[31] Sittsame Bescheidenheit
Der edlen Jungfrau schönstes Kleid.
Bescheidenheit ziemt sich für jede junge Dame, namentlich aber soll sie im Umgang mit älteren Personen schicklich hervortreten. Ein heiteres, junges Mädchen ist vielleicht am liebsten in dem Kreise Jüngerer, aber sie darf nie vergessen, daß auch die Aelteren berücksichtigt werden müssen. Durch den Umgang mit ihnen lernt sie manches Schätzbare, lernt sie manche Dinge, nicht mit dem phantastischen Gefühl der Jugend, sondern mit Ueberlegung betrachten, lernt sie auch ein geduldiges Sichschicken und Fügen in die Eigentümlichkeiten derjenigen, welche ihre Respektspersonen sein müssen.
Befindet sich eine junge Dame in der Gesellschaft älterer und alter Leute, darf sie weder gelangweilt noch zerstreut zwischen ihnen sitzen. Sie höre ihren Gesprächen aufmerksam zu, sind sie auch nicht nach ihrem Geschmack, es gibt doch gewiß manches, was sie sich daraus entnehmen kann.[31]
Der Verkehr mit Aelteren erfordert viel mehr Zartheit im Benehmen als der mit Gleichgestellten. Das Alter verlangt diese und jene Nücksicht, eine solche ihm zu gewähren, ist Pflicht der Jugend; gewisse Höflichkeiten darf sie nicht vergessen, auch im Reden ist es wohlanständig, aufmerksam zu sein.
Sie spreche in der Gegenwart älterer, unverheirateter Damen nicht zu oft, und wohl gar mit leisem Spott das Wort »alte Jungfer« aus, manche lieben es auch nicht, daß man von ihrem hohen Alter und vom Tode redet. Wir wollen zugeben, daß dies Schwächen der älteren Leute sind, die aber dennoch namentlich junge Leute mit dem rechten Gefühl des Wohlanständigen zu respektieren haben. Vor ärmeren Personen ist es nicht taktvoll, von dem eigenen Reichtum zu sprechen, vor häßlichen oder solchen, die ein körperliches Gebrechen haben, hebe man nicht wie absichtlich die Schönheit anderer hervor. Es wäre sehr unzart, Verhältnisse zu berühren, die anderen peinlich sind, ebenso taktlos und belästigend sind die neugierigen Fragen.
Wird der Tochter des Hauses in der Abwesenheit ihrer Eltern der Besuch älterer Personen gemeldet, empfange sie denselben weder mit sauerer Miene noch mit unbehilflicher Blödigkeit. Sie verläßt die Arbeit, mit der sie sich gerade beschäftigt, geht den Gästen entgegen, nötigt sie zum Sitzen; sie selbst setzt sich respektvoll auf einen Stuhl ihnen gegenüber.
Aeltere Herren werden den Sofaplatz verweigern und einen Sessel vorziehen, auch dann nehme die junge Wirtin nicht den Sofaplatz ein. Ist sie einmal genötigt, dies zu thun, muß der Gast stets rechts von ihr sitzen.
Jüngeren Herren, sind sie dem Hause fremd und wollen eine Visite machen, läßt die junge Dame durch den Dienstboten hinaussagen, daß die Eltern nicht zu sprechen sind.
Wir sind hier aus dem seinen Takt gegen Aeltere schon übergegangen in den, welchen eine andere häusliche Tugend erfordert. Es ist die Gastfreundschaft.[32]