Der künftige Kulturhistoriker wird unser materielles Zeitalter zweifellos als halbbarbarisch bezeichnen. In unserem fortgeschrittenen Zeitalter werden aus Geldgier selbst von wissenschaftlich gebildeten Leuten die ärgsten Verbrechen verübt. Unsere vielgerühmte Kultur ist nur oberflächlich. König Mammon ist der mächtigste Regent auf dem Erdenrund. Um Geld zu erlangen, scheuen sich oftmals selbst gebildete Leute nicht, mit dem Heiligsten ein frevelhaftes Spiel zu treiben. Der Gerichtsberichterstatter, vor dessen Augen sich täglich Verbrechen aller Art entrollen, um eine gerichtliche Sühne herbeizuführen, wird allmählich etwas abgestumpft. Das erschütternde Drama, das sich im April 1905 vor der ersten Strafkammer des Landgerichts München I entrollte, war aber doch geeignet, selbst die im kriminalrechtlichen Leben ergrauten, allen Vorkommnissen gegenüber gleichgültig gewordenen Berichterstatter in Erregung zu versetzen. Der Mann, der auf der Anklagebank saß, war ein praktischer Arzt, der, sicherem Vernehmen nach, eine sehr einträgliche Praxis in München hatte. Die Geldgier gier bildete auch bei diesem Mann die Triebfeder zu einem so furchtbaren Verbrechen, das in den Annalen der Kriminaljustiz einzig dastehen dürfte. Wohl bilden die Heiratsschwindler, die sich von den Zuhältern nur durch ihre bedeutend größere Gefährlichkeit unterscheiden, eine fast tägliche Erscheinung in den Gerichtssälen. Und dabei gelangt wahrscheinlich nur der kleinste Teil der Heiratsschwindeleien zur gerichtlichen Anzeige, da die Betrogenen neben dem Schaden[5] nicht noch den Spott haben wollen. Ganz besonders scheuen sich die Betrogenen vielfach, vor Gericht als Zeugen zu erscheinen. Trotz aller Warnungen der Presse treibt der Heiratsschwindel, insbesondere in den Großstädten, und zwar in allen Gesellschaftskreisen noch immer die üppigsten Blüten. Noch immer sind zahllose Dienstmädchen, Schneiderinnen und andere Proletarierinnen töricht genug, Schwindlern, die ihnen die Ehe versprechen, ihre durch mühselige, harte Arbeit erworbenen Ersparnisse und oftmals auch noch ihre weibliche Ehre hinzugeben. Wieviel solch betrogene arme Wesen dem Selbstmord zugetrieben wurden, ist nicht annähernd festzustellen, gering dürfte aber diese Zahl kaum sein. Etwas größere Vorsicht Heiratsbewerbern gegenüber täte dringend not. Der noch immer flüchtige internationale Hochstapler »Graf de Passy«, dessen richtiger Namen Max Schimangk ist, betrieb den Heiratsschwindel im großen. Vermöge seiner imposanten Erscheinung und seines vornehmen Auftretens gelang es ihm, selbst in den feinsten Familien Berlins Eingang zu finden und die Herzen wohlhabender junger Damen im Sturm zu erobern. Und die Eltern hatten sämtlich für den zukünftigen gräflichen Schwiegersohn, der sich natürlich nur ganz vorübergehend in Geldverlegenheit befand, offene Kasse.
Im Frühjahr 1875 war ein englisches neuvermähltes Paar auf der Hochzeitsreise begriffen. Das Paar erregte in Bozen die Aufmerksamkeit des Hotelpersonals und der Hotelgäste. Er, namens Henry Tourville aus London, war ein fescher, bildschöner junger Mann von etwa 25 Jahren, sie etwa 25 Jahre älter. Wohl zeigte ihr Gesicht Spuren dereinstiger Schönheit, sie war aber derartig verblüht, daß man fast zu der Annahme geneigt war, es handle sich um Mutter und Sohn. Er war mittellos, sie hatte jedoch ein großes Vermögen und, wie sich später ergab, den jungen Ehemann testamentarisch zum Universalerben gemacht. Das Paar unternahm Ausflüge in die zum Himmel ragenden Tiroler Alpen. Eines Tages vernahmen Hirten vom Stilfser Joch her einen lauten Aufschrei und in demselben Augenblick einen schweren dumpfen Fall. Kurze Zeit darauf sahen die Hirten einen[6] jungen Mann – es war Tourville – in großer Erregung vom Stilfser Joch herunterkommen. Er erzählte te den Hirten und auch im Hotel: seine Frau sei, als sie sich auf der höchsten Spitze des Stilfser Jochs befanden, infolge Unvorsichtigkeit in die Tiefe gestürzt. Die Leiche der Frau Tourville wurde sehr bald im jähen Abgrund einer Felsenschlucht mit zerschmettertem Schädel gefunden. Da starke Verdachtsgründe vorlagen, daß Tourville seine Gattin gewaltsam hinabgeworfen habe, um sie los zu werden und sich in den Besitz des ihm zufallenden Vermögens zu setzen, wurde er verhaftet und die Anklage wegen Mordes gegen ihn erhoben. Er hatte sich im Hochsommer 1875 vor dem Schwurgericht zu Bozen zu verantworten. Tourville beteuerte beharrlich, unschuldig zu sein, seine Gattin sei infolge Unvorsichtigkeit hinabgestürzt. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde beschlossen: eine örtliche Augenscheinnahme vorzunehmen. Sämtliche Prozeßbeteiligte, die Mitglieder des Gerichtshofs, Staatsanwalt, Verteidiger, Geschworene fuhren mit dem Angeklagten an einem wundervollen Sommermorgen nach dem Stilfser Joch. Die Vertreter der Presse hatten sich selbstverständlich angeschlossen. Es war eine Puppe von der ungefähren Größe und Schwere der Frau Tourville hergestellt worden. Diese Puppe wurde auf die Anhöhe gestellt, von der, laut Angabe des Angeklagten, der Sturz erfolgt sein sollte. Es ergab sich, daß ein Hinabstürzen ohne fremde Gewalt unmöglich war. Infolge dieses und anderer Vorkommnisse erlangten die Geschworenen die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten. Er wurde wegen Totschlags zu zwanzig Jahren schweren Kerkers, verschärft mit einem Tage Fasten in jedem Monat, verurteilt.
Kehren wir nun in den Münchener Gerichtssaal zurück. Auf der Anklagebank saß ein mittelgroßer hübscher Mann mit dunklem, wohlgepflegtem Vollbart und etwas gelichtetem Haupthaar. Seine Gesichtszüge ließen auf große Intelligenz schließen. Der Angeklagte nannte sich Dr. med. Gusti Iwan Braunstein. Er war am 20. Februar 1858 in Wipperfürth bei Köln geboren und evangelischer Konfession. Dieser Mann, der sich die Heilung der Menschheit zur Lebensaufgabe gemacht[7] hatte, war einer der kaltblütigsten und grausamsten Raubmörder. Er hat den Mord aber in so raffinierter Weise begangen, daß es unmöglich war, ihn des Mordes auch nur anzuklagen. Dr. Braunstein hatte beim Rheinischen Jägerbataillon sein Jahr abgedient und alsdann in Bonn und München Medizin studiert. 1889 machte er in Bonn das Staatsexamen. Er war zunächst Volontärarzt an der chirurgischen Klinik in Breslau, später im mikroskopischen Institut in Bonn. Zu dieser Zeit wurde er zum Leutnant der Reserve ernannt. 1890 wurde er in Bonn wegen Unterschlagung und Betruges zu 3 Jahren Gefängnis, 5 Jahren Ehrverlust und 900 Mark Geldstrafe verurteilt. Nach Verbüßung dieser Strafe wurde er Schiffsarzt, alsdann praktischer Arzt in Bebra, Sangerhausen und Halle a.d.S. Im August 1900 ließ er sich in München als praktischer Arzt, gleichzeitig als Spezialarzt für Nasen-, Hals- und Ohrenkrankheiten nieder. In Halle lernte er ein hübsches junges Mädchen, namens Minna Wege, kennen. Am 16. September 1905 verlobte er sich mit der Wege, und am 15. November 1903 fand die Vermählungsfeier statt. Bald darauf begab sich das neuvermählte Paar auf die Hochzeitsreise. Am 26. November 1903 starb plötzlich Frau Dr. Braunstein in Lugano. Die Todesursache konnte gerichtlich nicht festgestellt werden, da Dr. Braunstein die Leiche sofort in Lugano hatte verbrennen lassen. Er behauptete, es sei der Wunsch seiner Frau gewesen, in dieser Weise bestattet zu werden. Eine Reihe schwerwiegender Verdachtsgründe sprachen aber dafür, daß Dr. Braunstein seine Frau vergiftet hatte, um sich in den Besitz ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens zu setzen. Auf Antrag der Münchener Staatsanwaltschaft wurde er in Lugano verhaftet und nach längeren diplomatischen Verhandlungen an das Landgericht München I ausgeliefert. Die Anklage wegen Mordes konnte jedoch, da der Leichnam verbrannt war, nicht erhoben werden. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Urkundenfälschung und Betruges erhoben, da der Verdacht bestand: stand: Dr. Braunstein habe die Handschrift seiner Frau nachgeahmt, um den Halleschen Bankverein zu beauftragen: das dort[8] deponierte Vermögen seiner Frau im Betrage von 120000 Mark an die Filiale der Deutschen Bank in München zu überweisen.
Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Federkiel. Die kgl. Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Dr. Dimroth. Die Verteidigung hatte Justizrat Max Bernstein (München) übernommen.
Der Angeklagte bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich bin vollständig unschuldig. Alle Schriftstücke, die ich geschrieben habe, schrieb ich in vollem Einverständnis, ja im Auftrage meiner Frau.
Vors.: Sie haben hier ein Grundstück besessen; das wurde, da die bei Ihnen vorgenommene Pfändung fruchtlos ausgefallen war, meistbietend versteigert?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Sofort nach Ihrer Hochzeit unternahmen Sie mit Ihrer Frau eine Hochzeitsreise. Sie fuhren zunächst nach der Schweiz und von dort nach Italien. Am 12. November 1903, also drei Tage vor Ihrer Vermählung, war zwischen Ihnen und Ihrer Frau ein Ehevertrag geschlossen worden, wonach Sie im Falle des Todes Ihrer Frau die Hälfte ihres Vermögens erben sollten. Zunächst sollte jedoch das Vermögen im Besitz Ihrer Frau bleiben, zumal Sie ja doch eine auskömmliche Praxis hatten. Sie waren aber von Anfang fang an bemüht, sich in den Besitz des Vermögens Ihrer Frau zu setzen.
Angekl.: Ich habe nichts getan, ohne das volle Einverständnis meiner Frau.
Vors.: Ich habe Ihnen aber doch soeben den Ehevertrag, den Sie mit Ihrer Frau drei Tage vor der Hochzeit geschlossen haben, vorgehalten.
Angekl.: Ein solcher Vertrag kann doch geändert werden.
Vors.: Ihre Frau hatte bestimmt, daß ihr Vermögen im Depot des Halleschen Bankvereins bleiben solle. Kaum waren Sie aber verheiratet, da schrieben Sie an den Halleschen Bankverein, unter Nachahmung der Handschrift Ihrer Frau: das ganze Depot solle an die Bayerische Filiale der Deutschen Bank in München überwiesen werden.
Angekl.: Meine Frau hatte es sich inzwischen anders überlegt.
Vors.: Weshalb schrieb alsdann nicht Ihre Frau an den Halleschen Bankverein?
Angekl.: Meine Frau war krank, und zwar nicht bloß körperlich, sondern auch psychisch.
Vors.: Sie behaupten, Ihre Frau sei so krank[9] gewesen, daß sie nicht die paar Zeilen an den Halleschen Bankverein schreiben konnte?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Es wird Ihnen von Zeugen gesagt werden, daß das nicht wahr ist; Ihre Frau war am 16. November 1903 nicht krank, sie hat sogar an diesem Tage einen längeren Brief an eine Freundin geschrieben. Hier ist dieser Brief.
Der Vorsitzende verlas den Brief und äußerte: Es ist doch sehr merkwürdig, daß Ihre Frau einen solchen langen Brief, aber nicht ein paar Zeilen an den Halleschen Bankverein schreiben konnte.
Angekl.: Meine Frau war jedenfalls im Augenblick nicht disponiert und hat mir daher den Brief diktiert.
Vors.: Sie schrieben nun an die »Hallesche Vereinsbank«, während das Vermögen Ihrer Frau im »Halleschen Bankverein« deponiert war.
Angekl.: Das war ein Schreibfehler.
Vors.: Es ist kaum möglich, daß Ihre Frau sich eines solchen Irrtums schuldig gemacht haben soll. Ihre Frau war in Halle a.d.S. geboren und hatte seit mehreren Jahren ihr Vermögen bei dem Halleschen Bankverein deponiert. Ihre Frau hat seit Jahren mit dem Halleschen Bankverein verkehrt, da ist ein solcher Irrtum kaum möglich.
Angekl.: Ein solcher Irrtum ist in der Eile immer möglich. Ich habe selbst 2 Jahre in Halle gelebt und kannte den Halleschen Bankverein ganz genau.
Vors.: Weshalb fälschten Sie die Handschrift Ihrer Frau?
Angekl.: Ich habe die Handschrift meiner Frau nicht gefälscht, meine Frau sagte, ich solle ihre Handschrift nachahmen.
Vors.: Sie haben sogar Übungen zwecks Nachahmung der Handschrift Ihrer Frau vorgenommen.
Angekl.: Das geschah alles im Einverständnis meiner Frau. Meine Frau wollte, daß ich alle ihre geschäftliche Korrespondenz führe.
Vors.: Es ist nur wunderbar, daß Ihre Frau zur Zeit noch ganz munter war und an Bekannte und Verwandte längere Briefe geschrieben hatte.
Angekl.: Das psychische Befinden meiner Frau war jedenfalls ein derartiges, daß sie Geschäftsbriefe nicht schreiben wollte.
Staatsanw.: Bei jeder Bank muß die Handschrift des Deponierenden hinterlegt sein, damit die Bank die Garantie hat, daß Auszahlungen nur auf Anweisung des Deponierenden gegeben werden.[10] Sie haben nun die bei der Bayerischen Filiale der Deutschen Bank in München zu hinterlegende Handschrift Ihrer Frau ebenfalls gefälscht?
Angekl.: Das geschah auch mit Erlaubnis meiner Frau.
Vors.: Das ist höchst merkwürdig. Sie schrieben an die Bayerische Filiale der Deutschen Bank: Sie solle 21900 preußische Konsols verkaufen und den Erlös an Dr. Braunstein nach Lugano schicken. Nachdem Sie das Geld erhalten hatten, sandten Sie 600 Mark an die Filiale der Deutschen Bank mit dem Ersuchen, eine Stahlkammer für Sie und Ihre Frau zu errichten.
Angekl.: Das geschah alles im Auftrage meiner Frau.
Staatsanw.: Weshalb haben Sie gerade solch sichere Papiere wie preußische Konsols verkaufen lassen?
Angekl.: Preußische Konsols geben sehr wenig Zinsen, es gibt andere, ebenfalls ganz sichere Papiere, die mehr Zinsen geben.
Vors.: Sie schrieben nun wiederum mit gefälschter Handschrift Ihrer Frau an die Filiale der Deutschen Bank: sie solle für Ihre Frau und Sie ein gemeinsames Konto errichten. Am 26. November 1903 schrieb die Filiale der Deutschen Bank an Ihre Frau: Sie solle doch einmal persönlich nach München kommen. Dieser Brief ist laut Poststempel am 26. November 1903 auf dem Postamt München 6, zwischen 7 bis 8 Uhr abends, zur Post gegeben, und wie der Portier des Hotels Winter in Lugano bekundet hat, am Morgen des 27. November 1903 angekommen. Am 26. November 1903, abends gegen 11 Uhr, ist aber Ihre Frau gestorben. Am 27. November 1903, also nachdem Ihre Frau bereits tot war, schrieben Sie an die Filiale der Deutschen Bank in München: »Meine Frau ist krankheitshalber nicht in der Lage, nach München zu kommen. Ich werde dagegen in den nächsten Tagen zu Ihnen kommen. Ich ersuche Sie, für uns gemeinschaftlich eine Stahlkammer zu errichten, da wir Preziosen und Silberzeug hinterlegen wollen.« Ich bemerke wiederholt, Ihre Frau war, als Sie diesen Brief schrieben, bereits tot.
Angekl.: Ich wollte den Tod meiner Frau nicht bekannt werden lassen.
Vors.: So, so, Sie wollten den Tod Ihrer Frau nicht bekannt werden lassen. Weshalb wollten Sie den Tod Ihrer Frau nicht bekannt werden lassen?
Angekl.: Ich[11] hatte meine Gründe. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)
Vors.: Wollen Sie diese Gründe nicht angeben?
Angekl.: Nein.
Vors.: Sie trafen also am 30. November 1903 in München ein und begaben sich zur Filiale der Deutschen Bank. Sie gaben dieser eine Anzahl Dinge in die Stahlkammer ins Depot. Sie haben außerdem versucht, das gesamte Vermögen Ihrer Frau der Bayerischen Vereinsbank zu überweisen. Als man die Stahlkammer untersuchte, fand man in dieser nichts als einige wertlose Papiere, Ihr Leutnantspatent und die Ausweispapiere bezüglich Ihres Übertritts vom Katholizismus zum Protestantismus. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Was veranlaßte Sie, das Vermögen Ihrer Frau von der Filiale der Deutschen Bank an die Bayerische Vereinsbank überweisen zu lassen?
Angekl.: Auch dafür hatte ich meine Gründe.
Vors.: Sie geben doch zu, daß, wenn die bayerische Filiale der Deutschen Bank gewußt hätte, Sie haben die Unterschrift Ihrer Frau gefälscht, sie Ihnen das Depot nicht herausgegeben hätte.
Angekl.: Die Bank mußte das Depot herausgeben, denn ich hatte die Unterschrift nicht gefälscht.
Vors.: Sie schrieben ja auch, als Ihre Frau schon tot war: Ihre Frau kann krankheitshalber nicht nach München kommen.
Angekl.: Das war doch keine Fälschung.
Vors.: Aber ein Betrug.
Der Angeklagte schwieg.
Vors.: Mit welchem Rechte versuchten Sie, sich in den Besitz des Vermögens Ihrer Frau zu setzen?
Angekl.: Ich habe mich nur in den Besitz des Depots gesetzt, dies hatte mir meine Frau vor ihrem Tode überwiesen.
Vors.: In dem Ehevertrag ist aber davon keine Rede.
Angekl.: Das geschah später mündlich.
Vors.: Jedenfalls hatten Sie kein Recht, die Hypotheken-Pfandbriefe Ihrer Frau zu veräußern?
Angekl.: Das habe ich auch nicht getan.
Vors.: Sie haben aber wiederholt den Versuch dazu gemacht. Sie haben in den »Münchener Neuesten Nachrichten« inserieren lassen, daß Sie Hypotheken-Pfandbriefe verkaufen wollen, und als Ihnen dies nicht gelang, haben Sie sich an das Bankgeschäft Friedmann & Cie. in Halle a.d.S. mit dem Ersuchen gewandt, die Pfandbriefe zu verkaufen. Friedmann & Cie. antworteten Ihnen: Die Pfandbriefe[12] seien auf den Namen Ihrer Frau ausgestellt, könnten daher nur verkauft werden, wenn Ihre Frau mit Ihrer notariell beglaubigten Unterschrift es genehmigt hat. Darauf schrieben Sie am 2. Dezember 1903 an Friedmann – am 26. November 1903 war Ihre Frau gestorben – : Sie schicken eine Generalvollmacht Ihrer Frau, eine notariell beglaubigte Unterschrift können Sie vorläufig nicht beschaffen, da Ihre Frau sehr krank sei; das würde zum mindesten mit großen Schwierigkeiten verbunden sein. Als Ihnen nun Friedmann antwortete: Die Generalvollmacht genüge nicht, er müsse eine notariell beglaubigte Unterschrift Ihrer Frau haben, da schrieben Sie: Er solle den Verkauf einstweilen unterlassen und die Hypothekenbriefe im Depot behalten; er solle aber größte Verschwiegenheit beobachten, da Sie sonst große Ärgernisse haben könnten. Sie haben alsdann noch mehrfach den allerdings vergeblichen Versuch gemacht, die Hypothekenbriefe zu veräußern. Sie haben außerdem eine Anzahl Ihrer Frau gehörender Schmucksachen veräußert.
Angekl.: Diese hatte mir sämtlich meine Frau geschenkt.
Vors.: Sie hätten sich zweifellos in den Besitz des ganzen Vermögens Ihrer Frau gesetzt, es gelang Ihnen bloß nicht, rechtzeitig fortzukommen.
Angekl.: Das wollte ich auch nicht tun.
Vors.: Es ist höchst charakteristisch, daß Sie am 27. November 1903, also als Ihre Frau höchstwahrscheinlich noch als Leiche im Hotel lag, an eine Dame eine lustige Karte schrieben. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) Die Karte lautete: »Geehrte Frau! Der beste Wein, den es hier gibt, ist der ?Medilio?, ich leere soeben ein Glas auf Ihr Wohl.«
Angekl.: Das hat doch keine weitere Bedeutung.
Vors. (mit erhobener Stimme): Angeklagter, diese Karte haben Sie am 27. November 1903, wenige Stunden nach dem Ableben Ihrer Frau, als sie höchstwahrscheinlich noch im Hotel als Leiche lag, geschrieben; das ist doch sehr bezeichnend.
Der Angeklagte schwieg.
Auf Antrag des Verteidigers wurden einige vor dem Tode der Frau geschriebene Karten verlesen. Auf diesen gab der Angeklagte seinem Bedauern über die Krankheit seiner Frau Ausdruck.
Auf einer am 27. November 1903 vom Angeklagten[13] geschriebenen Karte hieß es: Ich werde jetzt meine Frau zur Erholung nach Como schicken. Auf einer am 2. Dezember geschriebenen Karte teilte der Angeklagte einer Bekannten mit: Er werde mit seiner Frau eine Reise nach Süditalien unternehmen.
Im weiteren Vorlauf äußerte der Vorsitzende: Herr Doktor! Ihre Sucht, eine Geldheirat zu machen, geht auch daraus hervor, daß, während Sie im Jahre 1901 in Halle wohnten und bereits mit Ihrer verstorbenen Frau ein Liebesverhältnis unterhielten, Sie noch mehrere andere Bräute suchten. So haben Sie sich z.B. gleichzeitig um die Hand einer Dame, namens Julie Weser, bei Leipzig beworben. Sie haben sich dieser als Dr. Stein, praktischer Arzt in Halle a.d.S. vorgestellt und ihr auch eine Visitenkarte mit dem Namen Dr. Stein, praktischer Arzt, gegeben. Sie müssen also falsche Visitenkarten geführt haben. Ferner haben Sie sich um die Hand einer Tischlersfrau, namens Amalie Sandner, in Halle beworben?
Angekl.: Heiraten wollte ich aber nur Fräulein Minna Wege.
Vors.: Nun im Jahre 1902 kamen Sie nach München und knüpften hier eine ganze Anzahl Beziehungen an. Ein Herr Knauer erließ in den »Münchener Neuesten Nachrichten« eine Annonce, welche lautete: »Eine vermögende junge Dame wünscht sich mit einem praktischen Arzt zu verheiraten.« Darauf haben Sie sich sofort gemeldet. Sie sind im Jahre 1899 vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten. Die junge Dame wollte einen Katholiken heiraten. Sie schrieben deshalb an Knauer: »Sagen Sie der jungen Dame, daß ich Katholik bin. Ich bin von katholischen Eltern geboren, katholisch getauft und erzogen. Ich bin allerdings vor einigen Jahren vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten, ich kann mich aber sehr gut als Katholik ausgeben.« (Große Heiterkeit im Zuhörerraum.) Einige Zeit darauf schrieben Sie an Knauer: Aus der Ehe kann nichts werden, ich kann eine Frau nicht gebrauchen, deren Eltern noch so jung sind, daß ich vielleicht noch 30 Jahre auf Auszahlung des Vermögens warten muß. (Heiterkeit.) Sie haben alsdann noch eine ganze Reihe von Heiratsverbindungen angeknüpft. Am 14. September 1903 verlobten Sie sich mit[14] Minna Wege, Ihrer verstorbenen Frau, und am 8. Oktober 1903 traten Sie in Beziehungen zu einer geschiedenen Frau in Leipzig. Sie schrieben dieser: »Ich bin überzeugt, daß wir eine gute, glückliche Ehe führen werden. In München wird es Ihnen zweifellos gefallen. München bietet in wissenschaftlicher, künstlerischer und gesellschaftlicher Beziehung so viel Anregung, daß es Ihnen in München sehr gut gefallen wird. Gesellschaftlicher Anschluß ist in München sehr leicht zu erhalten.« Im weiteren bewarben Sie sich um die Hand einer Dame durch Vermittlung eines Herrn Schülein. Die Dame hatte 30000 Mark auf einem Gute stehen. Von diesem Gelde sollten Sie 10000 Mark bei der Hochzeit, das andere Geld in vier Raten ausbezahlt erhalten. Schließlich muß Ihnen aber diese Summe zu klein gewesen sein. Nachdem Sie der jungen Dame, namens Kegel, eine Zeitlang die zärtlichsten Briefe geschrieben, teilten Sie Herrn Schülein mit: Sie müssen wegen Regulierung einer Erbschaft von der Heirat abstehen. Einige Zeit darauf schrieben Sie an Schülein: Wenn die Dame noch nicht vergeben ist, so seien Sie bereit, sie zu heiraten. Allein Fräulein Kegel scheint Sie durchschaut zu haben. Sie lehnte nunmehr Ihre Bewerbung ab. Aus Rache sandten Sie ihr eine Rechnung für ärztliche Behandlung über 40 Mark.
Angekl.: Aus Rache habe ich der Kegel keine Kostenrechnung geschickt. Ich habe alle diese Bewerbungen nicht in der Absicht gemacht, um die betreffenden Damen zu heiraten.
Vors.: Der Inhalt der Briefe läßt doch keinen anderen Schluß zu.
Angekl.: Heiraten wollte ich nur Minna Wege.
Vors.: Sie haben sich doch aber, nachdem Sie mit Fräulein Wege schon verlobt waren, noch um die Hand anderer Damen beworben. Einer Dame schrieben Sie: »Ich gebe Ihnen die heilige Versicherung, daß ich noch niemals mit einer Dame ein Liebesverhältnis unterhalten habe. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Ich habe weder gesetzliche, noch moralische Verpflichtungen. Die Sache mit Halle ist böswilliger Klatsch.« Diese Dame hat aber trotzdem die Beziehungen zu Ihnen aufgehoben, und daraufhin haben Sie ihr eine Rechnung für ärztliche Besuche über 200 Mark gesandt. Worauf begründeten[15] Sie diese Forderung?
Angekl.: Ich konnte diese Forderung nicht aufrechterhalten.
Vors.: Das will ich schon glauben, die Erhebung dieser Forderung charakterisiert Sie aber. Am 16. September 1903 haben Sie sich mit Fräulein Wege verlobt. Die Hochzeit wurde zwei Monate später festgesetzt, und trotzdem bewarben Sie sich um die Hand des Fräulein Kratz. Sie traten aber schließlich von dieser Neuverlobung wieder zurück, indem Sie der Dame schrieben: »Ich muß zurücktreten, weil ich erst etwas erledigen muß.« Aber am 8. November 1903 bewarben Sie sich wieder um Martha Kratz. Und als Ihnen diese sagte: Sie habe Ihr Aufgebot mit Fräulein Wege gelesen, erklärten Sie das als Lüge und sagten: Sie seien »scheußlich gemacht worden«. Kaum hatte Ihre Frau die Augen geschlossen, da bewarben Sie sich von neuem um Martha Kratz und versicherten, Sie seien niemals verheiratet gewesen.
Angekl.: Ich habe niemals gesagt, daß ich nicht verheiratet war.
Vors.: Es hat den Anschein, als wollten Sie so schnell als möglich wieder heiraten, weil Sie den Tod Ihrer Frau verheimlichen wollten, aber doch den Leuten, die Sie für verheiratet hielten, als verheirateter Mann gegenübertreten. Sie haben der Martha Kratz gesagt: die ganze Geschichte mit Halle ist Lüge. Sie waren allerdings verlobt, die Hochzeit war festgesetzt, beim Standesbeamten haben Sie aber anstatt Ja, Nein gesagt. Martha Kratz wollte das jedoch nicht glauben, zumal Sie mit der Heirat zögerten. Die Kratz schlug eventuell eine Trauung im Auslande vor. Sie sagten aber, das gehe nicht, Sie müßten erst noch etwas erledigen, wobei es sich um 50-60000 Mark handelt. Nachher haben Sie auch mit einem Fräulein Hegel Beziehungen angeknüpft und haben mit beiden von Italien aus korrespondiert.
Der Kratz haben Sie einen Verlobungsring geschenkt; es war das der Ehering Ihrer verstorbenen Frau. Aus diesem haben Sie den Namen auskratzen und den Namen der Martha Kratz hineingravieren lassen. Der Angeklagte schwieg.
Es wurden alsdann mehrere Briefe verlesen. In einem Briefe schrieb der Angeklagte an Martha Kratz: Dein Mißtrauen hat mir große Schmerzen bereitet. Ich habe Dir doch mein Ehrenwort gegeben, daß[16] ich frei bin. Bist Du denn der Meinung: ich sei verrückt und werde mich wegen Bigamie bestrafen lassen. Und selbst wenn ich verheiratet gewesen wäre, dann könnte ich heute auch frei sein. Der Brief, der von Liebesbeteuerungen überschäumte, schloß mit den Worten: »Dein Dich aufrichtig liebender, unverheirateter Jean, Junggeselle.« (Große Heiterkeit im Zuhörerraum.)
Der Vorsitzende hielt dem Angeklagten weiter vor, daß, während er mit der Kratz verlobt war, er mit der Heyl die intimsten Liebesbeziehungen unterhielt.
Der Angeklagte schrieb, während er sich kurz nach dem Tode seiner Frau mit Martha Kratz verlobt hatte, an die Heyl: »Mein kleiner, niedlicher Blondkopf, vertraue mir, einen besseren Mann bekommst Du nicht.« (Heiterkeit im Zuhörerraum.)
Der Verteidiger wendete ein, die Vorlesung dieser Briefe sei zwecklos, da der Angeklagte nicht die Absicht hatte, eine dieser Damen zu heiraten.
Vors.: Die Briefe sind jedenfalls sehr charakteristisch.
Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte der Angeklagte: er habe sich nach dem Ableben seiner Frau schnell wieder verheiraten wollen, um den Tod seiner Frau zu verheimlichen.
Es wurden darauf mehrere Briefe und Karten verlesen, die der Angeklagte, unter Nachahmung der Handschrift seiner Frau, an Verwandte seiner früheren Frau geschrieben hatte.
Angekl.: Das bestreite ich.
Am zweiten Verhandlungstage wurde dem Angeklagten das Testament seiner verstorbenen Frau vorgehalten, laut welchem Frau Dr. Braunstein je die Hälfte ihres Vermögens ihrem Gatten und ihrer Halbschwester schwester Anna Sieber vermacht hatte. Es erschien alsdann als Zeugin Gesellschafterin Anna Heid aus Reichenhall. Es war eine sehr hübsche, junge Dame. Sie hatte sich aber die betrügerischen Manipulationen des Angeklagten, der ihr ebenfalls mittels schriftlichen Vertrages die Ehe versprochen hatte, derartig zu Herzen genommen, daß sie an Herzschwäche und hochgradiger Nervosität litt. Es wurde deshalb allseitig auf ihre Vernehmung verzichtet.
Der folgende Zeuge, Stiftgutspächter aus Sangerhausen, war mit einer Kusine der verstorbenen Frau Dr. Braunstein verheiratet.
Vors.: Sind Sie mit dem Angeklagten verwandt[17] oder verschwägert?
Zeuge: Gott sei Dank, nein. (Heiterkeit.) Der Zeuge bekundete: Frau Dr. Braunstein habe als Mädchen viel in seinem Hause verkehrt und ihn auch oftmals um Rat gefragt. Im Auftrage der Frau Dr. Braunstein habe er sich nach den Verhältnissen und dem Vorleben des Dr. Braunstein erkundigt. Er erfuhr, daß Dr. Braunstein schon einmal verlobt war, Dr. Braunstein bezeichnete das aber als unwahr. Die Verlobung des Dr. Braunstein mit Fräulein Wege fand in seinem (des Zeugen) Hause statt. Dr. Braunstein machte dabei einen schüchternen Eindruck.
Vors.: Wie hatte es Fräulein Wege bezüglich ihres Vermögens gehalten?
Zeuge: Ich sagte ihr, sie solle ihr Vermögen sichern. Darauf sagte Fräulein Wege dem Angeklagten in meiner Gegenwart, daß sie sich die Verwaltung ihres Vermögens vorbehalte. Die Verstorbene war überhaupt sehr vorsichtig und mißtrauisch und hat vor der Ehe ihr Vermögen stets selbst verwaltet.
Vors.: Was sagte denn Dr. Braunstein dazu?
Zeuge: Er erklärte sich damit einverstanden. In dem Ehevertrag behielt sich die Verstorbene die Selbstverwaltung und den Nießbrauch ihres Vermögens ausdrücklich vor. Daß Frau Dr. Braunstein ihrem Manne die Vermögensverwaltung nachträglich übertragen habe, halte ich für ausgeschlossen.
Vors.: Wußte Fräulein Wege, daß ihr späterer Mann schon wegen Betruges und Unterschlagung eine mehrjährige Gefängnisstrafe erlitten hatte?
Zeuge: Ich nehme an, daß sie kurz vor der Hochzeit davon Kenntnis erhielt. Ich glaube aber, der Angeklagte hat erklärt: er sei später im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden.
Staatsanwalt: Glaubten Sie, aus dem Verhalten des Angeklagten zu folgern, daß er die Ehe nur aus finanziellen Beweggründen geschlossen hat?
Zeuge: Jawohl, diesen Eindruck hatte ich, Neigung schien der Angeklagte zu Fräulein Wege nicht zu haben.
Angekl.: Es ist richtig, daß meine verstorbene Frau sich vor der Verheiratung das Selbstverfügungsrecht über ihr Vermögen in Gegenwart von Zeugen vorbehalten hat. Ich habe gerade den Vorschlag gemacht, daß sie ihr Vermögen selbst verwalten solle.
Der Onkel der verstorbenen Frau Dr. Braunstein,[18] Gutsbesitzer Christian Brömme aus Asendorf bei Halle, ein Mann von 62 Jahren mit weißem Haar, machte seine Aussage mit tränenerstickter Stimme. Er hatte dem Dr. Braunstein von vornherein mißtraut, weil er dessen Vorstrafen kannte, er habe auch, als er von der bevorstehenden Hochzeit hörte, seine Nichte gewarnt, sie war aber von ihrem Vorhaben absolut nicht abzubringen. Sie war eben in den Angeklagten verliebt. Er (Zeuge) war erst einigermaßen beruhigt, als er hörte, daß sich die Verstorbene die Verfügung über ihr Vermögen ausdrücklich vorbehalten hatte. Fräulein Wege war stets sehr sparsam.
Vors.: Glauben Sie, daß Ihre Nichte sich ihr Geld hätte nach München überweisen lassen?
Zeuge: Das ist der reine Schwindel. Meine Nichte sagte mir eines Abends, sie habe sich nach dem Vorleben des Dr. Braunstein erkundigt und erfahren, daß er noch nicht bestraft sei. Als ich die Nichte nochmals warnte und bei meiner Behauptung, daß er vorbestraft sei, stehen blieb, sagte sie: Nun, dann machen wir eben keine Hochzeit, dann machen wir die Sache im stillen ab.
Es wurde die 42jährige Privatiere Martha Kratz aus München vernommen. Die Zeugin hatte verweinte, abgehärmte Züge. Sie schien völlig gebrochen.
Der Vorsitzende gestattete der Zeugin wegen ihres leidenden Zustandes, während ihrer Vernehmung auf einem Stuhl Platz zu nehmen.
Vors.: Sie scheinen sehr nervös und krank zu sein, ich werde deshalb Ihre Vernehmung so kurz wie möglich machen. Die Zeugin bekundete dann mit kaum vernehmbarer Stimme, daß sie den Angeklagten im September 1903, also zu einer Zeit, als er bereits mit Fräulein Wege verlobt war, kennenlernte. Der Angeklagte machte verschiedene Annäherungsversuche und stattete ihr auch mehrere Besuche in ihrem Hause ab. Dann verschwand er plötzlich, um erst am 11. Dezember 1903 wieder aufzutauchen.
Vors.: Das war also nach dem Ableben seiner Frau. Haben Sie ihm da keine Vorhaltungen gemacht, daß er bereits verheiratet sei?
Zeugin: Jawohl, ich habe ihm das vorgehalten, er erwiderte aber, ich irre mich, er sei nicht verheiratet.
Vors.: Hat er nicht auch gesagt, daß ihm viel daran gelegen sei, sich recht bald mit Ihnen zu verheiraten?
[19] Zeugin: Ja.
Vors.: Sie machten ihm aber wiederholt Vorwürfe?
Zeugin: Ja, ich glaubte ihm nicht, ich hatte von der Halleschen Sache gehört.
Vors.: Sie haben ihn eben für verheiratet gehalten?
Zeugin: Ja. Er blieb aber dabei, daß er sich in Halle nicht verheiratet habe. Er sei allerdings dicht daran gewesen, habe sich die Sache aber nochmals überlegt und im letzten Augenblick auf dem Standesamt Nein statt Ja gesagt. (Heiterkeit.)
Vors.: Wie ist nun die Äußerung des Angeklagten Ihnen gegenüber zu verstehen, daß Sie keine Frau Dr. Braunstein mehr in einem Züricher Sanatorium finden würden?
Zeugin: Ich hatte erfahren, daß eine Frau Dr. Braunstein dort krank liegen solle, und fragte den Angeklagten, ob das seine Frau sei.
Eisenbahnsekretärsfrau Auguste Jolle aus Halle: Sie kannte Fräulein Wege seit 16 Jahren. Fräulein Wege habe ihr Vermögen sehr vorsichtig verwaltet und vor ihrer Verheiratung gesagt: Es bleibt alles beim alten, das Geld bleibt in Halle.
Vors.: Glauben Sie, daß das Verliebtsein Fräulein Wege später anders beeinflußt haben könnte?
Zeugin: Nein, dazu war Fräulein Wege zu vorsichtig.
Der nächste Zeuge, der Kaufmann und Agenturgeschäftsinhaber Emil Wege, kannte die Verstorbene seit über 20 Jahren. In seiner Familie äußerte sie bezüglich der Verwaltung ihres Vermögens, daß auch nach der Hochzeit alles beim alten bleibe. Der Zeuge bekundete weiter, es sei seiner Frau auffällig erschienen, daß nach der Hochzeit Mitteilungen von der jungen Frau Dr. Braunstein ausblieben. Wir machten uns schließlich Gedanken und glaubten, daß etwas passiert sein müsse. Wir erfuhren aber bis zum 15. Dezember 1903 nichts. An diesem Tage erhielten wir eine anonyme Mitteilung aus München. Darin hieß es, Frau Dr. Braunstein ist längst tot und auch bereits in einem Krematorium verbrannt.
Zum Schluß der anonymen Karte hieß es: »Betrachten Sie diese Mitteilung als wohlwollend. Eine Freundin der verstorbenen Frau Dr. Braunstein.«
Die Pensionsvorsteherin Adelheid Riebe aus Dresden, die hierauf als Zeugin vernommen wurde, hatte der Frau Dr. Braunstein auf deren Ersuchen während der Hochzeitsreise Sachen nachgeschickt. Frau Dr. Braunstein[20] schrieb ihr einmal, daß sie krank sei, sich aber jetzt wieder besser fühle.
Prokurist August Koltzer, Kassierer im Halleschen Bankverein, hat die Geldgeschäfte des Frl. Wege fast ausschließlich besorgt. Er schilderte die Verstorbene als eine sehr selbständige Dame. Ihr Vermögen, soweit es beim Halleschen Bankverein untergebracht war, betrug etwa 77000 Mark, darunter 50000 Mark in Wertpapieren und 9000 Mark als laufendes Konto. Es sollte hierauf die Privatierswitwe Maria Wagner aus München, gleichfalls ein Opfer des Angeklagten, vernommen werden. Die Dame war aber nicht erschienen; sie hatte ein ärztliches Attest eingesandt, wonach sie hochgradig nervös sei. Deshalb sollte die Aussage, die sie in der Voruntersuchung gemacht hatte, verlesen werden.
Verteidiger Justizrat Bernstein protestierte hiergegen. Diese Zeugin sei so wichtig, daß es durchaus notwendig sei, sie in Gegenwart des Angeklagten zu vernehmen.
Staatsanw.: Ich lege keinen besonderen Wert auf diese Zeugin.
Dienstmädchen Bertha Zellner, früher Dienstmädchen bei Dr. Braunstein in München, bekundete, Dr. Braunstein sei am 18. November 1903 mit seiner Frau in München eingetroffen.
Staatsanw.: Hat Ihnen der Angeklagte nicht, als er die Hochzeitsreise antrat, den Auftrag erteilt, Sie sollten auf Anfrage nur angeben, daß er verreist sei?
Zeugin: Ja, das sagte er. Er verschwieg auch, daß er verheiratet sei. Ich wußte es, ich durfte es aber niemandem sagen. Die Zeugin gab dann noch an, daß Dr. Braunstein inzwischen Instrumente verkauft hatte. Es gewann den Anschein, als ob er seine Praxis überhaupt aufgeben wolle.
Vors.: Hatte der Angeklagte zu dieser Zeit die Absicht, die Praxis aufzugeben?
Zeugin: Ich durfte wenigstens keinen Patienten mehr hereinlassen. Am 29. November 1903 ist der Angeklagte ohne seine Frau nach München zurückgekehrt.
Angekl.: Ich möchte dazu bemerken, daß ich öfter Instrumente verkauft habe.
Vors.: Es soll auch nur bewiesen werden, daß Sie beabsichtigten, nachdem Sie das Vermögen Ihrer Frau an sich gebracht hatten, das Weite zu suchen.
Die Hausmeisterin und Telephonarbeitersfrau Marie Saffer aus München bekundete: Der Angeklagte[21] habe ihr gesagt, daß die Möbel aus der Wohnung später wieder abgeholt werden würden. Weihnachten 1903 erschien der Angeklagte dann mit einer Dame in der Wohnung, die sehr auffallend gekleidet war.
Altertumshändler Etbauer und der Trödler Strumpf aus München bekundeten, daß Dr. Braunstein Anfang Dezember 1903 an sie wegen Verkaufs von Möbeln, Schmucksachen, Bildern und sonstigen Gegenständen herangetreten sei. Der Verkauf eines Teiles der Sachen wurde auch perfekt.
Max Böttiger, Prokurist der bayerischen Filiale der Deutschen Bank in München, bekundete: Die Eröffnung eines Kontos für Dr. Braunstein bei der Filiale der Deutschen Bank sei am 19. November 1903 erfolgt. In den nächsten Tagen ging dann das Depot ein. Es sollte gemeinschaftlich für Dr. Braunstein und für seine Frau gebucht werden. Er habe das Depotüberweisungsformular weisungsformular am 26. November 1903, also dem Todestage der Frau Dr. Braunstein, nach Lugano geschickt. Am 30. November bereits wurde das gesamte Depot, soweit es noch vorhanden war, behoben. Der Zeuge bestätigte die verschiedenen Fälschungen, die der Angeklagte unter dem Namen seiner Frau gegenüber der Filiale der Deutschen Bank gemacht habe.
Vors.: Würden Sie dem Angeklagten irgend etwas ausgehändigt haben, wenn Sie gewußt hätten, daß er die Handschrift und die Unterschrift seiner Frau gefälscht hat?
Zeuge: Niemals hätte ich das getan.
Vors.: Wenn er gesagt hätte, er handle im Auftrage seiner Frau.
Zeuge: Dann hätte er sich darüber ausweisen müssen.
Otto Schwarzmeier, Beamter der Bayerischen Vereinsbank in München, bekundete, daß von dem Angeklagten am 2. Dezember 1903 zwei Depots im Gesamtwerte von 23000 Mark bei der Bayerischen Vereinsbank eingezahlt worden seien. Schon am 5. Dezember erschien Dr. Braunstein persönlich bei der Vereinsbank und hob 6000 Mark ab, am 12. Dezember erschien er wieder und erhob 17000 Mark, das Depot war also hiermit erschöpft. Am 17. Dezember wurde dann von dem Bankgeschäft Friedmann & Cie. in Halle an die Bayerische Vereinsbank die Summe von 900 Mark für das Konto des Dr. Braunstein überwiesen. Am 23. Dezember erschien Dr. Braunstein[22] nochmals und übergab gegen 40000 Mark zur Aufbewahrung. Er sagte hierbei, die Gelder sollten für seine Rechnung in Depot genommen werden. Er fügte hinzu, daß er verreisen müsse und noch Nachricht geben werde, wohin ihm der Depotschein gesandt werden solle. Auf einer Postkarte bat Dr. Braunstein später auf Grund des Depotgesetzes ausdrücklich um Diskretion. Die Bayerische Vereinsbank schrieb zurück, das sei selbstverständlich, Dr. Braunstein möchte aber nicht per Postkarte solche Bemerkungen machen.
Kaufmann und Bankagent Hermann Hahn (München): Auf Veranlassung des Angeklagten sei er im Dezember 1903 telephonisch mit diesem in Verbindung getreten. Dr. Braunstein verlangte von ihm einen Prospekt über südafrikanische Minenwerte und habe auch tatsächlich Auftrag gegeben, und zwar unter dem 10. Dezember, für 20000 Mark solche Minenwerte zu kaufen. Am 12. Dezember müßte er (Zeuge) noch für 8000 Mark Pfandbriefe für den Angeklagten kaufen. Am 11. Juni 1904 kam noch eine Karte des Angeklagten an den Zeugen, in der er beauftragt wurde, die Stücke zu verkaufen. Da er aber inzwischen gehört hatte, daß hinter dem flüchtigen Dr. Braunstein ein Steckbrief erlassen war, hielt er sich für verpflichtet, von dieser Karte der Staatsanwaltschaft Mitteilung zu machen.
Juwelier Theodor Schallmeyer: Er hatte sein Juweliergeschäft in der Maximilianstraße, in demselben Hause, wo der Angeklagte wohnte. Dr. Braunstein kam am 2. Dezember 1903 in seinen Laden und brachte ihm verschiedene Damenschmuckgegenstände im Werte von etwa zusammen 2000 Mark. Ein Schmuck mit zwei Brillanten hatte einen Wert von ca. 700 Mark. Dieser Schmuck wurde zu einer Schlange verarbeitet. Aus einem Damenring, dessen Wert er auf 400 Mark bezifferte, mußte er Manschettenknöpfe anfertigen. Ein Damentrauring, wie sich später herausstellte, der Ring der Frau Dr. Braunstein, befand sich ebenfalls dabei. Ferner war noch eine goldene Kette, ein Armband und eine goldene Sicherheitsnadel dabei, letztere zwecks Einschmelzens. Der Trauring trug die Inschrift: »November 1903«, welcher Tag eingraviert war, wisse er nicht mehr. Dr. Braunstein beauftragte ihn, die[23] Eingravierung herauszunehmen, da es in Norddeutschland nicht Sitte sei, das Datum der Hochzeit in die Trauringe einzugravieren. (Heiterkeit.)
Vors.: Mußten Sie nicht einmal einen der Schmuckgegenstände zu einer Dame tragen?
Zeuge: Ja, ich mußte einen der Gegenstände zu einem Fräulein Kratz nach dem Fränkischen Hof schicken. (Es handelte sich um die Privatiere Martha Kratz, der der Angeklagte späterhin, wie festgestellt worden ist, den Trauring seiner Frau als Verlobungsring geschenkt hatte, nachdem die Eingravierung entfernt war.) Der Zeuge bekundete noch, daß der Angeklagte ihm den Auftrag für Fräulein Kratz am 27. November 1903 aus Linden gegeben habe.
Die Pensionsinhaberin Adelheid Riebe aus Dresden bekundete, daß sie die Verlobungsringe zwar nicht selbst gesehen habe, aber Frau Dr. Braunstein habe ihr gesagt, daß das Datum der Hochzeit in die Ringe eingraviert worden sei.
Am dritten Verhandlungstage nahm das Wort Staatsanwalt Dimroth: Der Angeklagte steht unter dem schweren Verdacht des Gattenmordes. Das Verfahren ist dieses Verbrechens wegen bereits eingeleitet, die Entscheidung der Beschlußkammer steht jedoch noch aus. Die Frage, ob der Angeklagte seine junge Frau auf der Hochzeitsreise vergiftet hat, ist deshalb nicht Gegenstand der Beweisaufnahme in dieser Verhandlung gewesen. Ich muß mich also aus prozessualen Gründen einer Erörterung der Frage, ob der Angeklagte ein Giftmörder ist, enthalten und diese Frage nur soweit streifen, wie sie mit den Straftaten, wegen der er jetzt angeklagt ist, in unmittelbarem Zusammenhange steht. Der Angeklagte lernte seine spätere Frau, Fräulein Wege, bereits 1893 in Bebra kennen. nen. Zehn Jahre später heiratete er die junge Dame, augenscheinlich lediglich in der Absicht, sich ihres 120000 Mark betragenden Vermögens zu bemächtigen. Die erste betrügerische Manipulation war der Brief vom 18. November 1903 an den Halleschen Bankverein. Dieser erste Schritt führte ihn allerdings noch nicht zum Ziele; denn es gelang dadurch noch nicht die Übertragung des Depots vom Halleschen Bankverein an die Filiale der Deutschen Bank in München auf gemeinsames Konto. Die Überweisung geschah vielmehr[24] noch auf den Namen der verstorbenen Frau des Angeklagten. Entscheidend war erst das Depot-Übergabe-Verzeichnis der Filiale der Deutschen Bank. Dies versah der Angeklagte erst noch nach dem Tode seiner Frau mit dem Vermerk: »Jeder der Kontrahenten darf selbständig über das Vermögen verfügen.« Dieses Schriftstück versah Dr. Braunstein mit dem Namen seiner verstorbenen Ehefrau, dadurch kam er in die Lage, allein über das gesamte Vermögen seiner Frau zu verfügen. Schon am 27. November 1903, also einen Tag nach dem Tode seiner Frau, schrieb der Angeklagte an die Filiale der Deutschen Bank in München, daß er die in Depot gegebenen Stücke zurückziehe, in den nächsten Tagen würde er selbst bei der Bank vorsprechen. Schließlich war auch der Brief an das Bankhaus Friedmann & Cie. in Halle a.S. charakteristisch, in dem er den Verkauf der Hypotheken potheken im Betrage von 44000 Mark in die Wege leiten wollte. Er schrieb an das Bankhaus: Die Beibringung einer notariellen Urkunde würde auf Schwierigkeiten stoßen und das unangenehmste Aufsehen machen. Eine ganz besonders gefühlvolle Handlung des Angeklagten war auch die Schenkung des Traurings seiner wenige Tage vorher verstorbenen Frau als Verlobungsring an die Privatiere Martha Kratz. Bei Unterschreibung des Formulars, das ihm die Filiale der Deutschen Bank in München zur Ausfüllung sandte, mußte der Angeklagte das Bewußtsein seiner rechtswidrigen Absicht haben. Die Unterschriften auf diesem Formular haben doch nur ganz allgemein den Zweck, die Originalunterschrift zur Vergleichung mit späteren Unterschriften zu besitzen. Der Angeklagte sagt: er habe sich für berechtigt gehalten, auch nach dem Tode seiner Frau die Vollmacht mit ihrem Namen zu unterzeichnen. Jedermann, insbesondere ein gebildeter Mann, weiß, daß eine gegebene Vollmacht mit dem Tode erlischt. Für die Schuld des Angeklagten spricht weiter, daß er ganz allgemein, gegenüber den Banken wie gegenüber den Verwandten, den Tod seiner Frau zu verheimlichen suchte. Die Beweisaufnahme ließ auch klar erkennen, daß der Angeklagte nach Erlangung des Vermögens seiner Frau sich nach dem Auslande wenden[25] wollte. Der Staatsanwalt schilderte sodann eingehend den Charakter des Angeklagten.
Der Angeklagte, so fuhr der Staatsanwalt fort, hat sich in vielen Fällen in der schamlosesten und gemeinsten Weise gezeigt. Er wurde bei allen seinen Verbindungen mit Heiratsvermittlern nur von der Absicht geleitet, möglichst viel Geld zu erlangen. Er legte sich falsche Namen bei und verehrte mehrere Damen gleichzeitig. Bei einer Münchener Dame hat er sich nicht gescheut, mit dem Herrn, mit dem sie früher verkehrte, wegen einer Abfindungssumme im Falle seiner Verheiratung mit ihr in Verbindung zu treten, um möglichst viel herauszuschlagen. Als aus seiner Heirat mit dieser Dame schließlich nichts wurde, scheute er sich nicht, dieser eine Arztrechnung über 200 Mark zu senden. Dazu kommen die zahlreichen, recht bedenklichen Briefe des Angeklagten. Er verlobte sich mit der langjährigen Geliebten eines anderen Herrn und schrieb gleichzeitig die zärtlichsten Briefe an seine spätere Frau. Der Angeklagte hat jedenfalls mit den verwerflichsten Mitteln gearbeitet. Daß der Angeklagte seine Ehefrau ermordet hat, ist im Augenblick noch nicht mit Sicherheit zu erweisen. Aber ich glaube an der Hand des vorliegenden Materials sagen zu können, die Möglichkeit, daß er seine Frau ermordet hat, ist durch die zweitägige Verhandlung sehr nahegelegt. Die heutige Anklage muß ich nach allem, was die Beweisaufnahme ergeben hat, in vollem Umfange aufrechterhalten. Ich unterscheide zwei Gruppen von Straftaten: die Gruppe der Urkundenfälschungen und zwei Fälle der versuchten Urkundenfälschung und des Betruges. Zu der ersten Gruppe gehört der Brief vom 18. November an den Halleschen Bankverein. In die zweite Gruppe fallen die verschiedenen weiteren Schriftfälschungen. Ich komme nun zum Strafmaß. Mildernde Umstände scheiden nach meiner Überzeugung hier völlig aus. Im Gegenteil, es spricht alles zuungunsten des Angeklagten. Ich erinnere nur an die krasse Gewinnsucht und die Gemeinheit des Charakters und endlich auch an die Vorstrafen des Angeklagten. Ich glaube, die Verhandlung hat ein Bild entrollt, das selbst diejenigen, die gewohnt sind, sich von Berufs wegen mit den Schattenseiten[26] des Lebens zu beschäftigen, mit Entrüstung erfüllt. Ich beantrage für den Brief vom 18. November 1903 an den Halleschen Bankverein eine Zuchthausstrafe von vier Jahren und 3000 Mark Geldstrafe, eventuell noch 200 Tage Zuchthaus. Für die zahlreichen, fortgesetzten Urkundenfälschungen im Zusammenhang mit dem Verbrechen des Betrugs beantrage ich fünf Jahre Zuchthaus und 3000 Mark Geldstrafe, eventuell noch 200 Tage Zuchthaus. Ich beantrage weiter, beide Strafen in eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus und 6000 Mark Geldstrafe, eventuell noch 400 Tage Zuchthaus, zusammenzufassen. Außerdem beantrage ich, dem Angeklagten die bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre abzuerkennen und ihn in die Kosten des Verfahrens zu verurteilen.
Der Verteidiger, Justizrat Bernstein, suchte in längerer Rede den Nachweis zu führen, daß der Angeklagte nicht schuldig sei, daß ihn zum mindesten die Schuld, daß er Urkundenfälschung und Betrug begangen, nicht nachgewiesen sei. Der Angeklagte müsse daher freigesprochen werden.
Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten zu sieben Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust, mit etwa folgender Begründung: Nach der Überzeugung des Gerichts sind die Angaben des Angeklagten unwahr. Es steht fest, daß die Fälschungen vom Angeklagten noch nach dem Tode seiner Frau begangen wurden. Es steht ferner fest, daß von dem Angeklagten mit Verheimlichungen gearbeitet worden ist. Der Gerichtshof nimmt an, es ist unwahr, daß Frau Dr. Braunstein nicht habe schreiben können und wollen. Es steht vielmehr fest, daß sie am 18. November noch korrespondiert hat und auch noch weiter bis Bellinzona korrespondierte. Es ist ferner unwahr, daß die Frau den Angeklagten ermächtigt hat, für sie die Unterschriften zu leisten. Nach dem Charakter der Verstorbenen ist das ganz ausgeschlossen. Es ist auch ausgeschlossen durch die Vereinbarungen, welche die Verstorbene selbst nach der eidlichen Aussage des betreffenden fenden Korrespondenten noch kurz vor der Hochzeit mit dem Halleschen Bankverein getroffen hat. Es ist ferner unwahr, daß die Verstorbene vor der Hochzeit beim Halleschen Bankverein die Eröffnung[27] eines gemeinsamen Kontos beantragt hat. Weiter ist diese Angabe widerlegt durch den Ehevertrag vom 11. November, in welchem der Ehemann ausdrücklich von der Verwaltung und Nutznießung des Vermögens ausgeschlossen ist. Dazu kommt noch, daß der Angeklagte den Tod seiner Frau sowohl den Banken wie den Verwandten und sonstigen Personen gegenüber vollständig verschwiegen hat. Aus allen diesen Gründen ist der Gerichtshof zu der Überzeugung gekommen, daß der Angeklagte sich nicht nur objektiv schuldig gemacht hat, sondern auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungen gehabt hat. Es sind daher alle Voraussetzungen der Urkundenfälschung gegeben. Es liegen zwei verschiedene Verbrechen vor. Der Brief vom 18. November an den Halleschen Bankverein und alsdann die verschiedenen Einzelverbrechen gegenüber der Filiale der Deutschen Bank. Was die Strafabmessung anlangt, so ist zu berücksichtigen die Höhe des Schadens und die große Verwerflichkeit seines Tuns, die Hartnäckigkeit in der Ausführung, die Schlechtigkeit seines Charakters, die auch daraus hervorgeht, daß er seine Frau sofort, nachdem sie ihm angetraut war, hintergangen hat. Mit Rücksicht hierauf wird der Angeklagte wegen der Fälschung gegenüber dem Halleschen Bankverein zu drei Jahren und wegen der vier anderen Fälschungen gegen die Filiale der Deutschen Bank, die sich als fortgesetzte Händlungen darstellen, zu vier Jahren sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Beide Strafen werden zu einer Gesamtstrafe von sieben Jahren Zuchthaus zusammengezogen. Mit Rücksicht auf die ehrlose Gesinnung des Angeklagten wird auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre erkannt.
Der Angeklagte nahm das Urteil mit größter Ruhe entgegen. Er wird, da er meines Wissens auf das Rechtsmittel der Revision verzichtet hatte, Mitte April 1912 aus dem Zuchthause entlassen, also wieder auf die Menschheit losgelassen werden. Mögen alle jungen Frauen und Mädchen vor diesem grausamen und kaltblütigen Verbrecher gewarnt sein.[28]
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