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[144] »Doch das Schrecklichste der Schrecken ist der Mensch in seinem Wahn«, an dieses Dichterwort wird man unwillkürlich erinnert, wenn man aus folgendem Kapitel erfährt, in welch grauenhafter Weise ein verdienter höherer Offizier aus bloßer Habsucht von den Portierleuten seines eigenen Hauses ermordet worden ist. Der 46jährige Oberstleutnant Roos hatte aus Anlaß großer Nervosität seinen Abschied genommen. Er besaß in dem stillen Städtchen M.-Gladbach ein idyllisch belegenes Häuschen, das er, von aller Welt zurückgezogen, allein bewohnte. Eine ältere Frau machte ihm die Aufwartung. Da diese aber häufig kränkelte und wohl auch zu schwach war, um das Haus, die Wirtschaft und den Garten in Ordnung zu halten, suchte sich die alte Frau eine leichtere Beschäftigung. Der Oberstleutnant beschloß nun, um nicht allein zu sein, den verheirateten Sohn der alten Frau, namens Adolf Blömers, nebst dessen Gattin ins Haus zu nehmen. Er räumte den Eheleuten im Parterregeschoß eine sehr hübsche Wohnung ein. Bei den Eheleuten Blömers wohnte auch der Bruder des Portiers, der unverheiratete Möbelpolierer Leonard Blömers, ein arbeitsscheuer Mensch. Der Oberstleutnant hatte diesem Menschen mehrfach Arbeit verschafft. Als er aber hörte, daß Leonard Blömers arbeitsscheu war, empfand er gegen den Mann ein gewisses Mißtrauen; er verbot ihm daher das Haus. Leonard Blömers verkehrte und wohnte aber trotzdem bei seinem Bruder. Der arbeitslose Leonard Blömers war vielfach in arger Geldverlegenheit. Er machte daher eines Tages seinem Bruder und seiner Schwägerin den Vorschlag, den Oberstleutnant zu ermorden und sich in den Besitz seines Vermögens zu setzen. Der Bruder und[144] die Schwägerin hatten zunächst Bedenken. Die beiden Brüder Blömers durchsuchten in Abwesenheit des Oberstleutnants dessen Wohnung und fanden auch in einem Pult dreihundert Mark. Damit waren die Unholde aber nicht zufrieden. Es wurde »Kriegsrat« gehalten und beschlossen: den Oberstleutnant durch Gift aus dem Wege zu räumen. Frau Blömers sollte dem Oberstleutnant Gift in den Tee tun. Frau Blömers weigerte sich, sie sagte aber: »Verschafft zunächst das Gift.« Die beiden Brüder fuhren nach Düsseldorf, es wurde ihnen jedoch in allen Apotheken bedeutet: ohne polizeilichen Giftschein könnten sie Gift nicht erhalten. Als sie nach M.-Gladbach zurückkamen, beschlossen sie, den Oberstleutnant noch an demselben Abend totzuschlagen. Es fehlte ihnen aber der Mut dazu. Am anderen Morgen lockten sie den Oberstleutnant durch Lärm in den Keller und ermordeten ihn dort in der gräßlichsten Weise. Sie gaben an, daß der Oberstleutnant verreist sei. Nach einiger Zeit kam jedoch das Verbrechen an den Tag. Die beiden Blömers und auch Frau Blömers wurden verhaftet. Sie hatten sich am 22. März 1906, die beiden Blömers wegen Mordes, Frau Blömers wegen Anstiftung zum Morde vor dem Schwurgericht zu Düsseldorf zu verantworten. Die Tat machte begreiflicherweise das größte Aufsehen; der Zuhörerraum des Schwurgerichtssaales wurde geradezu gestürmt. Die drei Angeklagten waren noch junge Leute, deren Äußeres nicht unschön war. Als die beiden Brüder auf die Anklagebank geführt wurden, umarmten sie sich und hielten sich, laut weinend und sich gegenseitig küssend, lange Zeit umschlungen. Es war geradezu widerwärtig, zwei solch ruchlose Mörder in dieser Haltung zu sehen. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Esch, die Anklage vertrat Staatsanwalt Frings, die Verteidigung führten die Düsseldorfer Rechtsanwälte Dr. Starker, Dr. Schiedges jun. und Dr. Schleicher. Leonard Blömers gab auf Befragen des Vorsitzenden zu, daß der Oberstleutnant sehr gut zu ihm war und ganz vortrefflich für ihn gesorgt hatte. Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte Leonard Blömers: Als wir unverrichteter Sache aus Düsseldorf kamen, beschlossen wir, noch an demselben[145] Abend den Oberstleutnant totzuschlagen.
Vors.: In welcher Weise wollten Sie den Mord ausführen?
Angekl.: Wir wollten hinaufgehen und sobald der Oberstleutnant auf unser Schellen öffnete, ihn vor den Kopf schlagen. Wir gingen auch hinauf, es fehlte uns aber der Mut. Frau Blömers, die mit diesem Plan einverstanden war, machte uns wegen unserer Zaghaftigkeit Vorwürfe. Das war am Samstag. Am folgenden Sonntag beratschlagten wir bei einer Flasche Wein, wie wir den Oberstleutnant am besten und unauffälligsten aus dem Wege räumen könnten. Wir beschlossen, den Oberstleutnant am Montag morgen durch Lärm in den Keller zu locken und alsdann zu erschlagen.
Vors.: Beratschlagten Sie nicht gleichzeitig, wie Sie den Leichnam beiseite schaffen könnten?
Angekl.: Jawohl, ich machte den Vorschlag, den Leichnam in den Rhein zu werfen. Mein Bruder und Frau Blömers machten dagegen den Vorschlag, den Leichnam im Koffer fortzuschaffen und zu vergraben. Montag vormittag gegen 8 Uhr schlugen wir im Keller mit Hammer und Beil auf Waschfässer. Der Oberstleutnant kam die Treppe hinunter und rief in den Keller hinein: Was ist das für ein Spektakel, ich bitte mir Ruhe aus. Der Oberstleutnant ging wieder in seine Wohnung hinauf. Wir schlugen jedoch weiter mit größter Heftigkeit auf die Waschfässer. Der Oberstleutnant kam wutentbrannt nochmals die Treppe hinunter und rief wieder in den Keller hinein. Wir schlugen aber um so heftiger. Da kam der Oberstleutnant in den Keller. Sofort schlugen wir den Oberstleutnant mit Hammer und Beil heftig auf den Kopf, bis er niedergefallen war. In diesem Augenblick schellte es an der Haustür. Wir schlichen uns leise aus dem Keller und begaben uns in die Wohnung meines Bruders, öffneten aber die Haustür nicht. Nach einiger Zeit begaben wir uns wieder in den Keller. Da stand am Ausgang der Oberstleutnant blutüberströmt und jammerte. Frau Blömers sagte: Das habt ihr schlecht gemacht, ihr habt die Sache einmal angefangen, nun müßt ihr ihn vollständig totschlagen. Ich holte einen Stein und warf nach dem Oberstleutnant, traf aber nicht. Nun warf mein Bruder mit einem Stein; letzterer traf den Oberstleutnant an den Kopf, so daß[146] er niederfiel und laut jammerte. Inzwischen hatte mein Bruder das Dolchmesser des Oberstleutnants aus dessen Wohnung geholt. Mein Bruder stach nun mit dem Dolchmesser auf den Oberstleutnant mit den Worten ein: »Du A.., du hast uns lange genug geärgert, nun sollst du auch fühlen«. Da der Oberstleutnant aber noch immer jammerte, so trat mein Bruder dem Oberstleutnant mit dem Fuß auf den Hals. Höre endlich einmal auf stöhnen! sagte mein Bruder. Der Oberstleutnant stöhnte aber immer noch.
Das Absägen des Kopfes. Dann holte mein Bruder eine Säge und sägte dem Oberstleutnant den Kopf ab. (Große Bewegung im Zuhörerraum)
Vors.: Als Ihr Bruder dem Oberstleutnant den Kopf absägte röchelte er da noch?
Angekl.: Jawohl, er röchelte noch. (Erneute Bewegung im Zuhörerraum.)
Vors.: Haben Sie sich an dem Absägen des Kopfes beteiligt?
Angekl.: Nein, das machte mein Bruder ganz allein.
Das Absägen des Fingers.
Vors.: Wie war es mit dem Absägen des Fingers?
Angekl.: Das geschah erst am Abend. Wir beabsichtigten, als wir den Leichnam nach Eintritt der Dunkelheit wegschaffen wollten, dem Oberstleutnant zunächst den golden Siegelring vom Finger zu ziehen. Da der Ring aber zu fest saß, sagte Frau Blömers: Sägt den Finger ab; je mehr man die Leiche verstümmelt desto unkenntlicher wird sie. Mein Bruder sägte darauf der Leiche den Ringfinger ab.
Das Verscharren des Leichnams. Alsdann packten wir Kopf und Rumpf in den dort stehenden Koffer und fuhren nach Viersen, um Kopf und Rumpf zu vergraben.
Vors.: Sie und Ihr Bruder zogen den Karren?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Ging Frau Blömers mit nach Viersen?
Angekl.: Jawohl, Frau Blömers sagte: ich muß wissen, wo der Leichnam verscharrt wird, ich komme mit. Wir vergruben zunächst den Rumpf, etwa 100 Schritte weiter den Kopf und den Finger.
Vors.: Wann wurde der Keller vom Blut gereinigt?
Angekl.: Am folgenden Tage.
Vors.: Wer beteiligte sich an dem Reinigen des Kellers?
Angeklagter: In der Hauptsache suchte Frau Blömers den Keller vom Blut zu reinigen.
Vors.: Nach einiger Zeit hat Ihr[147] Bruder mit einer Handlaterne die Stellen beleuchtet, wo die Leichenteile vergraben waren?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Weshalb geschah das?
Angekl.: Er wollte sehen, ob auch die Leichenteile gut vergraben wären.
Vors.: Wurde nicht von Leuten gefragt, wo der Oberstleutnant sei?
Angekl.: Jawohl. Hauptsächlich fragte der Briefträger nach dem Oberstleutnant. Es wurde ihm geantwortet: Der Oberstleutnant ist nach England gereist.
Der Angeklagte erzählte im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden, daß sie nach geschehener Ermordung in der Wohnung des Oberstleutnants nach Geld gesucht haben. Sie haben 280 M. gefunden und diese zu gleichen Teilen geteilt.
Adolf Blömers bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei in der holländischen Armee Korporal gewesen und nur wegen geringfügiger militärischer Vergehen bestraft.
Vors.: Da Sie Korporal gewesen sind, so ist Ihnen doch jedenfalls bekannt, wie einem Offizier zu begegnen ist.
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Der Oberstleutnant ist sehr gut zu Ihnen gewesen?
Angekl.: Jawohl, er war aber sehr aufgeregt und hat mich einige Male mit dem Dolchmesser bedroht.
Vors.: Das war aber lange vor dem Morde?
Angekl.: Allerdings.
Vors.: Jedenfalls war der Oberstleutnant aufs eifrigste bemüht, Ihnen Arbeit zu verschaffen?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Das hat Sie aber nicht abgehalten, den Oberstleutnant zu ermorden?
Angekl.: Wir wollten Geld haben.
Der Angeklagte erzählte alsdann im weiteren auf Befragen in fast derselben Weise wie sein Bruder, wie sie den Plan faßten, den Oberstleutnant zu töten. Nachdem sie den Oberstleutnant heftig mit Hammer und Beil auf den Kopf geschlagen, so daß er niederfiel, liefen sie aus dem Keller. Sehr bald hatte sich der Oberstleutnant wieder erholt, klopfte an die Kellertür und rief: Macht auf! Wir öffneten und versuchten zunächst den Oberstleutnant mit Steinen totzuwerfen. Da dies aber nicht gelang, holte ich das Dolchmesser des Oberstleutnants und stach damit.
Vors.: Sie müssen sehr heftig mit dem Dolchmesser gestochen haben?
Angekl.: Ich habe mit dem Dolchmesser noch gestochen, als der Oberstleutnant bereits tot war.
Vors.: Weshalb taten Sie das?
Angekl.: Um meine Wut[148] zu kühlen.
Vors.: Welche Ursache hatten Sie, noch auf den Leichnam wütend zu sein?
Angekl.: Der Oberstleutnant hat mich vielfach geärgert.
Vors.: Ist es richtig, daß Sie schließlich; dem Oberstleutnant mit dem Fuß auf den Hals traten, damit er aufhöre zu stöhnen?
Angekl.: Das ist richtig.
Vors.: Als Sie nun dem Oberstleutnant den Kopf absägten, lebte er da noch?
Angekl.: Ich glaube, er war schon tot.
Vors.: Röchelte denn der Oberstleutnant noch?
Angekl.: Ich glaube, er röchelte nicht mehr.
Vors.: Das Absägen des Kopfes besorgten Sie allein?
Angekl.: Nein, zuerst sägte mein Bruder, dann sägte ich weiter.
Der. Angeklagte erzählte ferner auf Befragen des Vorsitzenden; Es ist unrichtig, daß seine Frau gesagt habe: »Habt ihr's einmal angefangen, dann führt es auch aus«. Seine Frau habe die Leiche in Sackleinwand eingehüllt. Darauf habe er mit seinem Bruder die Leiche in den Koffer gepackt, den Koffer auf den Ziehkarren geschafft und damit nach Viersen gefahren. Den Kopf hatte er mit seinem Bruder schon vorher fortgetragen.
Vors.: Wie sind Sie dazu gekommen, einen solch furchtbaren Mord zu begehen?
Angekl.: Ich weiß selbst nicht, Herr Richter.
Vors.: Ist es richtig, daß Sie dem Oberstleutnant, nachdem er tot war, das Portemonnaie aus der Tasche genommen haben?
Angekl.: Das hat mein Bruder getan.
Vors.: Wieviel Geld war in dem Portemonnaie?
Angekl.: 35 M.
Vors.: Wurde das Geld geteilt?
Angekl.: Jawohl, das Geld wurde zu gleichen Teilen geteilt.
Vors.: Sie haben an Frau Oberstleutnant nach Paris einen Brief geschrieben?
Angekl.: Jawohl, ich schrieb der Frau Oberstleutnant, daß ihr Mann verreist sei, damit sie nicht Verdacht schöpfte.
Frau Blömers bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: zenden: Sie sei in Elberfeld geboren, ihre Eltern seien aber, als sie drei Jahre alt war, nach Holland gezogen Dort sei sie in die Schule gegangen. Nachdem sie die Schule verlassen, sei sie nach M.-Gladbach gekommen. Dort habe sie ihren Mann kennengelernt und ihn im Jahre 1900 geheiratet. Sie hatte zwei Kinder, die beide tot seien. Das letzte Kind starb während ihrer Untersuchungshaft. Sie befinde sich aber wiederum in gesegneten Umständen.
Vors.: Wie kam es[149] nun, daß der Oberstleutnant ermordet wurde?
Angekl.: In der Hauptsache, weil mein Mann keine Arbeit hatte.
Vors.: Er hätte doch aber Arbeit finden können?
Angekl.: Er fand trotz aller Mühe keine Arbeit.
Vors.: Wenn jemand arbeiten will, so findet er immer Arbeit.
Angekl.: Nein, Herr Richter, das stimmt nicht.
Vors.: Wie wurde der Plan entworfen, den Oberstleutnant zu ermorden?
Angekl.: Ich räumte eines Tages die Wohnung des Oberstleutnants auf. Mein Mann und mein Schwager waren im Zimmer. Da sagte mein Mann: Wenn ich nur ein paar tausend Mark bekommen könnte, dann wäre mir geholfen. Da versetzte mein Schwager: Wir müssen den Oberstleutnant totmachen, da haben wir sofort Geld. Leonard Blömers machte zunächst den Vorschlag, den Oberstleutnant zu vergiften; ich sollte dem Oberstleutnant Gift in den Tee tun. Ich sagte: Ihr könnt ja Gift besorgen, ich tue aber das Gift nicht in den Tee. Es ist unwahr, daß ich den beiden Männern Geld gegeben habe, um nach Düsseldorf zu fahren.
Vors.: Sie haben aber den weiteren Mordplan mitberaten?
Angekl.: Das ist nicht richtig.
Vors.: Haben Sie nicht an dem am Sonntag vor dem Morde stattgefundenen Weintrinken teilgenommen?
Angekl.: Ich habe wohl Wein mitgetrunken, aber an der Beratung, wie der Oberstleutnant ermordet werden sollte, mich nicht beteiligt.
Vors.: Sie sollen, als der Oberstleutnant, nachdem er mit Beil und Hammer geschlagen war, an die Kellertür klopfte und gerufen hatte: »Macht auf!« zu den Männern gesagt haben: Das habt ihr schlecht gemacht. Nun habt ihr's einmal angefangen, dann schlagt ihn auch vollständig tot.
Angekl.: Jawohl, das habe ich gesagt. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)
Vors.: Ihr Mann hat das vorhin in Abrede gestellt!
Angekl.: Nein, das ist richtig.
Die Angeklagte erzählte dann weiter auf Befragen des Vorsitzenden: Sie habe wohl den Männern das Packleinen gegeben, damit sie den Leichnam einhüllen len konnten, am Hinausschaffen der Leiche sich jedoch nicht beteiligt.
Vors.: Sie haben aber die Männer, als sie den Koffer mit dem Leichnam nach Viersen fuhren, begleitet?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Sie sollen schon vor dem Morde den Bäckerjungen, die dem[150] Oberstleutnant die Frühstücksbrötchen brachten, gesagt haben: Sie sollten keine Brötchen mehr bringen, der Oberstleutnant sei verreist.
Angekl.: Das tat ich erst, als der Oberstleutnant schon tot war.
Medizinischer Sachverständiger Kreisarzt Dr. Krause gab eine eingehende Schilderung über den Leichenbefund: Die Leiche sei furchtbar zugerichtet gewesen. Das Nasenbein, das ganze Gesicht, der Schädel waren vollständig zertrümmert. Der Oberstleutnant war ein schlanker, mittelgroßer Herr von nicht starkem Körperbau. Ob er während des Absägens des Kopfes noch gelebt habe, konnte bei der Sektion nicht festgestellt werden.
Kriminalkommissar Heinzerling (M.-Gladbach) bekundete: Er habe sehr bald nach dem Morde Verdacht geschöpft und deshalb seinen Beamten aufgetragen, auf die Blömers ein wachsames Auge zu haben. Die Beamten berichteten ihm nach einiger Zeit, daß die Blömers verschiedene, dem Oberstleutnant nant gehörende Wertgegenstände versetzt haben. Er habe daher die Blömers zur Rede gestellt und dem Leonard Blömers gesagt: »Morgen sprechen wir über das Verschwinden des Oberstleutnants.« Leonard Blömers war zunächst furchtbar entrüstet. Er legte aber schließlich unter heftigem Weinen ein umfassendes Geständnis ab. Danach traf er Frau Blömers auf der Straße. Diese leugnete zunächst. Als er ihr aber die Versicherung gab, daß Leonard Blömers alles gestanden und ihm auch gesagt habe, wo die Leichenteile vergraben seien, legte auch sie ein umfassendes Geständnis ab. Dasselbe tat sehr bald auch Adolf Blömers. Beide Blömers standen in dem Ruf, daß sie nicht gern arbeiten. Frau Blömers war vor ihrer Verheiratung Dienstmädchen in M.-Gladbach. Es wurde ihr von allen Herrschaften, bei denen sie gedient hatte, ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Eine Anzahl Zeugen, bei denen Frau Blömers gedient hatte, bekundeten: Frau Blömers sei ehrlich und fleißig gewesen. Ein holländischer Kriminalkommissar bekundete, daß die Eltern der Frau Blömers sich eines guten Leumunds erfreuen.
Untersuchungsrichter Landrichter Hesse: Frau Blömers habe ihm erzählt, daß sie einmal einen Selbstmordversuch gemacht habe. Auf seine Frage, weshalb[151] sie das getan, habe Frau Blömers gesagt: Sie sei über das, was die beiden Männer getan, so aufgeregt gewesen, sen, daß sie streben wollte.
Fabrikbesitzer Lambertz (M.-Gladbach): Er sei ein Verwandter des ermordeten Oberstleutnants. Er habe, da der Oberstleutnant so lange ausblieb, in Gemeinschaft mit dem Obersten Roos, dem ältesten Bruder des Ermordeten, den Kleiderschrank untersucht. Da mehrere Anzüge fehlten, schöpften sie sofort Verdacht. Der Ermordete war wohl sehr nervös und aufgeregt, aber ein sehr gutmütiger Mensch.
Ein Schutzmann während des Mordes an der Tür des Mordhauses. Ein fernerer Zeuge war Schutzmann Roscher: Am Morgen des 23. Oktober 1905 habe er an dem Hause des Oberstleutnants geschellt. Erst nach wiederholtem heftigen Schellen habe Frau Blömers geöffnet. Er hatte für den Oberstleutnant einen Wohnungszettel abzugeben. Er habe sich sogleich wieder entfernt und nichts Auffälliges wahrgenommen.
Vors.: Es war das gerade in dem Augenblick, als die Angeklagten den Oberstleutnant im Keller totschlugen?
Zeuge: Das habe ich später gehört.
Bäckergeselle Hoffmann: Er habe dem Oberstleutnant längere Zeit die Frühstücksbrötchen gebracht. Am Freitag, den 20. Oktober, sagte Frau Blömers: Von Montag ab brauchen Sie für den Oberstleutnant keine Brötchen mehr zu bringen, er verreist.
Vors.: Wissen Sie das genau?
Zeuge: Ganz genau.
Vors.: Nun, Frau Blömers, was sagen Sie dazu?
Angeklagte Blömers: Der Zeuge irrt sich, ich habe erst am Dienstag, den 24. Oktober, die Brötchen für den Oberstleutnant abbestellt.
Zeuge Hoffmann: Ich weiß genau, daß es Freitag war.
Bäckergeselle Oppels: Er habe sich mit Hoffmann in die Arbeit des Brötchenaustragens geteilt. Hoffmann habe ihm am 22. Oktober gesagt: Zum Oberstleutnant brauchst du vom Montag ab keine Brötchen mehr zu tragen, der verreist.
Eine Mitgefangene der Angeklagten Blömers bekundete: Frau Blömers habe ihr im Untersuchungsgefängnis erzählt, sie sei wegen Mordes eingesperrt. Auf ihre Frage, wen sie totgemacht habe, sagte sie: Ich habe niemanden totgemacht, aber mein Mann hat den Oberstleutnant erschlagen.[152] Mir kann nicht viel passieren, aber mein armer Mann tut mir leid. Frau Blömers erzählte außerdem: Wir wären um ein Haar überrascht worden. Gerade als der Oberstleutnant im Keller ermordet wurde, schellte ein Schutzmann. Er hatte nur einen Zettel abzugeben, darauf entfernte er sich sofort wieder. Sie (Zeugin) habe darauf versetzt: Wenn aber jemand gekommen wäre, um die Wasserleitung nachzusehen? Frau Blömers antwortete: Dann hätte ich den Mann einfach nicht hineingelassen. Ich habe nichts begangen, sondern nur aufgepaßt, daß wir nicht überrascht wurden. Frau Blömers sei im Untersuchungsgefängnis sehr heiter gewesen; sie habe oftmals gelacht und nicht eine Spur von Reue gezeigt. Erst als sie die Anklageschrift erhielt, sei sie niedergeschlagen gewesen.
Nach beendeter Beweisaufnahme und Verlesung der Schuldfragen nahm das Wort Staatsanwalt Frings: Meine Herren Geschworenen! Das Verbrechen, das uns heute beschäftigt, ist das schwerste, das das Straf-Gesetzbuch kennt. Das allein ist aber nicht das Entscheidende. Die Angeklagten haben einen Mord begangen, wie er in so grausiger so scheußlicher, so bestialischer Art glücklicherweise nur äußerst selten die Gerichte beschäftigt. Die grausame Ausführung der Tat ist es, die die Bevölkerung in so furchtbare Aufregung gebracht hat. Aber auch der Beweggrund der Tat war ein im höchsten Grade verwerflicher. Die Angeklagten behaupten, sie haben aus Not gehandelt. Nein, aus Not haben die Angeklagten nicht gehandelt. Den Angeklagten ist es bedeutend besser gegangen, als vielen Tausenden, die den Kampf ums Dasein führen. Wenn es den Angeklagten schlecht ging, so war ihre Faulheit daran schuld. Ich wiederhole, nicht die Not, sondern die niedere Habsucht ist der Beweggrund zu dem grausigen Morde gewesen. Der bloße Anblick eines Haufens von Goldstücken hat in den Angeklagten den Plan reifen lassen, ihren Wohltäter zu ermorden. Wir haben gehört, der Oberstleutnant war wohl etwas heftig, im übrigen hat er sich aber als Wohltäter der Angeklagten erwiesen. Den Oberstleutnant trifft keine Schuld, daß er in so furchtbarer Weise hingemordet wurde. Höchstens könnte man sagen: der Oberstleutnant[153] ist zu vertrauensvoll gewesen. Der Staatsanwalt erläuterte hierauf in eingehender Weise die Einzelheiten der Tat und kam zu dem Schluß, daß alle drei Angeklagten des Mordes schuldig seien. Die Ehefrau Blömers habe eine gewisse Schlauheit an den Tag gelegt. Sie sei schon vor dem Morde bemüht gewesen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sie sei aber die eigentlich treibende Kraft gewesen. Wenn auch die Ehefrau Blömers sich nicht direkt an dem Morde beteiligt habe, so sei sie dennoch im Sinne des Gesetzes Mittäterin. Der Staatsanwalt begründete dies unter Berufung auf Reichsgerichts-Entscheidungen und den Kommentar von Olshausen in eingehender Weise. Die Person, die die Aufpasserin spielte, die die Brötchen schon einige Tage vor dem Morde abbestellte, habe doch zweifellos die Tat gewollt. Wenn die Geschworenen dem zustimmen, dann müssen sie die Schuldfrage wegen Mordes auch bezüglich der Ehefrau Blömers bejahen. Sollten aber die Geschworenen die Hauptfrage verneinen, nen, so werden sie zweifellos die Frage nach Beihilfe bejahen. Er ersuche die Geschworenen, sich nicht vom Mitleid leiten zu lassen, sondern nach Recht und Gewissen zu urteilen. Er beantrage, die Hauptschuldfragen gegen alle drei Angeklagten zu bejahen.
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Starker: Meine Herren Geschworenen! Nach dem offenen Geständnis meines Klienten Adolf Blömers habe ich keine weitere Verteidigungsrede zu halten. Es kann nur darauf ankommen, ob Totschlag oder Mord vorliegt. Ich ersuche Sie, urteilen Sie nach Pflicht und Gewissen.
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Schiedges: Meine Herren Geschworenen! Als die Kunde von dem gräßlichen Verbrechen durch die Zeitungen ging, da wurde im Publikum die Frage aufgeworfen: Wird solchen Mördern auch noch ein Verteidiger gestellt? Jawohl, ebenso wie das Gesetz Sie und den Gerichtshof an ihre Stelle gesetzt, dem Herrn Staatsanwalt die Vertretung der Anklage anvertraut hat, so hat das Gesetz bestimmt, daß auch dem schrecklichsten Verbrecher ein Verteidiger bestellt wird. Damit wollte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, daß, wenn[154] auch das Verbrechen noch so gräßlich, es Pflicht aller Prozeßbeteiligten, in erster Reihe der Geschworenen ist, die Tat aufs sorgfältigste zu prüfen. Das ist im vorliegenden Falle um so notwendiger, da es sich um drei Menschenleben handelt. Kein Zweifel, ein verdienter Offizier zier ist in gräßlichster Weise aus den niedersten Beweggründen ermordet worden. Trotzdem ist aufs sorgfältigste zu prüfen, ist die Ehefrau Blömers Mittäterin? Der Verteidiger suchte unter Berufung auf Liszt und Reichsgerichts-Entscheidungen nachzuweisen, daß die Ehefrau Blömers als Mittäterin nicht in Betracht kommen könne. Die Geschworenen dürfen nicht sagen: die Mörder sind abscheuliche Subjekte, deshalb fort von der Welt. Eine solche Entscheidung sei nicht Sache der Geschworenen. Diese haben nicht nach dem Gefühl zu urteilen, sondern gewissenhaft zu prüfen, inwieweit ist die Ehefrau Blömers an dem Morde beteiligt gewesen. So grausig auch die Tat ist, so etwa schloß der Verteidiger, so schlecht auch meine Klientin gehandelt, so hat sie doch immer noch den Anspruch, nach Recht und Gesetz abgeurteilt zu werden.
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Schleicher ersuchte die Geschworenen, zu erwägen, ob sein Klient Leonard Blömers mit Überlegung gehandelt habe.
Die Geschworenen bejahten bezüglich aller drei Angeklagten die Schuldfragen wegen Mordes und Diebstahls. Der Gerichtshof verurteilte, diesem Wahrspruch entsprechend, alle drei Angeklagten zum Tode, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und wegen Diebstahls zu je einem Jahre Gefängnis. Die beiden Blömers wurden nach einiger Zeit hingerichtet, Frau Blömers, die sich in gesegneten Umständen befand, zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.[155]
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