Der Anzug.

[71] »Gott nur siehet das Herz«, – drum aber, weil Gott nur das Herz sieht,

Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn. –

Schiller.


Es ist durchaus keine Eitelkeit, wenn die junge Dame auch in der Wahl ihres Anzuges sich bestrebt, anderen wohlgefällig zu erscheinen, und der feingebildete Sinn wird danach verlangen, sich stets so zu kleiden, wie er es für schicklich, den Verhältnissen und Umständen nach passend findet.

Der Anzug ist es gleichfalls, wonach fremde Personen uns beim ersten Begegnen beurteilen, unsere inneren Eigenschaften erschließen sich ihnen erst bei näherem Kennenlernen, sie sehen zuerst auf das Aeußere, was uns umgibt, und folgern unwillkürlich daraus auf unser Inneres. Es ist daher keine unwichtige Rolle, welche unsere Toilette bei dem Eintritt in die Geselligkeit spielt, aus der Wahl, aus der Vernachlässigung, der Schönheit, der Sauberkeit, der Geschmacklosigkeit derselben werden Schlüsse gezogen, die für uns unangenehm oder empfehlend sein können.

Gerade bei einer scheinbar so großen Aeußerlichkeit, als es die Kleidung eines Menschen zu sein scheint, spielt sein seiner, richtiger Takt, seine Bescheidenheit die größte Rolle, und der schlechte, unharmonische Geschmack eines unpassend zusammengestellten Anzuges kann leider oft die besten Menschen zu einer äußerlich lächerlichen Erscheinung, zu einer Art von Vogelscheuche herabziehen.

Merke dir dies, meine Jungfrau; du weißt es ja, wie gefährlich die Klippen der Eitelkeit sind, doch wird sie in einem gewissen Grade auch wieder von jedem jungen Mädchen verlangt, d.h.: eine jede soll mit richtigem Taktgefühl sich wohlanständig und möglichst kleidsam ihre Toilette wählen und herstellen. Ich gebe zu, daß auch diese Eigenschaft nicht jede junge Dame in gleichem Maße besitzt. Wie nicht jede in angeborener Grazie sich anmutig bewegt, so ist es mancher bei wirklich gebildetem Verstande und Herzen fast[71] unmöglich, sich etwas Geschmackvolles, Kleidsames auszusuchen; sie versteht weder eine Kravattenschleife untadelig zu schlingen noch einen Kragen gerade zu stecken, beides wird daher gewöhnlich schief sitzen und macht dadurch, wie der ganze nicht regelrechte Anzug, auf andere einen sehr ungünstigen Eindruck. Es ist das sehr schlimm und können wir der jungen Dame in solchem Falle nur raten, möglichst früh ihr Ungeschick einzusehen, es nach Kräften zu bessern und den Rat anderer heranzuziehen. Fühlt sie es selbst oder wird sie von Wohlmeinenden darauf hingewiesen, daß ihr Geschicklichkeit und der seine Geschmack mangelt, findet sich gewiß eine gefällige und besser davon unterrichtete Freundin, welche bei ihren Einkäufen und dem Arrangement der Toilette ihr gern behilflich ist.

Wie lieblich ist aber die äußere Erscheinung einer Dame, wenn auch der Anzug mit ihrem ganzen Wesen harmoniert, wenn auch in ihm kein Mißton störend den Eindruck unterbricht.

Die Mode darf niemals eine absolute Herrscherin sein, es ist sehr wichtig, mit richtigem Takt herauszufühlen, inwieweit man ihre Vorschriften zu befolgen hat, ob ihre Extravaganzen auch gerade unserer Figur, unserm Auftreten, unserm ganzen Wesen sich anpassen. Wer die herrschende Mode gar nicht berücksichtigen wollte, würde sich ebenso lächerlich machen wie eine Modenärrin, die nach jedem Neuen hascht und stets, ohne zu prüfen, das Allerneueste auch am allerkleidsamsten findet.

»Kleider machen Leute,« dieses Sprichwort finden wir bei allen Nationen, es beweist uns, wie mit vollem Recht ein großer Wert auf die äußere Erscheinung eines Menschen gelegt wird.

Der gute Ton verlangt nicht Putz und Luxus, aber der Anzug des Gebildeten soll wohlanständig sein, Sauberkeit, Ordnung und Geschmack müssen ihn dazu machen.

Eine erste Bedingung sei es der Jungfrau, niemals die Regeln der Schicklichkeit im Anzug zu verletzen, sie glaubt es gar nicht, wie sehr sie sich selbst in den Augen anderer dadurch schadet. Denn wie ein zweideutiger Scherz der jungfräulichen Lippe niemals entschlüpfen darf, so wird auch ein allzu freier Anzug Zweifel an die Unschuld und Reinheit[72] ihres Herzens leicht erwecken. Ein zu kurz getragenes Kleid, ein zu tiefer Einschnitt der Robe werfen ein trübendes Licht auf die Erscheinung der jugendlichen Trägerin, die zu lang und pomphaft sie umrauschende Schleppe macht ihr Auftreten zu einem anspruchsvollen.

Es ist für ein junges Mädchen immer angenehmer, zu einfach als zu geputzt zu erscheinen, doch ist es taktvoll, seinen Anzug der Gesellschaft, in welche man geht, anzupassen. In einer großen Festlichkeit ein Hauskleid zu tragen, ist ebensowenig wohlanständig, wie in einem Kreise guter Freunde sein Staatskleid anzulegen. Man schmückt sich nicht allein für sich selbst, dies bedenke man wohl, sondern man erweist den Wirten, erweist den anderen Gästen dadurch eine Ehre, daß man sich geschmückt hat. Findet man am dritten Ort Gäste und erscheint daselbst im häuslichen Anzug, weil man sie nicht vermutete, so ist es höflich, der Wirtin leise darüber ein Wort der Entschuldigung zu sagen, daß man so häuslich gekleidet ist.

Die Wahl des Stoffes und der Farben ist bei der Kleidung zuerst zu berücksichtigen. Die Jugend braucht am wenigsten schwere, prunkende Stoffe, Samt und Seide gehören erst den späteren Jahren an. Weiß, hellblau und rosa sind Farben, welche die Jugend schmücken, lustige Stoffe, wie Mull, Tarlatan, Gaze, sind ihr unbestrittenes Eigentum Violett, goldgelb lassen älter erscheinen, auch zu größeren Gesellschaften gewählte Seidenstoffe sollen nicht in diesen Farben sein. Für Hauskleider sind des praktischen Nutzens wegen dunklere Farben, festere Stoffe zu tragen. Blumen sollen auf Bällen das Haar der Jugend schmücken, am schönsten wohl frische Blüten, unter ihnen sind diejenigen vorzuziehen, welche nicht so leicht welken, wie Granaten, Kamelien, ganz kleine rosa Astern, auch rosa Hyacinthenglöckchen, an Drahtstielchen gebunden und so zum Kranz vereinigt, sehen sehr hübsch aus. Beliebter indes sind zu abendlichen Festlichkeiten die künstlichen Blumen, weil sie frisch bleiben und bei Licht eine glänzendere Farbenpracht entwickeln. Zu einer Gesellschaft, welche bei Tage stattfindet, z.B. einer Hochzeit, wähle indes die junge Dame vorzugsweise duftige, frische Blüten. – Ein überladener Blumenschmuck kleidet nicht, der Kopf verliert dadurch seine Zierlichkeit, die[73] langen, schweren Ranken, welche auf den Nacken herabfallen, beeinträchtigen den Wuchs. Sehr junge Mädchen sollten zu erstem Ballschmuck die anspruchslosesten Blumen wählen, z.B. Maiblumen, Tausendschön, Kornblumen, und erst mit den Jahren zu vollen Rosen und Sommerblüten übergehen. Federn ins Haar zu stecken, geziemt nur älteren Frauen, ist niemals ein jugendlicher Schmuck.

Die junge Dame hüte sich besonders vor unpassender Farbenzusammenstellung, es wirkt geradezu abschreckend, wenn sie alle Regenbogenfarben zugleich an sich trägt. Blau und lila, grün und rot, grün und blau gehören nicht zusammen, und es gilt dies nicht bloß vom Kleide und seinen Ausschmückungen, sondern von der Zusammenstellung des ganzen Anzuges, dem Hut, den Handschuhen u.s.w. Je schöner die Farbenzusammenstellung eines Anzuges ist, desto angenehmeren Eindruck macht er auf das Auge, desto mehr verrät er einen feingebildeten Geschmack. Auch die Farben haben ihre Mißtöne und können jene das Auge ebenso beleidigen, wie diese das Ohr.

Die Jugend, welche in ihr den schönsten Schmuck besitzt, überlade sich auch niemals mit Schmuckgegenständen, Ketten, Armbändern und Ringen. Dergleichen wertvolle Besitztümer, oft teure Andenken, zu tragen, ist ihr gewiß erlaubt, aber auch darin das rechte Maß, meine Damen. Ein Armband ist eine Zierde, mehrere veranlassen öfter Geräusch, und es ist nicht hübsch, wenn beim Tanzen und bei jeder schnelleren Bewegung es am Arm der Dame klimpert und klappert. Ebenso beeinträchtigen viele Ringe die freie, natürliche Bewegung der Finger. Eine Uhr ist nur ein häuslicher und für kleine freundschaftliche Gesellschaften schicklicher Schmuck.

Farbenwahl und Kleiderschnitt sollen sich der Figur der Trägerin anpassen. Eine blasse Dame vermeide es, hellgrün zu tragen, wer etwas stark ist, soll nicht groß karierte Stoffe zum Kleide benutzen, die ihn noch stärker erscheinen lassen, während streifiges Zeug der dürftigen Figur nicht vorteilhaft ist. Es ist überhaupt eine nicht zu vergessende Toilettenfrage, daß man genau seine körperlichen Vorzüge und Schwächen kenne, und ohne Koketterie erstere benutze, letztere zu verdecken suche. Der nicht weiße, magere Hals, wenn er frei getragen[74] wird, ist kein schöner Anblick, ein leichtes Spitzengewebe, ein hochgetragenes Kleid können ihn überschleiern, große abstehende Ohren lassen sich durch eine passende Haartracht verbergen, eine niedrige Stirn soll man nie, weil es gerade Mode ist, durch tief hineingekämmtes Haar noch niedriger machen. Wer einen kurzen Hals hat, trage das Hinterhaar ja nicht zu tief in den Nacken gesteckt. Wer sehr klein von Figur ist, suche sowohl durch hohe Absätze an den Schuhen als auch durch seine nicht zu niedrige Haatracht diesem Uebel etwas abzuhelfen.

So erlaubt diese Verschönerungen der eigenen Person durch die Toilette auch sind, so sehr hüte man sich, sie zu übertreiben. Die junge Dame schadet sich durch solche Eitelkeit nicht nur in den Augen anderer, sie gefährdet auch ihr köstlichstes Gut, ihre Gesundheit; wie manche Jungfrau hat schon in späteren Jahren mit bitteren Thränen die Eitelkeitsstunden ihrer Jugend verbüßt.

Eine seine, zierliche Taille ist graziös, aber die wespenartig zusammengeschnürte, erkünstelte ist unnatürlich und im höchsten Grade ungesund, kein Poudre de riz bringt den Schmelz der Jugend auf ein Antlitz, und die zu hohen Türmen aufgesteckten falschen Haarzöpfe machen einen widerwärtigen Eindruck. Wo man der Natur nachhelfen will, da geschehe es immer möglichst unsichtbar, niemals grell in die Augen fallend.

Wenn wir vorhin von der Pflege der Hände, dem richtigen Setzen der Füße sprachen, so gehören auch die Bekleidungen beider zum eleganten Anzug, und ist den Handschuhen sowohl wie den Schuhen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Jeder, der wohlanständig sein will, soll nie auf der Straße ohne Handschuhe erscheinen. Der weiße Handschuh, jetzt auch der hellfarbige, (rosa, hellblau,) zum Kleide passende, wird nur in großer Gesellschaft getragen, der dunkelfarbige zu Geschäftsgängen, auf Reisen, auf der Promenade. Ehe die Dame den Salon einer Gesellschaft betritt, sorge sie dafür, daß ihre Handschuhe glatt gezogen und tadellos zugeknöpft sind, wie lange sie dieselbe anhält, hängt von der mehr oder weniger steifen Etikette der Gesellschaft ab. Ist man zu einem Diner geladen, so zieht man die Handschuhe[75] erst aus, wenn man sich zu Tische setzt, und zwar ehe man die Serviette entfaltet. Man steckt sie dann in die Tasche, es wäre unschicklich, sie neben sein Couvert zu legen. Ohne Handschuhe zu tanzen, ist durchaus nicht sein; für die Sauberkeit derselben muß auf das peinlichste gesorgt werden. Es ist sparsam, helle Handschuhe, welche nach einmaligem Gebrauch nicht mehr gut aussehen, reinigen zu la ssen, oder selbst, in Benzin oder Krystallwasser gelegt und ausgedrückt, auf leinener Unterlage mit einem leinenen Tuch so lange zu reiben, bis sie fleckenlos sind. Doch hüte man sich, diese Säuberung an dem Tage vorzunehmen, an dem man sie anzieht. Sie müssen nach der Reinigung mehrere Tage an der frischen Luft liegen und auch dann noch mit etwas Eau de Cologne besprengt werden, weil der scharfe Benzingeruch, den man sonst mit in die Gesellschaft bringt, unfein ist.

Ebenso sorgfältig vermeide man es, zu viel wohlriechende Essenz in das Schnupftuch zu gießen, weil manchen Leuten diese Gerüche, namentlich der des Patchouly, höchst unangenehm ist.

Gleiche Sorgfalt wie den Handschuhen ist auch dem Schuhwerk zu widmen. Ein zierlicher Schuh oder Stiefel gehört zur eleganten Toilette, auf der Straße, sobald es nasses Wetter ist, trage die junge Dame Ueberschuhe, damit sie nicht mit unsauberen Schuhen in die Gesellschaft eintritt. Ob auf Bällen weiße oder farbige, zum Kleide passende Seidenschuhe, ob Goldkäferschuhe getragen werden, darüber entscheidet die wechselnde Mode. Ein allzu enger Schuh ist streng zu vermeiden; er verschönt nicht den Fuß, er preßt ihn nur ein, beeinträchtigt dadurch die gesunde Cirkulation des Blutes, und die Trägerin desselben muß für ihre Eitelkeit durch die empfindlichsten Qualen büßen.

Immer wieder muß ich die Jungfrau daran erinnern daß Unschuld und Bescheidenheit ihr schönster Schmuck ist und diese Tugenden sie auch beeinflussen sollen in der Wahl ihres Anzuges.

Ist schon in der Gesellschaft eine auffallende Toilette für eine Dame nicht zulässig, wieviel weniger wird sie es auf der Straße und an öffentlichen Orten sein.

Leider erlaubt es die jetzt herrschende Mode den jungen Mädchen, im enganschließenden Kleide, ohne jene Umhüllung,[76] auf der Straße zu erscheinen und dadurch ihre jugendlichen Formen dem dreisten Blick jedes vorübergehenden Gecken preiszugeben. Es ist dies eine Unsitte, von der man wünschen muß, daß sie recht bald wieder verschwinde. Fanny Lewald, eine unserer beliebtesten Romanschriftstellerinnen, hat sehr streng gegen dieselbe geschrieben, und ich stimme ihr von ganzem Herzen in ihrem Urteil darüber bei. Von den Franzosen, denen wir ja leider so gern alles nachmachen, kommen dergleichen Freiheiten, aber die edle deutsche Jungfrau soll auch in ihrer Kleidung sittsam und züchtig sein.

Der Straßenanzug muß sich möglichst nach der Jahreszeit richten, es ist ebenso unfein, im Blütenmonat einen pelzbesetzten Paletot, als im Oktoberschnee und Sturm das blumengeschmückte Strohhütchen zu tragen. Auch in der Wahl des Pelzwerks sei Uebereinstimmung, man trage keine Pelerine von hellgrauem Pelzwerk zu einem schwarzen Muff u.s.w. Daß auf der Straße und bei weiten Wegen das Schuhwerk fest und dauerhaft gearbeitet sei, dafür sorge die Besitzerin desselben, denn nasse Füße sich zu holen, das ist immer schädlich.

Der Fächer steht einer jungen Dame auf der Promenade weniger gut, sie wird gut thun, zum Schutz gegen die Sonne einen eleganten Schirm zu nehmen, dessen Farbe, wenn es möglich ist, mit der des Anzuges übereinstimmt. Trägt sie z.B. ein in den grünlichen Ton fallendes Kleid, lasse sie den hellblauen Schirm lieber zu Hause. Im Theater, Konzerten, auf Bällen gehört der Fächer zur eleganten Toilette; auf dem Ball ist die Mode praktisch, ihn an einem Kettchen am Gürtel zu befestigen, damit man ihn beim Tanzen nicht in der Hand zu halten braucht. Schwarze Fächer fordert die Trauer, der weißseidene gehört nur der eleganten Toilette an. Es darf von der jungen Dame nicht versäumt werden, sich für den Abend mit warmer Umhüllung zu versehen; besonders, wenn sie getanzt hat, ist eine Erkältung so leicht und so gefährlich. Ueber den Kopf nehme sie eine möglichst zierliche Hülle, man sieht an den Läden und arbeitet ja selbst dergleichen so hübsch, denn es macht auf andere keinen guten Eindruck, wenn dieselbe Dame, die noch soeben im Ballsaal einer Frühlingsgöttin glich, sich in der Garderobe plötzlich in eine graue Nachteule verwandelt.[77] Das Vorzimmer oder die Garderobe dienen dazu, den ankommenden Gästen eine nochmalige Musterung ihrer Toilette zu gestatten. Schon auf dem Flur reinige man, wenn man zu Fuß gegangen sein sollte, geräuschlos sein Schuhwerk, man prüfe sonach im Spiegel, ob das Haar sich nicht verschob, ob Kleid, Kanten, Manschetten, Handschuhe u.s.w. tadellos sitzen.

Bei einer bloßen Visite schickt die Dame durch den ihr die Thür öffnenden Dienstboten ihre Visitenkarte herein, um sich durch dieselbe anmelden zu lassen, bei genauen Bekannten hat sie dies nicht nötig, sondern läßt nur ihren Namen ansagen. Ist die Herrschaft, der man eine Visite machen will, nicht zu Hause, gibt man gleichfalls seine Visitenkarte ab, nachdem man vorher den rechten Rand derselben umgebogen hat, denn der Dienstbote könnte ja den Besuch oder den Namen des Besuchenden vergessen. Kommt man bei Besuchen vor verschlossene Thüren, so schiebt man in Ermangelung eines zur Wohnung gehörenden Briefkastens seine Visitenkarte in die Flurthür.

Bei der nächsten Begegnung erwähnt man dann bedauernd dieses verfehlten Besuches, falls der andere nicht, wie sich das eigentlich gehört, es zuerst gethan hat. Die Karte kann verloren gegangen sein, und es entstehen dadurch Mißverständnisse. Ist die junge Dame diejenige, welche den verfehlten Besuch zu beklagen hat, versäume sie diese Höflichkeit nicht, z.B.:

»Es thut mir aufrichtig leid, Sie neulich verfehlt zu haben.«

»Ich bedauere so sehr, daß Sie neulich mich vergebens aufsuchten.«

»Bitte, wiederholen Sie baldmöglichst Ihren mir so angenehmen Besuch, ich kann es nicht verschmerzen, ihn neulich verfehlt zu haben.«

Man bleibt in der Straßentoilette, wenn man eine Wohlauslandsvisite macht, und legt dieselbe nur ab, wenn man dazu aufgefordert wird. Bei Regen- oder Schneewetter muß die Besuchende so gekleidet sein, daß sie den durchnäßten Mantel im Vorzimmer ablegen kann. Ueberschuhe werden stets daselbst ausgezogen. Das Taschentuch hält man höchstens beim Hereinkommen in eine Gesellschaft[78] in der Hand, dann gehört es in die Tasche. Es ist ganz unfein, es auf den Stuhl, oder wohl gar auf den Tisch zu legen.

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 71-79.
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