er unter den Sprichwörtern und heißt Fuchs, mit Vornamen Reineke. Ein ähnliches Wesen ist der um sich tretende Regenwurm, wenn er gekrümmt wird. Diese Tiere, die die sogenannte wilde oder hohe Jagd bilden, haben keine Schon-Zeit, und wenn sie schon keine Zeit haben, wer soll da welche haben? Zeit ist Geld, weshalb man auch bei einem gerissenen Fuchs gewöhnlich kein Geld findet. Davon ernährt sich die Jägerei.
Ein abstinentes Tier ist der Cohn, pardon, Hirsch. Er schreit nach frischem Wasser, wie andere nach Bier schreien. Das nennt man Brunft.
Das gemeinste Tier des Waldes aber ist, wie schon sein Name sagt, das Wildschwein; den Gegensatz dazu bildet der Eichelhäher, den man oft auf Damenhüten sieht, was bei einem Wildschwein seltener der Fall zu sein pflegt. Der genügsame Eichelhäher hat noch weitere Beziehungen zum Menschen, nämlich durch seine Ähnlichkeit mit falschen Waden, indem daß man beide ausstopft. Dieser Umstand sollte uns wieder eine Warnung sein vor den Folgen der Trunksucht, indem man in einem derartigen Zustande in Zweifel geraten kann, ob die Waden an die Beine und der Vogel auf den Schrank, oder die Waden auf den Schrank und der Eichelhäher an die Stelzen gehört! Dies Dilemma gehört zu den sogenannten Natur- oder Welträtseln.[90]
Es ist schwül hier unter den Bäumen, was? Na, es wird bald eine Bank kommen, denn hier waltet ein Verschönerungsverein. Die Verschönerungs-Vereins-Meier (wohl zu unterscheiden von den Verschönerungsräten!) werden auf eine Holz- oder Gartenbank vereidigt (wogegen die Verschönerungsräte auf 'nen Rasierpinsel), sie müssen dazu einen furchtbaren, lästerlichen Schwur sprechen, wobei sie bei der grünlackierten Schwanzquaste ihres Oberteufels Hunz geloben, ihr ganzes Sinnen und Trachten auf die »Verhunzung« der Gegend mit Sitzbänken, Tafeln u.a.m. zu richten. Die Meier nennen das in ihrem Vereinsjargon »Wirken«. – Goethe, der zu allem seinen Senf geben mußte und infolge einer Wette nur in Versen sprach, sagte einmal:
»Wirke nur in deinen Werken!
Kann der Mensch sich selbst bemerken?«
was einer ziemlich blödsinnigen Frage gleichkommt und von dem Verschönerungs-Vereins-Dichter für ein elendes Machwerk erklärt ward, das richtig gedichtet so heißen müßte:
»Im Gehirn fehlt der Gedanke –
Frisch gestrichen ist die Banke – – –«,
was diese hier aber Gott sei Dank nicht ist! Uff, da säßen wir!
Das, was du ringsum siehst, ist die Natur. Sie ist eigentlich was Polizeiwidriges, z.B. sind die sogenannten Naturmenschen verboten. Auch[91] ist ein natürliches Kind eine Schweinerei. Und gibst du in einer feinen Gesellschaft natürlich Töne zum besten, dann schmeißen sie dich 'raus! Drum hüte dich vor der Naturwissenschaft, sie ist des Satans und ist für keusche Ohren stinkig! Womit ich nichts gesagt haben will, denn – – –
»Die Keuschheit ist des Mädchens Zier,
Was kooft der kleine Cohn dafür – – –?«
Das ist die Poesie des Waldes.
Wenn du jetzt dein wertes Sitzfleisch wendest, wirst du sehen, daß du auf »Gretchens Ruh« sitzest. Aber ich empfehle dir, dich etwas sachter umzudrehen, sonst sinkt die ganze Banke in die Knie und Gretchen singt: »Meine Ruh' ist hin – der Herr war zu schwer – – – –«
Laß uns lieber weiterwandern, mir kaffeet schon, und wenn mich nicht alles täuscht, taucht dahinten die Waldschänke auf! Holdrihihaho, wir haben's geschafft!
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
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